Burn Book (eBook)
336 Seiten
Plassen Verlag
978-3-86470-999-9 (ISBN)
Kara Swisher berichtet seit dem Beginn des Internetbooms in den 90er-Jahren über das Internet, seine jungen Unternehmen und seine Giganten. Die legendäre Journalistin gilt als bestinformierte Frau der Branche. Sie schrieb für Medien wie die New York Times und das Wall Street Journal, gründete ihre eigene Firma Recode und betreibt mit Marketing-Guru Scott Galloway einen legendären Podcast.
Kara Swisher berichtet seit dem Beginn des Internetbooms in den 90er-Jahren über das Internet, seine jungen Unternehmen und seine Giganten. Die legendäre Journalistin gilt als bestinformierte Frau der Branche. Sie schrieb für Medien wie die New York Times und das Wall Street Journal, gründete ihre eigene Firma Recode und betreibt mit Marketing-Guru Scott Galloway einen legendären Podcast.
KAPITEL 1
Babylon war einmal
Wenn Sie gestern hingefallen sind, stehen Sie heute wieder auf.
–H. G. WELLS
Ich weiß, dass Sie dieses Buch wegen der Geschichten über die Tech-Milliardäre gekauft haben, über Elon und Mark und Sheryl und Peter und Jeff und Steve und Tim.
Keine Sorge – Sie werden sie alle kennenlernen, so wie ich diese Mogule im Laufe meiner 30 Jahre währenden Karriere kennengelernt habe. Aber in diesem Buch geht es vor allem um mich und meine Beziehung zur Technologie, eine Beziehung, die als nette Liebesgeschichte begann und deren Liebe im Laufe der Zeit enttäuscht wurde. Seien Sie versichert, dieses Buch handelt hauptsächlich von diesen Männern – und um es klar zu sagen, es sind hauptsächlich Männer. Aber um meine Beziehung zur Technologie wirklich zu verstehen, müssen Sie auch etwas über mich wissen. Ich werde versuchen, mich kurzzufassen (wie ich auch im echten Leben nicht die Längste bin mit meinen 1,58 m).
Das Internet und ich wurden beide im Jahr 1962 geboren. In jenem Jahr schlug ein Wissenschaftler des MIT vor, Computer miteinander zu verbinden, um ein Advanced Research Projects Agency Network (ARPAnet) zu schaffen, das die technologische Grundlage des Internets wurde. Es gibt zwar widersprüchliche Erklärungen für die Wurzel der Idee – um ein gesichertes Kommunikationssystem für den Fall eines nuklearen Angriffs zu schaffen, um Forschern den Zugang zu einer begrenzten Anzahl leistungsfähiger Supercomputer auf der ganzen Welt zu ermöglichen oder weil es einfach eine lang erträumte technologische Herausforderung war –, aber der Anstoß zum Aufbau eines Kommunikationsnetzes entsprang dem fruchtbaren Gehirn von J.C.R. Licklider. Der berühmte Informatiker skizzierte die Idee in einem Memo von 1963, in dem er ein „Intergalaktisches Computernetzwerk“ beschrieb. Ich habe dieses Konzept immer geliebt, da es sowohl hochfliegend als auch ein klein wenig albern war. Licklider sprach auch von der Einheit der Menschheit, die durch die Wunder der Technik zustande komme. Viele andere folgten seinem Beispiel, alle mit der grundlegenden Absicht, die Menschheit für höhere Zwecke zusammenzubringen.
Meine Herkunft war deutlich unspektakulärer. Ich wuchs in Roslyn Harbor, New York, im nördlichen Teil von Long Island auf, als zweites von drei Kindern. Als ich fünf Jahre alt war, starb mein geliebter Vater. Zu sagen, dass sich mein Leben in dem Moment veränderte, als er ohne Vorwarnung eine Hirnblutung erlitt, wäre eine Untertreibung.
