Diskreter Maskulinismus (eBook)
404 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-46042-0 (ISBN)
Eva Kreisky (1944-2024) war Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Sie hat die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung im deutschsprachigen Raum maßgeblich geprägt. Bekannt wurde sie insbesondere mit ihrem kritischen Konzept des Staates als »Männerbund«.
Marion Löffler, Dr. phil., ist Politikwissenschafterin und Privatdozentin an der Universität Wien. In Forschung und Lehre befasst sie sich auf theoretischer und empirischer Ebene mit Transformationen von Parlamentarismus, Demokratie und Staatlichkeit aus der Perspektive kritischer Geschlechterforschung. Eva Kreisky (1944–2024) war Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Sie hat die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung im deutschsprachigen Raum maßgeblich geprägt. Bekannt wurde sie insbesondere mit ihrem kritischen Konzept des Staates als »Männerbund«. Birgit Sauer war bis zu ihrer Pensionierung im Oktober 2022 Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen feministische Staats- und Demokratietheorie, autoritärer Rechtspopulismus und Geschlecht sowie Politik, Emotionen und Affekte. Sie war Mitbegründerin des AK »Politik und Geschlecht« in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft. ORCID iD: 0000-0003-4857-7696
Neoliberalismus, Entdemokratisierung und Geschlecht: Anmerkungen zu aktuellen Entwicklungen demokratischer Öffentlichkeit
Relevanz demokratietheoretischer Fragestellungen
Es scheint so, als ob gesellschaftskritisches Nachdenken über Demokratietheorie und Demokratiepolitik weitgehend der Vergangenheit angehört.4 Zwar etikettieren sich immer mehr Länder als Demokratien, aber dies verweist wohl eher auf demokratierhetorische Hülsen und formaldemokratische Regierungstechniken, denn auf reale Prozesse vorankommender gesellschaftlicher Demokratisierung. An diesem Problemknoten spätkapitalistischer Gesellschaften setzen kaum noch differenzierte Analysen an. Das aktuelle Begriffschaos um Demokratie, ihre faktische Begriffsentleerung und die permanente Abwertung demokratischer Institutionen und Verfahren lösen einen Umkehrschub demokratischer Dynamik aus, veranlassen ihren Stillstand oder initiieren gar Rückbauten von Demokratie. Woran es bei Reflexion um Demokratie zumeist mangelt, sind nicht konzeptuelle Diskurse, sondern empirische Restriktionsanalysen, die neoliberale Blockaden sozialer Demokratieentwicklung und antidemokratische Handlungspotenziale thematisieren.
Mit Nancy Fraser (1997/2001: 107) lässt sich gut gesichert einleiten, dass das »Projekt einer kritischen Theorie, die die Beschränkungen der Demokratie in spätkapitalistischen Gesellschaften beschreibt«, nichts an Relevanz eingebüßt hat. Solange liberale Demokratie »als das Nonplusultra der Gesellschaftssysteme angepriesen wird«, weist das Projekt angesichts neoliberaler Transformationen von Staat und Politik sogar »neue Dringlichkeit« auf. Seit dieser Feststellung ist zwar mehr als eine Dekade verstrichen, aber die gesellschaftspolitisch restaurativen und re-maskulinisierenden Tendenzen sind so evident, dass neue Brisanz des demokratischen Theorie- und Politikprojekts kaum anzuzweifeln ist.
Liberalismus und Demokratie: ein durchaus fragwürdiges Verhältnis
Lange Zeit wurde in westlichen Gesellschaften zwischen Demokratien und Nicht-Demokratien unterschieden, was ein verengtes Demokratieverständnis erkennen lässt. Demokratie wurde mit westlichen Demokratiepraktiken kurzgeschlossen. Hingegen galten die staatssozialistischen Regime des Ostens oder manche der autoritären Regime der Dritten Welt als Nicht-Demokratien. Über rechte westliche Diktaturen oder Militärregime, die ebenfalls unter dem Banner westlicher Demokratie agierten, schwieg man gerne. Ihre antikommunistische oder antisozialistische Schlagseite verführte dazu, sie bedenkenlos als Bündnispartner westlicher Machtstrategien zu adoptieren. Auch der Demokratiebegriff wurde normativ abgespeckt und anspruchsloseren Varianten zugeführt.5
Unter dem Einfluss neokonservativer und neoliberaler US-amerikanischer Politik wird gute Demokratie »zunehmend als liberale Demokratie definiert: eine historisch kontingente Form, kein normativ wünschenswerter Zustand« (Crouch 2008: 9 f., Hervorh. i. Orig.). Demokratie in dieser Fassung reduziert sich auf formelle Wahlbeteiligung der Massen, unbeschränkte Freiheiten für Lobbyisten der Wirtschaft und begrenzte Macht der Regierung bzw. Verzicht der Politik auf Interventionen in die kapitalistisch organisierte Ökonomie (ebd.: 10, 20). Selbst die für westliche Demokratien zentrale Vorstellung von pluralistischer politischer Öffentlichkeit hat angesichts der Oligarchisierung globaler Medienmacht nachdrückliche Einbußen hinzunehmen. Die Hoffnung auf neue Kommunikationsformen (Stichwort »e-democracy«) erweist sich insofern als Trugschluss, als dadurch vor allem die Binnenkommunikation »demokratischer Eliten« gestärkt wird (Leggewie/Bieber 2003: 126).
