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Promovieren in und für die Soziale Arbeit -

Promovieren in und für die Soziale Arbeit (eBook)

Erfahrungen aus Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus. Festschrift für Ruth Enggruber
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
203 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8483-2 (ISBN)
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Das Promotionsrecht für Hochschulen für angewandte Wissenschaften, das in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern beschlossen wurde, ist ein Meilenstein für die Entwicklung von Profession und Disziplin Sozialer Arbeit. Der Sammelband stellt den Weg dorthin dar, beleuchtet relevante Strukturen und bildet Kontroversen in der Debatte um das Promotionsrecht ab. Er erörtert nötige Rahmenbedingungen und ordnet die Bedeutung des Promotionsrechts für Disziplin und Profession ein. Zudem finden interessierte Nachwuchswissenschaftler:innen im Band Beispiele für das Promovieren in unterschiedlichen Kontexten und damit konkrete Inspiration und Orientierung für die eigenen Vorhaben.

Katharina Gosse, Prof. Dr., Professorin am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Düsseldorf. Arbeitsschwerpunkte: Theorien, Geschichte und Handlungskonzep-te der Sozialen Arbeit, insbesondere der Handlungsfelder der Jugendförderung, Kinder- und Jugendarbeit, Schulsozialarbeit, Ganztagsschule und erzieherischer Kinder- und Jugendschutz. Christian Bleck, Dipl.-Soz.Arb., Dr. phil., ist Professor für die Wissenschaft Soziale Arbeit im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften an der Hochschule Düsseldorf. Dr. Christoph Gille, Dipl. Sozialarbeiter/Sozialpädagoge, Vertretungsprofessor für Theorien der Sozialen Arbeit an der Hochschule Koblenz. Arbeitsschwerpunkte in Sozialer Arbeit und Sozialpolitik, trans- und internationaler Sozialer Arbeit sowie Fragen von Armut und Arbeitslosigkeit. Anne can Rießen, Dr. phil., Diplom Sozialarbeiterin, Professorin für Methoden Sozialer Arbeit am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Düsseldorf. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Partizipation und Demokratisierung Sozialer Arbeit, Nutzer:innenforschung, Sozialraumbezogene Soziale Arbeit.

So fing alles an


Unbekümmerter Realismus als Fundament für eine weitreichende Entwicklung

Ulrich Deller, Ulrich Mergner, Peter Schäfer

1.Der „Kairos“ – oder das Glück der Tüchtigen


2022 wurde das Promotionskolleg NRW offiziell begründet. Bis dahin war es ein langer Weg, der am Anfang von Einzelnen erkundet und gebahnt wurde. Wenn man im Nachhinein die Entwicklung verständlich und als konsequent, vielleicht sogar unausweichlich so verlaufend beschreiben möchte, ist es notwendig, sich vieler unterschiedlicher Einflüsse zu vergewissern. Das soll im Folgenden bezogen auf drei Aspekte geschehen. Zuerst wird deutlich, wie die Logik des Bologna-Systems in ihrer widersprüchlichen Weise sich letztlich als Unterstützung für die Realisierung der Perspektive „third level“, also Promotion, für Absolvent*innen der von Fachhochschulen getragenen Studiengänge Soziale Arbeit herausstellte. In einem zweiten Schritt lässt sich nachvollziehen, wie das Ringen um wissenschaftliche Qualität der Disziplin Sozialer Arbeit oft gar nicht von wissenschaftlichen Kriterien im eigentlichen Sinn getragen war, sondern vielfach von zum Teil partikularen Interessen. Insofern ist dieser Abschnitt auch ein Teil Wissenschaftsgeschichte. Im dritten Abschnitt dann wird diese Geschichtsschreibung wissenschaftspolitisch geankert, wobei sich zeigt, dass mit den bahnbrechenden Vorentscheidungen für die Realisierung des Graduierten-Kollegs NRW die interessengeleitete Diskussion nicht beendet war und ist.

In allem wird deutlich, dass diese Vorarbeiten an vielen Stellen erfolgreich sein konnten, weil die Zeit dafür reif war: es war der Kairos, den nutzen zu können auch ein Glück ist, es war der räumlich oder zeitlich günstige und passende Punkt, an dem die unterschiedlichen Kräfte zum Zusammenwirken gebracht werden konnten.

2.Hintergrund Bologna: unerwarteter und unkalkulierbarer Rückenwind


Die Ideen für eine Neuregelung der Promotionsmöglichkeiten von Fachhochschulabsolvent*innen müssen zunächst in den Kontext der Hochschulentwicklung allgemein in dieser Zeit gestellt werden.

„Von Ende der 1970er Jahre bis Mitte der 1990er Jahre dominierte die Überzeugung, dass eine stabile Zwei-Typen-Struktur des Hochschulwesens entstanden sei. Allerdings gab es auch ständig Anzeichen von Instabilität: so in Form von Versuchen seitens der Fachhochschulen, eine kollektive institutionelle Mobilität durch ein stärkeres Heranrücken an die Universitäten zu erreichen. „Eine ‚Gleichwertigkeit, aber Andersartigkeit‘ […] sollte durch eine stärkere Übernahme von – anwendungsnahen – Forschungsfunktionen, Reduzierung des Lehrdeputats, Annäherung der Gehälter von Fachhochschulprofessoren an die der Universitätsprofessoren, Verlängerung der offiziellen Studiendauer an Fachhochschulen von drei auf vier Jahre, Erleichterung des Übergangs von einem Fachhochschulabschluss zu einer Promotion u.a.m. realisiert werden“ (Teichler 2005, S. 15).

