The Sky is No Limit (eBook)
256 Seiten
Ariston (Verlag)
978-3-641-32303-5 (ISBN)
- Die inspirierende Geschichte einer Frau, die sich nicht aufhalten lässt
- Stark durch unberechenbare Zeiten: In kritischen Situationen klar denken, entschlossen handeln und über sich hinauswachsen
- Als eine der ersten Eurofighter-Pilotinnen Deutschlands zeigt Nicola Winter, was wir aus der Praxis des Fliegens für unseren Beruf und Alltag lernen können
Nicola Winter war über ein Jahrzehnt Jetpilotin bei der Bundeswehr und steuerte als eine von nur drei Frauen in der Luftwaffe den Eurofighter. Nach ihrer Zeit bei der Bundeswehr arbeitete sie zunächst als Beraterin für McKinsey & Co. und als Rettungssanitäterin, bevor sie als Ingenieurin für Luft- und Raumfahrttechnik ins Raumfahrt-Projektmanagement wechselte. Heute ist Nicola Winter renommierte Speakerin, Beraterin für Krisenstäbe und Unternehmen, promovierende Expertin im Bereich der bemannten Raumfahrt sowie Dozentin für Notfall- und Krisenmanagement. Bereits zum zweiten Mal bestand sie 2022 ein offenes Astronautenauswahlverfahren und gehört seitdem zur aktuellen Astronauten-Reserve der ESA.
»Discipline is choosing
between what you want now,
and what you want most.«
Abraham Lincoln
II Disziplin:
Willen muss man lernen wollen
»So eine absolute Scheiße! Ich habe überhaupt keinen Bock mehr! Ich gehe keinen Meter weiter!«– ich fluche wie ein Rohrspatz. Ich habe einfach genug. Absolut und so was von genug. Status: Streik.
Es ist Herbst 2005, ich bin seit einem Jahr bei der Bundeswehr und stehe auf einem steilen Hang, mitten in einem Wald in Südbayern. Ich habe seit zwei Tagen nasskalte Füße, seit vier Tagen kaum etwas gegessen und das gleiche T-Shirt an. Ich weiß, dass ich noch weiter gehen könnte. Aber ich will nicht mehr gehen. Ich will nur fluchen.
Ich sehe keinen Sinn mehr in dieser Übung namens »Überleben Land für Jetbesatzungen«, mit der wir uns gerade schinden: eine Woche Überlebenstraining unter mitteleuropäischen Winterbedingungen für angehende Jetpiloten. Was heißt, dass wir nur die Ausrüstung zur Verfügung haben, die mit uns ins Freie katapultiert wird, wenn wir per Schleudersitz aus einem abstürzenden Jet »aussteigen«. Also so gut wie nichts. Jetpiloten tragen lediglich eine Weste mit einem Funkgerät, einer Signalpistole, einem Signalspiegel und einer Schwimmweste. Das »Sitzkissen« des Schleudersitzes ist zwar tatsächlich eine Sitz-Kiste, gut 30 Zentimeter breit, 20 tief und 20 hoch. Diese baumelt an einer Leine 5 Meter unter uns, wenn wir am Fallschirm hängen, und in ihr führen wir noch ein bisschen mehr Ausrüstung mit. Aber Zelt, Schlafsack oder Essen? Fehlanzeige!
Ein vernünftiges Überlebenstraining führt die Bundeswehr selbstverständlich nicht im Sommer als schönes Zeltlager durch, sondern ausschließlich im Winter in den Voralpen. Mit ein wenig Glück und einem Trainingstermin im März liegt zumindest kein Schnee.
Es liegt also eine Woche Training hinter uns, in der wir aus unseren Fallschirmen Zelte gebaut und darin die Nächte durchfroren haben, in der wir Feuerholz gesammelt, mehr oder weniger gut Feuer gemacht und uns warm gehalten haben. Unsere Ausbilder haben uns beigebracht, wie wir Forellen, Eichhörnchen und Kaninchen fangen. Analog zu unserem erwartbaren Jagderfolg in einer realen Notlage gab es auch in dieser Woche nüchtern wenig zu essen.
Dann endlich: Freitag. Am Morgen dürfen wir unsere Zelte abbrechen und uns in Zweierteams zu unserem jeweiligen Abholpunkt aufmachen. Alles, was wir dafür bekommen haben, ist eine rudimentäre Karte und eine Kompassrichtung. Gut – auch das wäre in einem Einsatz durchaus realistisch. Und so machen mein Mitstreiter und ich uns auf den Weg. Hungrig, durchgefroren, übernächtigt, aber immerhin in dem Bewusstsein, dass die Übung bald zu Ende ist und wir abgeholt werden.
