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Queer Kids (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
240 Seiten
Limmat Verlag
978-3-03855-287-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Queer Kids -  Christina Caprez
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Was bedeutet queer sein als junger Mensch heute? In diesem Buch erzählen 15 Kinder und Jugendliche, die sich ausserhalb klassischer Geschlechterstereotype bewegen, aus ihrem Leben: das Grundschulkind, das genau weiss, dass es ein Mädchen ist, obschon alle denken, es sei ein Junge. Der schwule Jugendliche auf dem Land, der in der Schule isoliert ist und im Chat Gleichgesinnte findet. Und die nonbinäre Aktivist*in, die ihre «Falschsexualität» selbstbewusst nach aussen trägt.? Das Buch hilft zu verstehen, warum Fragen der Geschlechtsidentität, der sexuellen Orientierung und des Selbstausdrucks für Jugendliche heute ein brennendes Thema sind.? Die Porträts werden begleitet von Interviews mit Fachpersonen aus der Forschung zu LGBTQ+ an Schulen, aus der Schulsozialarbeit und aus der Medizin im Umgang mit jungen trans Menschen.

Christina Caprez, Soziologin und Historikerin, war Redaktorin bei Radio SRF 2 Kultur und arbeitet heute als freie Journalistin und Autorin. Sie realisiert Radio-, Film und Buchprojekte sowie Moderationen im Bereich Familie, Migration, Religion, Geschlecht und Sexualität. Christina Caprez lebt bei Zürich.

Christina Caprez, Soziologin und Historikerin, war Redaktorin bei Radio SRF 2 Kultur und arbeitet heute als freie Journalistin und Autorin. Sie realisiert Radio-, Film und Buchprojekte sowie Moderationen im Bereich Familie, Migration, Religion, Geschlecht und Sexualität. Christina Caprez lebt bei Zürich.

Lia, 10

«Für die Kinder war ich die ganze Zeit schon ein Mädchen.»


#Fussball #Jugendtreff #Trans

#Community #Film

Lia lebt mit ihren Eltern in einer Drei-Zimmer-Altbauwohnung in Bern. Am Eingang begrüsst mich eine aufgeweckte Zehnjährige in einem weiten violetten Strickpulli und verwaschenen Jeans. Die blonden glatten Haare reichen ihr bis zum Kinn, an einem Lederband um den Hals trägt sie einen hellblauen Fischschwanz als Anhänger. Wir setzen uns im Wohnzimmer an den Esstisch. Lias Mutter stellt Nüsse und Saft bereit und verschwindet dann im Nebenraum.

Vor Lia auf dem Tisch liegt ein Heft aus Klarsichthüllen. Die Fünftklässlerin hat in Regenbogenfarben den Titel «Meine Biografie von Lia, 5/6 D» gezeichnet, daneben die Sprüche: «Angst beginnt im Kopf. Mut auch» und «Du musst nicht spitze sein, um anzufangen. Aber du musst anfangen, um spitze zu werden.» Ein Foto zeigt Lia als Kleinkind zwischen ihren Eltern, alle drei tragen Sonnenbrillen. Lia, mit kurzen blonden Locken, trägt die pinke Brille verkehrt herum auf der Nase und lacht keck in die Kamera.

Ich bin Lia, und mich interessiert eigentlich fast alles, was mit Sport zu tun hat: Ich schwimme sehr gern, und ich spiele in einem Fussballclub. Ich höre mega gern Musik und tanze. Ich gehe ins Modern Ballett, das ist ein bisschen alle Tanzrichtungen zusammengemixt. Ich mache sehr gerne Handarbeiten, Stricken zum Beispiel. Und ich treffe mich gerne mit meinen Freundinnen. Wir laufen im Quartier herum oder gehen ins Schwimmbad. Ich habe mich entschieden, bei diesem Buch mitzumachen, weil mich das Thema interessiert. Wenn es andere Kinder gibt, die auch trans sind, die mehr darüber wissen wollen.

