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Für eine Neue Ökonomik -  Steve Keen

Für eine Neue Ökonomik (eBook)

Ein Manifest

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
176 Seiten
Promedia Verlag
978-3-85371-924-4 (ISBN)
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Die Wirtschaftswissenschaften leiden an einer unheilbaren Krankheit, meint der australische Ökonom Steve Keen. Denn sie orientieren sich vor allem an der 'neoklassischen' Theorie. Dank falscher Grundannahmen und untauglicher Methodik sind sie nicht in der Lage, die wissenschaftliche Basis für dringend notwendige wirtschaftspolitische Maßnahmen zu liefern, die die Menschheit zur Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Herausforderungen braucht. Die heute vorherrschende neoklassische Wirtschaftslehre gleicht eher einer Religion als einer Wissenschaft, meint Steve Keen. In den Naturwissenschaften wird eine Theorie, die die Realität nicht vollständig erklären kann, aufgegeben und durch ein neues Paradigma ersetzt. Um funktional und wissenschaftlich zu sein, braucht auch die Ökonomik dringend einen Paradigmenwechsel. Die Kernpunkte der Neuen Ökonomik, die der Autor in diesem Buch erläutert, handeln von der Berücksichtigung der zentralen Rolle des Geldes sowie der Modellierung des Kapitalismus als komplexes, dynamisches und chaotisches System. Keens Manifest richtet sich an junge Studierende der Volkswirtschaft ebenso wie an interessierte Laien. Seine 'Neue Ökonomik' ist verständlich geschrieben und gibt über die ausführlichen Literaturhinweise Anregungen zum Weiterlernen.

Der Autor Steve Keen, geboren 1953 in Sydney, ist ein postkeynesianischer Wirtschaftswissenschaftler. Als einer der wenigen Ökonomen, die die globale Finanzkrise von 2008 vorhersahen, erhielt er den Revere Award der Zeitschrift Real World Economics Review. Keens Hauptforschungsinteressen sind der komplexe Systemansatz in der Makroökonomik und die Ökonomik des Klimawandels.

Der Autor Steve Keen, geboren 1953 in Sydney, ist ein postkeynesianischer Wirtschaftswissenschaftler. Als einer der wenigen Ökonomen, die die globale Finanzkrise von 2008 vorhersahen, erhielt er den Revere Award der Zeitschrift Real World Economics Review. Keens Hauptforschungsinteressen sind der komplexe Systemansatz in der Makroökonomik und die Ökonomik des Klimawandels.

2. Geld ist wichtig


Wer kein wirtschaftswissenschaftliches Studium absolviert hat, hält Ökonomen im Allgemeinen für Experten in Sachen Geld. Tatsächlich ignoriert die neoklassische Makroökonomik Banken, private Schulden und Geld, wie bereits im letzten Kapitel erwähnt. Neoklassische Ökonomen rechtfertigen diese Nichtbeachtung damit, dass Banken ­und ihre Produkte, Schulden und Geld, weitgehend irrelevant für die Makroökonomik sind. Als der ehemalige Chef der Federal Reserve, Ben Bernanke, Irving Fishers Argument zurückwies, die Ursache für die Weltwirtschaftskrise sei ein von diesem als »Schulden-Deflation« bezeichneter Prozess gewesen, formulierte er diese Auffassung so:

»Fisher stellte sich einen dynamischen Prozess vor, bei dem sinkende Vermögenswert- und Rohstoff-Preise Druck auf die nominalen Schuldner ausübten und sie zu Notverkäufen von Vermögenswerten zwangen, was wiederum zu weiteren Preisrückgängen und finanziellen Schwierigkeiten führte […].

Fishers Idee kam in akademischen Kreisen jedoch kaum an; das Gegenargument lautete, dass Schuldendeflation lediglich eine Umverteilung von einer Gruppe (Schuldner) zu einer anderen (Gläubiger) bedeute. Ohne unplausibel große Unterschiede in der marginalen Ausgabenneigung zwischen den Gruppen, so die Annahme, sollten reine Umverteilungen keine signifikanten makroökonomischen Auswirkungen haben. (Bernanke 2000, S. 24, Hervorhebung Steve Keen)

Mit »reiner Umverteilung« meinte Bernanke Folgendes: Im neoklassischen Modell des Bankwesens wird bei der Kreditvergabe und der Rückzahlung von Schulden Geld von einer Gruppe zu einer anderen übertragen: ­im Falle der Kreditvergabe vom Sparer zum Kreditnehmer und im Falle der Rückzahlung vom Kreditnehmer zum Sparer. Das wirkt sich nicht auf die Gesamtmenge des verwendeten Geldes aus. Daher sagt dieses Modell voraus, dass die makroökonomischen Auswirkungen eines substanziellen Rückgangs des Schuldenniveaus, ­einer »Schulden-Deflation«, ­gering sind, es sei denn, es gibt einen wesentlichen Unterschied in der Rate, mit der Sparer und Kreditnehmer ihre Ausgaben tätigen.

