Willkommen im neuen Zuhause (eBook)
135 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61883-5 (ISBN)
Anna Kampschroer, Barntrup, Dipl. Sozialpäd., ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (TP), 20 Jahre in eigener Praxis; Fortbildungstätigkeit u. a. im Bereich Fremdunterbringung; langjährige Erfahrung in der stationären Jugendhilfe als professionelle "Pflegemutter".
Anna Kampschroer, Barntrup, Dipl. Sozialpäd., ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (TP), 20 Jahre in eigener Praxis; Fortbildungstätigkeit u. a. im Bereich Fremdunterbringung; langjährige Erfahrung in der stationären Jugendhilfe als professionelle "Pflegemutter".
Inhalt
Eine Geschichte für Janis 7
Teil I: Ein weiter Weg 11
Kapitel 1: Leo in Not 13
Kapitel 2: Endlich Hilfe 20
Kapitel 3: Nicht mehr allein 32
Kapitel 4: Gefährliche Ereignisse 37
Kapitel 5: Weitere Schrecken 50
Teil II: Schritte zur Rettung 57
Kapitel 6: Sina 59
Kapitel 7: Wendys Ankunft 68
Kapitel 8: Abschied vom magischen Baum 74
Teil III: Große Aufregung 83
Kapitel 9: Leos neues Zuhause 85
Kapitel 10: Abschied von Berta 97
Kapitel 11: Die neue Familie 103
Kapitel 12: Wiedersehen mit Sina 111
Teil IV: Abschied und Neubeginn 129
Kapitel 13: Ein großes Fest 131
Kapitel 1: Leo in Not
Der kleine Löwenjunge Leo lebt in dem großen Land Irgendwo. Er ist zwar kein Baby mehr, aber doch noch ein richtiges Löwenkind. Jeden Tag quält ihn die Sehnsucht nach Erwachsenen, die gut für ihn sorgen. Ziemlich verzweifelt ist Leo, weil seine Löweneltern das nicht können.
„Vielleicht merken sie nicht, wie traurig ich oft bin. Manchmal denke ich, dass ich ihnen ganz egal bin. Ich wünsche mir Eltern, die sich wirklich um mich kümmern, mit mir zusammen Spaß haben, mir zuhören und mich trösten, wenn ich traurig bin. Warum kann ich nicht solche Eltern haben wie andere Kinder?“
Besonders, wenn er vor sich hin träumt oder abends beim Einschlafen, überfallen Leo diese Gedanken. Dann werden Wut, Traurigkeit und Verzweiflung in ihm riesengroß. Bis tief in den Bauch hinein breiten sie sich aus. Auch in seinen Beinen und Pfoten kann er sie spüren. Manchmal wird er richtig zittrig davon. In solchen Momenten wünscht er sich ganz weit weg. Er stellt sich vor, bei Erwachsenen zu leben, die ihn mögen und ganz viel Zeit für ihn haben.
In manchen Nächten träumt er sogar davon. Dann gibt es da eine Mutter und einen Vater, die mit ihm umhertollen, ihm zuhören, wenn er etwas erzählt, ihn trösten, wenn er traurig ist. Herrlich ist das. Leo mag diese Träume. Am liebsten würde er für immer in dieser Traumwelt bleiben. Aber irgendwann wacht er auf und merkt, dass in seiner Wirklichkeit alles ganz anders ist. Ziemlich enttäuscht ist er dann, traurig und auch wütend.
„Lange halte ich das nicht mehr aus“, sorgt Leo sich. „Ich brauche Erwachsene, die sich um mich kümmern. Es wäre wunderbar, wenn meine Eltern das noch lernen könnten. Manchmal denke ich, dass sie sich überhaupt keine Mühe geben. Wenn ich etwas nicht schaffe, schimpfen sie meistens sofort mit mir. Sie behaupten dann, dass ich mich nur etwas mehr anstrengen muss“, erinnert sich Leo.
„Ich mag es nicht, wenn Mama und Papa so sind und solche Sätze zu mir sagen. Richtige Bauchschmerzen bekomme ich davon. Ich brauche Erwachsene, die mich mögen, die gut für mich sorgen und die mich vor Gefahren beschützen.“ Das spürt Leo ganz deutlich.
An manchen Tagen möchte er sein Leid herausschreien. Aber das traut er sich nicht.
