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Klar zur Wende (eBook)

Spiegel-Bestseller
So können wir das Steuer bei Klima und Energie noch rumreißen – Zehn ungehaltene Reden
eBook Download: EPUB
2024
176 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3-641-31945-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Klar zur Wende - Karl-Ludwig Kley
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Deutschlands wirkungsvollster Beitrag im globalen Kampf gegen den Klimawandel
Hochwasser, Hitzewellen, Austrocknung des Bodens, Waldsterben, Hungersnöte, Massenmigration - eine Hiobsbotschaft jagt die nächste. Aber ist dieser Alarmismus der richtige Weg, Menschen für die dringend benötigte Energiewende zu begeistern? Sind politischer Rigorismus und radikaler Aktivismus zeitgemäße Antworten auf komplexe Herausforderungen des Klimawandels? Oder sollten wir nicht besser in Lösungen denken? Und vor allem besonnen, aber entschlossen handeln?

Karl-Ludwig Kley, einer der führenden Manager der deutschen Wirtschaft, kennt die Herausforderungen der Klimakrise aus nächster Nähe. Und er sagt: Wir können die Wende schaffen. Wir haben dazu (fast) alles, was wir brauchen. Besonders die nötigen Technologien. Im Weg stehen wir uns selbst: mit überbordender Bürokratie, falschen politischen Prioritäten und einem gesellschaftlichen Diskursklima, in dem Klickraten, Ideologie und vermeintliche Moral mehr zählen als faktenbasierte Argumente. Die liefert Kley in diesem Buch - zusammen mit zahlreichen Beispielen aus der unternehmerischen Praxis: für einen pragmatischen, ziel- und lösungsorientierten Weg in eine klimafreundliche und nachhaltige Zukunft, für die wir unseren Wohlstand nicht aufs Spiel setzen müssen.

Dr. Karl-Ludwig Kley, geb. 1951, war bis 2023 Vorsitzender des Aufsichtsrates des Energiekonzerns E.ON. Er ist Vorsitzender des Aufsichtsrates der Deutsche Lufthansa AG und war in den letzten 20 Jahren Mitglied in verschiedenen Aufsichtsgremien - darunter der Bertelsmann AG, Verizon Communications Inc., USA, und der BMW AG. Er war Finanzvorstand von Lufthansa, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Merck KGaA, der Baden-Badener Unternehmergespräche und des Wirtschaftsbeirats des Goethe Instituts. Kley ist Honorarprofessor der WHU - Otto Beisheim School of Management und Vorsitzender des Kuratoriums der Fritz Thyssen Stiftung.

Kapitel 1

Die Energiewende und das Wasserbett


Oder: Warum das Gute manchmal besser ist als das Beste

Wer sich in diesen Tagen mit der Energiewende beschäftigt und mit den vielen Diskussionen, die darum geführt werden, der denkt wahrscheinlich nicht an die Reifen seines Autos. Warum auch? Das eine hat mit dem anderen wenig zu tun. Aber bei genauerem Hinsehen findet sich eine interessante Gemeinsamkeit – das Problem des Zielkonflikts. Beim Reifen wird in dieser Hinsicht klar und anschaulich, was bei der Energiewende viele übersehen: dass es bei ein und derselben Sache um sehr unterschiedliche Prioritäten gehen kann. Und zwar gleichzeitig.

Klar ist im Falle des Reifens zunächst einmal: Mit seiner Hilfe kommt die Kraft des Antriebs auf die Straße. Allerdings passiert das auf einer Fläche, die kaum größer ist als eine Postkarte. Genauer gesagt auf vier solcher Flächen. Wo Reifen und Straße einander berühren, wird aus Antriebsenergie Bewegungsenergie.

Damit kommt den Reifen eine weit größere Bedeutung zu, als unsere durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne für dieses Fahrzeugteil vermuten lassen würde. De facto hängt unser Leben davon ab, dass die Reifen genau das leisten, wozu sie konzipiert sind; dass sie nämlich unsere Bodenhaftung sicherstellen – bis an die Grenzen des physikalisch Machbaren.