In seiner New-York-Times-Kolumne, in der er häufig das Modell der »ausleihbaren Mittel« (Loanable Funds) im Bankwesen propagiert, vertiefte der »Nobelpreis«-Träger Paul Krugman diese Argumentation (Krugman 2009, 2011a, 2011b, 2013, 2015a, 2015b). Laut diesem Modell sind die Banken Vermittler zwischen »geduldigeren Menschen«, die eine Rendite auf ihre Ersparnisse wünschen, und »weniger geduldigen Menschen«, die zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr ausgeben wollen, als sie einnehmen:

»Man muss sich das so vorstellen: Wenn die Verschuldung steigt, ist es nicht die Wirtschaft als Ganzes, die sich mehr Geld leiht. Es ist vielmehr so, dass weniger geduldige Menschen, Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, lieber heute als morgen Geld ausgeben wollen, sich von geduldigeren Menschen etwas leihen.« (Krugman 2012, S. 147)

In diesem Modell wird durch die Kreditvergabe lediglich vorhandenes Geld von einer Gruppe von Menschen zu einer anderen verschoben: Die Banken nehmen Einlagen von einigen Kunden entgegen und verleihen sie als Kredite an andere Kunden. Es gibt auch keine Beziehung zwischen der Höhe der privaten Schulden und der in einer Volkswirtschaft umlaufenden Geldmenge.

An dieser Stelle müssen wir uns genauer mit den Veränderungen der Geldmenge innerhalb einer Volkswirtschaft befassen. Im neoklassischen Modell beeinflussen die Banken lediglich die Verteilung der bestehenden Geldmenge. Die Geldschöpfung ist in erster Linie Sache des Staates und geschieht über das sogenannte »Fractional Reserve Banking« oder den »Geldmultiplikator«. Eine Bank, so die Annahme, sammelt Einlagen von Sparern ein und verleiht anschließend einen großen Teil dieser Einlagen an Kreditnehmer. In einem sich wiederholenden Prozess, an dem nicht nur eine, sondern mehrere Banken beteiligt sind, schafft diese Kreditvergabe Geld. Es ist größtenteils die Regierung, die über ihre Zentralbank das Geldschöpfungsvolumen bestimmt; die Banken (und die Nicht-Banken) können durch ihr Verhalten die geschaffene Geldmenge nur verringern, nicht aber erhöhen. Gregory Mankiw erklärt dies in seinem Lehrbuch Macroeconomics folgendermaßen:

»Wenn die Federal Reserve der Wirtschaft einen Dollar hinzufügt und dieser Dollar als Währung gehalten wird, erhöht sich die Geldmenge um genau einen Dollar. Aber […] wenn dieser Dollar bei einer Bank eingezahlt wird, und die Banken nur einen Teil ihrer Einlagen als Reserve halten, erhöht sich die Geldmenge um mehr als einen Dollar. Um zu verstehen, was die Geldmenge im Rahmen eines Banksystems, in dem nur ein Teil der Kundeneinlagen als Zentralbankgeld gehalten wird, bestimmt, müssen wir daher Wechselwirkungen berücksichtigen. Diese entstehen zwischen (1) der Entscheidung der Fed über die Anzahl der zu schaffenden Dollar, (2) den Entscheidungen der Banken darüber, ob sie Einlagen als Reserven halten oder ausleihen, und (3) den Entscheidungen der Haushalte darüber, ob sie ihr Geld in Form von Bargeld oder Sichteinlagen halten, berücksichtigen.« (Mankiw 2016, S. 93−94)

Drei Faktoren bestimmen in diesem Modell die Geldmenge: die »direkt von der Federal Reserve gesteuerte monetäre Grundlage«, der von den Banken einbehaltene Anteil der Bankeinlagen, der »durch die Geschäftspolitik der Banken und die Gesetze zur Regulierung der Banken bestimmt wird«, und der von den Bürgern im Vergleich zu dem von ihnen bei Banken eingezahlten in bar gehaltene Geldbetrag.

