Wie der Kork-Krümel ans Weinglas kommt (eBook)
172 Seiten
Hirzel, S., Verlag
978-3-7776-2115-9 (ISBN)
Hannelore Dittmar-Ilgen öffnet uns die Augen: Sie erklärt, wie Flüsse ihren Weg finden, wie Monsterwellen entstehen und wieso Forellen so elegant schwimmen. Vor allem aber zeigt sie, dass die Physik spannend und anregend sein kann - auch und gerade für Genießer.
Dr. Hannelore Dittmar-Ilgen ist Physikerin und unterrichtete lange an einem Gymnasium. Seit einigen Jahren gibt sie als Wissenschaftsjournalistin und Autorin ihre Faszination für die Physik an andere weiter. Bei Hirzel sind bereits mehrere Bücher von ihr erschienen.
Geistreiches rund um den Wein
Gärung: kleine Pilze bei der Arbeit
Ein älterer Chemielehrer gibt mit seinem selbst gemachten Johannisbeerwein als Anschauungsmaterial eine Einführung in die alkoholische Gärung und kann sich nicht erklären, wieso eine ganze Schulklasse nach einer kleinen Probe so betrunken ist. Sie alle kennen die urkomische Szene aus dem Film Die Feuerzangenbowle. Doch so weit wird es hoffentlich nicht kommen. Gießen Sie sich also ein gutes Glas Wein ein und erfahren Sie beim Weiterlesen eine Menge über die Biologie, Physik und Chemie der alkoholischen Gärung.
Die Weinherstellung durch Vergären von Traubensaft ist den Menschen schon seit Tausenden von Jahren bekannt; unzählige kleine Helfer, die einzelligen Hefepilze, lassen dabei Alkohol entstehen. In belebten Systemen gibt es bis heute drei grundlegende Arten der Energiegewinnung, nämlich Photosynthese, Atmung und Gärung. Die Gärung dürfte eine der ältesten und einfachsten Formen sein, denn sie läuft ohne Sauerstoff ab und war wahrscheinlich schon in der sauerstofflosen Uratmosphäre unserer Erde vorhanden. Viele Einzeller, die normalerweise die effizientere Atmung zur Energiegewinnung ausnutzen, behalten die Fähigkeit zu Gärungsreaktionen als eine Art „Reserve“ für Notzeiten ohne Sauerstoff bei.
Es gibt verschiedene Gärungsarten in der Natur,[9] aber die bekannteste dürfte die Erzeugung von Alkohol sein, der in verschiedenen Getränken enthalten ist. Bei diesem Vorgang wandeln Hefezellen – winzig kleine, nur unter dem Mikroskop zu erkennende Pilze – Zucker in Alkohol und Kohlendioxid um. Die Zellen der Hefe mit dem wissenschaftlichen Namen Saccharomyces vermehren sich rasch durch Zellteilung und gedeihen in der Natur überall da, wo Kohlenhydrate in Form von Stärke oder Zucker vorhanden sind. Charakteristisch für Hefen ist, dass sie sowohl mit als auch ohne Sauerstoff Energie gewinnen können und sich vermehren. Bei der Herstellung von alkoholischen Getränken durch Gärung lässt man die Hefe unter Sauerstoffabschluss (anaerob) arbeiten und wünscht in erster Linie das Ausscheidungsprodukt Alkohol. Das Kohlendioxid perlt bei diesem Vorgang aus. Sowohl der Alkohol wie auch das Kohlendioxid sind die Abfallprodukte, insofern es die Hefe angeht – sie benötigt nur die Energie zum Aufbau wichtiger Moleküle:
C6H12O6 → 2 C2H5OH + 2 CO2 + Energie
Glucose (Enzyme) Ethanol (Alkohol) Kohlendioxid
Glucose, besser bekannt als Traubenzucker, ist dabei der Ausgangsstoff. Sie ist die einfachste Zuckerform in der Natur und wird unter der Einwirkung diverser Enzyme, die die Hefezellen herstellen, in Ethanol (auch Äthanol oder Weingeist) umgewandelt – in einer mehrstufigen biochemischen Reaktion mit komplizierten Zwischenprodukten, die erst seit etwas mehr als 100 Jahren den Chemikern bekannt sind. Daher ist die obige Reaktionsgleichung stark vereinfacht, sie sollte mehr als stoffliche Bilanz gesehen werden. Die bei der Verdauung des Zuckers frei werdende Energie verwenden die Hefepilze für ihren eigenen Stoffwechsel.
