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Die Tore von Gaza (eBook)

Eine Geschichte von Terror, Tod, Überleben und Hoffnung | Der 7. Oktober 2023 - geschildert von einem Überlebenden des Kibbuz Nahal Oz

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
432 Seiten
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag
978-3-633-78172-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Tore von Gaza -  Amir Tibon
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Dieses Buch ist Reportage und Geschichte des Massakers, dessen Datum für immer im Gedächtnis bleiben wird: der 7. Oktober 2023:

Am Morgen des 7. Oktober wurden Amir Tibon und seine Frau von Mörsergranaten geweckt, die in der Nähe ihres Hauses im Kibbuz Nahal Oz, einer israelischen Siedlung an der Grenze zum Gazastreifen, einschlugen. Sie verbarrikadierten sich mit den beiden kleinen Töchter im Schutzraum des Hauses und ermahnten sie, nicht zu weinen, während sie die Schüsse der Hamas-Angreifer vor ihren Fenstern hörten.

Die Tore von Gaza erzählt die Geschichte des 7. Oktobers durch das Prisma der Ereignisse, die in Nahal Oz über die Familie hereinbrachen, die schließlich von Amir Tibons eigenem Vater mit unglaublichem Mut gerettet wurde. Das Buch schildert den jahrzehntelangen Kampf einer Gemeinschaft um Leben, Wohlstand und Wachstum an einer der gefährlichsten Grenzen der Welt. Es ist zugleich eine kurze Geschichte Israels, auch über das Versagen der israelischen Politik, für die Sicherheit der eigenen Bevölkerung zu sorgen.

Mit großem Einfühlungsvermögen und auf der Grundlage israelischer und palästinensischer Quellen sowie Originalinterviews mit den Polizisten und Soldaten, die am 7. Oktober an der Seite seiner Eltern kämpften, zeichnet Amir Tibon einen schonungslosen, aber letztlich hoffnungsvollen Blick auf diesen scheinbar unlösbaren Konflikt und seine globalen Auswirkungen.



Amir Tibon, geboren 1989, ist Journalist und Autor. Er arbeitet als Korrespondent für die israelische Tageszeitung <em>Haaretz</em>. 2017 erschien von ihm (zusammen mit Grant Rumley) <em>The Last Palestinian: The Rise and Reign of Mahmoud Abbas</em>, die erste Biografie des Palästinenserführers Abbas. Zurzeit lebt er mit seiner Familie in Nordisrael.

13

1. »Sie sind hier«


7. Oktober 2023, 6:29 Uhr

Zuerst war da nur ein Pfeifen. Ein kurzes, lautes Kreischen, das durch unser Schlafzimmerfenster drang und uns anzeigte, dass über unserem Haus eine Mörsergranate aus dem Himmel fiel.

Ich wachte nicht sofort auf. Das Geräusch war unheimlich, aber vertraut, und es mischte sich irgendwie in meine Träume.

Miri, meine Frau, erkannte die Gefahr schneller. »Amir, wach auf, eine Granate!«, sagte sie und stieß mich mit dem Ellenbogen an.

Schlagartig war ich hellwach, Adrenalin durchflutete mich. Wir sprangen beide aus dem Bett, nur in Unterwäsche, und rannten den Flur hinunter zur geöffneten Tür unseres Schutzraums.

Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden. Wir erreichten das Zimmer und schlossen die schwere Eisentür hinter uns.

Kaum waren wir in die Dunkelheit gehüllt, erschütterte eine schwere Explosion das Haus. Wir hatten es gerade rechtzeitig geschafft.

Der ersten Explosion folgte eine zweite, eine dritte – und dann immer mehr. Es war ein Sperrfeuer – ein schwerer, tödlicher Regen, der ringsum auf uns niederprasselte.

»Hast du einen Alarm gehört?«, fragte ich Miri und flüsterte dabei in die Leere des verdunkelten Raumes.

»Ich habe nur gehört, dass es gleich einschlagen würde, davon bin ich aufgewacht«, antwortete sie. Keine Sirene war ertönt – nur das Pfeifen hatte uns gewarnt.

14Wir kamen gerade wieder etwas zu Atem, als wir die Erschütterung einer weiteren nahen Detonation spürten, dann noch einer. Ich schaute auf meine Armbanduhr und sah, dass fünf Minuten vergangen waren, seit wir in den Raum gerannt waren, und die Bombardierungen hatten nicht nachgelassen.