„Wenn ich jemandem erzähle, wie es mir geht, werden Mama und Papa bestimmt sehr wütend. Das will ich auf keinen Fall. Richtig gefährlich könnte es für mich werden. Schon oft genug habe ich das gespürt. Wenn sie wütend sind, beißen sie mir meistens ins Ohr. Dann schreie ich vor Schmerzen, aber das interessiert meine Eltern nicht. Mit ihren starken Tatzen schlagen sie sogar extra nochmal nach mir. Wenn ich dann weine, behaupten sie, dass ich das verdient habe, weil ich so böse war. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Manchmal möchte ich Mama und Papa auch beißen oder verhauen, wenn sie gemein zu mir waren. Aber das darf ich nicht. Irgendwie finde ich das ungerecht. Ich traue mich aber nicht, es zu sagen. Vielleicht würde dann alles noch schlimmer.
An manchen Tagen möchte ich trotz meiner riesengroßen Angst jemandem anvertrauen, wie meine Eltern mich behandeln. Aber ich glaube, das darf ich nicht. Oder doch? Dürfen wir Kinder anderen davon erzählen, wenn wir in Not sind?“
Schrecklich allein fühlt Leo sich mit seinen Sorgen und quälenden Gefühlen.
„Warum kann nicht auch für mich alles gut sein?“, überlegt er immer wieder.
Wenn Leo derart verzweifelt ist, breiten sich in ihm Wut und Traurigkeit aus. Entsetzlich schnell geht das. Manchmal öffnet sich dann sein kleines Löwenmaul wie von selbst und beginnt zu brüllen, so laut und jammervoll, dass Leo meint, jeder müsste es hören.
„Am liebsten möchte ich etwas kaputt machen oder jemandem weh tun, wenn ich mich so fühle“, weiß Leo. „Schon so oft habe ich dann alles um mich herum zertrampelt oder zerbissen. Viele kleine Pflanzen und Tiere, die so gern noch weitergewachsen wären, habe ich zerstört. In dem Moment war mir das immer egal, aber später hat es mir meistens leidgetan. Da war ich dann wütend auf mich selbst. Ich mag mich nämlich nicht, wenn ich so gemein bin. Manchmal füge ich mir zur Strafe sogar selbst Schmerzen zu. Dann stoße ich meinen Kopf solange gegen einen Baumstamm bis ich Kopfschmerzen habe. Aber das verrate ich niemandem.“
Besonders wütend ist Leo auf glückliche Löwenkinder, die von ihren Eltern gut versorgt werden.
„Ich will nicht sehen, wie sie mit Mutter und Vater um die Wette laufen, umhertollen, Spaß haben, sich auf dem Waldboden vor Freude hin und her wälzen und dabei ihre dicken Pfoten in der Luft wild strampeln lassen. Es macht mich so traurig, weil ich das alles selbst nicht habe. Am liebsten würde ich mit ihnen spielen und toben. Aber das sage ich vorsichtshalber nicht. Bestimmt würden sie mich sowieso wegschicken. Das habe ich schon viel zu oft erlebt. Ich weiß genau, dass mich niemand bei sich haben möchte.“ Davon ist Leo fest überzeugt. Jeden Tag sagt er das zu sich selbst. Und von Tag zu Tag glaubt er etwas mehr daran. Ganz verzweifelt macht ihn das.
„Trotzdem, ich gebe nicht auf. Irgendwie schaffe ich es, klar zu kommen“, schwört er sich.
Nachdem Frau Wallner die Erzählung beendet hat, bleiben sie und Janis eine Zeit lang stumm.
„Ich glaube, der Junge ist eingeschlafen. Da muss ich wohl ganz vorsichtig und leise sein, damit ich ihn nicht wieder aufwecke. Wie lege ich jetzt am besten seinen Kopf von meinem Schoß zurück auf sein Kissen?“, überlegt Frau Wallner.
Tatsächlich aber ist Janis noch sehr wach und im Moment auch gar nicht müde. Aufmerksam hat er der Erzählung zugehört. Nur zögerlich richtet er seinen Kopf auf. Mit seinem Ellenbogen stützt er sich dabei auf dem Bett ab. Nachdenklich schaut er vor sich hin.
„Ich möchte, dass auch für mich endlich alles gut wird“, flüstert er.
Frau Wallner streichelt ihm über sein Haar.
„Genau das wünsche ich dir auch“, entgegnet sie.
