Vergeltung
Campus (Verlag)
978-3-593-38611-9 (ISBN)
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Vergeltung als Motiv menschlichen Handelns reicht vom Ignorieren einer Person über Formen von Mobbing bis hin zu exzessiver Gewalt. Sie findet sich in allen Konflikten, im Familienstreit genauso wie in internationalen Krisen. Häufig wird dabei mit Vergeltung die Anwendung von Gewalt im Konfliktgeschehen assoziiert. Auch in der Diskussion über das staatliche Strafmonopol spielt Vergeltung eine Rolle. Doch der Normalfall ist die Kompensation des Anspruchs auf Vergeltung durch eine Ausgleichsleistung. In diesem Band wird die Notwendigkeit aufgezeigt, Vergeltung stets in ihrem sozialen und politischen Kontext zu betrachten.
Vergeltung als Motiv menschlichen Handelns reicht vom Ignorieren einer Person über Formen von Mobbing bis hin zu exzessiver Gewalt. Sie findet sich in allen Konflikten, im Familienstreit genauso wie in internationalen Krisen. Häufig wird dabei mit Vergeltung die Anwendung von Gewalt im Konfliktgeschehen assoziiert. Auch in der Diskussion über das staatliche Strafmonopol spielt Vergeltung eine Rolle. Doch der Normalfall ist die Kompensation des Anspruchs auf Vergeltung durch eine Ausgleichsleistung. In diesem Band wird die Notwendigkeit aufgezeigt, Vergeltung stets in ihrem sozialen und politischen Kontext zu betrachten.
Günther Schlee ist Direktor am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle; Bertram Turner ist dort Mitarbeiter in der Projektgruppe Rechtspluralismus.
Einleitung: Wirkungskontexte des Vergeltungsprinzips in der Konfliktregulierung
Bertram Turner und Günther Schlee
Rache, Wiedergutmachung und Strafe: Ein Überblick
Günther Schlee und Bertram Turner
Recht auf Vergeltung?
Soziale Konfigurationen und die prägende Macht der Gewaltoption
Bertram Turner
Strafen mit und neben der Zentralgewalt:
Pluralität und Verstaatlichung des Strafens in der Frühen Neuzeit
Karl Härter
Strafrecht und Strafe: Belastung oder Entlastung?
Hans-Jörg Albrecht
Reaktionsformen auf abweichendes Verhalten
aus der Sicht des Völkerrechts
Silja Vöneky
Das Recht auf Strafe und Vergeltung im Zeitalter der Globalisierung: Ein Kommentar
Hartmut Lehmann
Schlussbetrachtung: Felder einer interdisziplinären Forschung
Bertram Turner
Autorenverzeichnis
"Möge der Band eine große Verbreitung finden. Verdient wäre sie allemal."
Gerhard Kümmel (Das Historisch-Politische Buch, 15.11.2008)
Keine der traditionellen etablierten wissenschaftlichen Disziplinen hat allein den Schlüssel zur Beantwortung der Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Thema "Vergeltung und Regulation ohne Zentralgewalt" stellen. Es kommt vielmehr darauf an, durch einen intensiven Dialog zwischen den verschiedenen Fachdisziplinen die jeweils vorhandenen Kompetenzen in eine produktive Verbindung miteinander zu bringen. Außerdem erscheint die Thematik von "Vergeltung und Regulation ohne Zentralgewalt" nochmals in einem ganz neuen Licht, wenn man den Blick über Europa hinaus richtet, das heißt, wenn man die Implikationen und die Konsequenzen des Prozesses beziehungsweise der Prozesse der Globalisierung zu berücksichtigen versucht. Denn dann geht es darum, dass neben den Konfliktlösungen, die in Europa in bitteren Erfahrungen gefunden wurden, ganz neue und andere Erfahrungen eine große Bedeutung besitzen, über die wir in der Regel nur unzureichend informiert sind. Das heißt: Wenn man von den Auswirkungen der Globalisierung her denkt, verliert möglicherweise die europäische Rechtstradition einen Teil ihrer Beweiskraft. Vor allem jene Formen der Schlichtung und Mediation, die auf Gedanken der Aufklärung fußen, können dann nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit angewendet werden, wie das in Europa derzeit in den allermeisten Ländern der Fall ist. Von der Fragestellung ausgehend, ob staatliches Strafrecht und staatliche Strafe Entlastung oder Belastung für Täter, Opfer und Gesellschaft mit sich bringen, hat Hans-Jörg Albrecht die verschiedenen Varianten eines neuen Systems geprüft, in dem nicht mehr das Strafverfahren und die Strafzumessungsregeln im Zentrum stehen, sondern Mediation und Restitution. