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Ist das noch Demokratie oder kann das weg? (eBook)

Gedanken zu der besten Staatsform, die wir kennen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
280 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9669-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ist das noch Demokratie oder kann das weg? -  Erica Benner
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Optimismus statt Pessimismus. Nicht den Tod der Demokratie beschwören, sondern ihre Anfänge betrachten.

Durch die Brille einer Frau, einer Philosophin, einer 'Ausländerin', die auf fünf Kontinenten zu Hause war: Erica Benner führt uns zu den wunden Punkten der Demokratie. Geboren und aufgewachsen in Japan, hat sie große Teile ihres Lebens in Großbritannien verbracht, war in Südafrika, in den USA, in der UdSSR, in Frankreich, Polen, Ungarn, Kolumbien, Deutschland und in China. An diesen Orten hat sie gelebt und gelehrt und verschiedene demokratische Gesellschaften aus nächster Nähe beobachtet. In Japan das Konzept der 'Fremden', in England die Klassenunterschiede, in den USA der Rassismus, in China Genderfragen - eines wird überall deutlich: Wie Männer über Frauen sprechen, wie Mehrheiten über Minderheiten oder Gebildete über weniger Gebildete: Gleichheit ist und bleibt ein Ideal. Erica Benner befragt die historischen Vordenker der Demokratie und zieht daraus Schlüsse für die Gegenwart. Denn wir brauchen die Demokratie, und die Demokratie braucht uns.

Erica Benner wurde 1962 als Tochter US-amerikanischer Eltern in Japan geboren. Sie ist eine politische Philosophin, die an der Universität Oxford, der London School of Economics und in Yale gelehrt hat. Ihre Machiavelli-Biografie Be Like the Fox wurde vom Guardian zu einem der besten Bücher des Jahres 2017 gewählt und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Vorwort

Im Jahr 2026 wird die Demokratie ihren 250. Geburtstag begehen.1 Vermutlich wird es keine Siegesfeier werden. Millionen Menschen auf der ganzen Welt, die in autoritären Regimen leben, sehnen sich nach Freiheit, doch nicht wenige fragen sich auch, ob die Demokratie die beste Alternative darstellt. Einige Menschen, die in demokratischen Staaten leben, haben ebenfalls Zweifel. Angesichts der vielen welterschütternden Probleme, die uns bedrängen – ein gefährlicher globaler Wettbewerb, digitale Technologien, die die Menschen manipulieren und polarisieren, der verheerende Klimawandel –, ist die Frage durchaus angebracht, ob eine Regierungsform, die auf endlosen Debatten zwischen streitsüchtigen, uninformierten Bürgern basiert, diese Herausforderungen überhaupt bewältigen kann. Sollten wir nicht besser Experten mehr Macht einräumen, oder jenen Führungspersonen, die eine konkrete Vision für unser Land mitbringen?

Ich gehöre nicht zu diesen Zweiflern. Für mich besteht der beste Weg, die Probleme unserer Zeit anzugehen, darin, die politische Macht gleichmäßiger zu verteilen und auszuweiten, anstatt sie in die Hände von Anführern zu legen, denen unser persönliches Wohl und unsere gemeinsame Zukunft am Herzen liegen mögen – oder eben auch nicht. Die Untersuchung politischer Verhaltensmuster in der Geschichte hat gezeigt, dass die Zusammenarbeit von vielen dauerhafteren Erfolg erzielt, die Lebensqualität der Menschen erhöht und dem Einzelnen ein weitaus größeres Sicherheitsempfinden bietet als eine Regierung der wenigen. Ich hoffe, dass Menschen, die über die Fähigkeiten verfügen, die mir fehlen, die neuen Technologien nutzen werden, um öffentliche Institutionen zu schaffen, wie wir sie noch nie zuvor gesehen haben, in denen Laien und Fachleute ihre praktischen Ideen, ihre moralischen und religiösen Ansichten darlegen und gemeinsam Politik gestalten können.

Doch wir werden keine effektiven Lösungen finden, solange wir nicht verstehen, wie unsere Probleme entstanden sind, und uns eingestehen, dass auch in Demokratien schon einiges gehörig schiefgelaufen ist. Wenn wir wollen, dass die Demokratie uns dabei hilft, lokale, nationale und weltweite Koalitionen aufzubauen, um die drängenden Probleme unserer Zeit anzugehen, müssen wir – und mit »wir« meine ich alle von uns, die in einer Demokratie leben oder es gerne würden – uns nicht nur ihre Stärken, sondern auch ihre Schwächen genauer ansehen.

