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Vom Niedergang des Westens zur Neuerfindung Europas -  Hauke Ritz

Vom Niedergang des Westens zur Neuerfindung Europas (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
208 Seiten
Promedia Verlag
978-3-85371-914-5 (ISBN)
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Die Welt steht vor einem dramatischen Umbruch. Der Westen hat seine Strahlkraft verloren, die globale Vorherrschaft der USA zerfällt und eine neue multipolare Welt nimmt zügig Gestalt an. Im Interesse seiner eigenen Zukunft muss Europa auf diese Entwicklung reagieren. Europa kann aber nur entsprechend handeln, wenn es weiß, wie es in die derzeitige Lage gelangt ist. Dazu muss sich die Politik mit den tieferen Ursachen des Ukrainekrieges beschäftigen. Schließlich handelt es sich um den größten europäischen Waffengang seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein Krieg, der zudem das Potenzial hat, Europa erneut zu teilen und für Jahrzehnte sowohl von sibirischen Rohstoffen als auch vom chinesischen Markt abzuschneiden. Nach 1945 gelang zunächst eine Einigung Westeuropas, um den Krieg zu überwinden und Wohlstand zu erlangen. Doch heute führt dieser Westen erneut Krieg und verspielt seinen Wohlstand. Hauke Ritz fragt, welche Rolle der Nord-Süd-Konflikt im großen Umbruchszenario spielt und wieso die Friedenschance von 1989 so leichtfertig verspielt worden ist. Oft wird geographisch argumentiert. Russland sei aufgrund seiner Stellung inmitten der eurasischen Landmasse der natürliche Feind der Seemacht USA. Doch zu den geographischen Faktoren treten insbesondere kulturelle hinzu. Die notwendige Neuerfindung Europas, davon ist Hauke Ritz überzeugt, setzt im Kulturellen an, um letztlich auch eine politische und ökonomische Souveränität erlangen zu können.

Hauke Ritz, geboren 1975 in Kiel, studierte allgemeine und vergleichende Literatur- sowie Religions- und Kulturwissenschaften an der FU und HU Berlin. Er unterrichtete unter anderem an der Universität Gießen und der Lomonossow-Universität Moskau. Gemeinsam mit Ulrike Guérot veröffentlichte er 2022 das Buch 'Endspiel Europa'. Mit ihr zusammen leitet er auch das 'European Democracy Lab'.

Hauke Ritz, geboren 1975 in Kiel, studierte allgemeine und vergleichende Literatur- sowie Religions- und Kulturwissenschaften an der FU und HU Berlin. Er unterrichtete unter anderem an der Universität Gießen und der Lomonossow-Universität Moskau. Gemeinsam mit Ulrike Guérot veröffentlichte er 2022 das Buch "Endspiel Europa". Mit ihr zusammen leitet er auch das "European Democracy Lab".

1. Einleitung: Der Niedergang des Westens und Europas


1.1 Eine Kinderfrage


»Warum hasst der Westen Russland so sehr?« Diese zunächst einfach klingende Frage ist doch außergewöhnlich komplex. In normalen Zeiten hätten sich wahrscheinlich Universitäten mit ihr befasst und die Entwicklungsgeschichte der Feindbilder erforscht. Heute jedoch, da sich auch die Universitäten an Sprachregelungen halten, war es der polnischen Youtuberin Ania K. vorbehalten, diese Frage im Frühjahr 2024 in einem Interview mit dem ehemaligen Soldaten und UN-Waffeninspektor Scott Ritter zu stellen.1

Was wie eine Kinderfrage anmutet, öffnet doch die Tür zu den tiefsten Geheimnissen unserer gegenwärtigen Epoche. Wer oder was ist die westliche Welt, dass sie sich nach zwei Weltkriegen und einem Kalten Krieg erneut in einem kriegerischen Konflikt mit Russland befindet. Wäre es unter Umständen möglich, gerade mittels dieser Frage einige Rätsel der Gegenwart zu lüften? Und vielleicht verhilft uns gerade diese Frage zu einer neuen Orientierung in dieser schwer verständlichen Zeit. Warum also hasst der Westen Russland so sehr? Auf den folgenden Seiten soll ein Versuch unternommen werden, diese Frage einer polnischen Youtuberin zu beantworten.

