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Einer kriegt sie alle (eBook)

Von London bis Nizza: Ein Wiener Zielfahnder auf Verbrecherjagd
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
184 Seiten
ecoWing (Verlag)
978-3-7110-5372-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Einer kriegt sie alle -  Helge Timmerberg
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Polizeiarbeit im Untergrund: Die Abenteuer von Tommy, dem Bullen Schon als Kind wollte er beim Spielen immer derjenige sein, der sucht, anstatt sich zu verstecken. Tommy ist der geborene Bulle! Und so beginnt er mit 18 Jahren seine Karriere bei der Polizei und arbeitet sich nach und nach zum international agierenden Spezialisten für Zielfahndungen hoch. Als er zufällig dem Bestsellerautor Helge Timmerberg begegnet, ist dieser fasziniert von den Geschichten des Polizisten. Sechzehn davon sind in diesem True-Crime-Buch versammelt. - Verbrecher auf der Flucht: Tommy verfolgt sie, vom Wiener Prater bis nach London und in die Dominikanische Republik - Ein Blick auf Fahndungs-Erfolge in wahren Kriminalfällen, von einem Insider - Die Realität der Verbrecherjagd: Was einen guten Zielfahnder ausmacht - True Crime: Spannende Einblicke in die Erfolgsgeheimnisse der Polizeiarbeit Hinter den Kulissen: Worauf es bei der Verbrecherjagd ankommt Seit seinem Karrierebeginn bei der Wiener Kriminalpolizei in den 80er Jahren hat Tommy nicht nur viel Erfahrung gesammelt, sondern auch zahlreiche Erfolge verbucht. Seine Fälle haben ihn gelehrt, dass untergetauchte österreichische Kriminelle im Ausland an ihren zum Lüften geöffneten Fenstern erkannt werden können. Sie lehrten ihn auch, dass Wiener Sandler auf öffentlichen Plätzen mindestens so viele Informationen aufschnappen, wie Überwachungskameras. Diese und viele andere Anekdoten hat er Helge Timmerberg erzählt, der aus dem Wissen des Zielfahnders zu wahren Verbrechen ein Buch gemacht hat, das niemand mehr aus der Hand legen kann! Gibt es einen Gott? Nein. Aber Gottseidank gibt es die Polizei.

Helge Timmerberg, geb. 1952, ist Publizist. Mit 17 Jahren trampte er nach Indien und beschloss, Journalist zu werden. Für die »Süddeutsche Zeitung«, »Die Zeit«, »Stern«, »Spiegel« u.a. schreibt er Reisereportagen aus aller Welt. Zuletzt veröffentlichte er zahlreiche erfolgreiche Bücher. 

Helge Timmerberg, geb. 1952, ist Publizist. Mit 17 Jahren trampte er nach Indien und beschloss, Journalist zu werden. Für die »Süddeutsche Zeitung«, »Die Zeit«, »Stern«, »Spiegel« u.a. schreibt er Reisereportagen aus aller Welt. Zuletzt veröffentlichte er zahlreiche erfolgreiche Bücher. 

1


GUTER BULLE


Tommy geht über ein Kopfsteinpflaster, das ihm Stein für Stein Geschichten erzählen will, die nichts mit seinem Fall zu tun haben. Gehört Genua zu den Städten, die seine Seele wiedererkennt? Aus einem anderen Leben? Aus einer anderen Zeit? Tommy glaubt an Seelenwanderung, seitdem er mit einem Gott im Aufzug gestanden hat. Vier Tage als Personenschützer des Dalai Lama in Wien eröffneten ihm diese Möglichkeit. Nizza gehört zu seinen Seelenstädten, Beirut, Krumau in Tschechien und jetzt Genua. Seine Zielpersonen beweisen nicht immer, aber oft genug guten Geschmack. Auch Intelligenz.

Wie weit muss man fliehen, um vor Leuten wie Tommy sicher zu sein? Die meisten glauben, so weit wie möglich. In einer Zeit, in der es nur Segelschiffe gab, stimmte das sogar. Heute fliegt der Bulle einfach nur sechs Stunden länger, und das war’s dann auch schon an Fluchtvorteilen. Entfernungen spielen keine Rolle mehr, Unübersichtlichkeiten dagegen sehr. Deshalb sind Italien und Spanien für Österreicher die besten Länder, um unterzutauchen, und Genua ist schlicht ideal, weil wie geschaffen dafür mit seiner Altstadt der tausend dunklen Gässchen und deren Gefahrenpotenzial für die Polizei. Es ist noch gar nicht so lange her, da trauten sich die Carabinieri nur zu fünft und mit Maschinenpistolen in die dunkelsten Enden des urbanen Labyrinths hinein. Na ja, was heißt »nicht lange her«? Und was das Gegenteil? Columbus war mal ein Sohn der Stadt und Genua der große Konkurrent der Venezianer. Das ist lange her.