Was aber ist das physikalisch Machbare? Die Frage ist auf den ersten Blick leicht zu beantworten. Denn ausgehend von den heute zur Verfügung stehenden Kautschuk-Mischungen und anderen »Zutaten« der modernen Reifenproduktion ist es ein Leichtes, Autoreifen so zu gestalten, dass sie ein Maximum an Haftung garantieren, mehr als wir im Alltagsgebrauch jemals wirklich benötigen. Aber so werden Reifen nicht entwickelt, jedenfalls nicht die Serienreifen für unsere Pkw. Denn die Aufgabe der Reifeningenieurinnen und -ingenieure ist wesentlich komplexer. Neben der Haftung insbesondere bei Nässe müssen sie sich noch um einige andere Eigenschaften ihres Produktes kümmern, weil wir als Konsumentinnen und Konsumenten darauf mindestens ebenso viel Wert legen. Auf den Komfort zum Beispiel, der wiederum mit dem Rollwiderstand zu tun hat und gleichzeitig den Energieverbrauch des Fahrzeuges beeinflusst. Denn was nutzt uns ein Reifen mit herausragenden Sicherheitseigenschaften oder super Energieeffizienz, wenn man darauf unterwegs ist wie die Flintstones in ihrem Steinzeitmobil: steinhart? Ein anderer Aspekt betrifft Haltbarkeit und Verschleiß. Schließlich will sich niemand alle paar Monate neue Reifen zulegen.

Das Problem dabei ist, immer wenn man eine der Eigenschaften verbessert, bedeutet das automatisch eine Verschlechterung bei mindestens einer der beiden anderen. Deshalb spricht man vom »Magischen Dreieck« der Reifenentwicklung. Perfekt auflösen lässt es sich nicht. Stattdessen müssen wir uns mit Kompromissen zufriedengeben. Mit Kompromissen allerdings, die sich sehen lassen können. Denn unter dem Strich sind wir mit unseren Reifen recht komfortabel und zugleich sicher unterwegs. Und auswechseln müssen wir die »Füße unserer Autos« so selten, dass wir kaum noch über sie nachdenken – obwohl sich das lohnen kann: besonders energieeffiziente Reifen sparen rund 7,5 Prozent Sprit.

So wie bei den Reifen ist es in vielen Bereichen – nicht nur in der Technik. Im Finanzwesen zum Beispiel gibt es das »Magische Dreieck« der Geldanlage. Es beschreibt das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit, Liquidität und Rendite. Oder denken Sie an das Dreieck aus Kosten, Zeit und Aufwand in der Projektsteuerung. Die Volkswirtschaft hat es sogar mit einem »Magischen Viereck« zu tun, das in letzter Zeit gar zum Sechseck erweitert wurde: Stabile Preise, hohe Beschäftigungsquote, stetiges Wachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht sind kaum je in gleichem Maße zu realisieren. Noch schwieriger wird es, wenn Umweltschutz und gerechte Einkommensverteilung hinzukommen. Und auch die Energie, um die es in diesem Buch geht, hat ihr magisches Dreieck: Klimaschutz, Sicherheit und Bezahlbarkeit – auf nichts davon können und sollten wir verzichten. Aber alle drei Ziele gleichzeitig zu erreichen, ist alles andere als leicht.

Eine solche Liste der »magischen« Drei-, Vier- oder Sechsecke ließe sich noch lange fortsetzen. Und weil das so ist, liegt ein ganz grundsätzlicher Gedanke nahe – dass alles, was wirklich wichtig ist, auch kompliziert ist. Mindestens aber komplex. Einfache Lösungen gibt es nur für einfache Fragen. Das Wesen der für uns Menschen relevanten Dinge hingegen folgt so gut wie nie den Gesetzen der binären Logik. Eindeutigkeit ist meist eine Täuschung.