Dabei greife ich auf meine eigenen Erfahrungen in den Ländern zurück, in denen ich gelebt und die ich bereist habe. Außerdem gehe ich auf die historischen Anfänge der Demokratie ein – im antiken Athen und Rom, im Florenz der Renaissance und während der Amerikanischen und der Französischen Revolution –, um ein klareres Bild von der widerspenstigen Realität hinter den demokratischen Idealen zu gewinnen.

Die Gemeinschaft der selbstbestimmten Bürger, der Demos, nimmt in diesem Buch die Hauptrolle ein. Bei meinen Reisen durch die Demokratien verschiedener Länder und Epochen interessiere ich mich weniger für die politischen Institutionen als für die Menschen und wie es ihnen gelingt, Selbstbestimmung umzusetzen. Damit meine ich nicht die Anführer, auch wenn einige von ihnen sich in den Vordergrund drängen und übermäßig viel Aufmerksamkeit für sich beanspruchen. Viel interessanter sind die ganz normalen Bürger, die eine Meinung haben und wählen gehen (oder auch nicht), die Online-Posts lesen oder schreiben, Demonstrationen und Debatten veranstalten und darüber nachdenken, wie Politik unser Privatleben und die Zukunft unserer Kinder beeinflusst.

Platon glaubte, dass die Seelen der einzelnen Bürger – das altgriechische Wort für Seele lautet psychē – die Verfasstheit eines Staates ebenso sehr beeinflussen wie umgekehrt. Politische Entitäten sind lebende, atmende Organismen, die eine eigene Seele haben, die von den Strukturen der Institutionen geformt, aber von den Seelen der Einzelnen belebt wird, die wiederum von ihren unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Lebensumständen und ihrer persönlichen Geschichte geprägt sind. Selbst die effizientesten Institutionen können auf lange Sicht nur funktionieren, wenn die Menschen sich mehr oder weniger an ihre Vorgaben halten.

Und wo auch immer in den letzten 2 500 Jahren Demokratien entstanden sind, haben die Menschen, die in ihnen lebten, sich durch ihr Fehlverhalten hervorgetan. Vom antiken Athen bis heute sind selbstbestimmte Bürger jeder Couleur ständig vom Skript abgewichen. Sie stellen das Grundkonzept ihrer Regierung infrage, erfinden wortreiche Ausreden, um Regeln zu umgehen, und wählen Anführer, die ihnen versprechen, sich nicht unbedingt an die Regeln zu halten. Oder sie untergraben die Grundfesten der Demokratie, ohne dabei gegen Vorschriften zu verstoßen – beispielsweise wenn die Anhänger einer ethnischen Gruppe, Partei oder Ideologie Desinformation nutzen, um Institutionen zu monopolisieren, die dazu geschaffen wurden, die Macht breiter zu verteilen.

In den heutigen dicht bevölkerten, bürokratischen Demokratien mag es scheinen, dass nur diejenigen Einfluss auf das politische System nehmen können, die besonders durchsetzungsfähig sind. Aber die psychē von uns Durchschnittsbürgern kann sich dennoch bemerkbar machen. Wir werden uns dieser Macht vor allem in Zeiten großer Anspannung bewusst, wenn im Wahlkampf der Ausgang ungewiss ist oder wenn Polarisierung, Grobheit oder Gewalt zunehmen. Sobald Führungspersonen davon sprechen, maßgebliche Institutionen und Gesetze zu reformieren, um die Risse in unseren Demokratien zu kitten, wird meist schnell klar, dass ihre Reformen entweder im Parlament scheitern oder von den gutgesinnten Seelen der Bürger nicht ausreichend unterstützt werden.