Wann lohnt sich eine Flucht? Wenn die Alternative der Tod ist oder lebenslange Gefangenschaft, dann sollte man es schon mal versuchen. Bei zwanzig Jahren Hafterwartung auch. Aber bei fünf? Und in welchem mentalen Gefängnis sitzt stattdessen der Flüchtende, weil er keine Zukunft sieht und sich die Gegenwart paranoid gestaltet? Jeder könnte ein Bulle sein, einfach jeder – das brennt sich wie ein Wahn in die Gehirne ein und wird zum neurotischen Imperativ. Aber die Zeit heilt ja bekanntlich alle Wunden, denkt Tommy und grinst.

Die Zeit ist sein Partner. Weil in ihrer paranoiden Phase die Flüchtenden zu vorsichtig sind, verringert Tommy, wenn er sie nicht sofort fasst, gern den Fahndungsdruck, damit sie sich in Sicherheit wiegen. Er lässt sie in Ruhe, er wendet sich anderen Fällen zu, schenkt ihnen und ihren Lieben Atempausen, nur die Telefonüberwachung läuft Tag und Nacht.

Oberstes Gebot für den Flüchtenden: Ruf nie zu Hause an. Was immer dieses Zuhause ist. Deine Familie, deine Freundin, dein Hund. Egal, ruf nicht an. Und die meisten halten das auch bis Weihnachten durch. Bei seiner aktuellen Zielperson hat es drei Jahre gebraucht, bevor sie zum verfluchten Telefon griff. Seitdem weiß Tommy, wo sein Mann ist.

Genua hat etwas mehr als eine halbe Million Einwohner und ist damit die viertgrößte italienische Stadt. Na prima. Aber Genua hat auch ein paar abertausend Telefonmasten, die jedes Handy orten, das nicht weiter als 300 Meter von ihnen entfernt ist. Ab da übernimmt der nächste Mast. Und niemand muss telefonieren, damit das klappt. Das Handy braucht nur angeschaltet sein.

Dreimal hat er angerufen und jedes Mal aus der Altstadt. Aber sie ist die größte zusammenhängende Altstadt Europas, zweitausend Jahre wuchs sie vom Meer den Hügel hinauf, und rund 40.000 Menschen leben in ihr. Hätte sich die Zielperson wenigstens die Mühe gemacht, mal von hier, mal von dort und mal von ganz woanders aus dem Gewirr der Gassen endlich mal seine liebe Mutter im Burgenland zu kontaktieren, wäre Tommy weniger zuversichtlich unterwegs. Doch es war zweimal der fucking selbe Mast, der seinen Standort verraten hat, und das dritte Mal war es gleich der nächste. Das grenzt die Suche auf ein Revier von 600 Meter Durchmesser ein.

Es gibt Menschen, die einen Job machen. Es gibt Menschen, die einem Beruf nachgehen. Und es gibt Menschen mit einer Berufung. Wenn sie Glück haben, kriegen sie das früh genug mit. Schon beim Räuber-und-Gendarm-Spielen wollte Tommy nie der Räuber sein. Das Verstecken hat ihn nie interessiert. Er wollte immer nur suchen. Und das mit einer Leidenschaft, die man Wunderkindern nachsagt.

Um zu wissen, wo, muss man wissen, wen man sucht. Dann wird’s leichter. Tommy weiß, welche Musik seine Zielperson liebt, welche Bücher, welche Filme, welche Art von Lokalen. Tommy weiß, was er gern isst, Tommy weiß, was er trinkt, Tommy weiß, wie seine Frauen aussehen, jene, die er hat, jene, die er gern hätte, und die, mit denen er sich fotografieren lässt, und das alles und mehr weiß er von Facebook. Natürlich hatte die Zielperson zu Beginn der Flucht ihr Facebook-Profil gelöscht, aber das wieder aufzurufen ist für die Polizei kein Problem, wenn ein Richter mitmacht. Das Internet weiß mehr als Gott, und die Telefonüberwachung bietet dem Fahnder so etwas wie Familienatmosphäre, manchmal sogar Familienersatz. Er wird ein Teil von ihr, wenn aus dem heimlichen Zuhörer ein heimliches Familienmitglied wird, ein heimlicher Primärverwandter im Schatten, der weiß, wo man den Flüchtenden suchen muss, weil er ihn wie ein Bruder kennt.

Das kann Tommy. Was er nicht kann – noch nicht –, ist, die Distanz aufzugeben und den Beobachter abzulegen. Wie seine Zielperson zu denken, zu fühlen, zu hoffen, zu fürchten, zu irren, das hat Tommy noch nicht drauf, aber er ist zuversichtlich, dass er es eines Tages hinkriegen wird. Dann wird er wissen, wo er suchen muss, nicht weil er die Zielperson wie einen Bruder kennt, sondern weil er zum Klon der Zielperson geworden ist. Sein zweites Ich. Wenn das Schauspieler mit ihren Rollen können, Schriftsteller mit ihren Protagonisten und es bei Schizophrenen von selbst geht, warum sollen das nicht auch Bullen schaffen, man sagt den Guten unter ihnen ohnehin nach, sie hätten kriminelle Energie.

