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Lasst uns offen reden! (eBook)

Warum die Demokratie furchtlose Debatten braucht | »Constantin Schreiber trifft wirklich punktgenau in und auf Probleme, die unsere Gesellschaft gerade hat.« Klaus Brinkbäumer, mdr Riverboat
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
128 Seiten
Hoffmann und Campe (Verlag)
978-3-455-01811-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lasst uns offen reden! -  Constantin Schreiber
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»Constantin Schreiber trifft wirklich punktgenau in und auf Probleme, die unsere Gesellschaft gerade hat.« Klaus Brinkbäumer, mdr Riverboat Klimakrise, Kriege, Inflation, Migration - Deutschland steht vor großen Herausforderungen und Fragen, die dringend zukunftsweisende Antworten brauchen. Zugleich wird der öffentliche Diskurs immer stärker durch Schwarz-Weiß- und Freund-Feind-Denken geprägt; manche Meinung oder Wortmeldung führt direkt in einen Shitstorm. Tagesschau-Sprecher Constantin Schreiber, der diese Entwicklung am eigenen Leib erfahren hat, legt mit diesem alarmierenden Buch den Finger in die Wunde unserer zunehmenden Diskursunfähigkeit und führt eindringlich vor Augen, warum wir die Krisen unserer Zeit nur dann bewältigen können, wenn wir uns trauen, uns gegenseitig wieder mehr zu sagen.

Constantin Schreiber, Jahrgang 1979, moderiert seit Januar 2021 die »Tagesschau«. 2016 wurde er mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Mit seiner 2019 gegründeten Deutschen Toleranzstiftung setzt er sich für interkulturellen Austausch ein. Er ist Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschienen bei Hoffmann und Campe sein Roman Kleopatras Grab (2024) sowie der Spiegelbestseller Glück im Unglück (2023).

Constantin Schreiber, Jahrgang 1979, moderiert seit Januar 2021 die »Tagesschau«. 2016 wurde er mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Mit seiner 2019 gegründeten Deutschen Toleranzstiftung setzt er sich für interkulturellen Austausch ein. Er ist Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschienen bei Hoffmann und Campe sein Roman Kleopatras Grab (2024) sowie der Spiegelbestseller Glück im Unglück (2023).

Cover
Titelseite
Inhaltsübersicht
Nur eine Torte? Eine Einleitung
1 Die Macht der Worte
2 Meinung oder nicht?
3 Darf man das?
4 Die Delegitimierung der anderen
5 Demokratie in Gefahr?
6 Diskurs mit Vielfalt
7 Die Verantwortung der Medien
8 Die Rolle der Universitäten
Was hilft? Eine Art Fazit
Fußnoten
Über Constantin Schreiber
Impressum

1 Die Macht der Worte


Worte haben eine unglaubliche Macht. Sie können motivieren, sie können uns bewegen, sie können Trost spenden oder uns zum Lachen bringen. Ich denke an das sinnlich-poetische »Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne«, die Zeile aus Hermann Hesses berühmtem Gedicht Stufen. Oder an Loriots Sketch, in dem an einem fiktiven Institut für modernes Jodeln ein Jodeldiplom erworben werden kann, etwa bei korrekter Aussprache dieses Jodlers: »Holleri du dödl di, diri diri dudl dö!«. Aber auch ein einfaches Kommando wie »Auf die Plätze, fertig, los!« kann Menschen entweder selbst zu Höchstleistungen animieren oder bei Betrachtung eines Wettkampfs Spannung erfahrbar machen.

Manche Worte überdauern Jahre und Jahrzehnte und büßen dennoch nichts von ihrer Kraft ein. Sie rufen in uns unmittelbar eindeutige Assoziationen und Bilder hervor. Beispielsweise Martin Luther Kings »I have a dream« oder John F.Kennedys »Ich bin ein Berliner«. Dann die Bild-Schlagzeile »Wir sind Papst«, als Joseph Kardinal Ratzinger im April 2005 zum Papst gewählt wurde. Oder der vielleicht bekannteste unvollständige Satz in der deutschen Geschichte, mit dem der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher in der Prager Botschaft die Wiedervereinigung einleitete: »Wir sind heute hierher gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Ausreise …« – der Rest ging im Jubel der Menschen unter.

