Partizipation aus der Sicht von Mädchen* denken (eBook)
90 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8613-3 (ISBN)
Dr. Anna Grebe arbeitet als Beraterin, Inputgeberin und Moderatorin an den Schnittstellen von Medien, Politik und Partizipation. Seit 2015 unterstützt sie Non-Profit-Organisationen, kommunale Politik und Verwaltung, Ministerien, Stiftungen, Verbände und Vereine in und bei Jugendbeteiligungsprozessen auf allen Ebenen. Derzeit beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit der Frage nach feministischer Jugendbeteiligung und Mädchen*beteiligung sowie macht- und demokratietheoretischen Anforderungen an Partizipation. Mehr Info: www.annagrebe.de und auf Instagram unter @medien.politik.partizipation. Dominik Ringler ist Diplom-Sozialarbeiter/-pädagoge und Diplom-Sozialwissenschaftler und ist Projektleiter des Kompetenzzentrums für Kinder- und Jugendbeteiligung in Brandenburg. Er ist Mitglied der Sachverständigenkommission zum 17. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung, er ist Sachverständiger für die kinderfreundlichen Kommunen und Mitglied der Lenkungsgruppe des Bundesnetzwerkes Kinder- und Jugendbeteiligung, des Vorstandes des Fachverbandes Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit Brandenburg und des bundesweiten Qualitätszirkels Partizipation in der OKJA.
Einleitung
Anna Grebe und Dominik Ringler
Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie berührenden Angelegenheiten ist nicht nur in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben, sondern hat in den vergangenen Jahren auch Eingang in die Kommunalordnungen der Bundesländer gefunden.1 Zur Interessensvertretung durch Jugendringe und Jugendverbände sind weitere Formen und Formate der Kinder- und Jugendbeteiligung hinzugekommen, zum Beispiel Jugendparlamente, Jugendbeiräte und Jugendforen, aber auch projektbezogene Beteiligung, zum Beispiel an stadtplanerischen Vorhaben. Der Wunsch nach mehr Beteiligung wirkt auch auf Länder- und Bundesebene, nicht zuletzt durch neue Organisationen und Jugendbewegungen wie Fridays for Future.
Zur Kinder- und Jugendbeteiligung in Deutschland und den einzelnen Bundesländern gibt es bereits vereinzelte Analysen, Studien und Handlungsempfehlungen für Städte, Gemeinden und Landkreise (vgl. u. a. Keil et al. 2024; Hofmann et al. 2019, Fatke/Schneider 2005). Auch die Lebenswelten von Mädchen* und ihre Bedürfnisse wurden vielfach mit unterschiedlichen Forschungsdesigns und vor allen Dingen im Sinne parteilicher Mädchen*arbeit als Handlungsfeld der Jugendarbeit untersucht (vgl. u. a. Hartmann 2019; Rauw/Reinert 2021; Kelle 2004; Busche/Maikowski/Pohlkamp/Wesemüller 2010). Hingegen liegen bislang noch weniger Erkenntnisse und Methoden über die Beteiligung von Mädchen* und jungen Frauen* in den skizzierten Strukturen vor bzw. sind sie noch nicht in einem größeren fachwissenschaftlichen und fachpolitischen Kontext in Erscheinung getreten.2 Man muss ehrlicherweise sagen: Das Gegenteil scheint bisweilen der Fall zu sein. Die Partizipationsdebatten der Jugendhilfe und der Mädchen*arbeit sind nicht selten getrennt voneinander geführt worden – und der häufig von Rechtstexten und Verwaltungsvorschriften geprägte Diskurs um die Implementierung und Verstetigung von Jugendbeteiligung im Sinne politischer Mitwirkung und Interessenvertretung hat eine ganz eigene Sprache und Methodik hervorgebracht, die sich nicht immer leicht in die Praxis der Jugendhilfe und Mädchen*arbeit übersetzen lässt und vice versa.
Die Perspektiven von Mädchen* und jungen Frauen* – so die Rückmeldungen aus der Praxis der Jugend-, aber auch der Gleichstellungsarbeit – scheinen sich in ungleichem Maße von denen von Jungen und jungen Männern zu unterscheiden, beispielsweise bezüglich der Gestaltung des öffentlichen Raumes. Mädchen* und junge Frauen* geben bei Befragungen an, dass sie glauben, dass ihr Geschlecht eine Rolle dabei spielt, in Gesellschaft und Politik ernstgenommen zu werden (vgl. Paul et al. 2023). Überdies häufen sich die Rückmeldungen, dass es Bedarfe gibt, die Satzungen und Wahlordnungen kommunaler Jugendbeteiligungsgremien wie Jugendparlamente oder Jugendgemeinderäte geschlechtergerecht zu gestalten und so bereits auf struktureller Ebene die Voraussetzungen für die Beteiligung aller jungen Menschen, unabhängig von ihrer Gender-Identität, zu schaffen. Gleichermaßen erleben Mädchen* und junge Frauen*, dass sie in bestimmten Beteiligungssettings nicht die gleichen Chancen auf Mitsprache haben wie ihre männlichen Altersgenossen.
Doch woran liegt das? Sind es die Zugänge zu Beteiligungsstrukturen? Sind es die Strukturen an sich – oder gar die politische Praxis, die sie hemmen oder abschrecken? Oder sind es tatsächlich die kommunalen Themen, die nicht den Nerv der Mädchen* und jungen Frauen* treffen? Und welche Verbindungslinien gibt es zwischen der Einbindung von Mädchen* im Zuge von Jugendbeteiligung, der Arbeit von Gleichstellungsbeauftragten und der parteilichen Mädchen*arbeit als Handlungsfeld der Jugendarbeit?
