Kein Land in Sicht? (eBook)
279 Seiten
Papyrossa Verlag
978-3-89438-902-4 (ISBN)
Johannes Zang, *1964, hat in Israel und den besetzten Palästinensischen Gebieten fast zehn Jahre gelebt und gearbeitet: als Zitronenpflücker, Altenpfleger, Musiklehrer und Reiseleiter. Als Journalist mit Sitz in Ost-Jerusalem schrieb er u.a. für Zeit Online, der Freitag, die Katholische Nachrichtenagentur und die taz; betreibt den Podcast JeruSalam.
Johannes Zang, *1964, hat in Israel und den besetzten Palästinensischen Gebieten fast zehn Jahre gelebt und gearbeitet: als Zitronenpflücker, Altenpfleger, Musiklehrer und Reiseleiter. Als Journalist mit Sitz in Ost-Jerusalem schrieb er u.a. für Zeit Online, der Freitag, die Katholische Nachrichtenagentur und die taz; betreibt den Podcast JeruSalam.
I.
Von der frühesten Zeit bis 1967
Lassen sich über 2000 Jahre in 13 Texten abbilden? Wohl kaum. Hier sollen – mit Mut zur großen Lücke – einige wichtige Epochen oder Zeitpunkte beleuchtet werden, zunächst mit Blick auf Handelsrouten und Weltreligionen. Etwas eingehender wird die britische Mandatszeit, die Nakba (arab. Katastrophe) und das sich anschließende Flüchtlingselend behandelt. Von 1948 bis 1967 verwaltete oder besetzte – je nach Perspektive – Ägypten den Gazastreifen.
Wie klein ist der Gazastreifen?
Der rechteckige Gazastreifen ist ein künstliches Gebilde. Im ersten israelisch-arabischen Krieg 1948 vertrieben israelische Truppen Palästinenser in den Libanon, nach Syrien und ins Westjordanland, »aber Ägypten ließ das nicht zu. Daher hatte Israel ein Problem im Süden. Israel entschied, dieses Rechteck als riesiges Flüchtlingslager zu schaffen, um Hunderttausende … dorthin zu vertreiben.«1 Das erklärt der israelische Historiker Ilan Pappe. Israel habe dann Ägypten die Militärherrschaft überlassen.
Diese zwei Prozent des historischen Palästina sind gerade einmal 365 Quadratkilometer: So groß wie ein Löwenrevier für ein Rudel von 40 Tieren. Der Streifen ist etwas größer als die Fläche Dresdens oder des Kantons Schaffhausen; etwas weniger als die von Köln oder Wien oder genau so groß wie der Gardasee. Die Länge der Küstenenklave entspricht mit 40 Kilometern einer knappen Marathondistanz, die Breite variiert zwischen sechs und 12 Kilometern. 59 Kilometer ist die Grenze mit Israel lang, mit Ägypten sind es 13.
Vor der Staatsgründung Israels 1948 lebten dort 60.000 bis 70.000 Palästinenser. Durch Flucht und Vertreibung von Palästinensern, darunter solche aus Jaffa oder Ramla, verdreifachte sich über Nacht die Bevölkerungszahl auf etwa 200.000. Als Israel knapp 20 Jahre später den Streifen eroberte, lebten fast doppelt so viele Menschen dort: 394.000.2
Die 1-Million-Marke wurde 1998 überschritten, schätzt das Palestinian Central Bureau of Statistics. Die nächste Verdoppelung verzeichnet das Statistikamt für 2019/20. 2024 sollen es 2,41 Millionen sein.3 Während sich im Gazastreifen über 6.000 Menschen auf einem Quadratkilometer drängen, sind es in Bremen weniger als ein Drittel davon. Dramatischer ist es in acht Flüchtlingslagern des Streifens. Im Beach Camp, einen halben (!) Quadratkilometer groß, waren 2023 genau 90.713 Flüchtlinge registriert.4
Am Ende der Weihrauchstraße – oder: Wird Gaza in der Bibel erwähnt?
