Ohne Reue und Rezept (eBook)
240 Seiten
Schöffling & Co. (Verlag)
978-3-7317-0004-3 (ISBN)
Wolfram Siebeck kam 1928 in Duisburg zur Welt. Das Ruhrgebietskind war in vielen unterschiedliche Berufen und Künsten tätig, bis er in den Siebzigerjahren seine Berufung fand und als Kolumnist für die ZEIT, den Stern und den Feinschmecker vielbeachtete gepfefferte Kolumnen schrieb. Mit Eckart Witzigmann und weiteren Münchner Sterneköchen wirkte er an der Verfeinerung der Gaumenfreuden und hatte den Ehrgeiz, besser zu kochen als sie. Kulinarische Reisen führten den Gourmet vor allem nach Frankreich, dessen Sinn für Qualität er in deutsche Küchen bringen wollte. Als einer der bekanntesten Köche und Gastronomiekritiker seiner Zeit, veröffentlichte er zahlreiche, teils satirische, Bücher rund ums Kochen. Mit seiner Frau Barbara lebte er abwechselnd in der Provence und auf Schloss Mahlberg, wo er 2016 starb.
Wolfram Siebeck kam 1928 in Duisburg zur Welt. Das Ruhrgebietskind war in vielen unterschiedliche Berufen und Künsten tätig, bis er in den Siebzigerjahren seine Berufung fand und als Kolumnist für die ZEIT, den Stern und den Feinschmecker vielbeachtete gepfefferte Kolumnen schrieb. Mit Eckart Witzigmann und weiteren Münchner Sterneköchen wirkte er an der Verfeinerung der Gaumenfreuden und hatte den Ehrgeiz, besser zu kochen als sie. Kulinarische Reisen führten den Gourmet vor allem nach Frankreich, dessen Sinn für Qualität er in deutsche Küchen bringen wollte. Als einer der bekanntesten Köche und Gastronomiekritiker seiner Zeit, veröffentlichte er zahlreiche, teils satirische, Bücher rund ums Kochen. Mit seiner Frau Barbara lebte er abwechselnd in der Provence und auf Schloss Mahlberg, wo er 2016 starb.
Mein Vater war kein Architekt
Das Bauhandwerk hatte in meinem Leben eine nur marginale Bedeutung. Mein Vater wollte als junger Mensch Architekt werden. Dazu glaubte er sich berufen, weil er eine Begabung für akkurates Zeichnen hatte.
Unter seiner Stilrichtung muss man sich das vorstellen, was als Hitlers Aquarelle auf den Kunstmärkten des ausgehenden 20. Jahrhunderts eine kleine Rolle spielte, welche nur wegen des berüchtigten Namens überhaupt ins Rollen kam. Neben dem oft gehörten Seufzer meiner Zeitgenossen, »Hätten sie ihm doch nur die Aufnahme in die Wiener Kunstakademie nicht verweigert!«, konzentrierten sich um den Namen des verkrachten Kunstmalers nur Verwünschungen und Erinnerungen der übelsten Art. Den schlechten Ruf hat er sich fleißig verdient (um das fällige Wort ›redlich‹ zu vermeiden).
Bei meinem Vater bin ich nicht sicher, ob ihm das Studium der Architektur besser bekommen wäre als die Berufung zum Erben des Borbecker Pressezentrums.
Der Vater meines Vaters besaß vor dem Ersten Weltkrieg eine Druckerei und war Herausgeber einer Zeitung. Die Druckerei stand in Essen-Borbeck (wo mein Vater geboren wurde), und die Zeitung, die er druckte, hieß Borbecker Anzeiger oder so ähnlich. Ich habe meinen Großvater und meine Großmutter väterlicherseits nie kennengelernt, beide waren längst tot, als ich geboren wurde. Vom Druckereibesitzer wusste ich nichts Wesentliches, außer der von meinem Vater stolz kolportierten Tatsache, dass mein Großvater seiner Frau jeden Tag ein Goldstück für den Haushalt gab, sowie der Anekdote, dass Opa sich mit seinem Bruder zerstritten hatte, weil der, ein Kommerzienrat, den Drucker durch einen Diener empfangen ließ.
Dass ich nicht der Konzernchef eines Druckereiimperiums mit Privatjet bin und ein paar tausend Angestellte entlassen kann, geht auf das Konto meines Vaters. Als mein Großvater sich nach dem Ersten Weltkrieg nach Bad Ems zurückzog und den Betrieb meinem Vater und dessen Bruder Robert übergab, dauerte es nicht lange, und die Firma Siebeck war pleite.