Die Frage nach der Partizipation von Mädchen* an sie betreffenden Angelegenheiten im politischen und gesellschaftlichen Raum zielt also auf die Grundfragen ab,
-
ob Mädchen* ihre Interessen einbringen können,
-
wie sie teilhaben, mitreden und mitgestalten können,
-
wie sie Raum für ihre Themen einnehmen können und
-
ob vorhandene Strukturen, Themen sowie kommunale Aufgaben den Bedürfnissen und Anliegen von Mädchen* gerecht werden.
In Brandenburg beschäftigen sich Organisationen, Verbände und Akteur*innen der Kinder- und Jugendbeteiligung, der Mädchen*arbeit und der Gleichstellungsarbeit bereits seit 2018 mit diesen Fragen, beispielsweise in Form von Netzwerktreffen, Austauschrunden und Fachtagen. Gemeinsam mit der Bundesstiftung Gleichstellung hat das Kompetenzzentrum Kinder- und Jugendbeteiligung Brandenburg im Juni 2023 das Thema in einen größeren fachwissenschaftlichen Kontext gebracht und Akteur*innen aus ganz Deutschland nach Berlin zum ersten bundesweiten Fachtag Mädchen*beteiligung eingeladen. Die Ziele und Ergebnisse des (ausgebuchten) Fachtages finden sich nun in der vorliegenden Publikation wieder: den derzeitigen Stand der Debatte zu Jugendbeteiligung aus der Sicht von Mädchen* und jungen Frauen* mithilfe verschiedener Akteur*innen und Fachexpert*innen zu skizzieren, Handlungsperspektiven für Jugendarbeit, Verwaltung und Politik aufzuzeigen und vor allen Dingen: erstmalig systematisch und strukturiert die bislang verstreuten Erkenntnisse und Bedarfe in der kommunalen Mädchen*beteiligung aufzubereiten. Um zu verdeutlichen, dass Gender-Identitäten vielfältig sind und gemeinsam mit anderen Kategorien wie Herkunft, Klassenzugehörigkeit, sexuelle Orientierung und weiteren wirken, jedoch gleichermaßen der vorherrschenden Vorstellung und der kommunalen Realität der Zweigeschlechtlichkeit Rechnung zu tragen, fokussiert sie innerhalb der Identitätskategorie „Geschlecht“ die Beteiligung von Mädchen* und jungen Frauen*. Mit der Verwendung des Gendersternchens als Schreib- und Denkweise von geschlechtergerechter Sprache möchten die Autor*innen darauf hinweisen, dass in den genannten Gruppen immer Personen jeder geschlechtlichen Identität mitgedacht sind. Damit schließen wir uns an die Argumentation der Kolleg*innen des Mädchenpolitischen Netzwerkes im Land Brandenburg an: „[Das] Gendersternchen [schafft] eine Ansprache, in der cis und trans Männer und Frauen gleichermaßen gemeint sein können wie Personen, die sich jenseits oder zwischen einer Geschlechterbinarität identifizieren. Sprechen wir von Mädchen* ist der * Teil des Wortes um zu verdeutlichen, dass wir auch bei dem Wort Mädchen eine Vielzahl möglicher geschlechtlicher Identitäten denken. Schreiben wir von Jungen, so sind nur Cis-Jungen gemeint, also eine Gruppe Kinder und Jugendlicher, die keiner Diskriminierung aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität ausgesetzt ist“ (Mädchen*politisches Netzwerk im Land Brandenburg 2019, S. 12).
Dieser Band versteht sich jedoch ausdrücklich nicht als Sammlung von Best-Practice-Beispielen, sondern nimmt sich vor, zum ersten Mal die theoretischen und fachpolitischen Grundlagen für Mädchen*beteiligung zu skizzieren und dabei nicht auf eine kritische Analyse der kommunalen Beteiligungspraxis zu verzichten. Ihr überblicksartiger Charakter mit Referenzen aus verschiedenen kommunalen Zusammenhängen (West/Ost, städtischer Raum/ländlicher Raum usw.) ermöglicht so den Leser*innen, sich Wissen über Jugendbeteiligung aus der Sicht von Mädchen* und jungen Frauen* anzueignen und ihre praktische Verortung, ihre Gelingensbedingungen und Herausforderungen zu verstehen, um daraus Schlüsse für das eigene Arbeits- und Tätigkeitsfeld zu ziehen. Wir wünschen uns, auf diese Art und Weise Impulse zu setzen, die außerhalb von Essentialismen (Mädchen* wollen dies, Jungen wollen das) einen Beitrag dazu leisten, Kinder- und Jugendbeteiligung neu zu denken bzw. ins Gedächtnis zu rufen, wie wichtig die Erkenntnisse geschlechtersensibler Pädagogik und parteilicher Jugend- und Mädchen*arbeit für die Konzeptionalisierung, Durchführung und Auswertung von Partizipationsprozessen sind.
Zu den Beiträgen
Die Beiträger*innen zu diesem Band halten sich in Feldern der Jugendhilfe, der Mädchen*arbeit und Mädchen*politik, der Kinder- und Jugendbeteiligung, der Gleichstellungsarbeit und der politischen Bildung auf. Ein Teil der Beiträge basiert auf Workshops, die im Rahmen der Fachtagung „Partizipation aus der Sicht...
Erscheint lt. Verlag | 20.11.2024 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sozialpädagogik |
ISBN-10 | 3-7799-8613-2 / 3779986132 |
ISBN-13 | 978-3-7799-8613-3 / 9783779986133 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 674 KB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich