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Trialog (eBook)

Wie wir über Israel und Palästina sprechen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
255 Seiten
Quadriga (Verlag)
978-3-7517-7341-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Trialog -  Jouanna Hassoun,  Shai Hoffmann
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Ein deutscher Jude mit israelischen Wurzeln und eine Deutsch-Palästinenserin können miteinander reden. Gemeinsam reisen Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann seit 2023 für ihr Projekt »Trialog« von Schule zu Schule, um über den Krieg, die gegenwärtige Eskalation in Israel und Palästina sowie die Auswirkungen für das muslimische und das jüdische Leben in Deutschland zu sprechen. Sie schaffen in ihren Gesprächsrunden einen Raum, der auch Fragen und Ansichten zulässt, die viele sich nicht trauen zu stellen oder zu äußern. Damit beweisen sie, dass das Miteinanderreden möglich ist, und motivieren die Leserinnen und Leser, selbst in den Dialog einzusteigen.



<p>Jouanna Hassoun, die vor dem Bürgerkrieg im Libanon nach Deutschland floh und palästinensische Wurzeln hat, ist seit über 15 Jahren als politische Bildnerin aktiv. Sie engagiert sich seit 2015 mit dem von ihr mitgegründeten Verein »Transaidency« in der politischen Bildung und humanitären Hilfe. Außerdem setzt sie sich für den muslimisch-jüdischen Dialog und die Bekämpfung von Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit ein. Jouanna ist Trägerin des Landesverdienstorden von Berlin.</p>

Jouanna Hassoun, die vor dem Bürgerkrieg im Libanon nach Deutschland floh und palästinensische Wurzeln hat, ist seit über 15 Jahren als politische Bildnerin aktiv. Sie engagiert sich seit 2015 mit dem von ihr mitgegründeten Verein »Transaidency« in der politischen Bildung und humanitären Hilfe. Außerdem setzt sie sich für den muslimisch-jüdischen Dialog und die Bekämpfung von Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit ein. Jouanna ist Trägerin des Landesverdienstorden von Berlin. Shai Hoffmann ist ein deutscher Jude mit israelischen Wurzeln. Er ist als Sozialunternehmer, Aktivist, Speaker und Moderator tätig. Als Geschäftsführer der Bildungsorganisation »Gesellschaft im Wandel GmbH« und Initiator diverser Projekte wie dem »Bus der Begegnungen«, dem »DemokratieBus« und dem Tiny Space »Über Israel und Palästina sprechen« setzt er sich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ein. Außerdem moderiert er den Podcast »Über Israel und Palästina sprechen«. Gemeinsam wurden sie als Botschafter und Botschafterin für Demokratie und Toleranz von der Bundeszentrale für politische Bildung ausgezeichnet.

Wer ich bin: Jouanna Hassoun

In meiner frühesten Erinnerung steht ein libanesischer Soldat in unserer kleinen Wohnung. Ich bin keine vier Jahre alt. Der Soldat ist bewaffnet und scheucht uns aus dem Wohnbereich, der sich abends in das Schlafzimmer der sechs Kinder im Haus verwandelt. Er treibt uns in den Innenhof und stellt uns vor eine Wand. In der Küche dreht er den Gashahn auf. »Sprecht euer letztes Gebet«, sagt er und zündet sich eine Zigarette an. Meine Mutter hält meinen Bruder auf dem Arm, der zu dieser Zeit ein Baby ist. Der Soldat wirft die Zigarette, und die Küche geht in Flammen auf.

Unsere Wohnung brannte an diesem Tag völlig aus. Es war bereits das zweite Mal, dass ich mein Zuhause verlor. Das Haus war schon um meinen ersten Geburtstag herum bei einem Angriff, der vermutlich von der israelischen Luftwaffe durchgeführt wurde, so schwer beschädigt worden, dass wir eine Zeit lang nicht mehr darin wohnen konnten.

Ich bin 1983 im palästinensischen Flüchtlingslager El-Bass, das an die libanesische Stadt Sur (Tyros) angrenzt, zur Welt gekommen. Wie jede palästinensische Geschichte beginnt meine jedoch nicht mit meiner Geburt, sondern mindestens mit der Flucht und Vertreibung meiner Großeltern aus Palästina. Dort sind meine Großeltern geboren, und dort kam auch mein Vater zur Welt: 1943 in Haifa, der Hafenstadt am Mittelmeer, damals im britischen Mandatsgebiet Palästina gelegen, heute in Israel. In Haifa war mein Großvater der Familienlegende nach ein wohlhabender Händler, Besitzer von Ländereien und Olivenhainen, vielleicht sogar von einem ganzen Kanister Gold, irgendwo versteckt in seinem Haus im Viertel Wadi Nisnas. Aus Haifa floh mein Großvater 1948 mit seiner Frau und fünf Kindern in den Süden des Libanon. Das war selbst zur damaligen Zeit keine besonders weite Strecke, jedenfalls eine Distanz, die nicht vermuten ließ, dass es keine Rückkehr geben würde. Doch die Erwartung, in wenigen Tagen oder Wochen zurückkehren zu können, wurde mit dem Sieg der israelischen Armee über die arabischen Nachbarstaaten und der Gründung des Staates Israel zerschlagen, und Familie Hassoun musste im Libanon bleiben. Damit war sie ausgerechnet in dem Nachbarland gelandet, in dem Palästinenser*innen das schwerste Los gezogen hatten: Sie wurden weder eingebürgert, noch durften sie außerhalb der Flüchtlingslager der UNRWA leben oder frei ihre Berufe wählen. El-Bass, das Lager, in dem mein Vater mit seinen Eltern und drei der vier Geschwister schließlich ein neues, unfreiwilliges Heim fand, lag in Luftlinie keine 60 Kilometer von Haifa entfernt.

