Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de
Kreolität und postkoloniale Gesellschaft - Jacqueline Knörr

Kreolität und postkoloniale Gesellschaft

Integration und Differenzierung in Jakarta
Buch | Softcover
373 Seiten
2007
Campus (Verlag)
978-3-593-38344-6 (ISBN)
CHF 64,40 inkl. MwSt
Postkoloniale Identität
Jakarta, die Hauptstadt Indonesiens und bis 1945 die holländische Kolonie Batavia, ist heute mit rund zwölf Millionen Einwohnern eine der größten Metropolen der Erde. Ihre multiethnische Bevölkerung ist ein typisches Beispiel einer postkolonialen Gesellschaft. Jacqueline Knörr arbeitet die Prozesse kollektiver Identitätsbildung heraus und analysiert die besondere Bedeutung von Kreolität für die Prozesse ethnischer, lokaler und nationaler Integration und Differenzierung.

Jacqueline Knörr ist Associate Professor am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle/ Saale und Privatdozentin am Institut für Ethnologie der Universität Halle-Wittenberg.

Inhalt

Verzeichnis der Abbildungen
Danksagung
Einleitung

I Zum Verhältnis ethnischer, lokaler und nationaler Identität
1 Ethnische versus transethnische Identität
2 Nationale Identität im Kontext ethnischer und transethnischer Referenz
3 Der lokale Faktor "Stadt"

II Kreolisierung als Prozess der Indigenisierung und Ethnogenese
1 Begriffsfeld "Kreol": Historie versus Ideologie
2 Indigenisierung und Ethnogenese als Kriterien fürKreolisierung
3 Plädoyer für einen analytisch-komparativen Kreolitätsbegriff
4 Kreolität versus "(Post-)Kreolisches Kontinuum"

III Kreolität im postkolonialen Kontext
1 Das KvP-Modell: Kreolisierung versus Pidginisierung
2 Die Pidgin-Variante von Kreolität
3 Kreolität und postkoloniales Nation-Building
4 "Créolité" als Modell transzendenter Postkolonialität: Kritik und Abgrenzung
5 Kreolische Ambivalenzen
6 Inszenierungs- und Instrumentalisierungspotenzial von Kreolität

IV Methodologisches
1 Forschen im Feld
2 Fragestellung: Operationalisierung und Spezifizierung
3 Auswertung und Darstellung

V Jakarta, Batavia, Betawi
1 Stadtbild und Bevölkerungsstruktur heute
2 Die historischen Anfänge: Sunda Kelapa, Jayakarta, Batavia
3 Soziale Organisation und interethnische Beziehungen in Batavia
4 Kreolisierungsprozesse in Batavia und die Entstehung der Betawi
5 Soziale Marginalisierung der Betawi im kolonialen und postkolonialen Kontext
6 Die Entdeckung der Betawi: Programmatik und Kontext ihrer staatlichen Förderung

VI "Orang Betawi" versus "Orang Jakarta"
1 Diskurse, Definitionen, Dichotomien
2 "Betawi (Asli)" versus "pendatang"
3 "Betawi" versus "Betawi": Ethnische Referenzen mit und ohne "Asli"
4 Betawi als Jakarta Asli
5 "Betawi" als Kategorie transethnischer Referenz: Das Pidgin-Potenzial von Betawi-Kultur und -Identität
6 "Orang Jakarta" als Kategorie urbaner Identität
7 Kreolisierungsprozesse jakartanischer Identität
8 Zur Verbindung von Traditionalität und Modernität im Verhältnis von "Orang Betawi" und "Orang Jakarta" … und eine Miss-Wahl

VII Suku bangsa Betawi: Integration und Differenzierung ethnischer Identität
1 "Inner" und "Outer Circle" der Betawi
2 Das "Who is Who" des "Inner Circle": Betawi Kota, Betawi Pinggir, Betawi Udik
3 Das "Who is Who" des "Outer Circle"
4 Jenseits der Betawi

VIII "Betawi" versus "Peranakan": Zum Verhältnis indigener und exogener Kreolität
1 Begriffsentwirrung
2 Cina Benteng: Die ersten Peranakan
3 Chinesen in Batavia: Zwischen Privilegierung und Vertreibung
4 Chinesen im postkolonialen Jakarta
5 Die Unterdrückung des Chinesischen in der Ära Suharto
6 "Free the Dragon" versus "Be(com)ing Betawi"
7 Chinesische Varianten jakartanischer Indigenität
8 Die Lust der Betawi an der Inkorporation: Wider das Peranakan-Solo

