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Offshore - Wie Vermögensverwalter Reichtum tarnen und einen neuen Kolonialismus schaffen (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
208 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45784-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Offshore - Wie Vermögensverwalter Reichtum tarnen und einen neuen Kolonialismus schaffen -  Brooke Harrington
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Ihre wichtigste Eigenschaft ist die Diskretion, und ihre Aufgabe ist es, den Reichtum der Reichsten unsichtbar zu machen - während sie ihn mehren. Ganze Teams von Offshore-Experten arbeiten Tag und Nacht daran, für ihre Kunden Steuerschlupflöcher zu finden, Gesetze zu umgehen, kreative Lösungen zu finden. Der Begriff Steuerparadies, der in vielen europäischen Sprachen für Offshore verwendet wird, wirkt angesichts der libertären Anarchie, die hier herrscht, geradezu verharmlosend. Die renommierte Soziologin Brooke Harrington bringt Licht in die faszinierende Schattenwelt der Vermögensverwalter. Sie beschreibt, wie das System funktioniert, das sie geschaffen haben, und welche Folgen es für alle anderen hat: Wir sollten uns um diese klandestinen Experten viel mehr Sorgen machen als um die Ultra-Reichen selbst. Pressestimmen zu »Capital without borders«: »Ein zeitgemäßer Bericht darüber, wie die 1% ihren Reichtum bewahren ... Das sollte Vermögensverwalter nachts wachhalten.« Wall Street Journal »Harrington rät Regierungen, die die Ungleichheit bekämpfen wollen, sich nicht nur auf die Reichen zu konzentrieren, sondern auch auf die Fachleute, die ihnen helfen, das System zu manipulieren.« Foreign Affairs »Ein einzigartiger Einblick in die Funktionsweise der Vermögensverwaltung.« New Statesman

Brooke Harrington ist Soziologieprofessorin am Dartmouth College in New Hampshire. Seit vielen Jahren erforscht sie die Welt der Superreichen und ihrer Steuerparadiese. Zu Recherchezwecken absolvierte sie mit einem Stipendium der Max-Planck-Gesellschaft zwei Jahre lang eine Zusatzausbildung zur Vermögensverwalterin und arbeitete vier Jahre in Köln. Ihr Buch »Capital without Borders: Wealth Managers and the One Percent« (Harvard University Press 2016) wurde vielfach ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt.

Brooke Harrington ist Soziologieprofessorin am Dartmouth College in New Hampshire. Seit vielen Jahren erforscht sie die Welt der Superreichen und ihrer Steuerparadiese. Zu Recherchezwecken absolvierte sie mit einem Stipendium der Max-Planck-Gesellschaft zwei Jahre lang eine Zusatzausbildung zur Vermögensverwalterin und arbeitete vier Jahre in Köln. Ihr Buch »Capital without Borders: Wealth Managers and the One Percent« (Harvard University Press 2016) wurde vielfach ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt.

EINLEITUNG


»Warum beschäftigen Sie sich mit den Offshore-Finanzen?«

Diese Frage bekomme ich oft zu hören. Normalerweise antworte ich, dass mich das Thema fasziniert, weil es so viele gesellschaftliche Sphären umfasst, von Wirtschaft und Politik bis zu Familie und Kultur. In Wahrheit ist die Antwort sehr viel kürzer: Es war Schicksal.

F. Scott Fitzgerald bezeichnete meine Heimatstadt einmal als den »glamourösesten Ort in der Welt«. Lake Forest am Ufer des Michigan-Sees, etwa eine Stunde nördlich von Chicago, inspirierte Fitzgerald zu The Great Gatsby und bildete die Kulisse für Robert Redfords oscarprämierten Film Ordinary People. Beides sind faszinierende Auseinandersetzungen mit Reichtum und Geheimnissen. Wenn ich gefragt werde, wie ich auf die Idee kam, das Studium eines Systems, das große Vermögen in einen Schleier der Geheimhaltung hüllt, zu meinem Beruf zu machen, kann ich wie Hamlet sagen, dass ich eingeboren bin und drin erzogen.