Wir marschieren. Einen Kilometer, drei, fünf. Wir laufen mürrisch weiter. Acht. Wir schleppen uns weiter durch Kilometer 10, 12. Kein Ende in Sicht. 15. Wir steigern uns rein in eine mühselige Diskussion über die korrekte Navigation – sind uns dann aber doch einig, dass wir in der richtigen Richtung unterwegs sind. Und weiterlaufen müssen. Immer dem Kompass hinterher.
Dann steht er plötzlich vor uns: steil, steinig, saublöd. Ein unseliger Hang. Links richtiger Berg, rechts Dickicht, geht es 200 Höhenmeter steil bergauf. Kein Umweg möglich. Und für mich war völlig klar, dass unsere Ausbilder diesen Weg absichtlich gewählt hatten. Nach dem Motto: »Wenn sie fix und fertig sind, dann zwingen wir sie noch mal stumpf einen steilen Hang hinauf. Das wird lustig!«
Die erste Hälfte des Hanges erklimme ich schweigend. Dann: paff. In meinem Kopf reißt der Geduldsfaden. Ein kleiner Ausrutscher auf einem glitschigen Stein hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Ich fluche. In einigermaßen zivilisierte Sprache übersetzt, dachte ich so etwas wie: Was zum Teufel mache ich hier eigentlich? Welche dämliche Entscheidung in meinem Leben hat dazu geführt, dass ich jetzt an diesem Scheißhang stehe?! Ich will doch einfach nur Jets fliegen!
Heute weiß ich, dass meine Reaktion gar nicht so abwegig war: Psychologische Studien im Fach »Malediktologie« zeigen, dass Fluchen tatsächlich hilft, die eigene Schmerzgrenze zu verschieben. Konkret: Für das konventionelle Fluchen (»F*ck«) ergaben die Analysen eine um 32 Prozent erhöhte Schmerzschwelle und eine um 33 Prozent erhöhte Schmerztoleranz im Vergleich zu weniger deftigen Schimpfwörtern.4 Die Schmerzforschung zeigt außerdem, dass die Toleranz gegenüber Schmerzen deutlich niedriger ist, wenn Schmerztrigger unerwartet kommen oder unkontrollierbar scheinen.5 Wieder eine andere Studie zeigt, dass die anfängliche Einschätzung der Art des Schmerzes (Stichwort: »Überlebenstraining«) nicht nur beeinflusst, wie gut wir Schmerzen aushalten, sondern auch – und das ist interessant! – wie wir unsere eigenen Bewältigungskompetenzen erleben.6
Ich bin also gereizt, oder eleganter malediktiv. Und ich bin sauer. Bis zu diesem Tag hatte ich noch keine einzige Minute in einem Flugzeug verbracht. »Dieser Mist nervt so ab!«, schimpfe ich lautstark. Mein Trainingspartner sieht mich völlig entnervt an. Ihm ist genauso nasskalt wie mir, er ist genauso hungrig, müde und erschöpft. Und jetzt macht seine Kameradin auch noch Theater … aber er bleibt ruhig. Wartet.
Weiterlaufen, immer weiter
Schnitt. Herbst 2004 – ein Jahr zuvor. Ich starte mit einer Gruppe von 80 nervös dreinblickenden Jugendlichen in die Grundausbildung. 76 Männer, vier Frauen. Wir sind der dritte Jahrgang mit Frauen im »Truppendienst« – das heißt: Anders als die Bundeswehr-Sanitäterinnen und Musikerinnen vor uns sind wir »reguläre« Soldatinnen. Die Jungs marschieren, wir marschieren, für alle gelten die gleichen Regeln, unabhängig vom Geschlecht.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich jeder Kasernen-Architekt größte Mühe gegeben, Frauen nicht mitzudenken und deshalb Waschräume, Umkleiden und Toiletten nur für Männer gebaut. So leiden meine Kameradinnen und ich nun unter dem »tragischen« Schicksal, dass wir uns zu viert einen Waschraum für vierzig Mann teilen müssen, während sich die 76 Männer den anderen Waschraum teilen dürfen.
