Putins Angriff auf Deutschland (eBook)
280 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3261-1 (ISBN)
Arndt Freytag von Loringhoven, geboren 1956, ist ein deutscher Diplomat im Ruhestand. Er war deutscher Botschafter in Polen und in Tschechien. Zuvor war er sechs Jahre in Moskau auf Posten und anschließend von 2007 bis 2010 Vizepräsident des BND und zwischen 2016 und 2019 Beigeordneter Generalsekretär der NATO für geheimdienstliche Zusammenarbeit.
Arndt Freytag von Loringhoven, geboren 1956, ist ein deutscher Diplomat im Ruhestand. Er war deutscher Botschafter in Polen und in Tschechien. Zuvor war er sechs Jahre in Moskau auf Posten und anschließend von 2007 bis 2010 Vizepräsident des BND und zwischen 2016 und 2019 Beigeordneter Generalsekretär der NATO für geheimdienstliche Zusammenarbeit. Leon Erlenhorst, geboren 1996, studierte Philosophie, VWL und Internationale Beziehungen. Mit neueren Funktionsbedingungen von Propaganda beschäftigt sich Erlenhorst seit Beginn seiner universitären Laufbahn. Bereits seit seiner Studienzeit arbeitet er bei verschiedenen Unternehmens- und Politikberatungen.
Kapitel 1:
Russlands Weg in den Krieg
»We would like to play chess, but they are already punching us in the face.«Jakub Kalenski
In seiner gefeierten Rede vor dem Deutschen Bundestag am 25. September 2001 sagte der russische Präsident Wladimir Putin: »Für unser Land ist der stabile Frieden auf dem Kontinent das Hauptziel.« Und weiter: »Das starke und lebendige Herz Russlands ist für eine vollwertige Zusammenarbeit und Partnerschaft geöffnet.« Nach der Ansprache erhoben sich die deutschen Abgeordneten zu einer stehenden Ovation. Es war eine historische Rede, so die feste Überzeugung der Anwesenden. Ganz Deutschland wünschte sich, dass die Ära, die mit Michail Gorbatschow begonnen hatte, für immer weitergeht. Mit der Rede Putins schien dieser Wunsch Wahrheit zu werden. Die furchtbaren Kriege und Katastrophen des 20. Jahrhunderts, in deren Epizentrum Deutschland und Russland standen, schienen endgültig Geschichte. Eine neue Ära des Friedens und der Kooperation mit Moskau deutete sich an, so der allgemeine Eindruck.
Wie anders ist es gekommen! Seit 2014 führt Russland Krieg in Europa, einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine, nur wenige hundert Kilometer von Deutschlands Grenze entfernt, mitten in Europa. Zuvor hatte es Georgien überfallen, große Teile des Territoriums besetzt und anschließend Syriens Diktator Baschar al-Assad mit seinen Streitkräften und der »privaten« Wagner-Armee militärisch unterstützt. Ihnen verdanken Assad wie inzwischen auch eine Reihe afrikanischer Diktatoren den Erhalt ihrer Macht. Russland befindet sich heute in einem dauerhaften Kriegsmodus.1 Es herrschen Kriegswirtschaft und Kriegszensur. Beinahe 40 Prozent seines Haushalts gibt Moskau im Jahr 2024 für innere und äußere Sicherheit aus. Hunderttausende junge Männer werden mobilisiert. Neue Massenvernichtungswaffen wurden entwickelt und nahe der westlichen Grenze des Landes stationiert. Seit spätestens 2014 führt Russland einen Krieg auch gegen den Westen2 – nicht einen militärischen, aber einen »hybriden« Krieg, der auf vielen Ebenen stattfindet – mittels Desinformation, Propaganda, Cyberattacken und nuklearen Drohungen.
