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Karl Rottenschlager - Der Traum von Emmaus (eBook)

Ein Leben für haftentlassene und benachteiligte Menschen. Biographie über den Gründer der Emmausgemeinschaft St. Pölten

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
200 Seiten
Tyrolia (Verlag)
978-3-7022-4237-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Karl Rottenschlager - Der Traum von Emmaus -  Karl Vogd
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Das Leben von Karl Rottenschlager beeindruckt. Diese Biographie beschreibt seine selbstlose Arbeit für Menschen am Rande der Gesellschaft und gibt Einblicke in die schwierige Alltagsrealität haftentlassener Menschen. Rottenschlager begann seine berufliche Laufbahn als Sozialarbeiter 1973 in der Justizanstalt Stein, wo er am Reformaufbruch im österreichischen Strafvollzug beteiligt war. Doch die Euphorie ließ bald nach und die Schwächen des Systems blieben - insbesondere die mangelnde Nachbetreuung der Haftentlassenen. Mit viel Beharrlichkeit und großem persönlichem Einsatz gründete der Theologe 1982 die St. Pöltner Emmausgemeinschaft, die heute vier Wohnheime und zwei Tageszentren für sozial benachteiligte Menschen betreibt. In einem desolaten Haus im Industrieviertel entstand damals eine familienähnliche Gemeinschaft, in der Rottenschlager und weitere Betreuer gemeinsam mit haftentlassenen Männern lebten und arbeiteten - eine 'Lebensschule' für Ausgegrenzte. 'Es gibt keinen hoffnungslosen Fall, weil es für Gott keine hoffnungslosen Fälle gibt.' - Rottenschlagers Lebensweg ist geprägt von christlichem Einsatz für die Schwächsten und dem unermüdlichen Streben nach sozialer Gerechtigkeit. 2022 erhielt er das Goldene Ehrenzeichen der Republik. Karl Rottenschlager im Wortlaut: 'Wir versuchen bei Emmaus, die Bergpredigt in Millimeterarbeit umzusetzen.' 'Die Schattenseite des Überflusses ist der überflüssige Mensch.' 'Mein Platz ist in den Kellern der Menschheit.'

KARL VOGD, studierte Deutsch und Geschichte, arbeitete bis zu seiner Pensionierung als Mittelschullehrer und ist Journalist in Niederösterreich. Er kennt Karl Rottenschlager seit Jahrzehnten und hat die Entwicklung der Emmausgemeinschaft von Beginn an mitverfolgt.

KARL VOGD, studierte Deutsch und Geschichte, arbeitete bis zu seiner Pensionierung als Mittelschullehrer und ist Journalist in Niederösterreich. Er kennt Karl Rottenschlager seit Jahrzehnten und hat die Entwicklung der Emmausgemeinschaft von Beginn an mitverfolgt.

I.
Start im Glasscherbenviertel


Das niedrige, langgestreckte Gebäude stand unweit der Glanzstoff-Fabrik. Es hatte offensichtlich schon bessere Tage gesehen. Die ausgebleichte gelbe Fassade war fleckig, an einigen Stellen war der Verputz herabgefallen. Auf den Fenstern lag eine dicke Staubschicht. Offensichtlich war das Haus seit längerer Zeit unbewohnt: Als ich in den Hof hineinschaute, sah ich meterhohe Brennnesseln, erinnert sich Karl Rottenschlager an den Moment, als er das Haus, in dem das Emmaus-Experiment begann, das erste Mal erblickte.

Das einst schmucke Haus hatte früher eine Pferdefleischerei beherbergt. Der St. Pöltner Pfarrer Alfred Weixelberger schlug es am Pfingstmontag des Jahres 1982 Karl Rottenschlager als Ort für sein Sozialprojekt mit Haftentlassenen vor: „Ich weiß ein Haus in der Herzogenburger Straße. Ich bin überzeugt, dass ihr dort – im ehemaligen Glasscherbenviertel – mit der Nachbarschaft kein Problem haben werdet.“1

Über Jahrzehnte war das Gebäude ein Fels von Stabilität und Ordnung in dem armen Viertel gewesen. Der Norden St. Pöltens hatte keinen guten Ruf. Nicht nur wegen der nach faulen Eiern riechenden Luft, für die Schwefelwasserstoffemissionen der Glanzstoff-Fabrik verantwortlich waren. In die Gegend im Norden der Stadt waren seit mehr als einem halben Jahrhundert immer wieder neue Wellen von Bedürftigen und Entwurzelten gekommen: Arbeitslose und Ausgesteuerte nach dem Ersten Weltkrieg, Ausgebombte auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf während des Zweiten Weltkrieges. Sie fanden in den Baracken entlang der Herzogenburger Straße eine notdürftige Unterkunft. Die Stadtbevölkerung wollte mit dem „Bretteldorf “ im Norden möglichst wenig zu tun haben. „Die Gegend um die Herzogenburger Straße Richtung Mühlbach wirkt 1955 trostlos und wird vom Großteil der Bevölkerung gemieden. Hunderte Familien haben in 14 gemeindeeigenen Baracken ein Dach über dem Kopf gefunden. Sie hausen in Wehrmachtsbaracken, die zum Teil noch aus dem Ersten Weltkrieg stammen“,2 schreibt die Historikerin Elisabeth Linhart.