In El-Bass wurde 1955 auch meine Mutter geboren. Ihr Vater stammte aus Akka und war als einziges Familienmitglied aus Palästina geflohen – eine Tatsache, die ihm, wie vielen sogenannten 1948-Palästinenser*innen,von den Zurückgebliebenen, auf Arabisch als »die Inneren« bezeichnet, zum Vorwurf gemacht wurde. Erst viele Jahrzehnte später konnten die Verwandten aus Akko, inzwischen israelische Staatsbürger, mit uns, den nach Deutschland Geflüchteten, in Berlin die Familien wieder zusammenführen. Eine Geschichte, wie sie unzählige Palästinenser*innen, die seit 1948 in der ganzen Welt verstreut leben, erzählen können.

In El-Bass heirateten meine Eltern, und in El-Bass spielte sich auch jene Szene aus meiner frühen Kindheit ab, die sich so tief in mein Gedächtnis eingegraben hat. An diesem Tag, der sich im Herbst 1986 ereignet haben muss, als die schiitische Amal-Miliz gegen palästinensische Gruppen kämpfte und später in die Flüchtlingslager eindrang, wo sie keinen Unterschied zwischen Kämpfern und Zivilist*innen machte, wurden wir gerettet, weil ein weiterer Soldat hinzukam und den ersten stoppte. Viel später, als ich meiner Mutter von meinen Erinnerungen erzählte und sie mir bestätigte, dass die Geschehnisse sich tatsächlich so zugetragen hatten, erfuhr ich von ihr, dass sie dem zweiten Soldaten am Vortag an einem Checkpoint begegnet war und behauptet hatte, sie sei eine mit einem Palästinenser verheiratete Libanesin. Deshalb hinderte er seinen Kameraden daran, uns zu erschießen: weil er glaubte, wir seien keine Palästinenser. Während die Soldaten stritten, gelang es meiner Mutter, uns Kinder aus dem Hof auf die Straße zu zerren. Der erste Soldat versuchte das mit Gewalt zu verhindern und verletzte mich mit einem Schlag am Kopf – bis heute trage ich das Mal des Krieges, denn mein schielendes Auge ist Resultat dieser Verletzung.

Der Bürgerkrieg im Libanon

Das kleine Land Libanon beheimatet sowohl sunnitische als auch schiitische Muslime, Christen, unter denen maronitische Katholiken die Mehrzahl bilden, Drusen und andere Minderheiten. Von den knapp 5,3 Millionen Einwohner*innen4 haben heute schätzungsweise etwa 250 000 palästinensische Wurzeln.5

Als Jouanna 1983 geboren wurde, tobte der Bürgerkrieg im Land schon seit acht Jahren. Dieser Krieg resultierte im Wesentlichen aus einer Schwäche des libanesischen Staates und dem Aufstieg von Milizen, die das staatliche Gewaltmonopol ersetzten. Er forderte bis 1990 wohl rund 100 000 Opfer.6 Die Milizen, die an den Kämpfen beteiligt waren, formten sich entlang ethnischer und religiöser Linien: die christlich-maronitischen Phalangisten kämpften gegen die palästinensische PLO und die Libanesische Nationalbewegung, eine Koalition aus Linken und Sunniten; ab 1986 kämpfte auch die schiitische Amal-Miliz gegen die Milizen der PLO, die sich wiederum der ebenfalls schiitischen Hisbollah annäherte. Syrien unterstützte christliche Milizen im Norden, während Israel auf der Seite christlicher Milizen im Süden intervenierte und den Südlibanon ab 1982 besetzte, was schließlich eine Vertreibung der palästinensischen Führung aus dem Libanon nach Tunesien bewirkte.