Der Begriff „Enzym“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „im Sauerteig“. Enzyme sind hochmolekulare Eiweißverbindungen, die als Biokatalysatoren viele chemische Vorgänge beschleunigen oder erst ermöglichen. Enzyme werden im Allgemeinen nur von lebenden Zellen gebildet; jedes Enzym beeinflusst einen ganz bestimmten Vorgang, für den es sozusagen zuständig ist. Dass die alkoholische Gärung durch Enzyme gesteuert wird, konnte Eduard Buchner, ein deutscher Chemiker, 1896 in einem wichtigen Experiment zeigen. Er zerkleinerte Hefe zusammen mit Sand, füllte das Ganze in eine hydraulische Presse, zermahlte sie unter extrem hohem Druck und presste schließlich die gesamte Flüssigkeit heraus, die Teil der Hefezellen gewesen war. Als er in diese Flüssigkeit Zucker hineingab, entstand Alkohol. Die Gärung fand also auch ohne intakte Hefezellen statt. Buchner hatte gezeigt, dass die Gärung nicht durch die in der Hefe vermutete Lebenskraft hervorgerufen wurde, sondern durch einen chemischen Stoff, der sich von den Hefezellen trennen ließ: Dieses Enzym, Zymase genannt, konnte die Gärung auch in einem Reagenzglas erzeugen. Buchner gilt damit als Begründer der Biochemie; im Jahr 1907 erhielt er für seine Arbeiten den Nobelpreis für Chemie.
Die alkoholische Gärung findet auf anaerobe Weise, also in einer sauerstofffreien Umgebung statt. Arbeitet die Hefe, wie z. B. bei der Herstellung von Hefeteig, unter Sauerstoffeinfluss, dann schalten die Pilze hauptsächlich auf die Atmung als Energielieferanten um, denn die Energieausbeute dieser Reaktion ist höher. Aus dem Glucosemolekül entsteht dann unter Sauerstoffbeteiligung das Kohlendioxidgas, das im Teiggerüst zurückgehalten wird.[10] Für diesen Atmungsvorgang der Hefepilze hat sich im Sprachgebrauch fälschlicherweise ebenfalls der Begriff „Teiggärung“ etabliert.
Wie funktioniert die alkoholische Gärung in der Praxis? In früheren Zeiten gelangten wilde Hefepilze, z. B. von der Schale der Früchte oder aus der Luft, in den Traubensaft. Man kann sich vorstellen, dass die alkoholhaltigen Ergebnisse nicht immer unseren heutigen Geschmacksvorstellungen entsprachen, denn bei der wilden Gärung bildeten sich auch Säuren, vor allem Essig- und Milchsäure, sowie Bitterstoffe, denn deren mikrobiologische Erzeuger sind nicht weniger natürlich und zahlreich als die Alkohol erzeugenden Hefepilze. Der Zufall entschied über Erfolg und Geschmack oder Misserfolg des Produkts. Unter den Hefezellen gibt es viele verschiedene Arten, die sich in Aussehen und Lebensweise unterscheiden, manche können auch Krankheiten auslösen. Heute überlässt man die alkoholische Gärung nicht mehr dem Zufall, indem man die Hefepilze in verschiedenen Varianten – etwa 160 sind bekannt – als Reinzuchthefen industriell in einem Nährmedium züchtet. Allein über 100 Sorten wurden auf der Schale von Trauben gefunden und bildeten den Grundstock der züchterischen Bemühungen.
