Enttarnt (eBook)
256 Seiten
Wörterseh Verlag
978-3-03763-851-4 (ISBN)
Thomas Knellwolf war nach seinem Lizenziat in Geschichte für verschiedene Medien tätig, ehe er sich 2006 als Korrespondent beim »Tages-Anzeiger« anstellen liess. Nach drei Jahren wechselte er ins Reporterteam und leitete später das Tamedia-Recherchedesk. Seit 2021 arbeitet er für den »Tages-Anzeiger« als Bundeshaus-Korrespondent mit Schwerpunkt Justiz und Nachrichtendienst. Thomas Knellwolf ist Autor des Buches »Die Akte Kachelmann« (Orell Füssli) und Co-Autor des bei Wörterseh erschienenen Bestsellers »Lockdown«.
Thomas Knellwolf war nach seinem Lizenziat in Geschichte für verschiedene Medien tätig, ehe er sich 2006 als Korrespondent beim »Tages-Anzeiger« anstellen liess. Nach drei Jahren wechselte er ins Reporterteam und leitete später das Tamedia-Recherchedesk. Seit 2021 arbeitet er für den »Tages-Anzeiger« als Bundeshaus-Korrespondent mit Schwerpunkt Justiz und Nachrichtendienst. Thomas Knellwolf ist Autor des Buches »Die Akte Kachelmann« (Orell Füssli) und Co-Autor des bei Wörterseh erschienenen Bestsellers »Lockdown«.
Der Fall »Georg«
Willkommen im Spionageparadies Schweiz
Wer hier spioniert, hat gute Chancen, nicht erwischt zu werden. Allerdings sollte man dabei nicht unbedingt Sonnenbrille tragen.
Sein Name war Merebaschwili. George Merebaschwili. Der Georgier war mein erster Spion. Kein besonders erfolgreicher. Zumindest nicht in der Schweiz. Dieser George Merebaschwili flog am 9. April 2012 nach Zürich – und am nächsten Tag auf. So etwas passiert äusserst selten.
Überhaupt wird in der Schweiz kaum jemand enttarnt, obwohl ausländische Agentinnen und Agenten hier recht fleissig am Werk sind. Die einen nehmen frischfröhlich die Forschungseinrichtungen oder den Finanzplatz des wirtschaftlich potenten Landes ins Visier. Andere zielen auf die Schweizer Diplomatie ab, da die Eidgenossenschaft immer wieder als Vermittlerin in globalen Konflikten auftritt. Im Fokus der Geheimdienste stehen aber vor allem die internationalen Organisationen, von denen es in der Schweiz sehr viele gibt. Wer hier spionieren möchte, kann dies weitgehend ungehindert tun, denn eine diplomatische Tarnung ist leicht erhältlich.
Am meisten davon Gebrauch machen die mächtigsten Staaten der Welt. Die USA, China und Russland unterhalten – neben ihren Botschaften in Bern mit je fünfzig und mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – in Genf UN-Missionen mit je rund hundertfünfzig Diplomatinnen und Diplomaten und darüber hinaus zusätzlichen Angestellten. Viele – auszugehen ist von einem Viertel bis zu einem Drittel – haben einen nachrichtendienstlichen Hintergrund. Dank ihren Akkreditierungen als Botschafts- oder Konsulatspersonal oder als Vertreterinnen und Vertreter bei internationalen Organisationen wie der Weltgesundheits- oder der Welthandelsorganisation geniessen die Agentinnen und Agenten diplomatische Immunität und damit weitgehenden Schutz vor Strafverfolgung. Kein Wunder, dass Genf neben Brüssel und Wien als europäischer Nachrichtendienst-Hotspot gilt.
Zwei Rivalen vereint
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, weshalb die Schweiz sich zu einem Spionageparadies entwickelt hat: Die Abwehr ist schwach. Diese Feststellung ist amtlich, denn sie stammt von der Behörde, die ausländische Geheimdienstaktivitäten eigentlich bekämpfen müsste. Der dafür zuständige Nachrichtendienst des Bundes, kurz NDB, zeichnet ein düsteres Bild seiner eigenen Kapazitäten in der Spionageabwehr: Es gebe, so heisst es in einem internen Bericht, »erhebliche Wissenslücken in Bezug auf die nachrichtendienstlichen Aktivitäten anderer Nachrichtendienste in der Schweiz«. Man sei auf Hinweise von Partnerdiensten angewiesen und müsse sich meist mit einer reaktiven Rolle begnügen.