Wie die beiden Brüder ihre Karriere und meine Zukunft so schnell ruinieren konnten, ist ein Geheimnis geblieben. Gewisse Indizien wie vergilbte Fotos im Familienalbum und der Frack im Kleiderschrank lassen auf ein sorgloses Leben der angehenden Industriellen schließen.
Grundsätzlich aber ist von meiner Familiengeschichte jener Jahre verdächtig wenig bekannt. Onkel Robert wurde Verkäufer bei Mercedes in Leipzig, wo er sich bald auf vereister Landstraße den Hals brach. Wieso Autoverkäufer? Wieso in Leipzig?
Seine Witwe, Tante Gusti, tauchte sogar häufig bei meiner Mutter auf. Trotzdem wusste ich von ihr und meinem Onkel nichts, außer dass sie zum zweiten Mal Witwe geworden war, nachdem sie einen Mühlheimer Stadtrat der Zentrumspartei geheiratet hatte. Mir kam es vor, als trüge sie immer einen Silberfuchs um den Hals. Jedoch gab sie auch durch andere Details sowie durch eine rücksichtslos laute Sprechweise zu erkennen, dass sie sich einer vornehmen Gesellschaftsklasse zugehörig fühlte. Sie war wahrscheinlich die einzige Hitlergegnerin, die unsere Wohnung je betreten hat. Sie konnte den Nazis nicht vergeben, dass sie ihren konservativen Gatten vorzeitig in Rente geschickt hatten, und besuchte uns immer nur, wenn mein Vater nicht im Haus war, und ihr der Anblick seines Parteiabzeichens erspart blieb, das er am Revers trug.
Solche Erinnerungen werfen nur einzelne Schlaglichter in eine Dunkelheit, welche ansonsten wichtige Einzelheiten im Leben meiner Eltern verbirgt. Wann und wo haben sie sich kennengelernt? Womit verdiente mein Vater das Geld für die gutbürgerlich eingerichteten Wohnungen meiner frühen Kindheit? Und warum wurden die Wohnungen so oft gewechselt?
Bis zu meinem zehnten Lebensjahr habe ich in mindestens sechs Wohnungen in vier Städten des Ruhrgebiets gewohnt. Die schönste Erinnerung habe ich an Bochum-Langendreer, wo mein Vater auf einer Zeche ein Büro der Firma Raab Karcher leitete. Wir bewohnten eine bescheidene Villa im Schatten der Kühltürme, in der sich das Büro befand, von wo aus mein Vater mit Kohle beladene Lastwagen zu Händlern in die umliegende Region schickte. Meine größte Freude war es, diese Transporte zu begleiten. Und zwar saß ich links neben dem Fahrer an der Tür, weil der Beifahrersitz von dessen Bruder besetzt war.
Die beiden transportierten außerdem mit einem kleinen Opel Blitz Kohle zur Kundschaft, aber in dem war für den Sohn des Chefs kein Platz. So lernte ich meine damalige Heimat auf der verschlissenen Lederbank eines 3,5-Tonners kennen. Auf meine spätere Liebe zu schnellen Autos hatte das jedoch keinen Einfluss. Es existierte noch ein einachsiger Pferdekarren für den Transport von Kohle, dessen Gaul ich jedes Mal bedauerte, wenn ich mit ansehen musste, wie er ausrutschte und in die Knie ging, wenn er den vollbeladenen Karren in Bewegung setzen sollte. Dadurch entwickelte ich, als ich, meinem Alter gemäß, den Fliegen noch die Flügel ausriss, bereits jenes Mitgefühl für die größeren Geschöpfe unseres Erdballs, das wir Empathie nennen.
In Langendreer gehörte zum Wohnhaus auch ein großer Gemüsegarten mit einem Hühnerstall. Ich war damals sechs Jahre alt und fand es schauerlich und faszinierend zugleich, wenn ein Huhn geschlachtet wurde. Und zwar war es nicht der Moment, wenn mein Vater dem Huhn mit der Axt den Kopf abschlug, vor dem ich mich gruselte, sondern vor dem kopflosen Huhn, das manchmal, Blut verspritzend und Flügel schlagend, über den Boden torkelte.
Die meisten meiner Schulfreunde waren Kinder von Bergleuten. Sie nahmen mich oft mit zu sich nach Hause, wo ich zum Mittagessen bleiben musste. Es gab fast immer eingelegte grüne Bohnen mit Speck und Birnen, die ich verabscheute. Man roch diese Armenspeise schon beim Betreten ihrer Häuser. Aber diese Kinder konnten Zinnsoldaten gießen und hatten auch sonst so ganz andere Interessen als ich. Vor allem aber hatten sie auch Schweine.
