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Das praktische Studiensemester Soziale Arbeit - Verhandlungsraum zwischen Hochschule und beruflicher Praxis -  Alexandra Roth

Das praktische Studiensemester Soziale Arbeit - Verhandlungsraum zwischen Hochschule und beruflicher Praxis (eBook)

Perspektiven anleitender Fachkräfte am Beispiel Gender*Wissen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
295 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8150-3 (ISBN)
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Begleitete Praxisphasen nehmen im Studium Soziale Arbeit eine besondere Stellung ein, da sie vor dem Hintergrund modularisierter Studiengänge und der staatlichen Anerkennung Hochschulen und professionelle Praxis als zwei Lern- und Bildungsorte miteinander koppeln. Darüber werden Relationierungserfordernisse und -herausforderungen in Bezug auf Wissens- und Könnensbestände deutlich. Einer praxeologischen Perspektive folgend öffnet das Buch am Beispiel Gender*Wissen den Blick auf begleitete Praxisphasen als Verhandlungsraum zwischen Hochschule und professioneller Praxis der Sozialen Arbeit und präsentiert empirische Ergebnisse aus dem Feld der Anleitungsforschung.

1.1Forschungsgegenstand und Forschungsfragen


Im Rahmen begleiteter Praxisphasen kommen Studierende ganz unmittelbar in Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit mit professionalisierter Praxis in Berührung und begegnen alltäglichen Routinen, Logiken, Wissen und Praktiken, die sich von Diskursen, Logiken und Wissensbeständen der Hochschule unterscheiden und in Spannung dazu geraten (vgl. u. a. Roth 2021). Curricular eingebettete und durch die Hochschule begleitete Praxisphasen am Lern- und Bildungsort professionelle Praxis intendieren in der Regel die Förderung von Handlungskompetenz und beruflicher Identität (vgl. Harmsen 2014), sowie die Entwicklung einer „kritischen und lebensgeschichtlicher Distanz zu sich selber“ (Schweppe 2002, S. 222) und sind als ‚Professionalisierungsort‘ im Kontext von Habitusformation zu betrachten (vgl. Harmsen 2012). Phänomene, die im Kontext von Berufseinmündungen vielfach als sogenannter Praxisschock beschrieben werden (vgl. z. B. Oestreicher 2013, S. 197 ff.), markieren Differenzlinien und eine soziale Ordnung, die mit unterschiedlichen Positionen und mit feldspezifischen Prozessen von Anerkennung und Nicht-Anerkennung, von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit sowie Statusfragen und Unsicherheiten verbunden sind. Darin verorten sind auch studienintegrierte begleitete Langzeitpraxisphasen, wie praktische Studiensemester, welche zwar von Hochschulen konfiguriert und verantwortet, jedoch in den jeweiligen Praxisstellen ‚vor Ort‘ umgesetzt werden. Vor dem Hintergrund der beiden Relevanzsysteme – Hochschule und berufliche Praxis – lassen sich unterschiedliche Bezüge aufzeigen. In Abbildung 1 werden begleitete Praxisphasen als Lernarrangement (C) zwischen Hochschule (A) und professioneller Praxis (B) aufgespannt und darin eingelagerte Spannungsverhältnisse skizziert:

Abbildung 1: Begleitete Praxisphasen als Lernarrangement im Spannungsverhältnis (Roth 2021, S. 39)

„So wird beispielsweise von Hochschulseite (A) erwartet, dass in der beruflichen Praxis (B) exemplarische Lern- und Bildungsprozesse (C) im Kontext einer generalistischen Berufsbefähigung initiiert werden – und diese auf Basis eines kompetenzorientierten Qualifikationsrahmens (QR SozArb 6.0), der in den jeweiligen Curricula (A) zum Ausdruck kommt. Von Seiten der jeweiligen Praxisstelle (B) wird beispielsweise erwartet, dass Lernprozesse (C) handlungsfeldspezifisch verlaufen und Praxisphasen von Hochschulen (A) konkret und handlungsfeldbezogen vorbereitet, begleitet und nachbereitet werden. Eine berufsorientierende und berufsfeldqualifizierende Funktion steht hier vielfach im Vordergrund.33 Die Verbindung zwischen Hochschule (A) und Berufspraxis (B) stellt sich als kontinuierlich zu bearbeitende Konstruktionsleistung dar, die in unterschiedlichen Reflexionsformaten von anleitenden Fachkräften und Lehrenden der praxisbegleitenden Veranstaltungen gemeinsam mit den Studierenden erbracht werden muss (vgl. Freis 2019: 176). Dies gilt es bei der Gestaltung der Lernarrangements mitzudenken und zwischen studentischer Kultur, akademischer Fachkultur und Berufskultur zu vermitteln“ (Roth 2021, S. 39 f.).

