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Über die Wahrheit (eBook)

Philosophieren mit Nicolai Hartmann

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
268 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-0221-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Über die Wahrheit -  Thomas Rolf
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Die Frage nach der Wahrheit ist ein zeitloses philosophisches Thema. Das Buch nimmt dieses Thema auf und präsentiert eine realistische Philosophie der Wahrheit. Unter Rückgriff auf die Neue Ontologie des heute nahezu vergessenen Denkers Nicolai Hartmann (1882-1950) geht es darum, die Idee der Wahrheit gegen skeptische und relativistische Auflösungsversuche zu verteidigen.

Dr. habil Thomas Rolf (*1967) ist freiberuflicher Philosoph. Er lebt in Marburg und arbeitet als Dozent für Philosophie an Universitäten sowie in Einrichtungen der Erwachsenenbildung.

1. WAHRHEIT UND ALLTÄGLICHKEIT


1. Natürlich gibt es die Wahrheit


Nichts von alldem, was ich bislang gehört oder gelesen habe, kann mich jemals irre machen: Natürlich gibt es die Wahrheit! Ich verstehe einfach nicht, wie man ernsthaft daran zweifeln kann. Und noch weniger verstehe ich, warum jemand daran zweifeln sollte.

Zweifelt denn wirklich jemand daran? Ernsthaft glauben kann ich das nicht. Doch um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Jedenfalls fällt mir auf, dass manche Menschen sich irgendwie unwissend stellen, wenn das Gespräch auf die Wahrheit kommt. Sie tun dann oft so, als wüssten sie gar nicht, worum es geht. Oder sie winken müde ab, als wollten sie sagen: »Was, bitte schön, soll das sein, die Wahrheit?«.

Ich finde dieses Verhalten ziemlich merkwürdig. Aber ich habe bislang nicht herausfinden können, warum manche Menschen so reagieren. Gibt es vielleicht tatsächlich eine Art Angst vor der Wahrheit, wie man heute gelegentlich hört?9 Doch wovor genau hat man da eigentlich Angst? Ich bin kein Psychologe, aber eins erscheint mir sicher: Wenn es eine solche Angst gibt, so beweist doch gerade jemand, der sie hat, dass er auf irgendeine Weise mit der Wahrheit vertraut ist. Denn wie könnte er Angst vor etwas haben, das ihm gänzlich unbekannt ist?

Und doch ist da diese merkwürdige Haltung des Nichtwissens, die ich immer wieder registriere. Vielleicht hat sie ja mit jener Idee von Freiheit zu tun, auf die sich heutige Menschen berufen, wenn sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung einfordern. Diese Freiheit, die durch Gesetze gewährt und in ihrem Umfang wiederum durch Gesetze eingeschränkt wird, erstreckt sich auf ganz verschiedene Meinungsinhalte. Und natürlich ist auch die Wahrheit von der Freiheit, etwas über sie zu meinen und zu äußern, nicht ausgenommen. Vielleicht existieren gerade deshalb so viele Meinungen darüber, was die Wahrheit ist, weil es schlicht erlaubt ist, darüber etwas zu meinen. Andererseits kann die Meinungsvielfalt für manche Menschen auch ein Grund zur Irritation sein: Meine ich nur etwas, oder liege ich mit meiner Meinung, die ja nur eine unter vielen ist, auch tatsächlich richtig?