Klar: Wir lassen die Kameraden unseren Waschraum mitnutzen … nach uns. Aber darum soll es hier nicht gehen. Es geht vielmehr um Disziplin und Durchhaltevermögen. Es geht um die Kraft der Resilienz und um die Grenzen des menschlichen Willens.
Doch zunächst eine kleine Ernüchterung für alle, die Ego-Shooter-Games und US-amerikanische Kriegsfilme lieben: Eine Bundeswehr-Grundausbildung hat mit Full Metal Jacket und GI Jane so viel zu tun wie ein durchschnittlicher deutscher Teenie mit Arnold Schwarzenegger. Also nichts.
Deutsche Realität ist, dass 80 ganz normale Jugendliche ein Programm absolvieren, das mehr einem Pfadfinderlager gleicht als einer Spezialkräfteausbildung. Für mich überraschend gehört ziemlich viel Theorieunterricht im Klassenzimmer dazu. Außerdem Formaldienst – also »Stillgestanden«, »Rühren«, »Achtung!« Marschieren im Gleichschritt, korrektes Grüßen, korrektes Melden. Dazu kommen Schießausbildung und die ersten, kleinen Märsche und Übungen im nächstgelegenen Waldstück. Auch wenn es manchmal wenig sinnhaft wirkt, haben diese Übungen ein klares Ziel: Disziplin.
Gefürchtet ist der »Leistungsmarsch« am Ende der dreimonatigen Ausbildung. Dabei muss jeder Soldat eine 30 Kilometer lange Strecke mit zehn Kilo Gepäck innerhalb von sechs Stunden absolvieren. Wenn man bedenkt, wie weit man im Alltag sonst läuft, dass schon 3 Kilometer eigentlich eine Strecke fürs Fahrrad sind und ab 5 Kilometer Wegstrecke die meisten auf Auto oder ÖPNV umsteigen – dann sind 30 Kilometer samt Gepäck ganz schön weit. Vor allem für den Kopf.
Ich war in meiner Jugend Skirennläuferin, Skilehrerin, Seglerin. Ich kenne stundenlanges Training und Ausdauersport. Aber 30 Kilometer am Stück war ich noch nie zu Fuß gegangen. Dabei ist eine solche Strecke eigentlich keine große Sache. Menschen sind geborene Langläufer. Wir sind evolutionär auf Strecken von 50 bis 60 Kilometer am Tag ausgelegt; 30 Kilometer stellen für junge, gesunde Menschen überhaupt kein Problem dar. Einfach einen Fuß vor der anderen setzen und bis zum Ziel nicht aufhören. Das war’s schon.
Mit meinen 160 Zentimetern habe ich die kürzeste Schrittlänge aller 80 Rekruten, muss also die meisten Schritte machen und löse aus einem weiteren Grund bei meinen Kameraden konstant Heiterkeit aus: Wenn ich den Bundeswehr-Rucksack schultere, sind von hintern nur noch meine Beine zu sehen. Mein kompletter Rumpf samt Kopf verschwindet, und mein Rucksack wird zum hüpfenden Selbstläufer. Und doch bin ich nie die Langsamste oder Letzte im Ziel und bestehe jede einzelne Leistungsprüfung. Der Grund dafür ist schnell erklärt: Am Ende kommt es nicht darauf an, wie groß oder kräftig jemand ist. Sondern was er oder sie tut, wenn es ungemütlich wird.
Ungemütlich wird es früher oder später für jeden von uns: kratzige, olivgrüne Wollsocken in schweren, schwarzen, knarzigen Lederstiefeln. Ein einfacher, kaum einstellbarer Rucksack mit Ballast auf dem Rücken und staubige Feldwege in schnellem Schritt oder leichtem Trab. Dabei haben nur Masochisten Spaß – oder langgediente Soldaten, die gelernt haben, ihre Launen zu kontrollieren.
Disziplin braucht langsames...
Erscheint lt. Verlag | 16.10.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 2024 • Astronaut*innen • Biografie • Biographien • Business & Karriere • eBooks • Erfolg • European Space Agency • Frauen in Führungspositionen • Führung • Führungskompetenz • Hochleistung • Inspiration • Kampfpilotin • Krisenmanagement • Leadership • Motivation • Neuerscheinung • Notfallmanagement • Resilienz • Stressmanagement • Vorreiterin • Wirtschaft |
ISBN-10 | 3-641-32303-7 / 3641323037 |
ISBN-13 | 978-3-641-32303-5 / 9783641323035 |
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