Deutlich wird mit Abbildung 1, wie unterschiedliche Erwartungen und Ziele34 in ein Spannungsverhältnis zueinander geraten (können). Schön hat bereits 1990 formuliert, dass sich das Praktikum in einem intermediären Raum zwischen alltäglicher Wirklichkeit mit ihrem Wissen, dem Wissen der Professionellen, und der „hochschulischen Welt“ befindet (vgl. Schulze-Krüdener/Homfeldt 2001, S. 212). Der Forschungsgegenstand ist daher von einer Gemengelage unterschiedlicher Interessen, Rahmungen, Rationalitäten, Funktionen und hierarchischer Verhältnisse gekennzeichnet. Aus den im Folgenden zusammengefassten zentralen Perspektiven auf praktische Studiensemester in der Sozialen Arbeit und entsprechenden Rahmungen gehen diese unterschiedlichen Interessen, Logiken und Machtverhältnisse hervor:

  • Sie unterliegen landesrechtlichen Regelungen vor dem Hintergrund der staatlichen Anerkennung von Sozialarbeiter*innen/Sozialpädagog*innen als reglementiertem Berufszugang (normative Rahmung).35

  • Sie sind als integrale Bestandteile der jeweiligen Studienprogramme konzipiert und stehen daher im Zusammenhang mit Modularisierung, Lehre und Forschung an der jeweiligen Hochschule (feldimmanente Logiken der Hochschule).

  • Sie stellen wichtige ‚Professionalisierungsorte‘ im Studium dar, die zur Entwicklung einer beruflichen Identität und eines professionellen Habitus beitragen sollen (Professionalisierungserwartung).36

  • Sie sind als Kooperationsverhältnis zwischen Hochschule und beruflicher Praxis konzipiert, wodurch für Studierende eine Art ‚Pendelbewegung‘ zwischen Wissenschafts- und Berufsfeld, zwischen Disziplin und Profession, zwischen Fach- und Berufskultur, zwischen Generalistischem und Konkretem strukturell verankert ist (gemeinsame Qualifizierungsverantwortung).37

  • Sie eröffnen Studierenden den Kontakt mit der realen Arbeitswelt, mit Adressat*innen, potentiellen Arbeitgeber*innen, Organisationen, Hierarchien, Handlungsproblemen, Antinomien sowie Widersprüchlichkeiten professionellen Handelns und konfrontieren Studierende mit ihrer Studien- bzw. Berufswahlentscheidung (Beziehung zum Berufsfeld).38

  • Sie eröffnen ‚Praxisstellen‘ als potentiellen Arbeitgeber*innen die Möglichkeit Studierende als zukünftige Fachkräfte kennenzulernen, für sich zu gewinnen, ggf. schon im Rahmen des Studiums an sich zu binden und in die ‚Praxis‘ einzusozialisieren (feldimmanente Logiken der beruflichen Praxis).

Empirische Forschungen zu studienintegrierten begleiteten Langzeitpraxisphasen in der Sozialen Arbeit, welche vor dem Hintergrund der Bologna-Reform auch die Perspektive der professionellen Praxis rekonstruieren, sind offensichtlich – zumindest bislang – in Deutschland vernachlässigt worden.39 So lässt sich an dieser Stelle kritisch danach fragen, wie praktische Studiensemester als Lernarrangement und Qualifizierungskonzept curricular beschrieben und (weiter-)entwickelt werden können, wenn kaum empirische Grundlage dafür vorliegt. Ebert konstatierte bereits 2012: „Ein offener Dialog innerhalb der Hochschule darüber, wie Praxiserfahrungen von Studierenden für die Lehrveranstaltungen relevant werden können und wie bei ‚Praktikern‘ Interesse an Theorie geweckt werden kann, ist dringend geboten“ (Ebert 2012, S. 300). Auch ein (kooperatives) Zusammenwirken beider Lern- und Bildungsorte, fachdidaktische Fragestellungen bezüglich Professionalitätsentwicklung im Studium sowie die Prämisse einer berufsbefähigenden Hochschul(aus)bildung erscheinen dementsprechend bedenkenswert. Entsprechend zeigt sich der Forschungsgegenstand praktische Studiensemester als Verhandlungsraum zwischen Hochschule und beruflicher Praxis zu Beginn des Forschungsprozesses – empirisch gesehen – als ‚ahnungsloser Verhandlungsraum‘. In diesem sollen die Studierende im weitgehenden ‚Blindflug der Beteiligten‘ das für ihren Professionalisierungs- und Professionalitätsentwicklungsprozess Relevante und Bedeutsame in produktiver Art und Weise zusammenbringen, was als Differenzlinien von Wissenschaft und professioneller Praxis markiert wird.40 So, etwas zugespitzt, der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit. Denn damit „die Vermittlung und Verknüpfung unterschiedlicher Diskurse und Wissensformen nicht nur an die Studierenden delegiert werden“ (Schimpf 2022, S. 243), sind auch Verständigungsformen und -räume zwischen den...

Erscheint lt. Verlag 6.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
ISBN-10 3-7799-8150-5 / 3779981505
ISBN-13 978-3-7799-8150-3 / 9783779981503
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