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Grundlagen und Schwerpunkte des Kinder- und Jugendhilferechts (SGB VIII) für die Soziale Arbeit -  Walter Röchling

Grundlagen und Schwerpunkte des Kinder- und Jugendhilferechts (SGB VIII) für die Soziale Arbeit (eBook)

Aufgaben, Intervention und Mitwirkung unter dem Aspekt von Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
143 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8504-4 (ISBN)
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Das Buch gibt einen fundierten rechtlichen Überblick über die Themenbereiche Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung, Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen, die Mitwirkung in Verfahren vor den Familiengerichten sowie die Stärkung des Kinderschutzes durch das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz - Themenbereiche in der Kinder- und Jugendhilfe, in denen das Wohl des Kindes und die Gefährdung des Kindeswohls als maßgebliche Aspekte im Mittelpunkt der gesetzlichen Regelungen stehen. In einem weiteren Kapitel wird die rechtliche Stellung des Kindes in den entsprechenden Gesetzesmaterien skizziert.

Walter Röchling, Jg. 1948, Dr. jur., Familienrichter und Betreuungsrichter a.D., Honorarprofessor an der Hochschule Niederrhein/Fachbereich Sozialwesen. Fachgebiet: Institutionalisierte Soziale Arbeit in Familien- und Jugendhilfesachen einschließlich Verfahrensrecht. Lehrbeauftragter für Familienrecht, Kinder- und Jugendhilferecht sowie Familienverfahrensrecht. Dozent in der beruflichen Fortbildung.

3.Die Risikoeinschätzung beim Schutzauftrag


3.1 


Jedwede Tätigkeit des Jugendamtes gem. § 8a SGB VIII setzt voraus, dass „gewichtige Anhaltspunkte“ für eine Kindeswohlgefährdung bestehen und dem Jugendamt bekannt werden. Eine Gefährdung des Kindeswohls (§ 1666 BGB) i. S. d. § 8a SGB VIII ist anzunehmen, wenn bei einem Kind/Jugendlichen ein körperlicher, geistiger oder seelischer Schaden eingetreten ist oder eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr besteht, dass sich bei seiner weiteren Entwicklung (ohne Intervention) eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (Grüneberg/Götz § 1666 RN 8 m. w. N.). „Gewichtige Anhaltspunkte“ sind gegeben, wenn Indizien mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf eine Kindeswohlgefährdung hindeuten, wenn also Hinweise oder Anzeichen den Verdacht auf eine Gefährdung des Kindes/Jugendlichen nahelegen bzw. als möglich erscheinen lassen. Die Pflicht zur Risikoeinschätzung ist also der (gerichtlichen) Eingriffsschwelle des § 1666 BGB sehr deutlich vorgelagert, ebenso der Einschätzung einer „möglichen“ Kindeswohlgefährdung, die das Gericht gem. § 157 FamFG zum Anlass einer Erörterung mit den Beteiligten nehmen soll.

Die kindeswohlgefährdenden Anhaltspunkte müssen dem Jugendamt zur Kenntnis gelangen, wobei die Art und Weise – z. B. durch anonyme Hinweise – unerheblich ist (Tillmanns, MüKo, § 8a SGB VIII RN 3). Ohne (konkrete) Anhaltspunkte ist das JA weder verpflichtet noch berechtigt, ermittelnd tätig zu werden (ebd.); allerdings besteht die Pflicht, in einer ersten Prüfungsphase jede Information daraufhin zu überprüfen, ob sie gewichtige Anhaltspunkte enthält – andernfalls blieben weniger konkrete und aussagekräftige Hinweise von vornherein unberücksichtigt (Wiesner § 8a SGB VIII RN 14c). Deshalb können auch Hinweise genügen, die erst beim Hinzutreten weiterer Umstände zu einer Kindeswohlgefährdung führen könnten (Tillmanns, MüKo, § 8a SGB VII RN 3).

Eine Übersicht über „gewichtige Anhaltspunkte“ enthalten verschiedentliche fachliche Empfehlungen, so z. B. die „Anlage zur Vereinbarung zwischen Jugendamt und Träger zur Sicherstellung des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII“ vom 12.07.2012, Landesjugendamt Bayern (Checkliste), K 3.0 Anhaltspunkte – KWG Erkennen – Landkreis Zwickau https://www.landkreis-zwickau.de/download/jugend_schule/K30.pdf (Checkliste, Abruf: 20.03.2024).

3.2 


Zumeist setzt eine fundierte Risikoeinschätzung weitere Informationen zur Gefährdungseinschätzung voraus. Zur Beschaffung solcher Informationen ist das Jugendamt prinzipiell berechtigt und verpflichtet – auch gegen den Willen der Betroffenen. Die Erhebung entsprechender Daten ist datenschutzrechtlich gem. § 62 Abs. 3 Nr. 2d SGB VIII zulässig.