Das bedeutet, dass institutionelle Reformen selten ausreichen, um Demokratien zu reparieren. Um sie neu zu justieren und wieder glaubwürdig zu machen als Option für Menschen, die eine neue Demokratie erschaffen wollen, müssen wir also einen unverstellten Blick auf uns selbst zulassen und unser Denken und Handeln überprüfen. Dieses Buch wirft ein schonungsloses Licht auf die Irrtümer, Ängste, Dummheiten, Peinlichkeiten, Anmaßungen, die Doppelmoral und die Verblendung, die Teil jeder Demokratie sind. Ich beschäftige mich auch mit der Frage, ob die ökonomischen, kulturellen und ideologischen Umfelder demokratischer Institutionen diese stärken oder belasten. Ich untersuche die Wünsche und Bedürfnisse, die wir auf unsere Regierungen projizieren: Was soll die Demokratie für uns tun, für Menschen in anderen Ländern, für die Zukunft der Menschheit? Und ich wage einen kritischen Blick auf unsere Haltung gegenüber Mitbürgern und Menschen aus anderen Ländern, und unsere Bereitschaft, diejenigen als Gleichwertige anzuerkennen, mit denen wir uns – ob wir nun wollen oder nicht – den politischen und globalen Raum teilen müssen.

Moderne Vorstellungen von Demokratie halten die Gleichheit hoch und fordern Respekt für alle Bürger. Dennoch herrscht auch heute in den meisten Demokratien eklatante Ungleichheit. Und sie wächst in erschreckendem Tempo, in einer hyperkompetitiven Welt, die auf Rangordnung, exzessiven Reichtum und nationale Größe fixiert ist.

Die Kluft zwischen egalitären Idealen und der Realität schwächt die Demokratie – nicht nur dort, wo sie seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten stark erschien, sondern auch als politische Option für Menschen auf der ganzen Welt. Ökonomische Ungleichheit schafft enorme Diskrepanzen, was politischen Einfluss und Chancengleichheit angeht, obwohl doch alle Bürger grundsätzlich gleich sein sollten. Die Gegenreaktionen, die die Fortschritte in der Gleichstellung aller Ethnien und Geschlechter ausgelöst haben, befeuern Extremismus sowohl von rechts als auch von links, und verstärken die Zweifel, ob die maßgeblichen Institutionen der Demokratie tatsächlich für alle Menschen tauglich sind. Derartige Entwicklungen in Ländern, die lange Zeit als Vorzeigemodelle der liberalen Demokratie galten, lassen Menschen andernorts daran zweifeln, ob sie dem nacheifern sollten. Wenn man allen Menschen Macht verleiht – egal, ob sie reich oder arm, an einem Ort verwurzelt oder global mobil sind –, hilft es ihnen dann dabei, sich ein besseres und sicheres Leben aufzubauen? Oder könnte ihre neu gewonnene Freiheit dazu führen, dass sie in einen kraftraubenden Konkurrenzkampf geraten und versuchen, ihre jeweilige politische Agenda durchzusetzen und sich so viel Aufmerksamkeit, Geld und Macht zu verschaffen, wie sie nur können?

Gleiches Stimmrecht, gleiche Freiheiten, gleiche Chancen, gleiche Anteile an einem gemeinsamen ökonomischen Kuchen, gleicher Respekt – das sind nicht nur Schlagwörter. Menschen setzen sich aus guten Gründen dafür ein, die nichts mit rechter oder linker Ideologie zu tun haben. Lange vor der Psychologie haben die Geschichtswissenschaft und die Philosophie beobachtet, dass das Streben nach Macht die Menschen mindestens ebenso antreibt wie ihre Ideale.2 Menschen sind kompetitiv – wir sehen uns selbst gern als »gleicher als andere«, wie schon George Orwell bemerkte. Menschen sind misstrauisch – wir befürchten, wenn wir Schwäche zeigen, könnten andere es ausnutzen. Politische Gleichheit ist deshalb so verlockend, weil sie verspricht, dem Konkurrenzkampf Grenzen zu setzen, während jeder und jede Einzelne einen gerechten Anteil an der Macht behält: Mitbestimmung, Grundfreiheiten, eventuell sogar einen sicheren Lebensunterhalt....

Erscheint lt. Verlag 13.9.2024
Übersetzer Yamin von Rauch
Sprache deutsch
Original-Titel Adventures in Democracy
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Demokratie • Erica Benner • Freiheit • Gesellschaft • Gesellschaftkritik • Gleichheit • Ideal der Gleichheit • Politik • Sachbuch • Staatsformen • Überheblichkeit des Westens • Ungleichheit • Zukunft
ISBN-10 3-0369-9669-9 / 3036996699
ISBN-13 978-3-0369-9669-1 / 9783036996691
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