Diese Analyse stammt von 2011 – könnte in weiten Teilen aber heute noch gelten, auch wenn es inzwischen mehr Personal gibt. Damals, als Merebaschwili in Zürich enttarnt worden war, gab es den Nachrichtendienst des Bundes erst seit etwas mehr als einem Jahr. Der NDB war 2010 das Ergebnis einer Zwangsfusion zweier Rivalen: des für das Ausland verantwortlichen Strategischen Nachrichtendiensts (SND) und des für Spionage- und Terrorabwehr sowie Bekämpfung von Gewaltextremismus im Inland zuständigen Diensts für Analyse und Prävention (DAP).
Anfangs verfügte der neu geschaffene Dienst über 237 Vollzeitstellen. Nur etwa zehn Prozent seines Personals – knapp zwanzig Personen – setzte der NDB für die Spionageabwehr ein (und noch einmal so viel für die Cyberabwehr, also die Bekämpfung von Hackerangriffen und Ähnlichem). Demnach hatte man damals kaum sehr energisch versucht, die Wissenslücken zu stopfen und illegale Nachrichtendienst-Aktivitäten einzudämmen. Der Schwerpunkt der Geheimdienstarbeit lag auf der Bekämpfung von Terrorismus. In den Anfangsjahren war al-Qaida das vorherrschende Thema beim NDB, später der sogenannte Islamische Staat (IS). Diese Ausrichtung der Arbeit war angesichts von radikalislamisch motivierten Anschlägen in Nachbarländern zu keiner Zeit umstritten.
Zwar verdoppelte sich die Zahl der NDB-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter im Laufe der Jahre beinahe. Für das Jahr 2024 sind 434 Vollzeitstellen budgetiert. Im internationalen Vergleich bleibt der Schweizer Dienst aber klein. In Deutschland weisen das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst (BND) aktuell zusammen rund elftausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus. In Frankreich beschäftigen der Inland- und der Auslandnachrichtendienst gemeinsam mindestens ebenso viele Personen. Damit verfügt Deutschland auf nationaler Ebene über hundertdreissig Nachrichtendienst-Angestellte pro eine Million Einwohnerinnen und Einwohner, in Frankreich sind es sogar rund hundertsechzig – in der Schweiz hingegen nur gerade rund fünfzig.
Die Zahlen lassen sich allerdings nur bedingt vergleichen, da Deutschland und Frankreich auch Teilzeitstellen ausweisen, die Schweiz aber nur Vollzeitstellen. Hinzu kommt, dass die Dienste unterschiedliche Aufgaben haben und dass es in allen drei Staaten weitere Nachrichtendienste gibt. In Deutschland zum Beispiel die Landesämter für Verfassungsschutz, wobei allein schon jenes des Bundeslands Nordrhein-Westfalen über fünfhundert Bedienstete verfügt, was grössenmässig etwa dem Schweizer NDB mit 434 Vollzeitstellen entspricht. Aber auch die Schweiz hat ein weiteres landesweites nachrichtendienstliches Netz, das ganz nützlich, wenn auch eher klein ist: Der Staat finanziert über den Nachrichtendienst des Bundes zusätzlich aktuell rund zweihundert Staatsschutzstellen bei den Kantonspolizeien; zudem gibt es den Militärischen Nachrichtendienst (MND), der aus einer kleinen Truppe von Profis sowie einer grösseren Anzahl Milizlern besteht, die hier ihren Militärdienst leisten.
Drangsaliert und ungeschützt
Ganz konkret befassen sich momentan in der Schweiz allerdings – und das ist noch grosszügig gerechnet – höchstens sechzig Personen mit der Spionageabwehr. Allein schon Russland hat damit mehr diplomatisches Personal mit nachrichtendienstlichen Absichten in der Schweiz stationiert, als es Schweizer Personal für Gegenoperationen gibt. Und zusätzlich lässt Russland, wie andere Länder auch, fleissig Agenten mit Spezialaufträgen in die Schweiz einfliegen.
