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Religiöse Werte als Orientierung für das fachliche Handeln? -  Senka Kari?

Religiöse Werte als Orientierung für das fachliche Handeln? (eBook)

Eine rekonstruktive Studie mit sozialpädagogischen Fachkräften christlicher Wohlfahrtsverbände im Feld der Hilfen zur Erziehung

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
205 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8130-5 (ISBN)
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Den Wohlfahrtsverbänden Caritas und Diakonie wird im Zuge der Diskurse um die Ökonomisierung des Wohlfahrtssektors zunehmend abgesprochen, über einen christlichen Kern in ihrer Arbeit zu verfügen. Dies betrifft insbesondere die Ebene ihrer Fachkräfte. Zeitgleich werden innerhalb der Verbände und ihrer theologischen Bezugsdisziplinen selbst verstärkt Debatten sowie empirische und praktische Auseinandersetzungen um einen solchen Kern in der Arbeit ihrer vielzähligen Beschäftigten sichtbar. Der vorliegende Band rekonstruiert auf Grundlage eines praxeologischen Zugangs die Wertorientierungen von Caritas- und Diakonie-Fachkräften und geht der Frage nach, inwiefern sich dort christliche Bezüge herausarbeiten lassen.

Senka Karic, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Soziale Arbeit und Religionen, Weltanschauungen und (Freie) Wohlfahrtspflege, Internationalisierung und Transnationalität in der Kinder- und Jugendhilfe sowie qualitative Sozialforschung.

2.Der Deutsche Caritasverband und die Diakonie Deutschland: Diskurse um die christliche Identität


Die vorliegende Arbeit setzt sich mit der Frage auseinander, inwiefern sich im beruflichen Handeln der Fachkräfte des Deutschen Caritasverbands und der Diakonie Deutschland, und damit der beiden größten, weltanschaulichen Spitzenverbände der freien Wohlfahrtpflege, christliche Wertbezüge herausarbeiten lassen. Wie bereits einleitend dargelegt, wurzelt diese Frage insbesondere in Diskursen um die sich seit den ausgehenden 1980er Jahren vollziehende Neuformierung des Wohlfahrtssektors, welche (auch) das Bild konfessioneller Wohlfahrtspflege in der sozialpädagogischen Disziplin prägen. Die gängige Perspektive, die hier eingenommen wird, ist die folgende: Im Kontext einer Ökonomisierung, Vermarktlichung, Managerialisierung oder, je nach Position, auch neoliberalen Neuausrichtung des Wohlfahrtssektors sind die ehemals pluralen, weltanschaulichen Grundlagen der freien Erbringer Sozialer Dienste zunehmend zurückgedrängt und inzwischen insgesamt einer neuen Effektivitäts- und Effizienzorientierung – und damit quasi einer allumfassenden kapitalistischen Verwertungslogik – unterworfen worden. Mit Blick auf die christlichen Wohlfahrtsverbände setzt genau an diesem Punkt eine Kritik an, die ihnen deshalb zunehmend einen spezifisch christlichen Kern ihrer Arbeit abspricht, der einerseits ein Gegengewicht zu dieser ökonomisierten Neuausrichtung bilden und andererseits ihre privilegierte Stellung im gesamten Feld der Freien Wohlfahrtspflege legitimieren kann. Wenngleich – wie auch auf den folgenden Seiten gezeigt wird – diese Kritik berechtigt ist und auf gleichermaßen umfassenden wie differenzierten Analysen beruht, kommt sie jedoch bislang ohne fundierte, vor allem empirisch begründete Positionen aus der sozialpädagogischen Disziplin aus.

Zudem ist festzustellen, dass von Seiten prominenter Vertreter*innen der Caritas und Diakonie zwar eine Übereinstimmung mit den Positionen hinsichtlich der Transformationen im Wohlfahrtssektor und des daraus resultierenden Effizienzdrucks zu verzeichnen ist. Allerdings widersprechen sowohl die Positionierungen als auch die steigende Sichtbarkeit vielfältiger Auseinandersetzungen der beiden verbandlichen Akteure mit ihrem je eigenen, christlichen Kern der möglicherweise voreilig aufgeworfenen These eines „Abschied[s; SK] von der konfessionellen Identität“ (Henkelmann et al. 2012), oder, mithin dem Abschied von einer freien Wohlfahrtspflege, wie wir sie einstmals kannten (vgl. Möhring-Hesse 2020, S. 364). So sind beispielsweise seit längerer Zeit insbesondere auf den regionalen Organisationsebenen der christlichen Wohlfahrtsverbände Auseinandersetzungen zu beobachten, die ihre Selbstverständnisse als explizit christliche Träger oder Erbringer diverser, sozialer Hilfen und Angebote betreffen. Diese werden zudem in jüngerer Zeit zunehmend durch wissenschaftliche, zumeist in der Theologie verortete Bemühungen ergänzt.

Jedoch: Weshalb ist es aktuell überhaupt von Bedeutung, einem etwaigen christlichen Kern in der Arbeit christlicher Wohlfahrtsverbände nachzuspüren? Inwiefern sind die Caritas und die Diakonie als explizit christliche Verbände zu rahmen? Inwiefern lässt sich von einem Verlust dieses spezifisch christlichen Kerns sprechen – und davon, dass die beiden konfessionellen Verbände früher christlicher waren als heute? Welche Bedeutung hat die religiös-weltanschauliche Prägung der beiden Verbände für ihre Mitarbeitenden und inwiefern können – über Alltagstheoretisierungen hinausgehende – Aussagen über ‚die‘ christliche Prägung der Arbeit von Fachkräften der Caritas und Diakonie getroffen werden? Denn: Angesichts der Vielfalt der Handlungsfelder, Funktionen und Herausforderungen, in und mit welchen eine Vielzahl von Fachkräften christlicher Träger beschäftigt ist, suggeriert die Idee einer christlichen Prägung eine Einheitlichkeit, welche in den diversen, beruflich vollzogenen Praktiken schwer aufzufinden sein dürfte.