In meiner Kindheit und Jugend hatten meine Klassenkameraden den Reichtum, während ich die Geheimnisse hatte. In der Grundschule saß ich neben den Sprösslingen des Adels aus dem Mittleren Westen, neben den Abkömmlingen der Armours und Swifts, welche die von Upton Sinclair angeprangerte Fleischverarbeitungsindustrie aufgebaut hatten, neben den Töchtern von Medienzaren und Bankiers, deren Herrenhäuser am Seeufer Ähnlichkeit mit den Kulissen der wilden Partys von Tom und Daisy Buchanan hatten. Auf der anderen, der falschen Seite der Stadt, wo Lake Forest in die Prärie übergeht und wir als Kinder die Kühe hören (und riechen) konnten, die stets um fünf Uhr morgens gemolken wurden, bereitete ich jeden Tag das Abendessen für meine Familie zu. Meine Mutter arbeitete im Stadtzentrum und kam spät von der Arbeit zurück. Meine kleine Schwester, die unter Spina bifida und einem Wasserkopf litt, lernte nie gehen oder sprechen. Gelegentlich erschien auch mein Vater zum Essen, ein Möchtegern-Gatsby, der aufgrund seiner schweren Charakterfehler schließlich im Gefängnis landete. Eines unserer streng gehüteten Geheimnisse war, dass wir Sozialhilfe erhielten, weil die Arztrechnungen für die Behandlung meiner Schwester auf über eine Million Dollar gestiegen waren, was heute etwa 6 Millionen Dollar entspräche und in den siebziger Jahren ein fast unvorstellbarer Betrag für eine Mittelschichtfamilie war.

Ich geriet in der Schule nur ein einziges Mal in Schwierigkeiten. In der dritten Klasse fragte mich eine Mitschülerin, ob ich Geschwister habe, und ich war naiv genug, die Wahrheit zu erzählen. Als meine Klassenkameradin hörte, dass meine Schwester eine Sonderschule für behinderte Kinder besuchte, bezeichnete sie sie als »Idiotin«. In diesem Moment lernte ich eine neue Emotion kennen – mit dem Beschützerinstinkt verbundene Wut – und schlug das Mädchen nieder. Es war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich jemanden körperlich angriff, und dieser Schlag beendete mein soziales Leben in der Grundschule. Behinderungen und Prügeleien gehörten sich nicht in den besseren Häusern in Lake Forest. So lernte ich, Diskretion zu wahren und unsichtbar zu bleiben, um mich zu schützen.

Als meine Schwester einige Monate später starb, musste ich ihren Tod für mich behalten und so tun, als wäre nichts geschehen. Ich musste trotz des Todesfalls zur Schule gehen, denn meine Mutter konnte es sich nicht leisten, der Arbeit fernzubleiben, und mein Vater hatte sich für ein paar Jahre nach Mexiko absetzen müssen. Ich konnte nirgendwo anders hingehen als in das von Mrs. Lockwood regierte Klassenzimmer. Es war der ruhigste und sicherste Ort in meinem Leben. Und da ich an meinem Zufluchtsort auch am glücklichsten war, baute ich mir ein Leben unter Lehrern und Büchern auf.

Als ich in der Mittelschule war, erschien The Official Preppy Handbook, ein satirisches Handbuch für die Besucher von Eliteschulen. Ich studierte es wie eine Anthropologin und versuchte, mich mit den Bräuchen und Ritualen eines Volkes vertraut zu machen, dessen Leben ich nur von außen beobachten konnte. Wie Fitzgerald konnte ich sehen, dass die Reichen anders waren – und wie er wollte ich herausfinden, woran das lag. Jahrzehnte später wählte ich als Soziologin die Methode der teilnehmenden Beobachtung, um mir Zugang zur Welt der Offshore-Finanzen zu verschaffen und mehr über die in den Steueroasen verborgenen Vermögen der Elite herauszufinden. Diese mit allen Mitteln gegen Außenstehende verteidigte Welt kann man nur untersuchen, indem man sich darin bewegt. Die Superreichen und die Finanzexperten, die in ihrem Dienst stehen, sprechen normalerweise nicht mit neugierigen Soziologen.