Vor Kurzem mussten wir in der Schule eine Biografie über uns und unsere Familie schreiben. Wir konnten die Themen selber wählen, und da habe ich eben auch über trans geschrieben, weil das ein wichtiger Teil meines Lebens ist. Seit ich zweieinhalb Jahre alt bin, wollte ich immer ein Kleidchen anziehen. Ich trug oft einen Rock von Mama über den Schultern, sodass es aussah wie ein Kleid. Dann hat mich meine Mama mit Lippenstift schminken müssen, und wir haben Prinzessin gespielt, stundenlang, fast jeden Tag, auch mit meinem Papa. Im Kindergarten wollte ich in jedem Spiel «Lia» heissen. Ich wollte nur noch pinke Sachen anziehen, und ich fand «Anna und Elsa» aus dem Disneyfilm «Frozen» toll. Meine Eltern haben sich dann beraten lassen, ob es nur eine Phase ist. Ich habe meinen Eltern auch gesagt, dass ich ein Mädchen sein und Lia heissen will. So haben sie bald gemerkt, dass es keine Phase ist. Am Anfang fiel es ihnen noch schwer. Wenn ich hingefallen bin, riefen sie mich bei meinem Jungennamen und korrigierten sich dann schnell.

Als ich viereinhalb Jahre alt war, haben wir einen Kuchen gebacken und sind damit in den Kindergarten gegangen. Wir haben dann halt gesagt, dass ich jetzt die Lia bin. Für die Kinder war das kein Ding, für sie war ich die ganze Zeit schon ein Mädchen. Weil ich vorher schon immer gesagt hatte, dass ich ein Mädchen bin und Lia heissen will. Das ist jetzt in der Schule fast mehr ein Ding, da gibt es Kinder, die fies zu mir sind. So in der dritten Klasse hat es angefangen. In der Tagesschule (Betreuung ausserhalb des Unterrichts) haben sie gerufen: «Hallo, du Junge!» Sie haben laut herumgeschrien und allen gesagt, dass ich ein Junge sei. Jetzt in der Fünften haben ein paar Kinder einmal beim Mittagessen gespottet: «Ich verstehe es nicht, wie man so sein kann!» Sie hörten nicht auf zu lästern. Es war zwar eine erwachsene Person im Raum, aber die Kinder sprachen so leise, dass sie es nicht hören konnte. Immer, wenn ich es der Erwachsenen sagen wollte, sagten sie: «Wir hören auf, sorry, sorry!» Aber dann machten sie trotzdem weiter. Da bin ich mega ausgerastet und habe geschrien: «Jetzt haltet alle eure Fresse!» Ich rannte nach draussen, und zwei Freundinnen kamen mir nach. Es lag Schnee, und wir taten so, als wären die fiesen Kinder ein Schneeball. Wir schlugen mega fest auf den Schnee. Die Lehrerin schimpfte dann mit den Kindern, die mich ausgelacht hatten. Seither haben sie es nicht mehr gemacht, und ich hoffe, es bleibt auch so.

Ich habe dreimal eine neue Lehrerin bekommen: in der ersten, dritten und fünften Klasse. Jedes Mal haben meine Eltern vorher mit der Lehrerin geredet und ihr gesagt, dass ich ein trans Mädchen bin. Dieses Jahr war ich bei dem Gespräch dabei. Nervös war ich nicht, denn die Lehrerinnen haben es alle super akzeptiert. Wenn jemand fies zu mir war, waren sie immer auf meiner Seite. Fragen haben sie schon gestellt, aber nie dumme Fragen. Sie fragten zum Beispiel, wie sie mir helfen könnten, wenn ich gemobbt würde und es mir deswegen schlecht geht. Sie redeten auch an einem Elternabend darüber: «Es gibt ein Kind in der Klasse, das trans ist.» Die Eltern der anderen Kinder haben es alle super angenommen und verstanden.

In der Vierten hatten wir Schwimmunterricht mit einer anderen Klasse. Dort habe ich mich bei den Mädchen umgezogen. Ich nahm einfach ein Handtuch um die Hüfte. Im Sport war es nie ein Problem, da müssen wir uns ja nie nackt ausziehen, nur die Sportsachen an- und ausziehen. Der Sportunterricht ist bei uns nicht getrennt, Mädchen und Jungs turnen zusammen. Und wenn, würde ich zu den Mädchen gehen. Die Lehrerinnen sagen, ich darf entscheiden, wo ich hingehe.

Ich wusste früher nicht, was trans ist. Ich sagte halt einfach: «Ich bin ein Mädchen.» Ein Mädchen oder eine Frau ist für mich eine Person, die sagt: «Ich bin ein Mädchen» oder «Ich bin eine Frau». Wenn irgendein Junge als Witz sagt: «Ich bin eine Frau», dann ist er keine Frau. Aber sonst, wenn jemand sagt: «Ich bin eine Frau», dann ist diese Person eine Frau. Das ist für mich ganz klar. Es gibt auch Menschen, die sagen: «Ich bin eine Frau und ein Mann, manchmal so, manchmal so.» Das gibt es auch. Aber man kann jetzt nicht jeden Tag switchen von einem zum anderen. So im Stil: «Heute bin ich eine Frau, und eine Woche später, ah nein ich bin doch ein Mann, ah nein, ich bin doch eine Frau.»