§ 62 SGB VIII

Datenerhebung

(1) Sozialdaten dürfen nur erhoben werden, soweit ihre Kenntnis zur Erfüllung der jeweiligen Aufgabe erforderlich ist.

(2) Sozialdaten sind bei der betroffenen Person zu erheben. Sie ist über die Rechtsgrundlage der Erhebung sowie die Zweckbestimmungen der Verarbeitung aufzuklären, soweit diese nicht offenkundig sind.

(3) Ohne Mitwirkung der betroffenen Person dürfen Sozialdaten nur erhoben werden, wenn

1. eine gesetzliche Bestimmung dies vorschreibt oder erlaubt oder

2. ihre Erhebung bei der betroffenen Person nicht möglich ist oder die jeweilige Aufgabe ihrer Art nach eine Erhebung bei anderen erfordert, die Kenntnis der Daten aber erforderlich ist für

a) die Feststellung der Voraussetzungen oder für die Erfüllung einer Leistung nach diesem Buch oder

b) die Feststellung der Voraussetzungen für die Erstattung einer Leistung nach § 50 des Zehnten Buches oder

c) die Wahrnehmung einer Aufgabe nach den §§ 42 bis 48a und nach § 52 oder

d) die Erfüllung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung nach § 8a oder die Gefährdungsabwendung nach § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz oder

3. die Erhebung bei der betroffenen Person einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt werden oder

4. die Erhebung bei der betroffenen Person den Zugang zur Hilfe ernsthaft gefährden würde.

(4) Ist die betroffene Person nicht zugleich Leistungsberechtigter oder sonst an der Leistung beteiligt, so dürfen die Daten auch beim Leistungsberechtigten oder einer anderen Person, die sonst an der Leistung beteiligt ist, erhoben werden, wenn die Kenntnis der Daten für die Gewährung einer Leistung nach diesem Buch notwendig ist. Satz 1 gilt bei der Erfüllung anderer Aufgaben im Sinne des § 2 Absatz 3 entsprechend.

In einem vom Verwaltungsgericht Münster entschiedenen Fall setzte sich das Gericht mit der Frage der Berechtigung des Jugendamtes zur präventiven Abschätzung des Gefährdungsrisikos auseinander. Dabei ging es um folgenden Sachverhalt: Im Mai 2007 teilte das Sozialamt der Stadt dem Jugendamt (dem Beklagten) mit, dass der verheiratete Kläger – Vater eines (zum Entscheidungszeitpunkt des Gerichts im Jahre 2009) vierjährigen Kindes – mit seiner Familie auf weitere Gewährung von Sozialhilfe verzichtet habe und wies darauf hin, dass nicht bekannt sei, wie der Lebensunterhalt der Familie sichergestellt werde; die Mutter sei gesundheitlich eingeschränkt und der Vater psychisch krank. Das Sozialamt bat darum, den kommunalen Sozialdienst einzuschalten, um eine Gefahr für das Kind auszuschließen.

Daraufhin unternahm das Jugendamt (der Beklagte) zwei unangemeldete Hausbesuche. Bei dem zweiten Besuch erklärte der Kläger gegenüber den Mitarbeitern des Kommunalen Sozialdienstes an der Haustür, seinem Sohn gehe es sehr gut, eine Augenscheinnahme des Kindes schließe er aus. Mit einem dem Kläger beim zweiten Hausbesuch übergebenen Schreiben wies der Beklagte den Kläger und seine Ehefrau auf die Mitteilung des Sozialamts sowie u. a. darauf hin, das Jugendamt müsse Hinweisen nachgehen, die sich auf eine Vernachlässigung bzw. Gefährdung von Kindern bezögen oder auf eine Überforderung der Eltern schließen ließen, und lud den Kläger und seine Ehefrau zu einem Gespräch ein, um gemeinsam mit ihnen ein mögliches Gefährdungsrisiko ihres Kindes einschätzen zu können. Daraufhin wandte sich der Kläger u. a. wie folgt schriftlich an den Beklagten: Dass das Jugendamt nicht wisse, wie der Lebensunterhalt der Familie sichergestellt sei, begründe ebenso wenig gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung wie das Wissen um den früheren Gesundheitszustand der Eltern. Auch in der Vergangenheit hätten sie problemlos für das Wohl des Kindes sorgen können. Der Kinderarzt sei mit der Entwicklung des Kindes sehr zufrieden. Die Untersuchungen seien bisher unauffällig gewesen. Der Staat habe nicht das Recht, in die Privatsphäre der Familie einzugreifen, solange die gesetzlichen Ausnahmeregelungen nicht griffen.

Der Beklagte regte deshalb beim Amtsgericht (Familiengericht) eine Anhörung an, da die...

Erscheint lt. Verlag 4.9.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
ISBN-10 3-7799-8504-7 / 3779985047
ISBN-13 978-3-7799-8504-4 / 9783779985044
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