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Nocebo: Wer's glaubt wird krank -  Magnus Heier

Nocebo: Wer's glaubt wird krank (eBook)

Gesund trotz Gentests, Beipackzetteln und Röntgenbildern

(Autor)

eBook Download: EPUB
2014 | 3. Auflage
152 Seiten
S.Hirzel Verlag
978-3-7776-2313-9 (ISBN)
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Symptome aus dem Internet - wer hat nicht schon einmal diffuse Beschwerden im Internet recherchiert? Doch die Diagnose, die Dr. Google uns liefert, fördert nicht gerade unser Wohlbefinden. Im Gegenteil, die Symptome verstärken sich oft noch. Der Neurologe Dr. Magnus Heier fokussiert in seinem Buch 'Nocebo: Wer's glaubt wird krank' ein in der Wissenschaft bisher wenig beachtetes Phänomen - den Nocebo-Effekt. Und er zeigt, wie wir trotz Beipackzettel, Röntgenbilder und Gentests gesund bleiben.

Voodoo des modernen Menschen

Warum muntern rosafarbene Pillen auf, was sind Cyberchonder und welche Wirkung haben Röntgenbilder? Die Kraft der Gedanken ist so mächtig, dass sie Gesunde krank machen kann - Nocebo-Effekt nennt sich das Phänomen.

Wer morgens Kopfschmerzen googelt, glaubt abends, er habe einen Gehirntumor. Rückenschmerzen werden umso leichter chronisch, je mehr Röntgenbilder ihrer Wirbelsäule die Patienten gesehen haben. Die Erwartung bestimmt den Verlauf mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Magnus Heier zeigt klar auf, dass mehr Aufklärung die Heilung auch behindern kann und wie leicht es ist, unser Wohlbefinden zu manipulieren. Gerade für die ärztliche Behandlung ist dieses Wissen entscheidend - denn bislang ignorieren Ärzte und Forscher den Nocebo-Effekt weitgehend. Mit diesem wichtigen Buch könnte sich das ändern.



Dr. Magnus Heier ist Arzt und Journalist. Er praktiziert als niedergelassener Facharzt für Neurologie und schreibt als freier Wissenschaftsjournalist unter anderem für die FAZ (am Sonntag), die WELT und DIE ZEIT - und redet im Rundfunk Berlin-Brandenburg 'aus der Praxis'. Er hält mit 'Hirnwelten - Einladung zum Denken' Sprechstundenvorträge über das Gehirn.

Placebo: die gute Seite der Suggestion


Jeder Praxisbesuch, jeder Krankenhausaufenthalt ist voller Suggestionen und Rituale: Ein Arzt im weißen Kittel und mit grauen Schläfen schafft Vertrauen – messbar mehr als Krankenschwestern und Pfleger.

Ein Fall aus der Praxis

Im Operationssaal: Der Chirurg machte einen Schnitt neben dem Brustbein und legte die innere Brustwandarterie frei. Nun war der Rest, das Abbinden der Arterie, nur ein Handgriff – aber so weit war es noch nicht. Der Eingriff war ebenso beliebt wie erfolgreich: Die Patienten litten vorher unter Angina Pectoris, einer schmerzhaften Unterversorgung des Herzmuskels. Das Prinzip der Operation war einfach: Man klemmt die Brustwandarterie ab, erhöht den Druck und verbessert damit auch die Durchblutung der Herzkranzgefäße, die vor dem künstlichen Verschluss abzweigen. So die Theorie. Der Eingriff war sehr populär, weil er sehr einfach war und erfahrungsgemäß sehr gut half.

Doch dann passierte im Operationssaal etwas Merkwürdiges: Dem Chirurgen wurde ein sterilisierter Umschlag gereicht. Während er ihn öffnete, drehte sich das gesamte OP-Personal um. Der Chirurg las die kurze Notiz – und nähte die OP-Wunde zu, ohne die Arterie abgeklemmt zu haben. Danach drehten sich die anderen wieder um und die Operationswunde wurde geschlossen. Niemand außer dem Chirurgen selbst sollte wissen, ob er nun die Arterie unterbunden hatte oder nicht; nicht das OP-Personal, nicht die weiterbehandelnden Ärzte und schon gar nicht die Patienten selbst.