Der einzige Punkt in diesem Modell, an dem die Banken eine aktive Rolle spielen, ist ihre Fähigkeit, einen höheren Anteil der Einlagen als Reserven zu halten als gesetzlich vorgeschrieben. Die einzige Auswirkung, die dies haben kann, ist die Reduzierung der Geldschöpfung (Bankkunden können die Geldschöpfung ebenfalls verringern, indem sie mehr von ihrem Geld als Bargeld halten). In der neoklassischen Ökonomik spielt die Zentralbank daher die entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Geldmenge. Und deswegen schrieb Bernanke in seinen Essays on the Great Depression der Federal Reserve selbst die Verantwortung für dieses Unglück zu.

»Unsere Analyse liefert die deutlichste Anklage gegen die Federal Reserve und die US-Geldpolitik. Zwischen Mitte 1928 und der Finanzkrise, die im Frühjahr 1931 begann, weigerte sich die Fed nicht nur, die beträchtlichen Goldzuflüsse in die Vereinigten Staaten zu monetarisieren, sondern schaffte es sogar, positive Reserven-Zuflüsse in ein negatives Wachstum der Geldmenge M1 umzuwandeln. Die Fed-Politik war also in der Zeit vor 1931 aktiv destabilisierend […]. Unsere Verfahren führen einen wesentlichen Teil der weltweiten Deflation vor 1931 auf diese politischen Entscheidungen der Federal Reserve zurück.« (Bernanke 2000, S. 111)13

Im Gegensatz dazu folgte der postkeynesianische Wirtschaftswissenschaftler Hyman Minsky Irving Fisher (Fisher 1932, 1933) und machte die Ungleichgewichtsdynamik der privaten Verschuldung für die Weltwirtschaftskrise verantwortlich. Minsky kombinierte die Ideen von Fisher mit denen von Keynes und entwickelte daraus die von ihm so genannte »Hypothese der finanziellen Instabilität« (Minsky 1963, 1975, 1977, 1978). Die von neoklassischen Ökonomen ignorierte private Verschuldung wurde wesentlicher Bestandteil von Minskys Analyse der Instabilität des Kapitalismus.

Im Gegensatz zu dem neoklassischen Argument, dass Änderungen des Schuldenstands »reine Umschichtungen« ohne »signifikante makroökonomische Auswirkungen« seien (Bernanke 2000, S. 24), muss es also, damit eine steigende Verschuldung zu einem Anstieg der Wirtschaftstätigkeit führen kann, einen Mechanismus geben, über den die steigende Verschuldung die Gesamtnachfrage ankurbelt. Wenn Minsky Recht hatte, dann müssen die neoklassischen Modelle der »Loanable Funds« und des »Fractional Reserve Banking – ­Money Multiplier« falsch sein: Die Kreditvergabe der Banken muss irgendwie Geld schaffen, und das muss gleichzeitig die Gesamtnachfrage erhöhen.

Minsky und andere postkeynesianische Wirtschaftswissenschaftler­ sowie einige Wirtschaftswissenschaftler in den Zentralbanken (Holmes 1969) ­argumentieren seit vielen Jahrzehnten, dass die neoklassischen Modelle tatsächlich falsch sind, und dass Banken bei der Kreditvergabe Geld schaffen (Fisher 1933; Fontana und Realfonzo 2005; Fullwiler 2013; Graziani 1989; Hudson 2004; Keen 1995; Minsky 1963, 1990; Minsky und Vaughan 1990; Moore 1979, 1988, 1997, 2001; Schumpeter 1934; Werner 2014a, 2014b).

Die neoklassischen Ökonomen ignorierten jedoch ihre Proteste. Aber im Jahre 2014 stellte sich keine geringere Institution als die Bank of England auf die Seite der Postkeynesianer (Kumhof und Jakab 2015; Kumhof et al. 2015; McLeay et al. 2014a, 2014b),14 und erklärte mit Nachdruck, dass die neoklassischen Modelle des Bankwesens – »Loanable Funds«,...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2024
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte BWL • Keynesianismus • Makroökonomik • Neoliberalismus • Postkeynesianismus • VWL
ISBN-10 3-85371-924-4 / 3853719244
ISBN-13 978-3-85371-924-4 / 9783853719244
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