So war einer der Ausgangspunkte für die Überlegungen zum ersten Graduiertenkolleg „Widersprüche gesellschaftlicher Integration“ die Ausweitung der Studienzeit von sechs auf sieben und dann später auf acht Semester, im Bachelor-Master-System auf 6+4 bzw. 7+3 Semester. Das war vor allem vor dem Hintergrund der vorangegangenen hochschulpolitischen Entscheidungen ungewöhnlich. Denn damit wurde das grundsätzliche Paradigma gebrochen, das die Fachhochschulen als solche begründete. Diese Nivellierung der Unterschiede spiegelt sich auch in den Details wider. Die Rahmenprüfungsordnungen unterschieden sich in der Zweckbestimmung der abschließenden Diplom-Prüfungen an Fachhochschulen und Universitäten nicht mehr: sie bilden den „berufsqualifizierenden“ (!) Abschluss. Die Absolvent*innen sollen die Zusammenhänge des Faches überblicken, wissenschaftliche Methoden und Erkenntnisse anwenden können sowie die „für den Übergang in die Berufspraxis notwendigen gründlichen Fachkenntnisse erworben“ haben (Kultusministerkonferenz 2000, S. 22). Der besondere Unterschied zwischen den beiden Rahmenordnungen bestand jedoch darin, dass die Regelstudienzeit für die Fachhochschulen auf acht Semester begrenzt, für die Universitäten dagegen offengelassen wurde. In 2001 wurde dies auch für Soziale Arbeit bundesweit so geregelt (Kultusministerkonferenz 2001).

In den 2001 beschlossenen Veränderungen wurden die neuen Studienstrukturen BA und MA noch als Versuchsvorhaben verstanden: sie sollten „keineswegs sowie unverzüglich die bestehenden Diplom- und Magisterstudiengänge ersetzen“. 2001 waren bundesweit gerade mal ein Prozent der Studiengänge umgestellt (Kultusministerkonferenz 2006). In NRW war schon 2006 der überwiegende Teil der FH-Studiengänge auf die neuen Strukturen umgestellt bzw. befand sich in der Vorbereitung für die entsprechenden Akkreditierungsverfahren, woran man die Dynamik der Entwicklung ablesen kann. Die KMK bestätigte für 2006, dass 45 Prozent aller Diplom- und Magisterstudiengänge umgestellt waren. Die Annäherung, wenn schon nicht Angleichung der Studiengänge vor dem Hintergrund der neuen BA-MA-Strukturen schien nicht aufzuhalten zu sein.

Die ersten Planungen auf EU-Ebene zur Angleichung der Studienstrukturen sahen nur zwei Stufen vor: Im „Postgraduiertenzyklus könnte zwischen einem kürzeren Master-Studium und einer längeren Promotion mit Übergangsmöglichkeiten zwischen beiden gewählt werden“, heißt es in der sogenannten Sorbonne-Erklärung von 1998. Und ähnlich formuliert die Bologna-Erklärung ein Jahr später: „Der zweite Zyklus sollte, wie in vielen europäischen Ländern, mit dem Master und/oder der Promotion abschließen“ (Europäische Bildungsminister 1999).

Die Planung einer zweistufigen Studienstruktur wurde aber schon 2003 in der Berliner Erklärung ad acta gelegt (Kommuniqué der europäischen Hochschulministerinnen und -minister 2003). Das geschah nicht explizit, sondern en passant: „Die Abschlüsse des ersten Studienzyklus sollten im Sinne des Lissabon-Abkommens den Zugang zum zweiten Zyklus, Abschlüsse des zweiten Zyklus den Zugang zum Doktorandenstudium ermöglichen“. Die offizielle Veröffentlichung der EHEA (European Higher Education Area) formulierte das 2008 so:

„Doctoral education – generally corresponding to a workload of 3–4 years full time – was introduced to the Bologna Process as the third cycle by Ministers in 2003, when they agreed that: The core component of doctoral training should be the advancement of knowledge through original research; doctoral programmes should promote interdisciplinary training and the development of transferable skills to meet the needs of the wider labour market; participants in third cycle programmes should be considered both students and early stage researchers; and more doctoral candidates should be encouraged to take up research careers within the European Higher Education Area“ (Austrian Federal Ministry of Science and Research o. J.).

Auch für die Fachbereiche der Sozialen Arbeit in NRW – die zunehmend aus dem Zusammenschluss von Sozialarbeits- und Sozialpädagogik-Fachbereichen entstanden – war damit das Programm aufgestellt. Schon sehr früh war einigen Verantwortlichen bewusst, dass die Implementierung der BA-Struktur nicht nur eine MA-Struktur auf FH-Ebene parallel oder zumindest sehr zeitnah notwendig machte. Einige Fachbereiche der Sozialen Arbeit in NRW griffen deswegen darüber hinaus die Empfehlungen der KMK von 2003 auf und ließen ihre MA-Studiengänge „forschungsorientiert“ akkreditieren (Kultusministerkonferenz 2003), was intern zu nicht unerheblichen...

Erscheint lt. Verlag 4.9.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
ISBN-10 3-7799-8483-0 / 3779984830
ISBN-13 978-3-7799-8483-2 / 9783779984832
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