Manchmal, vor allem in letzter Zeit, werden im öffentlichen Raum aber auch Worte geäußert, die aufregen, die uns sofort triggern, die herausfordern. Weil sie Dinge zur Sprache bringen, die wir für falsch halten. Die uns nicht gefallen. Die aus unserer Sicht vielleicht sogar bedrohlich oder verletzend sind. Zum Beispiel: »Es gibt mehr als zwei Geschlechter.« – »Wärmepumpe« – »Woher kommst du?« – »Refugees welcome!« – »Klimakrise.« – »From the river to the sea!«

Manche Menschen regen sich so sehr über diese Worte und Aussprüche auf, dass sie beschließen, etwas dagegen zu tun. Es geht ihnen aber oftmals nicht darum, sachlich zu argumentieren und den eigenen Standpunkt zu vertreten, sondern vielmehr darum, die jeweilige Aussage zu unterbinden, zu verteufeln, und das in möglichst heftigen Worten. Sie fühlen sich von den Worten persönlich so herausgefordert, dass sie eine beachtliche Energie und Zeit aufbringen, um ihre Aufregung kundzutun und zu agitieren. Zumeist handelt es sich um Privatpersonen, die sich in irgendwelchen Foren tummeln oder sich in unflätiger Weise direkt an Journalisten wenden. Die ZDF-Fernsehmoderatorin Dunja Hayali etwa bekam diese Zuschauerzuschrift:

»Schon wieder die Türkenschlampe Dunja Hayali, die sich über Deutsche auslässt, was ihr absolut nicht zusteht. Diese Tusse sollte mal in der Türkei die Fresse in der Art, wie sie sich in Deutschland äußert, aufmachen, dann würde sie sehr schnell von der Bildfläche verschwinden. Wahrscheinlich Kopfschuss oder gesteinigt oder den stillen Tod der Klinge. Und ihr Arschficker im ZDF lasst diese Türkenschlampe eine Sendung moderieren.«

Die Nachricht ist an dieser Stelle noch nicht zu Ende, es geht noch eine Weile im selben Stil weiter. Aber schon nach wenigen Worten werden der Duktus der Nachricht und die Absicht des Absenders deutlich.

Ich selbst bekam nach dem Start meiner für n-tv produzierten Gesprächsreihe Marhaba – Ankommen in Deutschland – kurze Clips, die sich auf Deutsch und Arabisch an Geflüchtete richteten – folgende Zuschrift: »Ich werde dich finden und zersägen!« Später, nach der Veröffentlichung meines Buches Inside Islam, schrieb mir ein Arzt: »Ich hoffe, du bekommst Krebs!«

Das folgende Beispiel liegt zwar schon einige Jahre zurück, veranschaulicht aber gut, wie unbedarft und rücksichtslos manche Menschen ihre Aufregung kundtun, ohne einen sachlichen Austausch in Erwägung zu ziehen, ohne über mögliche Folgen nachzudenken. Online legen sie eine Ausdrucksweise an den Tag, die sie im »echten« Leben wohl kaum benutzen würden.

Nachdem die jeweiligen Folgen von Marhaba online gingen, schrieb mir eine Frau mit Klarnamen immer wieder fürchterliche menschenverachtende, rassistische Direktnachrichten bei Facebook. Einiges Tages machte ich von einer der Nachrichten einen Screenshot und postete diesen für alle sichtbar auf meiner Seite. Wenig später schrieb mir die Frau, dieses Mal allerdings in einem gänzlich anderen Ton. »Lieber Herr Schreiber«, lautete nun die Anrede. Ob ich den Post bitte löschen könne, sie arbeite in einem größeren Unternehmen und fürchte, es könne berufliche Konsequenzen haben, wenn ihre Arbeitgeber auf die Äußerungen aufmerksam würden.

Es sind jedoch nicht nur anonyme Personen beziehungsweise solche, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, die ihre Aufregung auf beleidigende Art und Weise formulieren. Der freie Journalist Fabian Goldmann verkündete vor einigen Jahren bei X, damals twitter, ich sei zum »islamophoben Arschloch« mutiert – was wiederum Anfeindungen und Drohungen von Dritten nach sich zog.