Ich wollte herausfinden, woran es lag, dass die wirtschaftliche und politische Ungleichheit weltweit außer Kontrolle geriet. Also drang ich in den »Maschinenraum« des Systems ein, das diese Ungleichheit erzeugte. Als ich im Jahr 2007 begann, die Offshore-Finanzen zu studieren, war ich bereits seit fast einem Jahrzehnt Professorin für Wirtschaftssoziologie und hatte mich mit der Veröffentlichung von Büchern über die Investitionssoziologie in den Vereinigten Staaten (Pop Finance) sowie über das Netz aus Geheimhaltung und Lügen, in das der Reichtum gehüllt war (Deception: From Ancient Empires to Internet Dating), für das neue Projekt »aufgewärmt«. Aber mir war klar, dass etwas fehlte: Die Offshore-Welt gähnte wie ein schwarzes Loch am Rand beider Untersuchungsgebiete. Sie übte einen spürbaren Einfluss darauf aus, aber es gab weder eine soziologische Theorie noch Konzepte zu ihrer Beschreibung.

In meiner Forschung sowie in den Nachrichten deutete alles darauf hin, dass die höchsten Stufen der sozioökonomischen Hierarchie dringend genauer untersucht werden müssten. Die Soziologen hatten sich seit den siebziger Jahren fast vollkommen aus diesem Gebiet zurückgezogen, was teils politische Gründe (wie die Solidarität mit den Benachteiligten und das Eintreten für die Armen) hatte und teils mit einem Mangel an Daten zu erklären war. Je reicher Menschen sind, desto schwieriger ist es, sie zu studieren. Daten zu den Armen und zur Mittelschicht sind seit jeher sehr viel leichter zugänglich. Wenn sich die Reichen in geschlossene Wohnanlagen oder auf Privatinseln zurückziehen, wird es zu zeitaufwendig und zu teuer, sie zu studieren.

Doch da ich unter den Superreichen aufgewachsen war, ließ ich mich nicht abschrecken. Der Grund war, dass ich etwas wusste, was die meisten Leute nicht wussten: Die Reichen kümmern sich nicht selbst um ihr Geld. Viele von ihnen, darunter die Eltern der Erbin eines Kaugummiimperiums, die ich im Ferienlager kennenlernte, wussten nicht einmal, wie man eine Glühbirne auswechselte. Die alltäglichen Herausforderungen, die die meisten von uns selbst bewältigen müssen, übertrugen die Reichen Hausbediensteten und anderem »Personal«. Für die meisten von ihnen kam es nicht in Frage, ihre Finanzen selbst zu regeln, vor allem, weil ihr Vermögen über die Generationen hinweg weitergereicht wurde, normalerweise transnational und viel zu komplex war, als dass eine einzelne Person es hätte vermehren oder beschützen können. Um wirklich zu verstehen, wie die Reichen noch reicher wurden, würde ich mit jenen Fachleuten sprechen müssen, die von fast allen reichen Familien beschäftigt werden: mit Treuhändern, Privatbankern, Steuerberatern und anderen Vermögensverwaltern.

Die Frage war, wie ich an diese Fachleute herankommen konnte. Ich konnte nicht einfach anrufen oder eine E-Mail schicken, um ein Interview zu vereinbaren, denn vielerorts drohen den Finanzexperten hohe Strafen einschließlich von Geld- und Haftstrafen, wenn sie vertrauliche Informationen über ihre Praktiken weitergeben. Diese Leute konnten mir am besten erklären, was ich zu verstehen versuchte, aber es war, als stünden sie am anderen Ufer eines Sumpfes, in dem sich Alligatoren tummelten. Und selbst wenn ich an sie herankommen konnte, war nicht klar, wie ich sie dazu bewegen konnte, nützliche Informationen preiszugeben.

Viele Sozialwissenschaftler, darunter Ökonomen, Geographen und Politikwissenschaftler, interessieren sich für die Offshore-Finanzen, aber die meisten von ihnen haben nicht versucht, durch den mit Alligatoren gefüllten Sumpf zu waten und tatsächlich das Gespräch mit den Personen zu suchen, die dafür verantwortlich sind, dass das Offshore-System funktioniert. Sie stützen sich zumeist auf Umfragedaten,...

Erscheint lt. Verlag 18.9.2024
Übersetzer Stephan Gebauer-Lippert
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Demokratie • Family Office • Finanzgeschäfte • Kapital • neuer Kolonialismus • Rechtsstaat • Steueroase • Steuerparadies • Steuerschlupfloch • Superreiche • Vermögen • Vermögensanlage
ISBN-10 3-593-45784-9 / 3593457849
ISBN-13 978-3-593-45784-0 / 9783593457840
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