Der Zweite Weltkrieg wurde vom faschistischen Deutschland als Vernichtungskrieg geführt. Das Kriegsziel bestand in einer Ausdünnung der russischen Bevölkerung sowie der Versklavung der Überlebenden. Praktisch bedeutete dies, dass während des Russlandfeldzugs Tausende von Dörfern samt ihren Bewohnern ausgelöscht wurden, dass Millionen von Kriegsgefangenen erschossen oder dem Tod durch Hunger und Zwangsarbeit preisgegeben wurden. Während der Genozid an den europäischen Juden mittlerweile aufgearbeitet und zum Teil einer Erinnerungskultur geworden ist, ist das Verbrechen der Nazis an den slawischen Völkern und insbesondere den Russen bis heute kaum in die kollektive Erinnerung eingegangen. Wie real dieser Vernichtungskrieg gegen die sowjetische Bevölkerung erfolgte, ist schon an den Zahlen ersichtlich. Die Sowjetunion verlor im Zweiten Weltkrieg ca. 15 Prozent ihrer Bevölkerung, nämlich 27 Millionen Menschen, von denen ungefähr 16 Millionen Zivilisten waren.

Doch diesem ungeheuren Verbrechen waren Jahrhunderte intensiver Beziehungen zwischen Deutschland und Russland vorangegangen. Zwischen der Zeit Peter des Großen zu Beginn des 18. Jahrhunderts bis zur Amtszeit Bismarcks am Ende des 19. Jahrhunderts bestand sogar eine Deutsch-Russische Allianz, die sich durch einen engen Handels- und Kulturaustausch, militärische Allianzen sowie die Auswanderung von Hunderttausenden von Deutschen nach Russland manifestierte.2 In dieser Zeit hat Russland einen großen Teil seiner Modernisierung in Kooperation mit deutschen Wissenschaftlern, Kaufleuten, Handwerkern und Diplomaten erfahren. In vielen russischen Regierungskabinetten arbeiteten Deutsche als Minister, dreimal waren Deutsche in Russland Kanzler und in Gestalt Katharina der Großen sogar einmal Zarin.

Es war diese Vergangenheit, die schließlich die Erfahrung des von Deutschland initiierten Vernichtungskrieges überwog und dazu führte, dass sich die Sowjetunion nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges allmählich wieder Deutschland zuwandte. Zunächst der DDR, dann ab den 1970er Jahren auch Westdeutschland, dessen Entspannungspolitik neues Vertrauen schuf und schließlich im Gas-Röhrengeschäft sogar zu einer wirtschaftlichen Kooperation führte. Ab den späten 1980er Jahren ging die Sowjetunion sogar so weit, gegenüber Deutschland die Möglichkeit einer Wiedervereinigung anzusprechen und voranzutreiben. Denn so sehr der deutsche Vernichtungskrieg in Vergessenheit geraten ist, so sehr ist auch vergessen worden, dass Deutschland seine Wiedervereinigung im Wesentlichen der Sowjetunion zu verdanken hat. Frankreich und Großbritannien lehnten die Idee einer deutschen Vereinigung zunächst ab und die USA war nur unter der Bedingung fortgesetzter NATO-Mitgliedschaft und amerikanischer Truppenpräsenz (einschließlich der Atomwaffen) dazu bereit. Letztlich war es die Sowjetunion, die durch Erfüllung der amerikanischen Bedingungen den Weg zur deutschen Einheit frei machte und zudem noch seine Truppen aus dem gesamten sowjetischen Einflussbereich Osteuropas abzog. Hinter dieser großen Geste stand letztlich der Wunsch der russischen Gesellschaft, wieder ein Teil Europas zu sein und erneut intensive Beziehungen zu Deutschland zu entwickeln, das man trotz des Zweiten Weltkrieges achtete. Nie zuvor hat ein Imperium so viel Macht so schnell – lediglich für das Versprechen der Freundschaft – aufgegeben. Und doch quellen unsere Zeitungen, Fernseh- und Radiosender heute nur so über vor Ablehnung von allem Russischen. Die Frage »Warum hasst der Westen Russland so sehr?« ist von höchster Aktualität. Und man muss ergänzend fragen: »Warum beteiligt sich Deutschland daran?«