„Als ich noch bei meinen Eltern gewohnt habe, ging es mir so ähnlich wie dem Löwenjungen Leo aus der Geschichte. Zuerst wusste ich auch nicht, ob ich dir erzählen darf, wie es bei uns Zuhause manchmal zugeht. Dass meine Eltern oft so komisch sind, wenn sie irgendetwas getrunken oder seltsame Sachen zu sich genommen haben, wollte ich lange Zeit lieber als Geheimnis in mir bewahren. Ich hatte Angst, dass ich sonst nicht mehr bei meinen Eltern wohnen darf. So etwas Ähnliches haben sie mir nämlich immer gesagt. Aber irgendwann konnte ich es einfach nicht mehr aushalten. Und, weißt du noch, wie es an dem einen Tag war, als ich draußen auf dem Spielplatz saß und geweint habe?“
Frau Wallner nickt bestätigend mit dem Kopf. „Oh ja, daran erinnere ich mich noch genau. An dem Tag wurde mir klar, dass ich mich unbedingt um dich kümmern sollte. Ich habe verstanden, dass du in großer Not warst“, entgegnet sie.
„Und ich habe dir alles anvertraut. Meinen ganzen Kummer. Ich konnte einfach nicht mehr anders“, sagt Janis.
„Das war auch gut so. Mit derart großen Problemen sollten Kinder nicht allein bleiben“, bestätigt Frau Wallner.
„Das ist wirklich wie in der Geschichte mit dem kleinen Löwenjungen. Genau so habe ich mich oft gefühlt. Ist die Geschichte schon zu Ende oder geht sie noch weiter?“, will Janis nun wissen.
„Oh, die Geschichte ist noch lange nicht zu Ende, sie hat noch viele Kapitel. Aber für heute habe ich dir erst einmal genug davon erzählt. Ein anderes Mal kann ich dir vorlesen, wie es mit dem kleinen Löwenjungen weitergeht“, schlägt Frau Wallner vor.
„Steht die Geschichte in einem Buch?“, erkundigt Janis sich aufgeregt.
„Ja, wenn du möchtest, kann ich es dir morgen zeigen und dir daraus vorlesen. Aber jetzt musst du wirklich schlafen.“ Janis hört, dass Frau Wallners Stimme nun ziemlich entschieden klingt.
„Bestimmt kann ich sie heute Abend nicht mehr dazu bringen, mir doch noch länger etwas zu erzählen oder vorzulesen. Schade, ich wüsste so gern, ob für Leo irgendwann alles gut wird“, denkt Janis.
Ganz tief seufzt er einmal auf. Irgendwie fühlt es sich für ihn so an, als wäre der kleine Löwenjunge nun sein Freund.
„Er ist mir so ähnlich. Auch ich bin oft traurig und wütend. Dann würde ich am liebsten etwas kaputt machen, genau wie Leo. Aber ich lasse es lieber. Meine Eltern würde das sowieso nicht interessieren, und Oma Wallner wäre bestimmt ziemlich enttäuscht von mir. Kann sein, dass sie danach gar nichts mehr mit mir zu tun haben möchte. Dann hätte ich schon wieder keinen Menschen mehr, der sich um mich kümmert.
Besser ist, ich stelle mir vor, dass Leo immer bei mir ist und wir uns sogar unterhalten können. Einen Löwen als Freund zu haben, wäre echt super. Schade, dass es ihn nur in meinen Gedanken gibt und ich niemandem davon erzählen kann. Aber es ist viel besser, als ihn gar nicht zu haben“, entscheidet Janis ganz tief in sich. Nach außen bleibt er stumm.
„Siehst du“, sagt Frau Wallner, „du bist total müde. Ich glaube, du bist schon fast eingeschlafen.“
„Bin ich gar nicht“, entgegnet Janis. Um das ganz deutlich zu machen, schwingt er seine Beine aus dem Bett und setzt sich aufrecht auf die Bettkante.
„Bitte, Oma Wallner, wenn du mir nicht weitererzählen willst, dann erlaub mir wenigstens, ein Bild von Leo zu malen. Du kannst auch ruhig schon wieder ins Wohnzimmer gehen. Das Bild soll eine Überraschung für dich werden. Ich zeige es dir dann morgen“, bittet Janis.
„Na gut“, erklärt Frau Wallner, „aber bleib wirklich nicht mehr so lange auf. Morgen früh in der Schule sollst du gut...
Erscheint lt. Verlag | 4.3.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Familie / Erziehung |
Kinder- / Jugendbuch | |
Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sozialpädagogik | |
Schlagworte | Adoption • Bezugspersonenwechsel • Bindungsstörung • Fremdunterbringung • Inobhutnahme • Kinder- und Jugendhilfe • Patchworkfamilie • Pflegeeltern • Pflegekinder • stationäre Jugendhilfe • Trennungsangst |
ISBN-10 | 3-497-61883-7 / 3497618837 |
ISBN-13 | 978-3-497-61883-5 / 9783497618835 |
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