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Kochen, Essen, Lieben - Sabine Pollak

Kochen, Essen, Lieben

Architektur des privaten Wohnens

(Autor)

Buch | Softcover
120 Seiten
2015
Sonderzahl (Verlag)
978-3-85449-442-3 (ISBN)
CHF 22,40 inkl. MwSt
Während der öffentliche Raum zunehmend möbliert, kommerzialisiert und dem Konsum unterworfen wird, wird das Private mehr und mehr von Öffentlichkeit durchdrungen – Grenzen zwischen privaten und öffentlichen Räumen verwischen, Privatheit ist im Begriff, in eine 'Post-Privatheit' überzugehen. ´
Dennoch erweisen sich die Praktiken des privaten Wohnens gegenüber Veränderungen erstaunlich resistent. Wir essen und schlafen, kochen und lieben seit Jahrhunderten in nahezu unveränderten Raumkonstellationen. Doch sind es nicht gerade diese Räume und ihre Konstellationen, ihre Einrichtung und Architektur, also gesellschaftliche Normen, die unsere vermeintlich privaten Rückzugsorte bestimmen? Sind es nicht Auswahl und Positionierung der Gegenstände um uns, die Abgrenzungen, Ausdehnungen und Öffnungen der Räume, die unsere Praktiken lenken? Die Oberfläche des privaten Wohnens wäre dann ein Terrain, auf dem die gesellschaftlichen Konventionen – wie der Schutz des Eigentums, die Ausübung von Geschlechterrollen, der Umgang mit Hygiene sowie partnerschaftliche Gepflogenheiten – eingeschrieben und zugleich ausgetragen werden.
Sabine Pollak, Professorin für Architektur und Urbanistik, sucht in ihrem Buch 'Kochen, Essen, Lieben. Architektur des privaten Wohnens' nach Spuren der Einschreibung solcher Konventionen und nach ihren Überschreitungen. Als Materialien dienen prototypische Privaträume des 20. Jahrhunderts wie das Haus Melnikov in Moskau, das Maison de Verre in Paris, die Villa Noailles in Südfrankreich oder das Monsanto House in den USA, Texte von Djuna Barnes, Pierre Klossowski und Marquis de Sade sowie Installationen von Diller&Scofidio, Dan Graham oder Martha Rosler. Sie alle verweisen auf die Bildhaftigkeit und zugleich auf die Fragilität der Oberfläche privaten Wohnens.

Sabine Pollak, Studium der Architektur, Partnerin im Architekturbüro Köb&Pollak (gemeinsam mit Roland Köb), arbeitet in den Bereichen Urbanistik, Wohnbau, Architekturtheorie und Genderforschung. Sabine Pollak war als Professorin der TU Wien, der Universität Salzburg, am Politecnico di Milano, an der Bauhaus Universität in Weimar, an der Akademie der Bildenden Künste in Wien und an der University of Michigan in den USA tätig. Seit 2008 unterrichtet sie Architektur und Urbanistik an der Kunstuniversität Linz. Bei Sonderzahl: 'Leere Räume. Weiblichkeit und Wohnen in der Moderne' (2004).

Diskrete Zimmerfluchten, verdunkelte Boudoirs, verwinkelte Gänge, getarnte Tapetentüren und gewundene Treppen erzählen von einem Interieur, wie es privater nicht sein könnte. Der Marquis lädt ein in sein Schloss, alles ist vorbereitet, das Fest kann beginnen. Und dennoch sind Räume, Einrichtung und Ausstattung nicht genug für das, was folgt. Sobald die geladenen Gäste sich im Schlossinneren befinden werden alle Eingänge zugemauert. Die Beteiligten sollen ein- und Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden. Intimität verdichtet sich und Privatheit implodiert nahezu. Und das ist wichtig, denn das präzise arrangierte Interieur dient ausschließlich der privatesten aller Praktiken, der körperlichen Ausschweifung. Bei allem Exzess folgen die Abläufe dennoch einem genau vorgefassten Regelwerk. Mahlzeiten, Darbietungen, Ruhezeiten, Erniedrigungen und Belohnungen sind wohl ausgewählt. Körper, Raum und zeitliche Abfolge finden zu einer präzisen Übereinstimmung. In den 1785 von Marquis de Sade beschriebenen 120 Tage von Sodom existiert eine Hausordnung, an die sich die Personen im Inneren des Schlosses zu halten haben. Diese als 'Bestimmungen' beschriebenen Regeln betreffen die alltäglichen Verrichtungen und Praktiken wie die Zeit des Aufstehens, das Verhalten bei den Mahlzeiten, die Schlaf- und Ruhegewohnheiten, die einzelnen Aufgaben und die Kleidung aller Frauen und Männer sowie die komplizierten Beziehungen unter diesen. (…) In der Erzählung dominieren Beschreibungen des Körpers und der Körperpraktiken, der Raum selbst wird nur beiläufig erwähnt. Was aber wäre das Private, wenn es nicht den Körper und dessen Passionen beschreibt? Wie ließe sich dieses Private selbst ohne die Affären, ohne das Versprechen und ohne die Wollust verifizieren? Was ist Privatheit? Die Abgrenzung einer Privatsphäre und die Ausgrenzung des Öffentlichen bilden die Voraussetzungen für ein sichtlich universelles Modell westlicher Kultur, das in der Architektur normalerweise als eine gesellschaftliche Voraussetzung übernommen wird. Das Modell Privatheit folgt dabei einem relativ konstanten, über Jahrhundert hinweg kaum veränderten Netzwerk aus Regeln, Vorkehrungen, Vorrichtungen und Vorsichtsmaßnahmen, die analog zum kontrollierten Verhalten in der Öffentlichkeit auch das Verhalten im Privaten bestimmen. Privatheit lässt sich über diese durch Traditionen, Konventionen und Moralvorstellungen festgelegten Verhaltensregeln auch als eine Summe aus Praktiken des Privaten erklären. Die richtige Ausübung dieser Praktiken erfolgt über geschriebene oder überlieferte Inhalte sowie über räumliche Codierungen, also über Architektur. Die Anordnung von Intimräumen, die Zuordnung von Ess- und Kochräumen, die Teilung in weibliche und männliche Sphären, die Hierarchie zwischen Räumen für Erwachsene und Kinder und die repräsentative Zurschaustellung des privaten Wohnens realisieren jenes Konzept von Privatheit, das der gesellschaftlichen Norm entspricht.

Erscheint lt. Verlag 27.10.2015
Sprache deutsch
Maße 165 x 230 mm
Gewicht 230 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Technik Architektur
Schlagworte Architektur • Gesellschaft • Öffentlicher Raum • Privates Wohnen • privates Wohnen, Wohnen, Architektur, Gesellschaft • Privatsphäre • Wohnen
ISBN-10 3-85449-442-4 / 3854494424
ISBN-13 978-3-85449-442-3 / 9783854494423
Zustand Neuware
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