Russlands Präsident hat sich also mitnichten als der Friedensbringer entpuppt, den viele nach seiner Berliner Rede in ihm erkennen wollten. Er ist auch alles andere als ein »lupenreiner Demokrat«, als den ihn Bundeskanzler Gerhard Schröder einmal bezeichnete. Nein, Wladimir Putin hat sich als rücksichtsloser Diktator erwiesen, der die zarte Pflanze der russischen Demokratie seiner Gier nach Macht und seiner grenzenlosen Kontrollsucht untergepflügt hat. Nachdem er sein Versprechen, Wachstum und gesellschaftliche Stabilität zu garantieren, nicht erfüllen konnte, zog er die imperiale Karte, um seine Macht zu zementieren. Putin ist heute ein großrussischer Imperialist, dessen wichtigstes Ziel es ist, die alte Größe des Zarenreichs wieder herzustellen, um sein System zu sichern. Sein Weg ist von Leichen gesäumt. Gegner und Kritiker hat er systematisch kaltgestellt, viele von ihnen umbringen lassen. Mit seinem Revanchismus und Größenwahn stellt er eine existenzielle Bedrohung für den Frieden in Europa und der Welt dar.
Rückfall in den Imperialismus
Wie konnte es zu einer solch fatalen Entwicklung kommen, einem Rückfall in die dunkelsten Zeiten der europäischen Geschichte?
Im Rückblick wird klar: Eine derartige Entwicklung war vielleicht angelegt, aber nicht vorgezeichnet; sie war nicht zwangsläufig. Vielmehr vollzog sie sich schrittweise und häufig in Reaktion auf bestimmte Ereignisse im In- und Ausland. Man kann die Verhärtung von Putins Politik nur nachvollziehen, wenn man die Tiefenschichten der neueren Geschichte Russlands gründlich analysiert und die tektonischen Umbrüche im Land seit 1989 zu verstehen versucht. Auch muss man sich den persönlichen Werdegang Putins vor Augen führen, von seinen bescheidenen Anfängen in den Hinterhöfen Sankt Petersburgs über die tiefe Prägung durch den sowjetischen Geheimdienst KGB bis zu seinem kometenhaften Aufstieg an die Spitze des russischen Staates. Hier ist nicht der Ort, diese Entwicklungen im Einzelnen nachzuzeichnen. Doch ist ein Grundverständnis der Persönlichkeit des Präsidenten und der Befindlichkeit seines Landes unverzichtbar, um die Natur des »Systems Putin« und das Ausmaß der Bedrohung, die Russland heute für Europa und die Welt darstellt, zu ermessen.
Putin trat 1999 an als »pragmatischer Nationalist«3. Durch seine Erfahrungen als junger KGB-Spion in Dresden war er, soweit bekannt, schon damals skeptisch gegenüber westlichen Werten und Zielen. Nach seiner Überzeugung war Russland über Jahrhunderte eine Großmacht gewesen, und dies sei heute nicht anders. Trotz dieses ungebrochenen geopolitischen Anspruchs war der neue Präsident der Auffassung, dass die Zukunft Russlands in einer engeren wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit mit dem Westen liegen müsse. Er war deshalb anfangs zu einer umfassenden Kooperation mit dem Westen, mit Europa und den USA bereit, weil er dies als besten Weg sah, um Russland in die Moderne zu führen. Putin umgab sich mit liberalen Ökonomen. Russland trat dem Europarat, den G7 und der WTO bei und baute die Zusammenarbeit mit der EU und der NATO aus. Nach den Terroranschlägern von 9/11 in New York und Washington öffnete Putin einen militärischen Korridor für die USA in Zentralasien und schloss die russische Abhörstation auf Kuba. All dies zeigt: Putin setzte zu Anfang seiner Herrschaft auf eine Modernisierung seines Landes durch den Westen. Dabei konnte er an sein Vorbild und bedeutenden Petersburger Vorgänger, Zar Peter den Großen, anknüpfen, der seinem rückständigen Reich vor drei Jahrhunderten ein sprichwörtliches Fenster zum Westen öffnete.