IX "Orang Betawi" versus "Orang Indonesia": Zur Verknüpfung ethnischer Vielfalt und nationaler Einheit
1 Pancasila und Bhinneka Tunggal Ika als zentrale Prinzipien nationaler Identität
2 Die Betawi als Repräsentation von Bhinneka Tunggal Ika: Zur Bedeutung der "Vielfalt im Ursprung" für die "Einheit
in Vielfalt"
3 Zur nationalen Bedeutung indigener Traditionalität
4 Betawi-isierung versus Javanisierung des nationalen Zentrums
5 Betawi kontra orang kompeni: Postkoloniale Konstruktionen antikolonialen Heldentums
6 Zur identitären Verknüpfung von "Orang Betawi" und "Orang Indonesia"

X Einem offenen Ende entgegen: "Betawi goes Politics"
1 Die Kampagne Betawi untuk Gubernur und das Gewissen der Betawi
2 Warum (k)ein Betawi Gouverneur werden sollte: Diskurse im Vorfeld der Wahl
3 Politisierung versus Instrumentalisierung oder: Wie kein Betawi Gouverneur wurde
4 Inklusion versus Exklusion
5 Zur Interdependenz identitärer Prozesse in Jakarta

XI Vergleichende Anmerkungen zur Kontextualisierung von Kreolität in postkolonialen Gesellschaften
1 Kreolität im Vergleich
2 Zur gesellschaftlichen Kontextualisierung des historischen Sklavenhintergrundes
3 Konstruktion von Authentizität im Verhältnis ethnischer und transethnischer Dimensionen von Kreolität
4 Konstruktion von Authentizität im Verhältnis indigener und exogener Dimensionen von Kreolität
5 Inklusion versus Exklusion oder: wie aus Kreolisierung Kreolität wird

Literatur

"Der Materialreichtum der Arbeit, die differenzierten Beobachtungen und Beschreibungen, die oft feinsinnigen und erklärenden Interpretationen machen das Buch überaus lesenswert." (Anthropos, 01.04.2009)