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Mechanismus strafrechtlicher Sanktionierung durch strafrechtsunabhängige schlichtende Wiedergutmachung nicht ersetzt werden kann. Nur wenn eine klare Beziehung zwischen der Zentralgewalt und einem Täter bestehe, argumentiert er, könne für die Täter, die Opfer und die sozialen Gruppen, denen sie angehören, jene Entlastung entstehen, die für alle an einem Fall Beteiligten von dauerhaftem Vorteil sind. Ergänzend zu den Argumenten, die Hans-Jörg Albrecht vorgetragen hat, möchte ich auf einen Punkt hinweisen, der in Zukunft eine besonders große Rolle spielen mag, der aber auch heute schon eine erhebliche Rolle spielt: Es ist der besonders labile und sich rasch wandelnde Zustand der Gesellschaften in der Mitte Europas. Auch in Deutschland leben wir in einer hochmobilen Gesellschaft, gekennzeichnet durch ein großes Maß an Emigration, an Binnenmigration sowie auch an Immigration, in einer Situation somit, die zunehmend geprägt wird von neuen ethnischen, kulturellen und religiösen Minderheiten. Dies ist nicht ohne gravierende Folgen. Jede achte Ehe, die in den Ländern der alten Bundesrepublik geschlossen wird, gehen zwei Personen verschiedener ethnischer, kultureller und religiöser Prägung ein. In manchen Schulen überwiegen die Kinder von Neubürgern bei weitem die Zahl der Kinder der Alteingesessenen. Wer besitzt in einer solchen Situation die Autorität zur Mediation und die Kompetenz zu erfolgreicher Mediation, möchte ich fragen. Dazu kommen, durchaus erschwerend, die Auswirkungen der progressiven Säkularisierung. Die Truth & Reconciliation Commission in Südafrika konnte nur deshalb erfolgreich tätig sein, weil sie in einem Land, in dem die meisten Menschen eine ungebrochen starke religiöse Bindung besitzen, von einem Geistlichen mit hoher Wertschätzung geleitet und durch alle Schwierigkeiten, die es auch dort gab, hindurchgesteuert wurde. Es ist kaum denkbar, dass sich dieses Modell auf die Bundesrepublik Deutschland und dort auf die lokale Ebene, wo die meisten Strafverfahren durchgeführt werden, übertragen ließe. Viel Erfolg versprechender erscheint der Weg, begabte Angehörige der neuen Minderheiten zu motivieren, sich auf dem Gebiet der Rechtswissenschaften zu engagieren und sie dann, soweit dies möglich ist, in die Gerichte und Kammern aufzunehmen, in denen jene heiklen Fälle behandelt werden, in denen die unterschiedlichen Rechts- und Strafvorstellungen von straffällig gewordenen Neubürgern zur Entscheidung anstehen. Neben den bisher üblichen Gutachten von Sachverständigen müssten in bestimmten Verfahren auch spezielle Gutachten durch Religionswissenschaftler und Ethnologen herangezogen werden. Zwar ist die Forderung nicht unberechtigt, dass sich alle Neubürger an die hierzulande geltenden Gesetze zu halten haben. Um Motive divergierenden und teilweise auch kriminellen Verhaltens - und damit auch das Strafmaß - zu bestimmen, scheint es aber sinnvoll, die das Verhalten dieser Täter möglicherweise prägenden religiösen und kulturellen Traditionen und Normen zu kennen, zu diskutieren und, falls sinnvoll, auch angemessen zu berücksichtigen. Zwei Probleme sind in diesem Zusammenhang von besonderer Relevanz: Zum einen die Frage, ob in Europa am Beginn des 21. Jahrhunderts tatsächlich die Religion beziehungsweise die Religionen wieder einen höheren Stellenwert, das heißt größeres gesellschaftliches Gewicht erlangt haben