Wie sich bald herausstellte, war die ehemalige Pferdefleischerei aber durchaus geeignet für Rottenschlagers Projekt. Einige Zimmer waren bewohnbar, auch eine Küche und ein WC waren vorhanden. Hinter dem Gebäude erstreckte sich ein Garten mit Obstbäumen. Noch weiter hinten standen die Stallungen der Fleischhauerei. Das alles ließ sich vielleicht nutzen. Zuerst einmal mussten aber die Spuren der Verwilderung beseitigt werden. Das erledigte Rottenschlager mit zwei Helfern am folgenden Wochenende. Karl Höllerer, sein Studienkollege aus dem Priesterseminar, und dessen Wirtschafterin Johanna Pfaffenbichler rückten den Brennnesseln mit der Sense zu Leibe, während Rottenschlager das Buschwerk rodete. Als sie sich nach zwei schweißtreibenden Tagen umsahen, waren sie überrascht von der Größe des Anwesens.

Zufrieden mit dem Erreichten brach Rottenschlager mit Höllerer und seinem Freund Thomas Höfer im Sommer zu einem Urlaub nach Italien auf. Er wollte dort Kraft tanken, Ideen sammeln und ein Konzept für sein Projekt entwickeln.

San Masseo


Nach zwei Wochen auf Elba fuhren Rottenschlager und Höllerer nach Assisi. Dort interessierte sie besonders ein Reformprojekt, das ein innovativer Franziskaner im Jahr 1978 begonnen hatte. Fra Bernardino Greco wollte nicht nur schöne Geschichten von Franziskus erzählen, sondern hatte Größeres im Sinn: Er wollte den Weg des „Aussteigers“ und Ordensgründers wiederbeleben. Wie einst Franziskus im 12. Jahrhundert begann er mit der Renovierung eines verfallenen Gebäudes. Etwas unterhalb der von Franziskus wiederaufgebauten Kirche San Damiano entdeckte er die Ruine eines Bauernhofes, an den sich eine kleine Kapelle mit einer uralten Krypta anschloss. San Masseo, so hieß das Anwesen, war bei einem Erdbeben im 19. Jahrhundert schwer beschädigt und nicht wieder aufgebaut worden.

Bernardino hatte in Deutschland Theologie studiert und sprach sehr gut Deutsch. Über das Netzwerk des Franziskanerordens lud er junge Leute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ein, bei ihm die Ferien als „Gastarbeiter“ zu verbringen und bei der Renovierung von San Masseo zu helfen.

Auf dem Programm stand körperliche Arbeit in einer natürlichen Umgebung, unterbrochen von Zeiten der Stille und des Gebets. Der Tag begann früh um sieben Uhr morgens. Philosophiestudenten griffen dann zu Hammer und Meißel, um die uralten Steinmauern auszubessern. Angehende Lehrer nahmen eine Schaufel in die Hand und räumten den Bauschutt unter den Gerüsten weg. An den Nachmittagen tauschten die jungen Leute – unter einem Baum sitzend – Erfahrungen aus und reflektierten ihren Alltag anhand von Texten aus der Bibel und der Friedensbewegung. Der Höhepunkt des Tages war das gemeinsame Essen am Abend, bei dem alle an einer großen Tafel saßen und sich das mit Lebensmitteln aus eigener Produktion gekochte Essen schmecken ließen.

Bernardino sah San Masseo als eine Übungsstation für Glauben und Leben. Jeder – unabhängig von Weltanschauung oder Bildungsgrad – konnte daran teilnehmen. Entscheidend war nur die Bereitschaft zum Mitmachen. San Masseo sollte inspirieren und demonstrieren, dass Umkehr auch in unserer Zeit möglich ist. Man wollte den Sonnengesang des Franziskus nicht nur singen – man wollte ihn leben.

Ein paar Tage in San Masseo mitleben und das Experiment kennen lernen wollten auch Rottenschlager und Höllerer. Tagsüber arbeiteten sie bei der Renovierung mit. Es gab damals das Problem einer durch Schmutzwasser verunreinigten Quelle. Wir haben uns dafür gemeldet, die Ursache herauszufinden, was uns dann auch gelungen ist. Diese Suche hatte für mich etwas Symbolisches. Auch bei den gemeinsamen Mahlzeiten am Abend waren sie dabei.