Einige Menschen scheinen in dieser Hinsicht dermaßen verunsichert zu sein, dass sie, um sicher zu gehen, die Wahrheit einfach für inexistent erklären. Das ist der Punkt, an dem ich in den Diskussionen über das Thema die Segel streiche. Wenn in solchen Debatten, die von der Wahrheit doch geradezu getragen werden, die Existenz der Wahrheit bestritten wird: Wie kann man da eigentlich noch sinnvoll weiterdiskutieren? Natürlich müssen solche Gespräche die Wahrheit nicht zum Gegenstand haben; es kann inhaltlich auch um ganz andere Themen gehen. Das Gespräch wird aber letztlich sinnlos, wenn unter den Debattierenden die Überzeugung herrscht, dass es in der Angelegenheit, über man streitet, die Wahrheit ohnehin nicht gibt.10

Es sei dahingestellt, ob ein Zusammenhang zwischen persönlicher Meinung und persönlicher Unsicherheit tatsächlich besteht. Klar ist, dass aus der gesetzlich gewährten Freiheit der Meinungsäußerung nicht zwangsläufig eine Vielzahl unterschiedlicher Meinungen zu irgendeinem Thema resultieren muss – man kann sich durchaus auch einig sein.11 Klar ist auch, dass sich ein Meinungsgegenstand nicht dadurch vervielfältigt, dass es eine Vielzahl von Meinungsträgern gibt. Wer das behauptet, für den liegt alles im sprichwörtlichen Auge des Betrachters. Und da es stets mehrere Betrachter gibt, muss sich für jemanden, der so argumentiert, auch die Wahrheit in eine Vielzahl von Meinungen zerstäuben. Die Vorstellung, dass es so sein könnte, ist tatsächlich ein wenig beängstigend. Zumindest nährt sie die Zweifel an der Wahrheit erheblich. Aber keine Angst, so ist es nicht. Es handelt sich, wie wir noch sehen werden, nur um eine Vorstellung – und vorgestellte oder gemeinte Realität ist nicht identisch mit Realität als solcher. Das gilt übrigens grundsätzlich: »Der Begriff der Welt ist nicht die Welt«.12 Der Begriff ›Regen‹ etwa macht niemanden nass, wirklicher Regen dagegen schon.

Dass in Sachen Wahrheit jeder Mensch seine Auffassung hat, ist übrigens trivial: Wessen Meinung soll er auch sonst haben! Das gilt für jede Meinung, die jemand hat. Immer ist er selbst derjenige, der ›seine‹ Meinung vertritt. Aus dieser Tatsache folgt allerdings nichts, was für die Wahrheitsfrage von besonderer Bedeutung wäre. Vor allem sagt es nichts über die Anzahl der Inhalte, die in den diversen persönlichen Meinungen kursieren. Man muss also klar unterscheiden zwischen dem Vertreten einer Meinung einerseits und dem Inhalt der Meinung, die jemand vertritt, andererseits. Nahezu alle Streitigkeiten über das Thema ›Meinungsfreiheit‹ beruhen darauf, dass man diese beiden Aspekte des Meinens, also Äußerung und Inhalt, gedanklich nicht auseinanderhält.

So vergisst man etwa häufig, dass sich die Meinungsfreiheit unmittelbar nur auf das Äußern einer Meinung bezieht, nicht dagegen auf ihren Inhalt. Manche Meinungsinhalte darf man aus rechtlichen Gründen nicht äußern, dies ist durch Gesetze geregelt. Andere Inhalte wiederum darf man rechtlich gesehen zwar äußern, aber man kann sie, sofern man bei klarem Verstand ist, gar nicht ernsthaft meinen. Es gibt Leute, die der Auffassung sind, dass es außerhalb von Märchen und Sagen Gespenster gibt. Sie sind natürlich frei, dies zu meinen und zu äußern. Aber was sie da meinen, steht im Gegensatz zu dem, was der Fall ist, und was somit ernsthaft oder sinnvollerweise gemeint werden kann. Solche Meinungsinhalte sind nicht rechtlich verboten, doch sie verbieten sich gewissermaßen von selbst; da sie schlicht auf nichts zutreffen, gehen sie ins Leere. Dass sie dennoch gemeint werden können, liegt einfach daran, dass das Äußern von Unzutreffendem oder auch von Unsinn weder rechtlich verboten noch praktisch unmöglich ist. Es gibt, von einschlägigen Bestimmungen geltenden Rechts (etwa in Bezug auf Falschaussagen) abgesehen, kein Gesetz, das es den Menschen unmöglich macht, Falsches oder Unsinniges zu meinen und zu äußern. Gerade deswegen ist das heutige Leben so bunt an Meinungsinhalten. Jeder kann im Rahmen der Legalität meinen, was er will, und sei das Gemeinte auch noch so merkwürdig oder geradezu evident widersinnig.