Ein interessantes Experiment, von dem die beteiligten Patienten aber nichts wussten. Auch später nicht. Man wollte untersuchen, ob sie von der Operation selbst profitierten oder davon, dass sie glaubten, von der OP zu profitieren. Denn es hatte Auffälligkeiten gegeben. Man hatte bei Obduktionen bemerkt, dass operierte Patienten keinesfalls einen verbesserten Blutfluss zum Herzen gehabt hatten. Und in Tierversuchen ließ sich ebenfalls, entgegen aller Logik, keine Verbesserung der Durchblutung am Herzen nachweisen. Also entschloss man sich zu einem Experiment an betroffenen Patienten, von denen ein Teil nur zum Schein operiert wurde. Über die ethische Seite machte man sich im Jahr 1958 nur wenig Gedanken. Je weniger die Patienten wussten, je weniger Zweifel sie an der Operation hatten, desto stärker würde ihr Glaube sein.

Und dieser Glaube war überraschend stark: Es gab überhaupt keinen Unterschied im Operationsresultat, egal ob die Patienten wirklich operiert worden waren oder nur zum Schein einen Hautschnitt bekommen hatten. Der Glaube allein hatte den großen Erfolg des Eingriffs ausgemacht. Das Ergebnis der Studie wurde publiziert – die Operationstechnik schnell eingestellt.

Placebo für alle

Im März 2011 überraschte die Bundesärztekammer mit einem Appell an die Ärzteschaft: Mehr Placebos in die Praxen! Placebos würden sehr viel stärker wirken als bisher angenommen. Und es sei vertretbar, sie in der Praxis anzuwenden, so die Ärztekammer. Das ist eine erstaunliche Aufforderung. Denn immerhin muss der Arzt den Patienten möglichst gut belügen, wenn er ihm Placebos verabreicht – nur eine Tablette oder Spritze mit einer vorgetäuscht starken Wirkung wird auch eine starke Placebowirkung entwickeln. Nur wenn der Patient die Wirkung erwartet, wird es ihm schließlich besser gehen. Tut er das nicht, weil der Arzt ihm sagt, dass die Pille nur ein Placebo sei, wird es kaum funktionieren. Und das Gesetz ist sowieso eindeutig: Placebos dürfen dem Patienten nur nach dessen ausdrücklichem Einverständnis gegeben werden. Womit ihr konsequenter Einsatz hinfällig ist.

Ein großer therapeutischer Verlust, denn die Kraft der Placebos ist groß: Der Glaube versetzt Berge, und der Glaube an die Wirkung einer Tablette kann einen Menschen von Kopfschmerzen befreien, kann ihn im Sport schneller machen, seine Potenz steigern, die Konzentration erhöhen und sehr vieles mehr. Der Mensch lässt sich fast beliebig beeinflussen.

Das beeinflussbare Ich

In einem sehr eleganten Experiment an der Uni Hamburg wurde Anfang 2011 die Manipulierbarkeit gesunder Probanden untersucht. Die Forscher testeten die Schmerzwahrnehmung von 22 gesunden Personen. Der Schmerzreiz: Hitze. Eine Hautpartie wurde so lange erhitzt, bis die Teilnehmer ihren eigenen Schmerz auf einer Skala von 0 bis 100 als 70 angaben. Das ist schon sehr schmerzhaft. Gleichzeitig legte man ihnen einen intravenösen Zugang, durch den die Probanden Schmerzmittel erhalten sollten. Und das Ganze fand noch „in der Röhre“ statt – in einem Kernspintomografen (siehe auch Exkurs: „Livebilder aus dem Gehirn“): Das Gehirn der Teilnehmer wurde während des ganzen Versuchs beobachtet, um zu sehen, wo genau im Gehirn die Schmerzen verarbeitet wurden, wie schnell und wie lange.

Nachdem die Hitze schließlich so eingestellt war, dass sie als „70“ empfunden wurde (die Hitze selbst war nicht bei allen gleich, jeder Mensch nimmt Schmerzreize anders wahr), bekamen die Probanden durch den Schlauch in der Vene ein hochwirksames Schmerzmittel, allerdings ohne dass man ihnen das mitteilte. Das Morphinmedikament wirkte subjektiv und objektiv: Die Teilnehmer gaben eine deutliche Schmerzminderung an. Und auch in den Hirnfunktionsaufnahmen konnte man Veränderungen erkennen. Es wirkte, obwohl die Patienten nicht wussten, dass sie ein Schmerzmittel bekamen. So weit, so erwartbar.

Der zweite Schritt war überraschender: Jetzt nämlich sagte man den Patienten, dass sie ein Schmerzmittel bekommen würden. Sonst veränderte man nichts. Die Forscher drehten die Infusion nicht auf, sondern gaben das Mittel kontinuierlich weiter. Jetzt erwarteten die Patienten allerdings eine Schmerzreduktion – und prompt nahmen die Schmerzen deutlich ab. Obwohl sich am Schmerzreiz, der Hitze, wie auch am Medikament überhaupt nichts geändert hatte, wirkte das Mittel plötzlich doppelt so gut.