Und was wäre dann?

Dann hätte die Suche ein Ende. Der Gesuchte und sein Fahndungsklon müssten sich in der Altstadt von Genua zwangsläufig bald über den Weg laufen, das ginge gar nicht anders, wenn ihre Vorlieben, Abneigungen und Gewohnheiten synchron ticken, dann würden sie sich auch vor dieselbe Cafeteria setzen, um bei einem Heißgetränk auf den Fluss des Lebens zu schauen, der in allen Farben und Größen an ihnen vorbeirauscht, Marokkaner, Schwarzafrikaner, Genuesen.

Die Hälfte der Altstadtbewohner sind Ausländer, und davon die Hälfte müssen Kiffer sein, bei all den Marihuana-Duftwölkchen, die um die Ecken ziehen. Männer, Frauen, Transvestiten, sogar Nichttätowierte sind zu sehen, denn Genua ist wie alle Hafenstädte tolerant, trotzdem muss sich ein alter Knacker mit X-Beinen nicht unbedingt einen Minirock anziehen, denkt Tommy, denn das tut ihm in den Augen weh. Und was ist mit den Augen der Zielperson, schmerzt sie das ebenfalls synchron?

Zwei Stühle, zwei Spiegel, zwei Brüder. Jedenfalls steht es so an der Fensterscheibe des winzigen Friseursalons: Due Fratelli – Barbiere. Tommy muss ein bisschen warten, aber das ist für ihn kein Problem, da tickt er wie Siddharta, er kann warten, fasten, denken. Der Kunde vor ihm lässt sich seinen Irokesenschnitt perfektionieren, und Tommy freut sich auf die Nassrasur mit dem Messer, denn das macht kaum noch einer in Wien. Außerdem reden die Friseure seiner Heimatstadt zu viel Blödsinn und nennen das Schmäh. Möglicherweise reden die hier auch Blödsinn, aber er versteht kein Italienisch, und ihm gefallen die Stimmen. Die Brüder scherzen tief und rau miteinander. Ihre Kehlen sind nicht milchverwöhnt. Schwul sind sie wahrscheinlich auch nicht, dafür bewegen sie sich zu beherzt maskulin. Aber man weiß ja nie. Und was ist mit dem Irokesen? Mafioso, Musiker, Matrose?

Tommys Wissensdurst ist ’ne Art Berufskrankheit, aber auch privat kaum abstellbar. Außerdem hat der Polizist außerhalb von Österreich nicht mehr Rechte als ein Tourist. Er darf observieren, suchen, sich umsehen, aber irgendwen verhaften, zum Beispiel, darf er nicht. Rein dienstlich kann ihm das also ganz egal sein, ob der Irokese das ist, wonach er aussieht: irgendein Bandenmitglied, irgendein Soldat der kriminellen Unterwelt von Genua. Und sollte seine Zielperson jetzt zufällig am Friseursalon vorbeigehen oder gar reinkommen, kann er ihr auch keineswegs Handschellen anlegen. Nicht mal festhalten darf er sie. Dafür braucht er seine italienischen Kollegen. Und warum machen die nicht gleich den ganzen Job? Das Suchen, das Aufspüren, die Schnüffelschwein-Recherche? Das fragt sich nur, wer italienische Polizisten nicht kennt. Mit einem hat er heute gefrühstückt. Ein Giovanni. »Ruf uns an, wenn du ihn gefunden hast. Wir kommen dann«, hat er gesagt, und Tommy hat »Mit der Vespa?« gefragt, woraufhin Giovanni nur noch »Ciao bello« sagte.

Tommy ist dran.

Der Barbier wechselt die Klinge aus, legt Schaum auf Tommys Wangen auf und setzt das Rasiermesser an. Wird er ihn schneiden? Nur wenn er gute Gründe dafür hätte, aus Versehen sicher nicht. Er führt das Messer...

Erscheint lt. Verlag 15.10.2024
Verlagsort Wals
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte BKA • Bulle • Crime • Erzählendes Sachbuch • Fahndung • Flucht • Kriminalfälle • Kriminalpolizei • Kripo • Mafia • Mord • Mörder • Polizei • Polizeiarbeit • Polizist • Reportage • Reporter • Spannung • True Crime • true crime buch • Verbrechen • Verbrecher • verbrecher auf der flucht • Verbrecherjagd • Wahre Kriminalfälle • wahre verbrechen buch • Zielfahnder • zielfahndung
ISBN-10 3-7110-5372-6 / 3711053726
ISBN-13 978-3-7110-5372-5 / 9783711053725
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