Aufgrund der geringen schweizerischen Ressourcen blieben bis heute die allermeisten ausländischen Geheimdienstaktivitäten unbeobachtet – und damit auch ungeahndet. Die kleine Schweizer Spionageabwehr konzentriert sich notgedrungen auf die Länder, die nachrichtendienstlich besonders dreist agieren, allen voran Russland und China. Doch selbst im Fall der Volksrepublik musste der NDB beispielsweise trotz zahlreichen Hinweisen darauf verzichten, im Detail aufzuklären, wie die tibetische Diaspora in der Schweiz ausgeforscht wurde. An deren Demonstrationen tauchten über Jahre immer wieder Personen auf, die das Geschehen filmten und fotografierten. Um dagegen vorzugehen, hatte die Schweizer Spionageabwehr nicht genügend Kapazitäten. Die Eidgenossenschaft konnte somit einem Teil ihrer Wohnbevölkerung, den Tibeterinnen und Tibetern, nicht den Schutz bieten, auf den sie Anspruch gehabt hätte.
Gleiches trifft auch auf türkische Oppositionelle zu, wie etwa Angehörige der PKK. Die kurdische Arbeiterpartei gilt in der Schweiz im Unterschied zu anderen Ländern nicht als Terrororganisation. Der NDB weiss zwar, dass Kurdinnen und Kurden ausspioniert und drangsaliert werden und dass die PKK hierzulande ebenfalls mit Geheimdienstmethoden aktiv ist. Aber das Personal reicht für Gegenmassnahmen einfach nicht aus.
Doch zurück zu meinem ersten Spion, dem Georgier Merebaschwili. Georgien war 2012 alles andere als ein Schwerpunkt der Schweizer Miniabwehr. Denn der Geheimdienst jenes Landes galt bis dahin als hierzulande inaktiv. Dem NDB wäre also komplett entgangen, was sich am 10. April 2012 in Zürich abspielte, hätte George Merebaschwili nicht derart dilettantisch agiert.
Ortskenntnis: null
An jenem trüben Apriltag war es dem georgischen Geheimdienstdienst darum gegangen, fernab der Heimat die politische Opposition auszuforschen. Aus diesem Grund wurden Merebaschwili und sein Vorgesetzter Ermaloz Ebanoidse in die Schweiz geschickt. Die Zielpersonen: ein georgischer Journalist, der in der Schweiz Asyl erhalten hatte und nun im Kanton Neuenburg lebte, sowie zwei georgische Oppositionelle, die diesen Journalisten treffen wollten. Der Hintergrund: Der Journalist hatte kurz zuvor online ein Mordkomplott publik gemacht. Umgebracht werden sollte demnach Bidsina Iwanischwili, jener Oppositionsführer, der die Politik in Georgien bald auf Jahre hinaus dominieren sollte. Iwanischwili war wegen der Enthüllung höchst beunruhigt und schickte zwei Vertraute, ebenjene Oppositionellen, in die Schweiz, um von dem Journalisten mehr über die angeblichen Attentatspläne zu erfahren.
Von dem geplanten Treffen zwischen dem Journalisten und den beiden Iwanischwili-Leuten hatte auch der georgische Geheimdienst erfahren, da er die Opposition im Land überwachte. Er entschied, auch die Zusammenkunft in der fernen Schweiz zu observieren. Und so flogen am 9. April 2012 nicht nur die beiden georgischen Oppositionellen nach Zürich, sondern auch die Agenten Merebaschwili und Ebanoidse.
Nach ihrer Ankunft in Zürich nahmen sich die Spione ein Doppelzimmer im »Marriott«, das gleich hinter dem Hauptbahnhof liegt. Am nächsten Morgen postierten sie sich dann in der Lobby ihres Hotels, wo sich der exilierte Journalist und die beiden...
Erscheint lt. Verlag | 13.10.2024 |
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Verlagsort | Lachen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Agenten • Aussenpolitik • Bern • Bundesanwaltschaft • CIA • EDA • Entführung • Forschungsstandort • Geheimdienst • Geheimdienste • Genf • Hacker • Internationale Organisationen • Justiz • Konflikte • Mossad • Nachrichtendienst • Nachrichtendienste • Nahostkonflikt • NSA • Regierungen • Schweiz • Spionage • Spitzel • UNO • Vereinte Nationen • Wirtschaftsstandort |
ISBN-10 | 3-03763-851-6 / 3037638516 |
ISBN-13 | 978-3-03763-851-4 / 9783037638514 |
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