Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Umsetzung mit Software und künstlicher Intelligenz (eBook)
295 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8673-7 (ISBN)
Udo Kuckartz, Jg. 1951, Dr. Phil. M.A., ist emeritierter Professor für empirische Erziehungswissenschaft und Methoden der Sozialforschung an der Philipps-Universität Marburg und Leiter der Marburger Arbeitsgruppe für Methoden und Evaluation (MAGMA).
1Grundlagen der Methode „Qualitative Inhaltsanalyse“
In diesem Kapitel erfahren Sie etwas über
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die Unterscheidung von qualitativen und quantitativen Daten,
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die Merkmale von qualitativer, quantitativer und Mixed-Methods-Forschung,
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die grundlegenden Probleme des Verstehens von Texten und hermeneutische Zugänge,
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die zentrale Stellung der Forschungsfragen für die Analyse,
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die Notwendigkeit von methodischer Strenge, auch in der qualitativen Forschung,
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die Geschichte der qualitativen Inhaltsanalyse,
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wichtige Kennzeichen qualitativer Inhaltsanalyse und ihre Definition sowie typische Datenarten und
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relevante methodologische Aspekte.
1.1Qualitative Daten, quantitative Daten – einige notwendige Vorbemerkungen
In diesem Buch geht es um Methoden zur Analyse qualitativer Daten, doch was ist überhaupt unter „qualitative Daten“ und dem komplementären Begriff „quantitative Daten“ zu verstehen ? Während der Begriff „quantitative Daten“ – auch von Laien – ohne Umschweife mit Zahlen, Statistiken und im ökonomischen Bereich möglicherweise mit Kosten assoziiert wird, ist der Begriff „qualitative Daten“ nicht gleichermaßen selbsterklärend, denn er hat in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen wie auch im Alltagsleben sehr verschiedene Bedeutungen. Im Bereich des Personalwesens umfasst er beispielsweise solche Bereiche wie Mitarbeiterzufriedenheit, Leistungsbereitschaft oder Betriebsklima – im Gegensatz zu den quantitativen (harten) Daten wie etwa Personalkosten, Mitarbeiterzahl etc. In der Geographie sind die Einwohnerzahlen von verschiedenen Gemeinden typische quantitative Daten, während es sich bei der Einteilung einer Gemeinde nach Nutzungszonen um qualitative Daten handelt. Etwas verwirrend ist, dass in der Methodenliteratur über die Analyse quantitativer Daten häufig auch kategoriale nominalskalierte Variablen als qualitative Daten bezeichnet werden, d. h., es handelt sich hierbei also um einen Datentyp aus dem Bereich standardisierter quantitativ orientierter Forschung. Dementsprechend findet man dort auch den Begriff „qualitative Analyseverfahren“ für Formen der statistischen Analyse solcher kategorialer Daten, so etwa in Wolf und Best (2010).
Im Rahmen dieses Buches soll mit folgender pragmatischer Definition von quantitativen und qualitativen Daten gearbeitet werden:
Als quantitative Daten werden numerische Daten, also Zahlen, bezeichnet.
Qualitative Daten sind demgegenüber vielfältiger, es kann sich um Texte, aber auch um Videos, Bilder, Fotografien, Audioaufzeichnungen, kulturelle Artefakte und anderes mehr handeln.
Trotz der Multimedia-Revolution, die in den letzten Dekaden stattgefunden hat, und trotz der allerorten diagnostizierten epochalen Verschiebung zum Visuellen in unserer Kultur, sind es im Bereich der Sozialwissenschaften, der Psychologie und der Erziehungswissenschaften nach wie vor Texte, die den dominierenden Typ qualitativer Daten darstellen. Die im Folgenden vorgestellten Methoden qualitativer Inhaltsanalyse sind für den Datentyp „Text“ konzipiert und in den dargestellten Beispielen werden auch ausnahmslos Texte verwendet, prinzipiell sind die Methoden allerdings ebenso auf andere Arten qualitativer Daten wie Videos, Bilder oder Fotos übertragbar.
Anders als dies in der Methodenliteratur häufig geschieht, betrachten wir qualitative Daten keineswegs als Daten von minderer Qualität. Die Vorstellung, dass es analog zur Wertigkeit von Skalen – zuunterst Nominal-, dann Ordinal- und zuoberst Intervallskala – auch eine Wertigkeit von Analyseformen gäbe und die eigentliche Wissenschaft erst mit Quantifizierung und der statistischen Analyse quantitativer Daten beginnen würde, erscheint uns abwegig und wird durch einen Blick in andere wissenschaftliche Disziplinen eindeutig widerlegt. In vielen Wissenschaftszweigen, nicht zuletzt in der Klimaforschung, der Geo-Physik und der Medizin wird mit nicht-numerischen Daten gearbeitet, beispielsweise im Bereich der hoch entwickelten bildgebenden Verfahren der Medizin (MRT, MRI, NMRI etc.). Qualitative Daten sind keineswegs eine schwache Form von Daten, sondern eine andere Form, die auch andere nicht minder komplexe und methodisch kontrollierte Analyseverfahren erfordern.
In diesem Kontext ist auch der Hinweis von Bernard und Ryan (2010, S. 4 – 7) auf die Mehrdeutigkeit des Begriffs „qualitative data analysis“ (qualitative Datenanalyse) bedeutsam. Diese lässt sich sofort erkennen, wenn die drei Wörter „qualitative“, „data“ und „analysis“ auf unterschiedliche Weise zusammengeklammert werden. Während mit „(qualitative data) analysis“ die Analyse von qualitativen Daten – also im obigen Sinne von Texten, Bildern, Filmen etc. – gemeint ist, bedeutet „qualitative (data analysis)“ die qualitative Analyse von Daten aller Art – also sowohl von qualitativen wie von quantitativen Daten. Folgt man dieser Differenzierung von Daten und Analyse ergibt sich folgende Vier-Felder-Tafel1:
qualitative Daten | quantitative Daten |
qualitative | A Interpretative Textanalyse, Hermeneutik, Grounded Theory etc. | B Suche und Darstellung der Bedeutung von Resultaten quantitativer Verfahren |
quantitative | C Transformation von Worten in Zahlen, quantitative Inhaltsanalyse, Worthäufigkeiten, Wortlisten etc. | D Statistische und mathematische Analyse numerischer Daten |
Tab. 1 Qualitative und quantitative Daten und Analyse (nach Bernard & Ryan, 2010, S. 4)
Das Feld A (oben links) und das Feld D (unten rechts) erscheinen uns wohlbekannt: Feld A beinhaltet die qualitative Analyse von qualitativen Daten, etwa in Form hermeneutischer Analysen, der Grounded Theory oder anderer qualitativer Analysemethoden. Feld D, die quantitative Analyse von quantitativen Daten, ist uns ebenfalls vertraut. Dies geschieht unter Einsatz von statistischen Verfahren, also der typischen Analyseweise für quantitative Daten. Die Tabelle zeigt allerdings auch zwei zunächst nicht erwartete Kombinationen, nämlich die qualitative Analyse von quantitativen Daten (Feld B) und die quantitative Analyse von qualitativen Daten (Feld C). Letztere kann etwa in der Auswertung der Häufigkeit von Wörtern und Wortkombinationen bestehen. Die qualitative Analyse von...
Erscheint lt. Verlag | 2.9.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Soziologie |
ISBN-10 | 3-7799-8673-6 / 3779986736 |
ISBN-13 | 978-3-7799-8673-7 / 9783779986737 |
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