Einleitung Diese Arbeit leistet einen Beitrag zur Erforschung der Bedeutungen und Funktionen kollektiver Identitätsmechanismen in einer postkolonialen Gesellschaft. Als "postkolonial" werden hier jene Gesellschaften bezeichnet, die über lange Zeiträume hinweg und bis in die jüngere Vergangenheit hinein Kolonialgebiete europäischer Kolonialreiche waren und die bis heute - also post-kolonial - in vielerlei Hinsicht von der historischen Erfahrung des Kolonialismus' geprägt sind. Es geht um Prozesse der Integration und Differenzierung ethnischer, lokaler und nationaler Identität in Jakarta und um die Rolle, die Kreolität als kulturelles und identitäres Referenzsystem in diesem Zusammenhang spielt. Insbesondere innerhalb solcher postkolonialer Gesellschaften, die durch ein hohes Maß an ethnischer, kultureller und sozialer Heterogenität geprägt sind, - und in denen heute die Mehrheit der Weltbevölkerung zu Hause ist -, spielt Kreolität eine wichtige Rolle für die Integration und Differenzierung eben jener Varianten kollektiver Identität, die gesamtgesellschaftlich von größter Bedeutung sind. Das liegt vor allem daran, dass kreolische Kultur und Identität aufgrund ihrer heterogenen Ursprünge ethnische wie transethnische Identifikationen ermöglicht, als ethnische und transethnische Kultur und Identität begriffen und angeeignet werden kann. Besonders dann, wenn innerhalb einer ethnisch heterogenen Gesellschaft ethnische Identitäten einen wichtigen sozialen Organisationsfaktor darstellen und Teil der identitären "Grundausstattung" eines Menschen und einer Menschengruppe sind, kann kreolische Kultur und Identität ein wichtiges Potenzial für Prozesse transethnischer Integration und - daraus resultierend - für die Förderung eines spezifisch postkolonialen Nationalbewusstseins sein. Nicht primär als identitärer und ideeller "Zwischenraum" in und zwischen Köpfen, sondern in den sozialen Beziehungen - auf dem Boden der gesellschaftlichen Realität kontemporärer postkolonialer Gesellschaften - entfaltet Kreolität ihre besondere soziale und politische Wirkung. Als eine Spätfolge des Kolonialismus und seiner Überwindung ist kreolische Kultur und Identität jedoch auch oft mit erheblichen Ambivalenzen verbunden. Prozesse gesellschaftlicher Integration und Differenzierung sind eng verknüpft mit (Re-)Konfigurationen, (Re-)Konstruktionen und Transformationen von Bedeutungen, Werten und Handlungen. Um diese Prozesse zu verstehen, wurden sie in ihren jeweiligen historischen Kontexten als auch im Rahmen ihrer aktuellen gesellschaftlichen Bedeutungszusammenhänge untersucht und analysiert. Es galt hierzu, den für die Thematik relevanten gesellschaftlichen Kontext und die mit ihm in wechselseitiger Beziehung stehenden identitären Prozesse möglichst nah am Menschen zu erschließen. Es geht in diesem Buch um Menschen in Jakarta und zwar um solche, die ihre ethnischen, lokalen und nationalen Identifikationen im Rahmen einer kognitiv-emotionalen Bindung an Jakarta entwickeln, deren primäres identitäres Bezugssystem (in) Jakarta ist. Es geht ausdrücklich nicht um Menschen, deren primäres identitäres Bezugssystem außerhalb Jakartas lokalisiert ist, also beispielsweise nicht um ethnische Identitäten und Netzwerke der Minangkabau oder Batak in Jakarta und nicht um die von Migranten, die sich lediglich vorübergehend oder erst seit kurzem in Jakarta aufhalten und wenig Bindung an Jakarta besitzen. Es geht um Menschen, die sich in Jakarta zu Hause fühlen. Orang Betawi, Orang Jakarta, Orang Indonesia Die Konstruktion ethnischer, lokaler und nationaler Identität in Jakarta findet primär in Auseinandersetzung mit den Kategorien "(Orang) Betawi (Asli)", "Orang Jakarta" und "Orang Indonesia" statt. Dabei kommt der Kategorie "(Orang) Betawi" eine Schlüsselrolle zu. "Orang" bedeutet "Mensch" beziehungsweise "Kategorie von Menschen" - ein Orang Jakarta ist also ein Jakartaner, ein (Orang) Betawi ein Angehöriger der ethnischen Gruppe der Betawi. Da Jakarta (auch) der Name der Stadt ist, bedarf es im Indonesischen eines vorangestellten "Orang", um die Kategorie "Jakarta Mensch" von der Kategorie "Jakarta Stadt" zu unterscheiden , wohingegen "Betawi" zwar auch die indonesische Bezeichnung für Batavia, der (holländischen) Bezeichnung der Stadt Jakarta während der Kolonialzeit ist, heute aber fast ausschließlich die betreffende Gruppe von Menschen bezeichnet und deshalb keines vorangestellten "Orang" bedarf. "Asli" bedeutet "ursprünglich", "einheimisch", "echt" und wird der Bezeichnung "Betawi" häufig nachgestellt, wenn es darum geht, die (ethnische) Authentizität eines Betawi oder einer Gruppe von Betawi hervorzuheben. Die Bezeichnung für diese Gruppe von Menschen variierte stark, ebenso die Bezeichnung für ihre Sprache. Mittlerweile haben sich "Betawi", "Orang Betawi" und "Betawi Asli" als gängige Bezeichnungen durchgesetzt. Auch "Orang Jakarta" wird gelegentlich als Bezeichnung für die Betawi verwandt, dies häufig unter Verwendung eines nachgestellten "Asli". Die Kategorien "Orang Betawi" und "Orang Jakarta" stehen in wechselseitiger Beziehung zur Kategorie "Orang Indonesia", die auf den nationalen, indonesischen Identitätskontext verweist, der für Jakarta als nationale Hauptstadt eine besondere Bedeutung besitzt. Die Betawi gelten als die ursprünglichen Einwohner Jakartas - als orang asli, die Ende des 17./Anfang des 18. Jahrhunderts über Prozesse kultureller