Sicherlich spielen die Geographie Russlands und die gewaltigen Rohstoffe des Landes hierbei eine Rolle. Wer so viel besitzt, der weckt Begehrlichkeiten. Sicherlich geht es wie so oft in der Weltgeschichte um Macht- und Geopolitik. Aber Ania K. hätte die Frage dennoch nicht gestellt, wenn es nur darum gehen würde. Denn man kann förmlich spüren, dass in dem Hass, den Hunderte von Artikeln und Fernsehbeiträgen jeden Tag über Russland ausschütten, Kräfte am Werk sind, die mit Macht- und Interessenpolitik alleine nicht mehr erklärt werden können. Wenn der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter in der Talkshow bei Markus Lanz die Bombardierung russischer Regierungsgebäude fordert,3 wenn russischen Bürgern bei der Einreise in die EU ihre Autos, Handys und Reisekoffer entwendet werden, weil diese angeblich gegen die Sanktionen verstoßen,4 wenn russische Kunst, Literatur aus den Lehrplänen der Universitäten gestrichen wird,5 wenn russische Athleten gezwungen sind, ohne Fahne und ohne Hymne an den Olympischen Spielen teilzunehmen,6 wenn ein fast hundertjähriger Angehöriger der Waffen-SS, der im Verdacht steht, an Massenhinrichtungen beteiligt gewesen zu sein, im kanadischen Parlament dafür beklatscht wird, gegen Russland gekämpft zu haben,7 dann geht es um mehr als nur geopolitische Konkurrenz.

Nun lässt sich die Gegnerschaft zu Russland schon Jahrhunderte zurückverfolgen. Sie strukturierte nicht nur den Kalten Krieg, den Vernichtungskrieg der Nazis und den Krim-Krieg im 19. Jahrhundert. Die ersten Zuschreibungen, die Russland als asiatische Macht beschrieben und somit orientalisierten, finden sich im 16. Jahrhundert, lange bevor Russland die Grenze zu Asien überschritten hatte.8 War es anfänglich die orthodoxe Identität, die als Triebfeder der Feindschaft fungierte, so wurde es im 19. Jahrhundert Russlands Rolle in der Heiligen Allianz, das Bündnis der fünf großen europäischen Mächte und deren Bekenntnis zur Monarchie, durch die Russland als Gegenpol aller liberalen Kräfte wahrgenommen wurde. Im 20. Jahrhundert kehrt sich dies jedoch um, nun ist Russland zu revolutionär und zu fortschrittlich und wird aus diesem Grund aus Europa ausgeschlossen. Die Zurückweisung Russlands scheint so alt zu sein wie Russland selbst, wobei die konkreten Anlässe wechseln. Russland wird augenscheinlich für das gehasst, was es ist. Doch was verbindet das Zarenreich, die Sowjetunion und das heutige Russland, außer dass sie alle an der Tiefe und Vieldeutigkeit der russischen Identität partizipiert haben? Und was ist der Westen, dass er dieses so schwer auf den Begriff zu bringende Russland hassen muss?

1.2 Europa und der Westen


Dieses Buch stellt die Frage nach dem Wesen dieser Gegnerschaft. Es soll der Versuch gemacht werden, herauszufinden, wie das Fundament des heutigen Westens mit der Frontstellung gegenüber Russland verflochten ist, ja ob nicht vielleicht sogar der unsere Gegenwart bestimmende Niedergang des Westens darin seine Ursache hat? Doch wer nach dem Wesen des Westens fragt, der kommt nicht umhin, auch die Frage nach Europa aufzuwerfen. Denn Europa und der Westen werden heute oft in eins gesetzt, sind aber – und das zeigt sich gerade in dieser Krise – sowohl geographisch, historisch und erst recht zivilisatorisch zu unterscheiden.

Hier eine sich über zwei Kontinente erstreckende internationale Staatengemeinschaft, die ihr politisches Entscheidungszentrum in den USA hat und dessen verbindendes Element von einer gemeinsamen Außen-, Sicherheitspolitik sowie einer gemeinsamen ideologischen Orientierung im Rahmen der NATO bestimmt ist. Und dort ein alter Kontinent, der mindestens 2500 Jahre Geschichte verkörpert, der eine Vielzahl an Epochen und politischer Systeme durchlaufen hat, dessen Identität aber trotz allem ein paar Kernelemente enthält. Zu diesen gehören etwa das antike Erbe, die Prägung durch das Christentum, der Humanismus, die europäische Kunst, Musik, Literatur und Philosophie, die Ansprüche der Aufklärung und schließlich die Erinnerung an zwei Weltkriege und einen Kalten Krieg, die als Mahnung vor jeder Debatte über die Zukunft Europas stehen.

Der Westen hingegen ist über weite Strecken der europäischen Geschichte kaum mehr als eine geographische Bezeichnung für den westlichen Teil Europas gewesen. Erst zu Beginn der Neuzeit wird Westeuropa als ein besonderer Teil Europas erkennbar. Hier bildeten sich die ersten modernen...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2024
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte China • Eurasien • guerot • Kalter Krieg • Russland • Ukraine
ISBN-10 3-85371-914-7 / 3853719147
ISBN-13 978-3-85371-914-5 / 9783853719145
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