Europa und besonders Deutschland gingen damals freudig, ja enthusiastisch auf Putins Werben ein. Man sah in seinem Kooperationsangebot enorme Chancen – einen bedeutenden Zukunftsmarkt für die deutsche Wirtschaft und zuverlässige, billige Energieimporte. Im Auswärtigen Amt entwickelte man die Konzepte einer »Modernisierungspartnerschaft« und der »Annäherung durch Verflechtung«4, mit der sich Willy Brandts ostpolitische Formel »Wandel durch Annäherung« scheinbar nahtlos in die Gegenwart fortentwickeln ließ. Je enger die Zusammenarbeit, desto unwahrscheinlicher würden Konflikte und Kriege in Europa werden – dieses Denken prägte beharrlich und über lange Jahre nicht nur die deutsche, sondern die gesamte westliche Russlandpolitik. Auch aus heutiger Sicht war es vernünftig, dem Angebot zur Zusammenarbeit eine Chance zu geben und in die Beziehung mit Putin zu investieren. Nach beinahe einem Jahrhundert geprägt von ideologischer Konfrontation und Kaltem Krieg bot sich die historische Chance für eine friedliche Kooperation mit Russland. Doch mischte sich in diese rationale Beurteilung von Anfang an ein erhebliches Maß an Wunschdenken. Ein regelmäßiger nüchterner Realitätscheck, in welcher Form auch immer, fand nicht statt. Wesentliche Entwicklungen in Russland, die nicht in das rosige Bild passen wollten und zur Sorge hätten Anlass geben müssen, wurden übersehen oder ausgeblendet.
So war bereits von Beginn an deutlich, dass Putin zur Erreichung seiner Ziele auf Krieg und Gewalt setzte. Als Präsident Jelzin ihn 1999 zu seinem Nachfolger bestimmte, war Putin, der seine Karriere in der Schattenwelt der Geheimdienste und später in den Korridoren des Kremls gemacht hatte, gerade einmal zwei Prozent der Bevölkerung bekannt. Seine Wahl zum Präsidenten wurde nur durch den Zweiten Tschetschenienkrieg möglich, der ihn auf einen Schlag im ganzen Land bekannt machte und ihm große Popularität verschaffte. Der Vorwurf5 wiegt schwer, dass dieser Zweite Tschetschenienkrieg nicht durch islamistische Terroristen, so die offizielle Version, sondern vom russischen Geheimdienst ausgelöst wurde. Nach den Bombenanschlägen auf Wohnblocks in Moskau und Umgebung, bei denen 367 Menschen ums Leben kamen und mehr als 1000 verletzt wurden, fanden sich in Rjasan Spuren, die die Handschrift des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB trugen. Einiges spricht dafür, dass diese Explosionen vom FSB inszeniert wurden und die Schuld anschließend den Tschetschenen in die Schuhe geschoben wurde, um einen Vorwand für einen neuen Krieg zu erhalten. Sollte das so gewesen sein, ist es kaum vorstellbar, dass Putin als FSB-Chef davon nichts wusste, zumal er maximal von dieser Entwicklung profitierte.
Der Krieg gegen die tschetschenischen Untergrundkämpfer wurde so geführt, wie die Weltöffentlichkeit es später in Syrien und der Ukraine sehen würde – mit unerbittlicher Härte, unmenschlichen Folterungen und Menschenrechtsverletzungen. Er hat das Verhalten der russischen Armee nachhaltig geprägt. Wie sehr, wird erst heute in vollem Ausmaß deutlich. Indem der Westen damals wegschaute und den Terror und die gesetzwidrigen Aktionen der russischen Militärs geschehen ließ, ohne Konsequenzen zu ziehen, gab man Russland ein Signal, dass zur Durchsetzung seiner Interessen alles erlaubt ist.
Der neue Präsident war und ist tief geprägt durch den KGB und dessen...
Erscheint lt. Verlag | 26.9.2024 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | BND • Gefahrenabwehr • Sabotage • Sicherheitsarchitektur • Sicherheitspolitik • Spionage • Unterwanderung |
ISBN-10 | 3-8437-3261-2 / 3843732612 |
ISBN-13 | 978-3-8437-3261-1 / 9783843732611 |
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