Es ist wie gesagt nur eine Vermutung, dass der Zweifel an der Wahrheit irgendwie mit der Idee des Rechts auf freie Meinungsäußerung zusammenhängt. Vielleicht haben einige Menschen das Gefühl, ihre Freiheit sei gefährdet, wenn es die Wahrheit gibt – was dann allerdings darauf hindeuten würde, dass sie immerhin ein einigermaßen klar umrissenes Bild von der Wahrheit haben. Wie dem auch sei: Ich möchte meine Gedanken über die Wahrheit nicht gleich zu Beginn mit zu vielen Vermutungen belasten. Ich lasse es daher dahingestellt, ob es tatsächlich eine Angst vor der Wahrheit ist, die vor allem bei freiheitsliebenden Menschen zu Zweifeln an der Wahrheit führt.

Dass die Wahrheit auf eine noch näher zu bestimmende Weise für Verbindlichkeit sorgt, ahnt wohl jeder. Doch anstatt darüber zu spekulieren, welche Ängste mit dieser Ahnung verbunden sind, zitiere ich einen Satz von Aristoteles (384-322): »Nicht darum, weil unsere Meinung, du seist weiß, wahr ist, bist du weiß, sondern darum, weil du weiß bist, sagen wir die Wahrheit, indem wir dies behaupten«.13 Meinen, so will Aristoteles sagen, kann man vieles, und letztlich kann jeder Mensch meinen, was er will. Andererseits ist die Meinungsfreiheit in sachlicher Hinsicht dadurch begrenzt, dass die Wirklichkeit so ist wie sie ist – und eine Meinung kann daran nichts ändern. Man kann die Wirklichkeit mittels Meinungen zutreffend oder unzutreffend wiedergeben, aber man kann sie nicht durch Meinungsäußerungen manipulieren. Und erst recht wird eine Sache nicht dadurch, dass man zu ihr eine Meinung hat, zu dem, was sie ist. Meinungen beziehen sich auf Sachverhalte, aber diese beziehen sich nicht ihrerseits auf Meinungen. Übrigens ist keineswegs jeder Sachverhalt eine Tatsache. Dass ein Gespenst in meinem Haus ist, ist ein Sachverhalt, aber keine Tatsache. Es gibt keine Gespenster, »denn was es nur im Märchen gibt, gibt es nicht«.14

Welche Meinung inhaltlich wahr ist, liegt also nicht im Belieben der Meinenden. Vielmehr gilt, dass das Wahrsein eines Meinungsinhalts daran hängt, wie die Wirklichkeit beschaffen ist, die ihrerseits nicht auf menschliches Meinen angewiesen ist. Es mag sein, dass gerade moderne Menschen vor dieser Einschränkung ihrer Meinungen seitens der Realität Angst haben – dass sie also davor zurückschrecken, sich im Sprechen und Denken auf die Wirklichkeit, wie sie ist, einzulassen. Doch wie gesagt, ich möchte diesbezüglich nichts mutmaßen und auch keine anthropologischen oder sozialpsychologischen Spekulationen anstellen.

2. Instinkt und Expertise


Ebenso wenig wie Vermutungen möchte ich allgemein verbreitete...

Erscheint lt. Verlag 5.9.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Nicolai Hartmann • Ontologie • Philosophiegeschichte • Realismus • Wahrheit
ISBN-10 3-7597-0221-X / 375970221X
ISBN-13 978-3-7597-0221-0 / 9783759702210
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