Zum ersten Mal, seit wir aus dem Bett gesprungen waren, blickte ich auf mein Handy, das ich aus dem Schlafzimmer mitgenommen hatte. Ich wollte wissen, was vor sich ging – in unserer Gemeinde, in unserer Region, in unserem Land. Ganz offensichtlich war etwas Außergewöhnliches im Gange.

Wir waren überrascht und desorientiert, aber nicht ängstlich, ganz sicher nicht in Panik – noch nicht. Als Bewohner von Nahal Oz, einer kleinen Gemeinde mit etwas mehr als 400 Einwohnern an der israelischen Grenze zum Gazastreifen, hatten wir Situationen wie diese schon erlebt. Nahal Oz, das in den frühen 1950er Jahren gegründet wurde, liegt weniger als einen Kilometer vom Grenzzaun entfernt. Damit ist es offiziell die nächstgelegene Gemeinde zur palästinensischen Küstenenklave, die sich nördlich der ägyptischen Grenze entlang des Mittelmeers erstreckt.

Nahal Oz ist von grünen Feldern und wunderschöner Natur umgeben, aber in den vergangenen Jahrzehnten wurde es zu einem der am heftigsten bombardierten Orte in Israel, Terrorgruppen aus Gaza haben Tausende von Raketen auf die Region abgefeuert. Wer hier lebt, gewöhnt sich an gelegentlichen Raketen- oder Mörserbeschuss. Anders als die meisten Gebiete in Israel, die sich unter dem Schirm des Raketenabwehrsystems Iron Dome befinden, genießt Nahal Oz keinen solchen Schutz; es liegt so nah an Gaza, dass die automatische Abfangvorrichtung des Systems nicht genügend Zeit hat, den Flugweg der Rakete zu berechnen.

In jedem Haus in Nahal Oz, ebenso wie in allen anderen Gemeinden entlang der Grenze zu Gaza, gibt es ein besonderes Zimmer: einen oberirdischen Bunker aus massivem Beton, 15der einem direkten Einschlag einer Mörsergranate und auch bestimmten Typen von stärkeren Raketen standhalten soll. Außerdem verfügt dieses Zimmer, der Schutzraum, in den wir an diesem Morgen gerannt sind, über eine Metallplatte, mit der das Fenster von außen abgedeckt werden kann, um zu verhindern, dass Schrapnelle in den Raum eindringen. Auch die Tür ist schrapnellsicher. Dieser standardisierte Schutzraum hat eine klare Sicherheitsfunktion, doch die meisten Familien an der Grenze nutzen diesen Raum zu einem anderen Zweck: Hier gehen unsere Kinder abends schlafen.

Nahal Oz liegt so nah an Gaza, dass man im Falle eines Mörserbeschusses auf die Gemeinde nur sieben Sekunden Zeit hat, um sich in Sicherheit zu bringen. Hält man sich gerade im Haus auf, bedeutet das, in den Schutzraum zu rennen und die Tür zu verschließen. Für Familien mit kleinen Kindern liegt die Entscheidung auf der Hand: Findet ein Angriff nachts oder frühmorgens statt, ist es bedeutend einfacher, wenn die Eltern ins Zimmer ihrer Kinder rennen und nicht umgekehrt.

Noch schienen sich unsere Töchter von dem ganzen Drama nicht stören zu lassen. Galia, eine blonde, blauäugige Dreieinhalbjährige, schlummerte weiter friedlich mit ihrer Lieblingspuppe im Arm. Ihre kleine Schwester Carmel, ein Jahr und neun Monate alt, hatte kurz den Kopf gehoben und uns aus verschlafenen grünen Augen angeblinzelt, als wir ins Zimmer geeilt kamen. Doch dann fand sie ihren Schnuller wieder und kehrte zurück in ihre Träume.

Es war nicht das erste Mal, dass sie eine solche Situation erlebten: Eltern, die in ihr Zimmer gerannt kamen, während im Hintergrund Explosionen einsetzten. Wir machten nie ein großes Aufheben darum, also taten sie es auch nicht. Es war Teil unseres und ihres Lebens – eine hektische, aber vertraute Routine in Israels Grenzgebieten.