An jedes Haus der Bergarbeitersiedlung war ein Stall angebaut, in dem die Familien ein Schwein hielten. War es dick und fett, wurde geschlachtet. Das war ein Fest für die ganze Nachbarschaft, die sich dazu versammelte. Wir genossen es sehr, wenn die Sau am Strick in den Hof geführt wurde, und warteten atemlos auf das Quieken, den dumpfen Schlag mit dem Holzhammer und dann das Ausbluten. Dann wurde das Schwein auf eine Leiter gebunden und sein Bauch aufgeschlitzt, während ein Waschkessel mit kochendem Wasser bereitstand, in dem die ersten Teile des guten Tieres landeten. Wie alle Kinder beobachtete ich das Gemetzel mit großem Interesse, aber geschmeckt hat mir das Kesselfleisch nie.
Das alles spielte sich in einer kleinbürgerlichen Atmosphäre ab, in der die Erwachsenen die Qualität der Rügenwalder Teewurst diskutierten, während ich versuchte, zu meinen Zigarettenbildern zurückzukehren, die Karl Mays spannende Geschichten aus dem Wilden Westen oder dem Land der Skipetaren illustrierten. Es existierten auch Serien wie »Bilder deutscher Geschichte« oder Standarten und Fahnen aus einer Zeit, als die Landsknechte noch mit dem zweihändigen Langschwert aufeinander losgingen.
Diese Bilder waren sogar lehrreich. Wenn ich heute in Berliner Museen zwischen großformatigen Ölschinken mit Szenen aus den Freiheitskriegen herumwandere oder Prinz Louis Ferdinand im Galopp bei der für ihn tödlichen Attacke bewundere, sage ich mir »Kenne ich schon« und erinnere mich an das Bildchen und seine Legende, die mir die Lieblingszigaretten meines Vaters vermittelt hatten.
Nicht anders bei Menzels Gemälde mit der Ansprache Friedrichs des Großen vor der Schlacht von Leuthen, die außerdem den Schauspieler Otto Gebühr in seiner Rolle als Friedericus Rex wieder vor meinen Augen auferstehen lässt. Für ein Kind mit Fantasie kann eine Ansicht, und sei sie noch so beiläufig, wie ein Samenkorn im Wüstensand sein, das vielleicht erst nach einem halben Jahrhundert zu keimen beginnt. Citizen Kane und sein Rosebud-Schlitten sind eine treffende Metapher dafür.
Die Episode als Kohlehändler in Langendreer war die letzte bürgerliche Station meines Vaters, bevor er Angestellter bei der NSDAP in Bochum wurde. Womit er seine Familie ganz früher ernährte, weiß ich nicht. Sein Werdegang vom bankrotten Verleger zum Bankkaufmann liegt völlig im Dunkeln, weil das alles vor meiner Geburt geschah. Ich weiß überhaupt wenig über die Vergangenheit meines Vaters. Er ist mit meiner Mutter und mir im Raum Essen-Bochum immer wieder umgezogen, bis ich elf Jahre alt war und er am Horizont des »Tausendjährigen Reiches« verschwand. Über diese mangelnde Sesshaftigkeit wurde kein Wort verloren. Meine Großmutter, die oft kam, um ihre Tochter zu besuchen und aus ihrem Missfallen gegenüber ihrem Schwiegersohn keinen Hehl machte, deutete an, dass er sich hatte etwas zuschulden kommen lassen. Doch hätte das bei einem Bankangestellten nicht nur den Wohnungswechsel zur Folge gehabt, sondern gewiss auch andere, folgenreiche Konsequenzen. Davon konnte jedoch keine Rede sein.
Ich bin erst viel später dahintergekommen, warum er so häufig die Tapeten wechselte. Er besaß einfach nicht die für einen Angestellten notwendige Biegsamkeit. Er war ein Dickkopf, ein Besserwisser, der sich von seinen Vorgesetzten nichts sagen ließ, weshalb sie sich bemühten, ihn bei Gelegenheit wieder loszuwerden.
Gewisse Allüren werden ihn auch nicht zusätzlich beliebt gemacht haben. So steckte in seiner Westentasche ein randloses Monokel, das er sich manchmal ins Auge klemmte. Überdies trug er Maßanzüge, die im Angestelltenmilieu damals zwar nicht so...
Erscheint lt. Verlag | 17.9.2024 |
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Nachwort | Barbara Siebeck, Vincent Klink |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Biografie • Deutsche Küche • Duisburg • Eckart Witzigmann • Frankreich • Gastro-Kritik • Gastronomie • Gourmet • Kolumnist • Memoiren • Provence • Restaurantkritiker • Ruhrgebiet • Schloss Mahlberg • Sternekoch • Zeit |
ISBN-10 | 3-7317-0004-2 / 3731700042 |
ISBN-13 | 978-3-7317-0004-3 / 9783731700043 |
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