Manche Menschen belassen es aber nicht bei Online-Äußerungen. Sie gehen im »echten« Leben andere für ihre Meinung, ihre Haltung an, attackieren sie für das, was sie sagen oder wofür sie stehen. Im Februar 2024 etwa wurde Dunja Hayali in der Dortmunder U-Bahn rassistisch beleidigt. Eine Gruppe junger Mädchen schleuderte ihr entgegen: »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!«

Neu ist das Phänomen freilich nicht, dass einzelne Personen übergriffig werden, jemanden auch physisch attackieren, aufgrund seines Geschlechts, seiner sexuellen Orientierung, seiner Nationalität, seiner Hautfarbe, seiner politischen Einstellung oder seiner religiösen Überzeugung. Gerade Politiker waren bei öffentlichen Auftritten schon immer Angriffen ausgesetzt, die von einfachen Ohrfeigen (die Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld verabreichte eine solche 1968 Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger) über Eierwürfe (etwa auf Helmut Kohl) und Farbbeutelattacken (auf Joschka Fischer auf einem Parteitag der Grünen, verübt von einem Linksautonomen aus Protest gegen die deutsche Beteiligung am Jugoslawienkrieg) bis hin zu lebensgefährlichen Attentaten mit Waffen (Oskar Lafontaine, Wolfgang Schäuble) reichten. Doch während es sich bei dieser Aufzählung um einzelne Beispiele handelt, die über mehrere Jahre verteilt sind, so scheinen sich die Übergriffe in den vergangenen Jahren zu häufen.

Im Journalismus hat sich das Bild recht deutlich gewandelt, von einer fast schon ehrfürchtigen Haltung gegenüber Journalisten und TV-Gesichtern hin zur Verachtung gegenüber Vertretern einer vermeintlichen »Lügenpresse«, die dem System, »denen da oben« nur das Wort reden. Die ehemalige tagesschau-Sprecherin Dagmar Berghoff erzählte mir von den vielen bewundernden Zuschriften, die sie früher erhielt. Sie habe darin so gut wie nie etwas Kritisches oder gar Böses lesen müssen. Ich selbst erinnere mich an das Staunen, das Interesse, die höflichen Fragen der Menschen, wenn ich, zu Beginn meiner journalistischen Laufbahn, mit einem Kamerateam in einer Stadt unterwegs war. Für die meisten war dieser Kontakt zur TV- und Zeitungswelt aufregend. Das ist heute ganz anders. Die Vorfälle, bei denen Journalisten Attacken erleiden müssen (weil sie für eine bestimmte Meinung oder ganz allgemein für das »System« stehen), werden immer mehr.

Der Weg von der positiven Macht der Worte hin zu einem vergifteten, hasserfüllten Diskurs, der in tätlichen Übergriffen gipfelt, scheint erschreckend kurz. Aber nicht nur die Aktionen von Einzelnen, auch der gemeinschaftliche Protest hat sich verändert. Die Universitäten waren schon immer ein Ort, an dem protestiert wurde. Die 68er-Bewegung hatte ihren Ursprung in der Studentenszene, und auch später gab es immer wieder – meinungsstarke – Demonstrationen, etwa während des zweiten Irakkriegs, als Studenten weltweit gegen die von den USA angeführte Invasion in den Irak protestierten. Doch auch hier, im akademischen Umfeld, hat sich der Ton deutlich geändert, sind die Fronten verhärteter denn je, was sich an den Protesten der Studierenden gegen Israels Armee-Einsatz in Gaza, etwa 2024 an der Berliner Humboldt-Universität, beobachten lässt. Insgesamt kann man konstatieren: Ja, es gab schon immer Studentenproteste, Kritik an Journalisten, Angriffe auf Politiker – aber die Unterbittlichkeit, der Hass, die Verachtung haben zugenommen.

 

In Deutschland ist die freie Meinungsäußerung durch das Grundgesetz geschützt. Eine Zensur findet nicht statt. Tätliche Übergriffe werden im besten Fall verfolgt und geahndet (bei Beleidigungen ist der Sachverhalt komplexer, wie wir noch sehen werden). Im Vergleich zu anderen Ländern ist der öffentliche Diskurs in Deutschland in die freiheitlich-demokratische Grundordnung eingebettet und die juristische Rahmung desselben recht klar geregelt.

In Ländern wie China, Russland oder Saudi-Arabien hingegen kann es lebensbedrohlich sein, die eigene Meinung zu äußern, ganz gleich ob als Einzelperson oder in Gemeinschaft. Ich denke an Alexej Nawalny, der aufgrund seiner oppositionellen Haltung ins Fadenkreuz des Putin-Regimes geriet und schließlich in einem Gefängnis am Rande der Zivilisation zu Tode kam. Ich denke an Raif Badawi, den saudi-arabischen Blogger, der 2015 öffentlich ausgepeitscht wurde, weil er...

Erscheint lt. Verlag 5.9.2024
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Debattenkultur • Demokratie • Kommunikation • Krisen • Missverständnis • Mut • Öffentlicher Diskurs • Problemlösung
ISBN-10 3-455-01811-4 / 3455018114
ISBN-13 978-3-455-01811-0 / 9783455018110
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