Ich weiß nicht, wann meine Mutter beschloss, uns aus dem Krieg hinauszubringen. Doch sie muss irgendwann begriffen haben, dass sie uns unter diesen Umständen nicht das Leben bieten konnte, das sie uns bieten wollte – mehr noch, dass unser Leben in ständiger Gefahr war. Eine Zeit lang hausten wir in einer zum Flüchtlingslager umgewandelten Schule. Später konnten wir in unser wieder in Stand gesetztes Haus in El-Bass zurückkehren, wo meine Mutter eine kleine Bäckerei aus unserer Wohnung heraus betrieb. Aber eines Tages im Jahr 1989, ich war sechs Jahre alt, packte sie plötzlich unsere Sachen in einen braunen Koffer und sagte mir, dass ich mich von meinen älteren Geschwistern verabschieden sollte. Meinem Onkel, der in Deutschland lebte, war es gelungen, meiner Mutter ein Visum zu organisieren – ein Visum für sie und zwei Kinder. Also blieb meiner Mutter nichts anderes übrig, als mit den beiden Jüngsten – mir und meinem Bruder – über Syrien nach Deutschland zu reisen, in der Hoffnung, die älteren Kinder so schnell wie möglich nachzuholen.

Und so kam ich nach Deutschland: In einem Flugzeug von Damaskus nach Ostberlin, dann von der DDR in die BRD durch einen Checkpoint, der auf mich nicht viel anders gewirkt haben kann als die panzerbewehrten Barrikaden im Libanon, und schließlich im Taxi, von meiner Mutter mit Dollar bezahlt, nach Neukölln, wo meine Tante vor Schreck fast aus dem Fenster fiel, als meine Mutter vom Hof aus nach oben den Namen meines Onkels rief. Wir sind da!

Ankommen in Deutschland bedeutete, mit vielen anderen Palästinenser*innen aus dem Libanon und Geflüchteten aus aller Welt in einem Flüchtlingsheim zu wohnen und in der Schule in das zu gehen, was man heute Willkommensklasse nennt, damals aber lapidar als »Ausländerklasse« bezeichnet wurde. In den ersten Jahren musste ich ständig die Schule wechseln, weil wir von einem Flüchtlingsheim ins nächste geschickt wurden. Schließlich landete ich in Moabit, wo wir 1995 endlich in eine eigene Wohnung ziehen konnten.

Wir waren geduldet und zeitweise gestattet, hatten also keine langfristige Aufenthaltsgenehmigung – ein Umstand, den ich als Jugendliche nicht länger hinnehmen wollte. Ich war in der 10. Klasse, ich brauchte eine Perspektive. Also kontaktierte ich einen Anwalt, um meine Rechte und Möglichkeiten auszuloten, und beantragte schließlich mit seiner Hilfe einen Aufenthaltstitel. Direkt nach der Schule fing ich eine Ausbildung an, weil ich wusste, dass eine geregelte Arbeit Voraussetzung für eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung war.

Was genau es mir ermöglichte, diesen Weg zu gehen, kann ich nicht sagen. Ich war immer schon ein kritischer Geist gewesen, politisch interessiert und von manchmal kaum zu bändigendem Tatendrang, und meine Mutter gab mir das Gefühl mit, dass es möglich sei, etwas anzupacken und zu ändern. Das erste Mal erfahren, dass ich etwas auf die Beine stellen kann, habe ich, als ich mit fünfzehn Jahren an einer Partizipationsgruppe für Mädchen teilnahm. Da wurden wir – eine Handvoll hauptsächlich arabischsprachiger junger Mädchen – gefragt, was wir uns für Moabit wünschten. Und wir sagten: Ein Mädchen-Café. Wir sammelten Unterschriften, halfen dabei, ein Konzept zu entwickeln, fragten die Stadträtin an – und bekamen das Café. Im Mädchen-Kultur-Treff Dünja, den ich mitgegründet und aufgebaut habe, hatte ich meinen ersten Job als Kulturvermittlerin und Projektkoordinatorin. Dünja heißt »Welt« und diese Erfahrung zeigte mir: Du kannst die Welt mitgestalten.

Mein Engagement in jungen Jahren führte dazu, dass ich schnell Netzwerke aufbaute und immer weitere Projekte initiieren konnte, zunächst auf Kiezebene in Moabit, später auch größer angelegt....

Erscheint lt. Verlag 27.9.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Ägypten • Anschlag • Aufklärung • Außenpolitik • Dialogbereitschaft • Diskurse • Europa • Extremisten • Fakten • Frieden • Gaza • Gespräche • HAMAS • Hass • Humanismus • Iran • Islam • Israel • Jerusalem • Judentum • Kontroversen • Meinungen • Menschenrechte • Menschlichkeit • Mullahs • Nahostkonflikt • Opfer • Polarisiert • Politik • Raketen • Regime • Schulen • Schulprojekt • Sicherheit • Spaltung • Staatenlösung • Täter • Technologien • Terror • USA • Waffen
ISBN-10 3-7517-7341-X / 375177341X
ISBN-13 978-3-7517-7341-6 / 9783751773416
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