„Stellen Sie sich vor, die Hälfte Ihrer Freunde würde sterben“, sagte ich viele Jahre später zu einem Interviewer und bezog mich dabei auf ein Buch mit dem Titel The Loss That Is Forever (Ein ewiger Verlust), in dem es um Kinder geht, deren Eltern in jungen Jahren sterben. „Wenn du fünf Jahre alt bist, sind deine Eltern so ziemlich deine ganze Welt. Wenn die Hälfte deiner Freunde plötzlich sterben würde, wäre das schockierend und niederschmetternd und ich denke, es gibt dir auch ein Gefühl für die Launenhaftigkeit des Lebens: dass sich das Leben schlagartig ändern kann, dass schlimme Dinge passieren und dass man sie gut übersteht. Man macht einfach weiter.“
Meine Erinnerungen verblassten schnell und alles, was mir blieb, waren analoge Fotos. Auf jedem einzelnen Bild sieht mein Vater heiter und hoffnungsvoll aus, während er in die Kamera strahlt. Es ist klar, dass er das Leben liebte, das er sich, aus einem bescheidenen Elternhaus in West Virginia stammend, aufgebaut hatte. Durch seine Zeit bei der Navy hatte er sich das College und das Medizinstudium finanziert und nachdem er zum Kapitänleutnant aufgestiegen war, nahm er seine erste große Stelle als Leiter der Anästhesieabteilung im Brooklyn Jewish Hospital an. Er nutzte den Geldsegen, um für seine wachsende Familie ein Haus zu kaufen. Dann starb er, bevor er überhaupt eingezogen war. Kann ich einen solchen Verlust in Worte fassen? Kaum. Wie kann man erklären, was man nie hatte? Man kann es nicht. Ich habe 1989 darüber geschrieben, nachdem ich den Leichnam meines Vaters exhumieren und auf Geheiß meiner Großmutter in seinen Heimatstaat zurückbringen ließ. In dem Text denke ich darüber nach, was wir verlieren und was wir zurücklassen. Ironischerweise steht dies im Gegensatz zu dem digitalen Medium, über das ich bald sprechen würde: das Internet, in dem im Grunde alles unauslöschlich ist.
Allerdings nicht für mich, wie ich in der Washington Post schrieb:
Ich erinnere mich an kein lebendiges Gesicht, sondern nur noch an das Gesicht, das ich auf Schnappschüssen eingefroren sehe. Ich vermute, dass es einen Moment gab, in dem ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe und er mir wie immer in seinem trägen Tonfall geantwortet hat: „Gute Nacht, gute Nacht, gute Nacht“. Dann löschte er das Licht. Ich erinnere mich an viele Abende wie diesen, aber nicht an den letzten. Manchmal versuche ich es, versuche meine Erinnerungen auszuquetschen, aber damals hätte ich es beinahe für immer aufgegeben. Jetzt, als ich den Friedhof anrufe, um alles zu arrangieren, scheint es, als würde ich es noch einmal versuchen, trotz des Schmerzes, der, wie alle meine Freunde sagen, zweifellos vom „Ausgraben“ der Vergangenheit herrührt – ja, das ist das Wort, das einer von ihnen benutzt hat –, als würde ich versuchen, zu bewahren, was verloren ist.
Er wurde nur 34 Jahre alt. Dr. Louis Bush Swisher starb an den Komplikationen eines Hirnaneurysmas, das ohne Vorwarnung an einem sonnigen Sonntagmorgen vor inzwischen mehr als 20 Jahren geplatzt war. Mein Zimmer war so dunkel, dass mich, als ich auf den Flur ging, um ihn zum Frühstück zu wecken, die Helligkeit zurück in den schattigen Türrahmen trieb. Von dort aus beobachtete ich, wie mein Bruder zielstrebig an die Tür des Schlafzimmers meiner Eltern klopfte, um meinen Vater zu wecken. Die Tür war verschlossen, Jeffrey drehte den Knauf hin und her und drückte mit der Hüfte gegen die Tür. Er gab einfach nicht auf, obwohl sich die Tür niemals öffnen würde, so feste er auch drückte, so dachte ich damals. Typisch ich, die Pragmatikerin, die schon die kindliche Einsicht gewonnen hatte, dass sich manche Dinge einfach nicht bewegen lassen.
Wir dachten beide, mein Vater sei dort beim Schreiben einer Rede, die er am nächsten Tag halten sollte, eingeschlafen. Mein älterer Bruder Jeff trat also immer wieder gegen die Tür, klopfte dagegen und machte einen solchen Lärm, dass meine Mutter schließlich hochkam, ungeduldig klopfte und sagte: „Bush, Bush, mach sofort die Tür auf. Du machst Jeff wütend.“ Aber er wachte nicht auf.