als noch vor einer Generation, zum anderen, wenn dies tatsächlich der Fall sein sollte, die Frage, ob wir nicht auch in Europa sehr viel präziser als bisher verschiedene Typen multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften unterscheiden müssen, da die Konsequenzen solcher Analysen weit bis in den politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Raum und nicht zuletzt auch in den Bereich der Rechtssprechung hineinreichen. Was die erste Frage betrifft, so gilt es zu unterscheiden zwischen den einschlägigen statistischen Daten, so problematisch diese im Einzelnen auch sein können, in denen das praktizierte religiöse Engagement sowie auch das offensichtliche Desinteresse an Religion erfasst wird, sowie die seit einiger Zeit sehr lebhaften öffentlichen Diskussionen über die "Wiederkehr der Religion". Die Schwierigkeit besteht dabei darin, dass zwischen diesen beiden Zugangsweisen zum Bereich des Religiösen und der Religion im heutigen Europa ganz offensichtlich eine große Diskrepanz besteht. Denn während die neueren und neuesten Daten zum Komplex der Religion höchstens erkennen lassen, dass sich der Fortschritt der Säkularisierung in den westlichen Gesellschaften in jüngster Zeit etwas verlangsamt hat, ohne jedoch zum Stillstand gekommen zu sein, wird in kirchlichen und politischen Gremien aller Art, in Akademien und Journalen mit einer solchen Intensität über die "Rückkehr der Götter" ins säkularisierte Europa diskutiert, auch spekuliert, dass man meinen könnte, ein neues konfessionelles Zeitalter stünde unmittelbar bevor, hätte vielleicht schon gar begonnen. In unserem Zusammenhang gilt es deshalb zu beobachten, ob und auf welche Weise diese Diskussion auch Einfluss auf die Rechtssprechung gewinnt, ob in Zukunft also die Normen, nach denen Recht gesprochen wird, deutlich von religiösen Normen jedweder Provenienz unterschieden werden. Denn religiöse Ansprüche auf gesellschaftlichen Einfluss sind eine Sache, die Durchsetzung solcher Ansprüche in der Rechtssprechung aber eine andere. Anders formuliert: Es wird, wenn sich die Meinung verstärkt und festsetzt, die Religion besitze wieder eine unmittelbare gesellschaftliche Bedeutung, darauf ankommen, noch viel stärker als bisher die Sphäre des Staates und damit auch den Bereich der Rechtssprechung von der Sphäre der Religionen zu trennen und dort, wo derzeit noch gewisse Verbindungen bestehen, diese konsequent Schritt für Schritt aufzulösen. Man mag fragen und einwenden, warum dies denn so wichtig sei. Meine Antwort: Jedes Urteil, bei dem in einer multireligiösen Gesellschaft eine religiöse Gruppe zu Lasten einer anderen bevorzugt wird, und sei es nur in der Tendenz der Begründung, stellt eine gewisse, in den Konsequenzen schwer abzuschätzende Bedrohung für den gesellschaftlichen Frieden dar, weil ein solches Urteil just dies untergräbt, was es in einer multireligiösen Gesellschaft konsequent und immer wieder zu festigen gilt, nämlich die wechselseitige Toleranz als Grundvoraussetzung der friedlichen Koexistenz unterschiedlicher religiöser Richtungen.
Erscheint lt. Verlag | 13.5.2008 |
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Co-Autor | Jörg Albrecht, Karl Härter, Hartmut Lehmann, Günther Schlee, Bertram Turner, Silja Vöneky |
Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Maße | 139 x 212 mm |
Gewicht | 240 g |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Ethnologie ► Allgemeines / Lexika |
Schlagworte | Gewalt • HC/Ethnologie/Allgemeines, Lexika • Konfliktregulierung • Rache • Recht • Strafe • Strafe / Bestrafung • Strafjustiz • Völkerrecht • Wiedergutmachung • Zentralgewalt |
ISBN-10 | 3-593-38611-9 / 3593386119 |
ISBN-13 | 978-3-593-38611-9 / 9783593386119 |
Zustand | Neuware |
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