Der Aufenthalt in San Masseo bestärkte Rottenschlager in seinem Vorhaben, Haftentlassenen in einer kleinen, familienähnlichen Struktur eine neue Chance zu geben. Hier wurde bewiesen, dass das von ihm Erträumte – miteinander leben und arbeiten – tatsächlich möglich war. Hier erlebte er mit, dass man Menschen für einen Neuanfang gewinnen konnte. Hier sah er ein praxistaugliches Modell. Er entwickelte daraus schrittweise ein eigenes Konzept. Höllerer erinnert sich, wie Rottenschlager jeden Tag am Entwurf arbeitete. „Am Abend hat er mir dann das Geschriebene gezeigt. Dann hat er das Papier wieder zerrissen und am nächsten Tag von Neuem angefangen.“ Ein Schlüsselelement war – neben der Gastfreundschaft – die gemeinsame Arbeit. San Masseo machte deutlich, dass gemeinsame Arbeit Menschen zueinander führen kann, auch wenn sie sich sozial oder weltanschaulich unterscheiden. Manuelle Arbeit kann auch dabei helfen, schlummernde eigene Fähigkeiten zu entdecken und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Manches war hier allerdings anders. Rottenschlager würde keine Studenten oder gut ausgebildete junge Menschen beherbergen. Seine Gäste würden vom Leben Geschlagene sein, schuldig Gewordene und Verzweifelte. Menschen, die nie die Wärme einer Familie erlebt hatten. Menschen, mit denen eigentlich niemand etwas zu tun haben wollte.

Ihnen wollte er Unterkunft und Verpflegung anbieten und ihnen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz unter die Arme greifen. Damit das gelingen konnte, mussten sie zuerst einmal Gastfreundschaft erleben. Sie sollten nicht als Klienten, sondern als Gäste angesehen werden. Das andere Kernelement war Arbeit. Die Bereitschaft mitzuarbeiten, war die Voraussetzung, um in diese „Gebets-, Arbeits- und Lebensgemeinschaft“ aufgenommen zu werden.3 Inspiriert und zuversichtlich kehrten Rottenschlager und Höllerer nach Österreich zurück.

Wohnen mit Ausgegrenzten


Bevor Ende August die ersten Gäste einzogen, übersiedelte Rottenschlager selbst in das Haus. Als er ganz allein in dem desolaten Gebäude wohnte, erlebte er einen Moment intensiven Zweifels: Ich bekam es mit der Angst zu tun. Ich ahnte, dass ich mich auf ein Experiment eingelassen hatte, das ziemlich gewagt, ja möglicherweise völlig unvernünftig war. Für einen Moment erkannte ich die scheinbare Übermacht des Bösen. Er fragte sich, ob er wirklich imstande war, es mit dieser Macht aufzunehmen. Neun Jahre Sozialarbeit im Gefängnis hatten ihm einen nüchternen Blick auf die „Unterwelt“ vermittelt. Er wusste um die Sogwirkung und Destruktivität des Milieus. In meiner Angst kniete ich nieder und schrie zu Gott: „Jesus, hilf, sonst gebe ich wirklich auf!“ Die Antwort im Gebet war unmissverständlich: „Hab’ keine Angst. Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter euch. Mit mir – mit dem Auferstandenen in eurer Mitte – werdet ihr stärker sein als alles Böse.“4

Im September nahm Rottenschlager den ersten Gast auf. Es war Günther aus dem Waldviertel. Ihm war der Alkohol zum Verhängnis geworden. Er hatte den Arbeitsplatz verloren und seine Partnerschaft war in Brüche gegangen. Am Ende war er obdachlos. Ihm folgten drei weitere junge Männer: Hans, Kurt und Toni. Sie waren zwischen 17 und 30 Jahre alt und hatten bereits Gefängnis- und Psychiatrieaufenthalte hinter sich. Dass sie um Aufnahme ersuchten, sah Rottenschlager als Zeichen: Als Christ spürte ich, dass mir Gott selbst diese Menschen schickt.5

Das erste Jahr wurde zu einem Versuch, mit Ausgegrenzten zu leben. Ich war mir ja gar nicht sicher, ob ich dieses Milieu überhaupt aushalte. Es war fragil und manchmal auch chaotisch. Von der Umsetzung meines Konzeptes war...

Erscheint lt. Verlag 9.10.2024
Verlagsort Innsbruck
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
Schlagworte Biografie • Caritas • Ehrenamt • Emmausgemeinschaft • Gefängnis • Haft • Integration • Justizanstalt Stein • Nächstenliebe • Niederösterreich • Notschlafstellen • Obdachlosigkeit • Randgruppen • Resozialisierung • Sozialarbeit • sozial benachteiligt • Soziale Gerechtigkeit • St. Pölten • Strafvollzug
ISBN-10 3-7022-4237-6 / 3702242376
ISBN-13 978-3-7022-4237-4 / 9783702242374
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