Danach ging alles ganz schnell: die Feuerwehrleute, die mit der Axt die Tür zersplittern, der Krankenwagen und die Trage mit allen möglichen Anhängseln. Und die außergewöhnliche Stille, als es vorbei war. Lange bevor sie meinen Vater herausgetragen hatten, ging ich zurück in mein Zimmer, meinen Kokon, und stellte mir nur noch die Trage vor, auf der er lag, das weiße Laken, die hysterischen Schreie meiner Mutter, die hinter ihm herlief und schrie: „Was ist los?“ Ich blieb in meinem Zimmer, wo es ruhig war, und schlief wieder ein. Ich habe meinen Vater nie wieder gesehen. Er lag noch den ganzen Januar im Krankenhaus und starb schließlich nach zwei schlimmen Operationen. An einem sehr kalten Tag im Februar wurde er begraben. Ich bin nicht zu seiner Beerdigung gegangen.
Hart, oder? Und es wurde noch schlimmer. Nach Dads Tod heiratete meine Mutter wieder und wir zogen nach Princeton. Ihr zweiter Mann war das genaue Gegenteil meines freundlichen und fröhlichen Vaters, der, wie ich immer dachte, zu gut für diese Welt gewesen ist.
Zu den ersten Dingen, die mein Stiefvater machte, gehörte, das Haus zu verkaufen, auf das mein Vater so stolz gewesen war. Auch den Hund meines Vaters gab er weg, einen Basset Hound, der auf den Namen Prudence hörte. Meinen Vater derart auszulöschen kam mir vor wie ein ziemlich seltsames Muskelspiel und meine Mutter – deren eigenes Leben so abrupt aus den Fugen geraten war – leistete keinen Widerstand. Ihr neuer Mann bot ihr ein sehr komfortables Leben in der oberen Mittelschicht und ruinierte sie dann mit einer Flut beiläufiger Grausamkeiten. Wir hatten einen Tennisplatz, zu dem er den Zugang versperrte. Ich hatte in meinem Zimmer ein Telefon, das er abhörte (ohne mich bei irgendwas zu ertappen, weil ich der langweiligste Teenager unter der Sonne war und mich weder für Drogen noch für Alkohol interessierte). Die Abendessen, die von einer Köchin serviert wurden, waren für mich und meine Brüder eine permanente Aneinanderreihung von anstrengenden Denkspielen und Wissenstests.
Bitte bemitleiden Sie mich aber nicht. Und wer gern Fangen spielt, der weiß, welchen Vorteil es hat, von einem Menschen erzogen zu werden, den man wohl als einen Schurken bezeichnen muss, wie ich es später auch tat – ich lernte außerordentlich schnell zu laufen. Mein Stiefvater brachte mir auch Backgammon und Risiko bei, Spiele, bei denen es sowohl um Glück als auch um Kühnheit geht, was mir half, strategisch zu denken. Ich verlor zwar einen Hund, wurde dafür aber gut in Gewieftheit im Spiel sowie im Gehirnverrenken.
Dass ich klug war und weit über meinem Klassenniveau lesen und rechnen konnte, half mir, ein Hauch frühen Genies, der allerdings nicht über die siebte Klasse hinaus anhalten sollte, als mich alle anderen einholten. Trotzdem langweilte ich mich wie viele Tech-Begeisterte in der Schule schnell. In der zweiten Klasse verließ ich einmal einfach den Unterricht,...
Erscheint lt. Verlag | 14.11.2024 |
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Verlagsort | Kulmbach |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Burn Book • Corporate Governance • digitale Disruption • Digitale Ethik • Digitale Revolution • Digitalisierung • Gesellschaftlicher Wandel • Innovationsgeschichte • Innovationsstrategien • Internetgeschichte • internetpolitik • Internetwirtschaft • Kara Swisher • Medienbranche • Medienlandschaft • Online-Plattformen • Silicon Valley • Start-up-Kultur • Tech-Giganten • Tech-Industrie • Tech-Investitionen • Tech-Kultur • Technologiejournalismus • Technologiekritik • Technologie-Trends • Unterehmensskandale • Unternehmensgeschichte • Unternehmenskritik • Unternehmensskandale • Unternehmerbiografie • Unternehmerische Herausforderungen • Wagniskapital • Wirtschaftsentwicklung • Zukunftsprognosen |
ISBN-10 | 3-86470-999-7 / 3864709997 |
ISBN-13 | 978-3-86470-999-9 / 9783864709999 |
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