Sie können selbst einen Gärvorgang einleiten. Sie benötigen dafür Zuckerwasser oder Fruchtsaft und ein Tütchen Backhefe, die Sie in den Saft einrühren. Wenn Sie die Mischung leicht erwärmen (ca. 30 °C), werden Sie schon nach kurzer Zeit die Bildung von Kohlendioxid beobachten können. Am besten führen Sie den Gärvorgang in einer Flasche durch, die Sie mit einem wassergefüllten Gärröhrchen abschließen. Das Entweichen des Gases macht sich mit einem vernehmlichen Gluckern bemerkbar. Sie können aber auch einen kleinen Luftballon über die Flasche stülpen, der sich im Laufe des Gärprozesses aufbläst. Wenn Sie den Ansatz über Nacht stehen lassen, hat der Saft schon am nächsten Tag seinen süßlichen Geruch verloren, ein typischer Alkoholgeruch ist wahrnehmbar. Falls Sie ein Mikroskop haben, dann können Sie einen Tropfen aus Ihrer Gärflasche damit untersuchen: Viele kleine, elliptische oder eiförmige Körperchen schwimmen in der Flüssigkeit herum, die Hefepilze.
Doch Vorsicht: Wahrscheinlich ist ihr Produkt ungenießbar. Denn Ethanol, der gewünschte Alkohol, ist nicht das einzige Produkt der Hefepilze. Die Hefen produzieren unzählige weitere Stoffe, die bei einer gezielten Vergärung zum charakteristischen Geschmack des Endproduktes „Wein“ beitragen; bei einer wilden Gärung können sie jedoch auch zu einem unangenehmen oder bitteren Beigeschmack führen.
Als Alkohol bezeichnet man nicht nur Ethanol, sondern eine ganze Gruppe chemisch sehr ähnlicher organischer Substanzen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie Kohlenstoff enthalten und eine oder mehrere so genannte Hydroxylgruppen (OH-Verbindungen). Bei der Gärung entstehen einige von ihnen in geringen Mengen, darunter auch Glycerin, ein dreiwertiger Alkohol. Schwere, alkoholreiche Weine können 5–10 g Glycerin pro Liter enthalten. Es trägt entscheidend zu einem vollmundigen Geschmack im Gaumen bei, denn einerseits ist dieser ölig anmutende Alkohol süßlich[11], andererseits verbleibt er wegen seiner hohen Zähigkeit länger auf den Schleimhäuten der Zunge und überträgt dabei Geschmacksstoffe. Solche Weine empfinden wir als sehr nachhaltig. Die Viskosität von Glycerin ist rund 1500-mal größer als die von Wasser; so haben schon kleinere Mengen des schweren Alkohols Einfluss auf die Fließeigenschaften des Weins.
Auch die schwefelhaltigen Komponenten der Weinreben nehmen an unzähligen Reaktionen teil und erzeugen flüchtige Duftstoffe. So entstehen interessante Weinaromen, die an Vanille, Zimt oder Brombeeren, aber auch Tabak oder Teer erinnern und zusammen mit den Gerb- und Farbstoffen aus den Trauben das unverwechselbare Bukett eines Weines ausmachen. Auch so genannte Fuselöle, die nicht immer zu Wohlgeschmack und Bekömmlichkeit des Getränks beitragen, werden im Verlauf der Gärung gebildet.[12] Sie entstehen jedoch nicht aus dem Zucker, sondern aus der Vergärung der Aminosäuren, also der Eiweißstoffe, die die gärende Flüssigkeit enthält. Nicht von ungefähr ist die volkstümliche Bezeichnung für ein geschmacklich nicht überzeugendes Getränk, das zudem noch einen ordentlichen Kater hinterlässt, „billiger Fusel“. Dazu gleich noch mehr.
Vielleicht noch ein paar Worte zum Methanol, dem einfachsten aller Alkohole mit nur einem Kohlenstoffatom, in der Umgangssprache auch Holzgeist genannt. Methanol ist hochgiftig und schädigt z. B. die Augennerven – Sie alle kennen Geschichten über erblindete Trinker. Unprofessionell hergestellte alkoholische Getränke, vor allem Destillate, können tatsächlich einen hohen Anteil an Methanol...
Erscheint lt. Verlag | 17.6.2010 |
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Zusatzinfo | 41 schw.-w. Abb. |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Naturwissenschaften | |
Technik | |
Schlagworte | Kork-Krümel • Sachbuch • Weinglas |
ISBN-10 | 3-7776-2115-3 / 3777621153 |
ISBN-13 | 978-3-7776-2115-9 / 9783777621159 |
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