Lia streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich frage sie nach Büchern, die ihr geholfen haben, besser zu verstehen, was mit ihr los ist. Sie springt auf und holt zwei: eine Sammlung von Kurzgeschichten über Transgeschlechtlichkeit und ein Kinderbuch über einen Jungen, der gerne Mädchenkleider trägt.

Das hier ist cool: «Von sie zu er zu mir». Und ich habe noch eines, das heisst «Kicker im Kleid». Diese Bücher sind mir wichtig, weil ich etwas über das Thema wissen will. Hier im Quartier kenne ich keine trans Leute, und dann fühlt man sich manchmal allein. Wenn ich so ein Buch lese, habe ich das Gefühl, ich bin nicht allein damit.

Letzten Sommer bin ich mit meiner Mama auf eine grosse Demonstration gegangen. Wir waren ganz regenbogenfarbig angezogen. Es waren viele Leute da, und es gab eine lange Drag Show und ein paar Vorträge von Menschen, die trans sind, und solchen, die nicht trans sind. Da habe ich auch gemerkt, dass ich nicht allein bin. Trans Leute und schwule und lesbische Menschen haben nichts direkt miteinander zu tun. Aber sie gehören halt alle zu queer. Und ich finde, man soll sich gegenseitig unterstützen. Wenn man an eine Demonstration geht, dann kämpft man ja nicht nur für sich, sondern für das ganze lgbtqia+. Da gibt es ja Tausende Fachbegriffe für alles. Aber alles gehört zu lgbtqia+, und alle sind anders als Menschen, die sich in ihrem Geschlecht wohlfühlen oder wenn Mann und Frau zusammenleben. Und wenn man anders ist, hat man halt manchmal auch Angst, dass Leute, die man gernhat, einen plötzlich doof finden und nichts mehr mit einem zu tun haben wollen. Und dann muss man sich einfach gegenseitig unterstützen.

Ich habe manchmal Angst, dass Leute, die ich gernhabe, mega doof reagieren, wenn ich ihnen sage, dass ich trans bin. Dass sie finden: «Mit dir will ich nichts mehr zu tun haben.» Das ist zum Glück noch nie vorgekommen. Ich weiss noch ganz genau, wie ich es meiner besten Freundin gesagt habe. Damals waren wir sieben. Wir hörten Musik und tanzten. Ich schaltete die Musik aus und sagte ihr: «Ich war früher ein Junge. Ich wollte aber ein Mädchen sein. Und jetzt bin ich ein Mädchen.» Und sie so: «Okay, ja, kein Problem für mich. Können wir weitertanzen?» Sie hat es einfach super akzeptiert.

Auch aus meiner Klasse kam nie eine schlechte Reaktion. Wenn sie Fragen stellten, waren sie immer mega rücksichtsvoll: «Du, ich hätte eine Frage, du musst sie nicht beantworten, aber du kannst, wenn du willst.» Dann habe ich die Frage auch meistens beantwortet. Sie fragten: «Was ist denn, wenn du eine Vagina haben möchtest, geht das denn?» Ich sagte dann: «Ja, das ist dann eine Geschlechtsangleichung. Und wenn ich Brüste haben möchte, muss ich zuerst Hormonblocker nehmen, und dann bekomme ich irgendein Mittel, das meine Brust wachsen lässt. So entwickelt sich der Körper immer mehr zu einem weiblichen Körper.»

Es gab nur zwei schlechte Reaktionen von Erwachsenen. Einer von ihnen gehört zu unserer Familie. Er konnte es wegen der Religion nicht gut annehmen. Ich war damals noch ganz klein. Mittlerweile hat er Verständnis dafür, er brauchte halt Zeit. Jetzt hat er mich mega gern, und ich habe ihn auch gern. Die...

Erscheint lt. Verlag 1.11.2024
Illustrationen Judith Schönenberger
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Gender • Jugend • Jugendliche • Lebensgeschichten • LGBTQ+ • Porträts • Queer • Sachbuch • Sexualität
ISBN-10 3-03855-287-9 / 3038552879
ISBN-13 978-3-03855-287-1 / 9783038552871
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