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Der globale Puppenspieler -  Elmar Nass

Der globale Puppenspieler (eBook)

Die Vision von Xi Jinping und eine Antwort der Freiheit

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
228 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-045207-7 (ISBN)
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China ist wegen seiner ökonomischen und militärischen Potenz, seiner Größe sowie seines Führungsanspruchs die Weltmacht des 21. Jahrhunderts. Ein schwieriger Partner in Geopolitik, Wirtschaft und zunehmend auch ein mächtiger Player im Wettbewerb der Systeme. Der zentrale Protagonist dieser Entwicklung ist Staats- und Parteiführer Xi Jinping. Sein Regierungshandeln ist für westliche Beobachter nicht leicht zu entschlüsseln. Es ist voller Spannungen, autoritär und dabei im Innern wie nach außen auf persönliche und ideologische Dominanz ausgerichtet. Klassische politökonomische Systemvergleiche liefern kaum mehr als oberflächliche Erkenntnisse. Man muss tiefer gehen, nämlich das ethische Fundament des Sino-Marxismus freilegen, auf dem das politische Verständnis von Xi und der politischen Elite Chinas fußt. Damit lässt sich das chinesische Verständnis der Schlüsselbegriffe Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit und damit das Regierungshandeln Xis (neu) interpretieren: Es geht darin um die Erfüllung des großen Traums von chinesischer Hegemonie, Wohlstand und marxistischer Endzeit.

Prof. Dr. theol. Dr. soc. Elmar Nass ist Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Sozialwissenschaften und gesellschaftlichen Dialog an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie und dort zudem Prorektor.

Prof. Dr. theol. Dr. soc. Elmar Nass ist Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Sozialwissenschaften und gesellschaftlichen Dialog an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie und dort zudem Prorektor.

1Strategie jenseits von De-Risking


Deutschland, Europa und andere Länder des freiheitlichen Westens sind gerade auf der Suche nach einem verantwortbaren Umgang mit der chinesischen Regierung. Kann man ihr trauen? Was ist wahr an den schönen Absichtserklärungen? Was ist Strategie? Und wo finden sich möglicherweise auch kalkulierte Täuschungen? Hier Tacheles auch zu verstehen, ist Voraussetzung für die Suche nach einer neuen und verantwortbaren Strategie, die ja nun in aller Munde ist. Genau dazu will dieses Buch beitragen, durchaus auch zugespitzt und doch fair, aber nicht diplomatisch verwässert, um so allen irgendwie Betroffenen nach dem Munde zu reden.

Warum suchen alle nun so eifrig nach einer neuen Strategie? Jeder, der den rasanten wirtschaftlichen Aufstieg Chinas in den letzten Jahrzehnten aufmerksam verfolgt hat, dem ist sofort klar, dass im Reich der Mitte nicht einfach die Fehler europäisch-sozialistischer Planwirtschaften wiederholt wurden und werden. Die dunklen Zeiten Maos und seiner Kulturrevolution mit Millionen Opfern und größter Armut sind vorbei. Im Inland konnte der Hunger bekämpft werden. Und die jetzt zu beobachtende weltweite Expansion der wirtschaftlichen wie politischen Einflusssphären Chinas ist atemberaubend. Diese Erfolgsgeschichte gründet in einem Paradox: der sog. »Sozialistischen Marktwirtschaft«, wie sie sogar in der Verfassung Chinas kodifiziert ist.[4] Machen wir uns dabei nichts vor: Diese Spielart von Marktwirtschaft steht fest auf den Fundamenten des Marxismus-Leninismus sowie der absoluten Herrschaft der Partei und ihres autoritären Führers. Sie ist deshalb keine Marktwirtschaft in unserem Sinne. Die in Europa und Nordamerika allzu lange gehegten Hoffnungen auf eine zunehmende Verwestlichung Chinas haben sich nicht erfüllt. Das Prinzip »Wandel durch Handel« ist gescheitert.[5] Die Entwicklung geht gerade ins Gegenteil. »Inzwischen hat eine große Desillusionierung eingesetzt. Mit dem Machtantritt Xi Jinpings begann eine linke Restauration. Der Rückfall in die Diktatur hat das Gegenmodell China gründlich in Misskredit gebracht.«[6], resümiert der ZEIT-Korrespondent Matthias Naß ernüchtert.

Xi Jinping sieht in China sowohl wirtschaftlich wie politisch und militärisch das erfolgreiche und überlegene Gegenmodell zu westlichen Demokratien und Marktwirtschaften. Xi tritt in diesen Wettbewerb der Systeme ein, um zu gewinnen. Zunehmend offensiver fordert er ein, die Weltordnung müsse neu nach chinesischen Regeln sortiert werden. China will und soll dieser Vision entsprechend darin die ihm zukommende Führungsrolle übernehmen. Das bedeutet Hegemonie und widerspricht den schönen Worten auf dem APEC-Gipfel und anderswo. Gleiches gilt für die Friedensbeteuerungen. Denn von Xi wird immer wieder und ganz offen von militärischen Drohungen Gebrauch gemacht, etwa gegenüber Taiwan. Und Gewalt findet sich ebenso in der politischen Ausnutzung von Abhängigkeiten etwa im Bereich der sog. neuen Seidenstraße, der offenen Wettbewerbsverzerrungen zugunsten chinesischer Staatsbetriebe oder der aggressiven Zurückweisung westlicher Menschenrechtsappelle. Philippinische Inseln werden annektiert und zu Militärbasen im Südpazifik ausgebaut. China blockiert philippinischen Fischern gewaltsam den Zugang zu den ihnen zustehenden Fanggründen. Das alles lässt zunehmend westliche Regierungen aufschrecken. Und jetzt suchen sie nach den vermeintlich goldenen Jahren schier endlos wachsender chinesischer Absatzmärkte nach neuen Strategien für einen ebenso klugen wie verantwortlichen Umgang mit dem neuen Riesen in Fernost. Manche Wirtschaftsvertreter, die selbst im Chinageschäft engagiert sind, warnen nun vor einer allzu drastischen Abwendung. Wohlstand, Arbeitsplätze und natürlich auch Renditen seien dadurch auch hierzulande gefährdet. Diese Sorgen verdienen Gehör. Denn sie warnen zurecht vor übereilten Reaktionen, die wir später einmal teuer bezahlen und bereuen könnten. Dazu mischen sich aber auch manche fragwürdigen Stimmen, die selbst eng politisch oder wirtschaftlich mit China verflochten oder gar abhängig sind. Sie verfolgen mit ihren vorgebrachten Argumenten letztlich verdeckt eine von der KPCh gelenkte Agenda.