Die vier Buchstaben G a z a scheinen klangvoll und wecken die Vorstellung einer weit zurückreichenden, jahrtausendealten Geschichte. So wie bei Rom, Kairo oder St. Petersburg, Paris oder Jerusalem, Damaskus, Bagdad oder Salamanca.
Gaza, an der Via Maris (Meeresstraße) gelegen, war einst eine bedeutende Hafen- und Handelsstadt und Endpunkt der Weihrauchstraße, einer der ältesten Handelsrouten der Welt. Die Pharaonen kannten sie als Horus-Straße, auch das Alte Testament erwähnt sie. Dessen bekanntester Verweis auf Gaza steht im 13. Kapitel des Richter-Buches.
Demnach begab sich der Hebräer Samson (auch Simson), drittletzter Richter im alten Israel, der eine geradezu übermenschliche Kraft besaß, nach Gaza und verliebte sich in Delila. Die Philister drängten sie, das Geheimnis der Stärke Samsons herauszufinden. Sie brachte in Erfahrung, dass diese in seinem Haar gründete, und verriet ihn so. Samsons Haar wurde geschoren und er verlor seine Kraft; obendrein wurde er geblendet und zum Mahlen von Getreide gezwungen – eine entehrende Sklavinnenarbeit. Als sich einmal 3.000 Philister versammelten, ließen sie Samson holen, um sich an ihm zu belustigen. Samson, inzwischen mit nachgewachsenem Haar, umfasste die Mittelsäulen des Tempels und sprach: »Ich will mit den Philistern sterben.« Dann brachte er die Säulen zum Einsturz und damit in seiner Todesstunde mehr Menschen ums Leben als zu Lebzeiten.
Just im Herbst 2023 brachte das Theater Kiel Camille Saint-Saëns Oper Samson und Dalila in einer »brandaktuellen Operninszenierung« auf die Bühne, »bedrückend und zeitgemäßer denn je.«5 Denn Gaza sei ein Ort, »an dem seit mehr als drei Jahrtausenden Unfriede herrscht. Es ist so, als sei das im »Buch der Richter« Beschriebene eine Blaupause dafür, was sich erschreckend am 7. Oktober 2023 wiederholte.« Am Ende der Aufführung verkündete ein Schriftzug auf dem Vorhang: »3.000 Tote, darunter der Attentäter«.6
Welche Bedeutung hat Gaza für christliche Pilger?
Was, wenn nur jede fünfte Pilgergruppe, derer es in den letzten Jahrzehnten unzählige gab, auf dem Weg ins Heilige Land auch Gaza besucht hätte? Es hätte nicht nur Geld in den abgeriegelten, verarmten Küstenstreifen gebracht, sondern womöglich auch Wertschätzung, Lebensfreude und Hoffnung, Ideen und Anregungen.
Laut christlicher Überlieferung floh die Heilige Familie nach Ägypten und kehrte nach dem Tod von König Herodes über Gaza zurück. Am Nordeingang, so die fromme Tradition, rastete sie.
Ein halbes Jahrhundert später wirkte der Heilige Philippus in Gaza, wie es das achte Kapitel der Apostelgeschichte schildert. Dem äthiopischen Kämmerer legte er die Prophezeiungen des Alten Bundes aus und erklärte Jesu Botschaft derart überzeugend, dass dieser den Wunsch verspürte, sich taufen zu lassen. Ab Vers 37 heißt es: »Philippus aber sprach: Glaubst du von ganzem Herzen, so mag’s wohl sein. Er antwortete und sprach: Ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist. Und er hieß den Wagen halten, und beide stiegen hinab in das Wasser, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn.« Durch den Kämmerer, eine Art Staatsmann, gelangte das Evangelium nach Äthiopien.