Liberalismus und Demokratie werden als direkt verwandt angenommen, was mit der Formel liberaler Demokratie zum Ausdruck gebracht wird. Liberalismus stand und steht jedoch für verschiedene, nicht unbedingt vereinbare Absichten oder gar demokratische Motive: Zum einen repräsentierte er Ideen politischer Freiheit und bestimmte des Weiteren nötige Instrumente moderner Rechtsstaatlichkeit; zum anderen steuerte er als wirtschaftsfreiheitliche Doktrin das machtpolitische Geschehen in kapitalistischen Gesellschaften. Politischer Liberalismus strebt Freiheit zur Politik an, während Wirtschaftsliberalismus die Freiheit von Politik zum Ziel hat. Liberalismus setzt die »Autonomie des Politischen in einer sehr starken Form voraus«. Er »arbeitet mit der Annahme, dass es möglich ist, das politische Leben auch dann in einer demokratischen Form zu organisieren, wenn dies auf der Grundlage sozioökonomischer und soziosexueller Strukturen geschieht, die systemische Ungleichheiten erzeugen« (Fraser 1997/2001: 125 f.).
Wirtschaftsliberalismus, aktuell Neoliberalismus, konstituierte sich nie auf gleicher Augenhöhe, als Kompagnon politischen Freiheitsdenkens. Er verstand sich zusehends als besserer, sogar authentischer Liberalismus, der den über das vermeintlich erträgliche Maß an Gleichheit hinausschießenden politischen Liberalismus einbremsen sollte.6 Für liberale Denker und Praktiker wurde es zum Problem, »wie sie die Barrieren verstärken können, welche die politischen Institutionen, die Beziehungen der Gleichheit exemplifizieren sollen, von den ökonomischen, kulturellen und soziosexuellen Institutionen abgrenzen, die auf Beziehungen der Ungleichheit im System gegründet sind« (ebd.: 126).
Hatte im 18. und 19. Jahrhundert noch politischer Liberalismus dominiert, ist es insbesondere seit dem endenden 20. Jahrhundert der Wirtschaftsliberalismus, der sich hegemonial in Szene setzt. Er überlagert und verdrängt zunehmend auch wichtige Traditionen des politischen Liberalismus und stößt sich keineswegs nur an sozialistischen oder feministischen, in irgendeiner Weise herrschaftskritischen Positionierungen politischen Denkens. Selbst sozialdemokratische und grüne Uhren ticken allmählich mehr oder weniger neoliberal.
In verschiedenen Ländern war die Verbreitung von Liberalismus mit der Entstehung von Demokratien – als dem angemessenen Regimetyp der Moderne – eher zufällig zusammengefallen, was aber nicht heißen soll, dass er deshalb »mit der Praxis der Demokratie […] unauflöslich und unzweideutig verbunden« wäre (Schmitter 2003: 153). Liberale Rechtsstaatlichkeit und repräsentative Demokratie, was uns im gegenwärtigen Denken identisch scheint, und was höchst unduldsam heutigen Demokratienachzüglern als sofortiges und synchrones Ergebnis abverlangt wird, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie also, kamen keineswegs als Zwillinge zur Welt, vielmehr liegen selbst in westlichen Gesellschaften beinahe 200 Jahre zwischen den Zeitpunkten ihrer Genese. Die Ausformung des Typs liberaler/repräsentativer Demokratie ist darum als historische und territoriale Kontingenz einzuschätzen und kann keinesfalls als von vornherein kohärentes Vorzeige- und Erfolgsmodell westlicher Provenienz vorgeführt werden. Dies gilt es zu bedenken, wenn die Überwindung des vordemokratischen Kolonialismus oder autoritärer postkolonialer Regime etwa in Afrika anstehen oder wenn es um State- und Nation-Building im Kosovo, in Afghanistan oder im Irak geht.
Liberale Demokratie war zunächst nationalstaatlich dimensioniert und darum territorial sowie staatsbürgerlich begrenzt. Zunächst sollte es als Folge sozialer Kämpfe zu personeller Ausweitung bürgerlicher Demokratie kommen: auch Arbeiter und soziale Unterschichten und später Frauen wurden partiell integriert. Erst allmählich wird auch die Überführung repräsentativer Demokratie in eine europäisierte und globalisierte Version angedacht (EU-Verfassung, Formen von Global Governance usw.). Notwendig wird dies in Folge zunehmender transnationaler Aktivitäten, radikaler Ausdehnung der Märkte oder wegen neuer Weltordnungskriege auch...
Erscheint lt. Verlag | 18.9.2024 |
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Reihe/Serie | Politik der Geschlechterverhältnisse |
Vorwort | Birgit Sauer |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung ► Politische Theorie |
Schlagworte | Demokratie • Demokratieforschung • Feminismus • Feministische Politikwissenschaft • feministische Staatstheorie • Gender Studies • Geschlechterforschung • Intersektionalität • Mafia • Männerbund • Männlichkeit • Rechtspopulismus • Staatstheorie |
ISBN-10 | 3-593-46042-4 / 3593460424 |
ISBN-13 | 978-3-593-46042-0 / 9783593460420 |
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