Im Fokus dieses zweiten Kapitels steht daher insbesondere die Entwicklung eines umfassenderen Verständnisses der Einbettung und Verschränkung der einleitend aufgeworfenen Themen. Dazu wird die Frage nach möglichen christlichen Wertorientierungen von Mitarbeitenden der Caritas und Diakonie auf drei Ebenen und im Rahmen von drei Unterkapiteln kontextualisiert: Zunächst wird unter Kap. 2.1 die Frage bearbeitet, inwiefern die Caritas und die Diakonie überhaupt als spezifisch christliche Akteure zu betrachten sind. Dies geschieht über eine Verortung der beiden Verbände als historisch gewachsene und im wohlfahrtsstaatlichen Gefüge fest verankerte, sozialpolitische Akteure. Hierbei wird ihre Entwicklung mit besonderem Fokus auf ihre Funktion als Weltanschauungsverbände nachgezeichnet, welche ihre bis heute hervorgehobene Stellung über eine fortwährende, engagierte subsidiaritätspolitische Beteiligung gestärkt und legitimiert haben. In dieser subsidiaritätspolitisch-weltanschaulichen Rahmung schließlich wird auch die Perspektive auf die Frage nach einem christlichen Wertbezug in der Arbeit der Fachkräfte von Caritas und Diakonie geschärft.

Die Feststellung einer bisher geringen sowie erst verhältnismäßig spät einsetzenden Reflexion konfessionell-weltanschaulicher Bezüge mit Blick auf die Praxis von Fachkräften der Caritas und Diakonie betrifft sowohl die Diskurse innerhalb der sozialpädagogischen Disziplin als auch die Professionspolitik der christlichen Wohlfahrtsverbände. Unter Kap. 2.2 wird deshalb nachvollzogen, in welcher Weise die mit Beginn der 1980er Jahre sukzessive einsetzenden sozialstaatlichen Umbrüche zu einer Hinterfragung des christlichen Selbstverständnisses der Caritas und Diakonie sowie der Bedeutung dieses Selbstverständnisses mit Blick auf das Wirken ihrer Fachkräfte durch die sozialpädagogische Disziplin geführt haben. Insbesondere wird eine Veränderung und vielfach postulierte Aufweichung des Subsidiaritätsverständnisses nachvollzogen, welche auch die weltanschaulichen Fundamente der Spitzenverbände, unter ihnen auch und insbesondere die der Caritas und Diakonie, neu zur Disposition stellt. Hierbei wird aufgezeigt, dass im Rahmen einer Kritik des Verlustes einer spezifisch christlich-weltanschaulichen Prägung der Caritas und Diakonie auch die Fachkräfte – sowie die Wertorientierungen ihrer fachlichen Praxis – adressiert und hinterfragt werden.

Allerdings: Gerade in den letzten Jahren ist eine verstärkte Sichtbarkeit der Auseinandersetzungen konfessionell-verbandlicher Akteure um ihre weltanschaulichen Grundlagen auch – und insbesondere – mit Blick auf ihre zahlreichen Fachkräfte zu beobachten. Im Hinblick auf die Funktion von Caritas und Diakonie als bedeutende Arbeitgeber für eine Vielzahl von Fachkräften im sozialen Sektor und die damit verbundenen weltanschaulichen Implikationen sind erst in jüngerer Zeit theoretische Reflexionen und allmählich auch empirische Auseinandersetzungen aus dezidiert theologischer, caritas- und diakoniewissenschaftlicher Perspektive erwachsen. Diese werden unter Kap 2.3 eingehender aufgegriffen, bevor sich unter Kap. 2.4 eine Zusammenfassung der vorausgehenden Analysen sowie überleitende Gedanken zum 3. Kapitel finden.

2.1Historische Entwicklung der Caritas und Diakonie als christliche Weltanschauungsverbände


Die Entstehungsbedingungen der beiden zentralen wohlfahrtsstaatlichen Akteure Caritas und Diakonie sind eng mit der Entwicklung der beiden christlichen Kirchen und der im Laufe der Zeit aus diesen heraus entstandenen Wohlfahrtsbestrebungen verbunden. „Mit der Caritas und Diakonie als verfasste und verbandlich organisierte Formen der helfenden Zuwendung zum Not leidenden Nächsten reichen die Kirchen in Deutschland wie an keiner anderen Stelle in die dominierenden Funktionssysteme der Gesellschaft hinein“ (Gabriel 2001, S. 7). Um die heutige, besondere Rolle christlicher Akteure im Kontext der Wohlfahrtspflege verstehen zu können, ist ein Blick in die Geschichte der sozialstaatlichen Entwicklung, welche sie maßgeblich mitgestaltet haben, daher unerlässlich.

Ausgehend von einer bereits seit dem späten Mittelalter kirchlich organisierten Hilfstätigkeit, beispielsweise in Form der Almosengabe oder der Aktivität sogenannter Bettelorden, lässt sich eine...

Erscheint lt. Verlag 10.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
ISBN-10 3-7799-8130-0 / 3779981300
ISBN-13 978-3-7799-8130-5 / 9783779981305
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