Legen wir nun aber mit freiheitlicher Brille ehrlich eine langfristige, auch wirtschaftliche, Perspektive an, so wendet sich schnell das Blickfeld. Denn zumindest den Argumenten eines »Einfach-Weiter-So« im China-Handel geht schon bald die Puste aus: spätestens dann, wenn China durch staatsfinanzierte Betriebe und Unternehmen die ausländischen Konkurrenten auf den Märkten zunehmend verdrängt, und zwar nicht nur auf den einheimischen, sondern auch den internationalen Märkten. Genau das ist das erklärte Ziel der chinesischen Führung. Spätestens ein solches Szenario wirkt düster auch für diejenigen, die jetzt noch die Chancen des China-Handels feiern. Und das ist keine Schwarzmalerei. Denn entsprechende Vorbereitungen laufen auf chinesischer Seite ja schon länger auf Hochtouren. Das beweisen etwa auch der weltweite Erwerb von Schlüsselindustrien, innovativen Unternehmen und Infrastruktur.

Doch nicht etwa diese schon lange voranschreitende hegemoniale Strategie Chinas oder die weltpolitischen Ambitionen, geschweige denn die fortlaufenden Menschenrechtsverletzungen und die perfektionierte Kontrolle der Bevölkerung, haben die westlichen Länder hinreichend aufschrecken können. Auch nicht die öffentlich immer wieder erklärten Ziele Xis, die westliche Kultur von der Wurzel her zu zersetzen und deren überaus wirksame Umsetzung durch Einkäufe und Einflussnahme in westliche Radiosender und daraus resultierende Einflussnahme, Filmproduktionen, die Infiltration westlicher Parteien und Hochschulen und die gezielt betriebene Erodierung religiöser Fundamente. Xi führt schließlich einen Kampf der Systeme gegen die westlichen Werte.[7] Das erklärte und lange in der freiheitlichen Welt überhörte Ziel von ihm und seiner Politik ist es,

»die Werte eines Landes, seinen Nationalgeist, seine Moral, seine Ideologien, seine kulturellen Traditionen und seine geschichtlichen Überzeugungen zu manipulieren und es zu ermutigen, sein theoretisches Verständnis, sein Sozialsystem und seinen Entwicklungspfad aufzugeben.‎«[8]

 

In den USA wird diese fundamentale kulturelle Bedrohung schon gesehen und ernst genommen. Eine intensive Erforschung dazu nimmt gerade Fahrt auf.[9] Es geht dabei um nicht weniger als um die Gefahren einer solchen inneren ideologischen Zersetzung der freiheitlichen Welt, die auf allen Bereichen greifen soll: so etwa durch die sinisierende Infiltration der Wissenschaft, die Hoheit über Medien, Film und Kommunikation, die Indienstnahme von Politikern und Unternehmern, die innere Aushöhlung der Religion, die Schwächung nationaler wie persönlicher Identität und angestammter Werte und Moral. Etwa einen James Bond-Film mit chinesischen Bösewichten wird es so lange nicht geben, wie der chinesische Arm der Zensur bis in die entsprechenden Filmstudios reicht. Zahlreiche »Erfolge« der Einschüchterung, Zensur und Zersetzung sind auch bei uns in Deutschland sichtbar. Wohl sind diese nicht alle ausdrücklich auf eine chinesische Intervention zurückzuführen. Sicher können wir aber sein, dass sich Xi und seine Genossen darüber freuen, wenn die individuellen, sozialen und ethischen Resilienzpotentiale in den freiheitlichen Demokratien zunehmend erodieren. Mit Menschen und Staaten ohne starke Moral, Familien, Religion und auch ohne andere wirksame Ankerpunkte von Identität lassen sich die globalen chinesischen Ziele bedeutend leichter durchsetzen. Denn mit Widerstandskraft dagegen ist dann immer weniger zu rechnen.

Die USA sehen in China vor allem auch einen geopolitischen Rivalen zumindest im Südpazifik.[10] Diese Region ist von Europa weit entfernt. Die Gründe für ein notwendiges Umdenken der Strategie sind hierzulande deshalb auch anders motiviert. Das Offenbarwerden von Internierungslagern für Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang, die gewaltsame Unterdrückung der Freiheitsproteste in Hongkong oder die chinesischen Schmähungen gegenüber Litauen, das sich 2021 mutig zu Taiwan bekannte, haben da sicher etwas bewegt. Die Parole »Ein Land, zwei Systeme«, mit dem China den freiheitlichen Status von Hongkong und Macao propagierte, ist nun ganz offensichtlich gescheitert. Spätestens in Hongkong ...

Erscheint lt. Verlag 25.9.2024
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Regierung • Strategie • Wohlstand
ISBN-10 3-17-045207-X / 317045207X
ISBN-13 978-3-17-045207-7 / 9783170452077
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