Gegen Ende des 3. Jahrhunderts kam der Heilige Hilarion bei Gaza zur Welt, der Begründer des Mönchstums in Palästina. Das von ihm erbaute Kloster soll das älteste weltweit sei. Etwa zur selben Zeit ließ Kaiserin Helena ein Kloster in Deir al-Balah (südlich von Gaza-Stadt) erbauen. Im 5. Jahrhundert war Gaza mehrheitlich christlich. Auf der berühmten Mosaikkarte der Georgskirche von Madaba/Jordanien aus dem 6. Jahrhundert ist Gaza groß abgebildet – ein Hinweis auf seine Bedeutung. Der heilige Willibald, später Bischof von Eichstätt, pilgerte zwischen 723 und 727 auch nach Gaza und erwähnt eine St.-Matthias-Kirche.
Der Archäologe Pater Jean-Baptiste Humbert in Jerusalem versicherte mir, dass es im Gazastreifen Spuren von Hunderten Kirchen gebe. Wann wird man weiter ausgraben, wann Touristen und Pilger empfangen können?
Was ist über Gaza zwischen dem 7. und dem 20. Jahrhundert bekannt?
Etwa 635 erreichte der Islam Gaza. Dort soll einer Legende zufolge der Prophet im Mittelmeer gebadet haben. Die Ommayaden-Dynastie (Umayyaden) belebte zwischen 660 und 750 den Handel mit Mekka entlang der Weihrauchstraße aufs Neue. Damals war Gaza als »Hashems Gaza« bekannt: Hashem, der Großvater des Propheten, ist in Gaza begraben.
Die Kreuzritter eroberten unter Balduin I. Gaza, das sie Gadres nannten. 1170 entriss ihnen Saladin die Stadt. Unter mamelukkischer Herrschaft wurde sie Verwaltungssitz für den Küstenstreifen bis Cäsarea Maritima, zwischen dem heutigen Tel Aviv und Haifa. Die Stadt wuchs beträchtlich, laut Mou’in Sadeq, früher Generaldirektor für Tourismus, »mehr als in jeder anderen Epoche der islamischen Zeit«, weswegen Gazas Altstadt ein »Architekturparadies für Wissenschaftler und Touristen ist.«7
Nach der Pest von 1348, die viele hinwegraffte, erlebte die Stadt einen Niedergang. Durch Vasco da Gamas Entdeckung neuer Seewege nach Indien Ende des 15. Jahrhunderts büßte Gaza seine strategische Bedeutung ein. Die Menschen entwickelten nun die Landwirtschaft weiter. Dank besonders üppiger Getreideernten nannte man Gaza »das Meer des Weizens.« Berichte aus dem 15. Jahrhundert bezeugen die Existenz einer beträchtlichen jüdischen Gemeinde. 1660 wurde Gaza die Hauptstadt Palästinas.
Über die folgenden circa 140 Jahre ist nicht allzu viel bekannt. Erst mit Napoléon rückt es wieder in den Fokus des Interesses. Der Franzose erreichte 1798 mit 36.000 Soldaten und 167 Ingenieuren Ägypten und eroberte Alexandria und Kairo. Als das Osmanische Reich Napoléon den Krieg erklärte, zog dieser den Feinden entgegen. Dabei eroberte er Gaza und brannte die meisten Häuser nieder.
Endes des 19., Anfang des 20. Jahrhundert, unter Ägyptens Vorherrschaft, wuchs Gazas Bevölkerung von 16.000 (1885) auf 40.000 (1906); laut Baedekers Reiseführer hatte Jerusalem zur selben Zeit 60.000 Einwohner.
Wann fuhr...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2024 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Armee • Besatzung • Besetzte Gebiete • Frieden • Gaza-Krieg • Gazastreifen • Geschichte • HAMAS • Israel • Krieg • Massaker • Medien • Menschenrechte • Palästina • politischer Islam • Propaganda • Raketen • Terror • Tunnel • Waffen |
ISBN-10 | 3-89438-902-8 / 3894389028 |
ISBN-13 | 978-3-89438-902-4 / 9783894389024 |
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