Kreolisierung verschiedener nach Batavia immigrierter Gruppen aus Indonesien und anderen Regionen Süd- und Südostasiens entstanden sind. Die Betawi verstehen sich als Volks- beziehungsweise als ethnische Gruppe (suku bangsa, kelompok etnik) und werden seitens anderer als solche eingestuft. Es werden ihnen bestimmte Merkmale sozialer, kultureller und entstehungsgeschichtlicher Art als ethnische Kennzeichen zugeordnet. Heute leben die Betawi hauptsächlich in verschiedenen zentralen Stadtteilen, in einigen Randgebieten und in den an Jakarta angrenzenden Städten Bekasi und Tanggerang. Es gibt verschiedene intraethnische Differenzierungen von Betawi-Gruppen, die im Rahmen dieser Untersuchung von Bedeutung sind und die sowohl seitens der Betawi selbst, als auch seitens Außenstehender vorgenommen werden. Im Kontext der Konstruktion und Transformation ethnischer und transethnischer Identitäten in Jakarta spielen diese Differenzierungen oft eine bedeutsame Rolle. "Orang Jakarta" (ohne nachgestelltes "Asli") bezeichnet eine primär transethnische Kategorie von Menschen, deren vorrangige soziale und kulturelle Orientierung das Jakarta der Gegenwart ist. Orang Jakarta ist man aufgrund der individuellen kognitiv-emotionalen Bezogenheit auf Jakarta, was sich in bestimmten Ansichten, Verhaltensweisen und im Sprachgebrauch niederschlägt. Das Phänomen "Orang Jakarta" ist relativ neu; es handelt sich bislang um eine Kategorie identitärer Zuordnung, nicht um eine Gruppe. Es wird begrifflich nicht unterschieden zwischen Orang Jakarta, die neben ihrer jakartanischen Identität weitere und Orang Jakarta, die neben ihrer jakartanischen Zuordnung keine weitere(n) ethnische(n) Identität(en) besitzen. Es werden jedoch graduelle Unterscheidungen hinsichtlich der Intensität und Authentizität jakartanischer Identität vorgenommen, die aber nicht notwendigerweise mit dem Fehlen oder dem Vorhandensein anderweitiger ethnischer Zugehörigkeit, sondern primär mit der Ausprägung sozialer und kultureller Merkmale korrelieren, die als jakartanisch angesehen werden. Die Orientierung an Jakarta ist also nicht Ausdruck eines kollektiven oder gar ethnischen Bewusstseins, sondern sie findet ihren - weit verbreiteten - Niederschlag primär auf der Ebene des Individuums und der jeweiligen sozialen Gruppe. Die transethnische Kategorie "Orang Jakarta" steht jedoch in enger Beziehung zur ethnischen Kategorie "(Orang) Betawi" - eine Beziehung, die sowohl im Bemühen um Abgrenzung voneinander als auch in der Konstruktion von Gemeinsamkeiten zum Ausdruck gebracht wird. "(Orang) Betawi" und "Orang Jakarta" bezeichnen zum einen Gruppen und Kategorien von Menschen, die sich selbst und denen seitens anderer jakartanische Kultur und Identität zugeordnet wird und über die sie - mittels historischer, sozialer und kultureller Zuschreibungen und Abgrenzungen - auch differenziert wird. Zum anderen beinhalten "(Orang) Betawi" und "Orang Jakarta" aber auch Bedeutungen, die zwar mit bestimmten Gruppen und Kategorien von Menschen in Verbindung gebracht werden, aber nicht notwendigerweise mit diesen identisch sind. Dies gilt insbesondere für die Kategorie "Betawi". Sie umfasst einen Korpus an Zuordnungen und Bedeutungen, von denen nur ein Teil unmittelbar mit der Gruppe der Betawi verknüpft wird, während ein anderer Teil zunehmend davon unabhängig oder in nur loser Verbindung zu ihr konstruiert wird. "Orang Indonesia" kennzeichnet alle Indonesier als Angehörige der indonesischen Nation. Die besondere Bedeutung, die nationale Identität in Jakarta als nationaler Hauptstadt besitzt, wird mittels vielfältiger Verknüpfungen der nationalen Kategorie "Orang Indonesia" mit den auf Jakarta bezogenen Kategorien "Orang Betawi" und "Orang Jakarta" konstruiert, vermittelt und in Szene gesetzt. "(Orang) Betawi" birgt zwar primär ethnische, "Orang Jakarta" primär lokale und "Orang Indonesia" primär nationale Referenz - die mit diesen Kategorien verbundenen Konzeptionen und sozialen Inszenierungen befinden sich jedoch in ständigem Austausch, bedingen und beeinflussen einander. Ihre Bedeutungen können nur verstanden werden, wenn man sie in ihrem Verhältnis zueinander untersucht und analysiert. Zum einen werden deshalb ethnische, lokale und nationale Zuordnungen in ihrem sozialen Bedeutungszusammenhang und in ihren identitären Konfigurationen erschlossen und mit Blick auf diesbezügliche Prozesse untersucht. Zum anderen werden vorgefundene soziale Inszenierungen und kulturelle Repräsentationen - beispielsweise eine auf Jakarta bezogene Miss-Wahl - auf ihre ethnischen, lokalen und nationalen Dimensionen und Bedeutungen hin betrachtet.

Erscheint lt. Verlag 25.6.2007
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 140 x 215 mm
Gewicht 520 g
Themenwelt Sozialwissenschaften Ethnologie Völkerkunde (Naturvölker)
Schlagworte Ethnizität • HC/Ethnologie/Völkerkunde • Identität • Indonesien • Indonesien; Völkerkunde • Jakarta • Jakarta; Völkerkunde • Kollektive Identität • Kreolisierung • Multikulturelle Gesellschaft • Postkolonialismus • Programm
ISBN-10 3-593-38344-6 / 3593383446
ISBN-13 978-3-593-38344-6 / 9783593383446
Zustand Neuware
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Mehr entdecken
aus dem Bereich
Schweden : Ambiguitäten verhandeln - Tolerieren als soziale und …

von Heidrun Alzheimer; Sabine Doering-Manteuffel; Daniel Drascek …

Buch | Softcover (2023)
Brill Schöningh (Verlag)
CHF 69,85