Wir fühlten uns sicher in dem verschlossenen Raum mit der schweren Tür und der stabilen Metallplatte vor dem einzigen 16Fenster, während die Mörsergranaten um uns herum einschlugen. Die Platte war ein schlichtes Viereck aus Eisen, das exakt in die Betonöffnung passte und mit Scharnieren an der Wand befestigt war. Normalerweise zogen wir sie nicht vors Fenster, damit unsere Mädchen Sonnenlicht und frische Luft in ihrem Zimmer genießen konnten – aber im Ernstfall ließ sie sich in Sekundenschnelle zuschieben, um das Fenster abzudecken, so wie wir es an diesem Morgen machten, sobald wir den Raum betreten hatten.

Bei geschlossener Tür und mit der Platte vor dem Fenster war es im Inneren des Zimmers stockfinster. Doch wir nutzten unsere Handys als Lichtquelle und ließen uns nun auf dem Fußboden nieder, um das Bombardement abzuwarten. Kaum hatten wir uns hingesetzt, lasen wir in unseren Telefonen, dass die Hamas, die palästinensische Terrorgruppe, die den Gazastreifen kontrolliert, nicht nur unsere Gemeinde angegriffen hatte, sondern auch Dutzende weitere Orte in Israel mit Mörsergranaten und Raketen beschoss. Wir hofften, dass die Mädchen noch ein wenig länger friedlich in ihren Betten weiterschlafen würden, für uns aber war die Nacht offenkundig vorbei. Wir mussten anfangen zu packen.

Neun Jahre zuvor, im August 2014, hatte ich Nahal Oz zum ersten Mal besucht. In jenem Sommer tobte ein langer, blutiger Krieg zwischen Israel und der Hamas, die sieben Jahre zuvor die Kontrolle über Gaza übernommen hatte, und ich war aus Tel Aviv, wo ich damals wohnte, in das Grenzgebiet nahe Gaza gefahren, um vor Ort über die Kampfhandlungen zu berichten. Als Journalist hatte ich bereits über die Kriege in Syrien, in der Ukraine und im kurdischen Autonomiegebiet in Irak geschrieben; doch es war ein mulmiges Gefühl, an einem Ort, der nur eine Autostunde von meinem Zuhause in Zentralisrael entfernt lag, Zeuge dieser dramatischen Verwüstungen zu werden.

Vor meiner Ankunft in Nahal Oz hatte mir ein Freund aus der Medienbranche die Telefonnummer eines Mannes namens Itay 17Maoz gegeben. Maoz war ein Landwirt Anfang fünfzig, der in diesem Sommer trotz der schweren Bombardierungen in Nahal Oz geblieben war, er erklärte sich bereit, mich durch den Ort zu führen. Die meisten Bewohner waren in andere Teile des Landes evakuiert worden, und so fand ich mich in einer Geisterstadt wieder, als Itay, ein glatzköpfiger Mann mit einem sanften Lächeln, mich herumführte.

Die Agrarflächen von Nahal Oz berühren buchstäblich den Grenzzaun zu Gaza, und die Bewirtschaftung dieser Felder ist seit der Gründung des Kibbuz zu allen Zeiten eine Verpflichtung gewesen für die Menschen, die dort leben: Bis an den Rand wird das Land gepflügt, die letzte Furche liegt nur wenige Meter von Gaza entfernt. Diese Felder sind normalerweise wunderschön anzusehen, aber an diesem Tag bot sich mir ein anderer Anblick: Sie waren vollständig zerstört, nachdem das israelische Militär sie zu...

Erscheint lt. Verlag 22.9.2024
Übersetzer Ursula Kömen
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 7. Oktober 2023 • aktuelles Buch • Benjamin Netanjahu • Bring them home now • Bücher Neuererscheinung • Gaza • Gaza-Streifen • Geiselnahme • HAMAS • Israel • Juden • Massaker • Nahostkonflikt • Nahost-Konflikt • Neuererscheinung • neues Buch • Operation Eiserne Schwerter • Palästina • Qassam-Brigaden • Terror-Angriff • Überleben im Krieg • Verbrechen gegen die Menschlichkeit
ISBN-10 3-633-78172-2 / 3633781722
ISBN-13 978-3-633-78172-0 / 9783633781720
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