Dann kam die nächste Lüge: Die Forscher kündigten den Probanden an, das Schmerzmittel nun abzustellen. Die Schmerzen würden folglich vermutlich wieder schlimmer werden. In Wirklichkeit taten sie, was sie vorher auch taten: nichts. Das Schmerzmittel floss weiter in die Vene – aber es wirkte plötzlich nicht mehr. Die Probanden erwarteten stärkere Schmerzen und so kam es dann auch. Die Schmerzen wurden schlimmer.

Die Schmerzwahrnehmung ließ sich nach Belieben hoch – und herunterdrehen – nur durch Worte. Und im Hirnscan, den Livebildern aus dem Gehirn? Auch dort folgte die Aktivität der Regionen, die die Schmerzwahrnehmung kontrollieren, genau den Manipulationen der Forscher. Die Erwartung bestimmte das Ergebnis – sowohl die subjektive Schmerzwahrnehmung als auch die Hirnaktivität.

Je weißer der Kittel, desto wirksamer die Spritze

Je intensiver Probanden aber auch Patienten betreut werden, je aufwendiger die Kulisse der Behandlung, desto besser funktioniert die Manipulation. Eine Studie, bei der die Versuchsperson einen Infusionsschlauch in der Vene liegen hat und dabei noch in der Röhre eines Kernspintomografen liegt, ist an Suggestionskraft nicht zu überbieten.

Aber auch im klinischen Alltag bestimmt die Art und Weise, in der Ärzte mit Patienten umgehen, die Wirksamkeit einer Scheinbehandlung oder eines Scheinmedikaments: Gibt die Stationsschwester das Präparat, wirkt das Medikament „normal“. Kommt der Arzt persönlich, kann die Wirksamkeit um ein Vielfaches erhöht sein. Schmeckt die Pille bitter oder tut die Spritze weh, dann wird unterbewusst ein Erfolg erwartet, der sich schließlich auch einstellt: Die wirksamste Spritze ist die eines Arztes, der nicht spritzen kann – und bei dem es entsprechend weh tut.

„Erfahrene“ Patienten wissen genau, was sie wollen. Rückenschmerzpatienten (und das ist aus eigener Erfahrung die mit Abstand größte Gruppe im hausärztlichen Notdienst) sagen fast alle das Gleiche: „Herr Doktor, ich hab‘s am Rücken – ich brauche eine Spritze.“ Tabletten, Tropfen oder gar Zäpfchen werden empört, fast beleidigt zurückgewiesen. Es besteht sofort der Verdacht, der Arzt nehme die Schmerzen nicht ernst. Wobei das nicht in allen Ländern gleich ist: In Frankreich etwa sind Zäpfchen sehr beliebt. In Großbritannien dagegen bewegt sich ein Arzt, der ein Zäpfchen verabreicht, im Grenzbereich des sexuellen Missbrauchs. In Deutschland will man Spritzen. Und sie wirken tatsächlich – sehr viel stärker jedenfalls als das gleiche Medikament in anderer Form.

Kaum ein Arzt wird wirkliche Placebospritzen ohne jeden Wirkstoff verabreichen, schon gar nicht im Notdienst, wenn er die Patienten nicht kennt. Aber zwei Indizien für eine erhebliche Placebokomponente der „normalen“ Schmerzspritze gibt es doch: Die Spritze gegen Rückenschmerzen wird in den Gesäßmuskel injiziert. Und bei vielen Patienten wirkt sie schon nach Sekunden. Allerdings braucht der Wirkstoff sehr viel länger, um ins Gewebe und schließlich ins Blut zu gelangen. Die Erwartung wirkt schneller. Und ein zweites Indiz: Wenn der Arzt von einem „besonders starken Mittel“ spricht, wenn er vor Nebenwirkungen warnt, dann scheint die Wirkung allein dadurch verstärkt.

In der Medizin gilt: Wer heilt hat Recht. Und warum soll ein Patient nicht eine Spritze bekommen, wenn sie ihm so gut hilft? Zumal ein hochzufriedener Patient die Praxis verlässt und „seinen“ Arzt fortan für einen tollen Doktor hält. Das Problem ist: Er kommt nach ein paar Tagen mit Sicherheit wieder. Immer wieder. Die klassische Konditionierung – gegen Rückenschmerz hilft nur die Spritze – brennt sich unauslöschlich ins...

Erscheint lt. Verlag 10.1.2014
Sprache deutsch
Themenwelt Technik
ISBN-10 3-7776-2313-X / 377762313X
ISBN-13 978-3-7776-2313-9 / 9783777623139
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