Stattdessen haben wir es ständig mit Zielkonflikten zu tun und können perfekte Lösungen allenfalls anstreben. Wenn es dann gut läuft, nähern wir uns über die Zeit einer zwar nicht optimalen, aber doch alles in allem zufriedenstellenden Lösung an. Besser wird es nicht. Und diese Erkenntnis entmutigt viele Menschen. Nach dem Motto: Warum soll ich mich anstrengen, wenn es am Ende ja doch kein perfektes Ergebnis geben wird? Die Antwort lautet: Damit es so gut wird, wie es eben geht.

Und selbst das verlangt uns viel ab. Denn um uns in den zahlreichen Zielkonflikten unseres Lebens zu entscheiden, müssen wir immerzu abwägen: Was ist uns wichtig? Und was vielleicht noch wichtiger? In privaten Dingen entscheiden wir das oft intuitiv, aus dem Bauch heraus. Bei Entscheidungen, die unser Zusammenleben in einer Gesellschaft oder gar auf diesem Planeten betreffen, empfiehlt sich das weniger. Hier ist rationale Güterabwägung gefragt.

Im öffentlichen Diskurs sollte es darum gehen, wer welche Gründe für oder gegen ein Vorhaben anführen kann. Und wie tragfähig diese nach den Gesetzen der Vernunft jeweils ausfallen. Dabei aber gilt: Ein vernünftiger Grund ist nicht schon deshalb und automatisch der einzig richtige. Es mag zu einer strittigen Frage mehrere Antworten geben, die vernünftigerweise richtig sind. Mal kann es sinnvoll sein, die Haltbarkeit eines Reifens in den Vordergrund zu stellen. Mal können gute Gründe für mehr Energieeffizienz sprechen. Das heißt: Worauf es ankommt, ist die Güte des Urteils und der vorausgegangenen Abwägung. Und die wiederum hängt von der Frage ab: Wie kommt ein Urteil zustande? An welchen Kriterien orientiert man sich?

Auf diesem Gebiet kann man grob zwei Denkschulen unterscheiden. Die einen halten ein Urteil und daraus folgende Handlungen erst und nur dann für gut, wenn es auf Maximen beruht, die sich vernünftigerweise nicht bestreiten lassen und die man deshalb – nach der Idee von Immanuel Kant – jederzeit zum Prinzip einer »allgemeinen Gesetzgebung« machen könnte. Hat man zum Beispiel jemandem etwas versprochen, muss man es halten. Ganz unabhängig von den jeweiligen Umständen und den Folgen einer solchen Haltung. Warum? Weil das Brechen von Versprechen die Institution des Versprechens selbst auflösen würde, was wiederum niemand wollen kann. Menschen, die so denken, sind äußerst prinzipientreu und eher wenig pragmatisch.

Die andere Denkschule kümmert sich nicht so sehr um das Prinzip und interessiert sich eher für die Folgen einer Handlung. Für sie ist das am besten, was am meisten nutzt. Deshalb kann man ein Versprechen in dieser Sichtweise durchaus auch mal brechen, wenn dadurch ein anderes wichtiges Ziel erreicht oder ein großer Nachteil vermieden wird. Das klingt zwar einleuchtend, bringt aber auch Probleme mit sich. Denn oft weiß man ja vorab gar nicht so genau, welche Folgen eine Handlung in der Zukunft haben wird. Und: Auch wenn eine Entscheidung großen Nutzen bringt, kann es ja doch sein, dass sie für einige Menschen mit – möglicherweise erheblichen – Nachteilen verbunden ist. Soll man das etwa ignorieren?

In der Praxis bleibt es deshalb schwierig, das eigene Urteil wirklich »wasserdicht« zu begründen. Wir müssen unsere Entscheidungen immer wieder in beide Richtungen auf die Probe stellen, indem wir uns fragen: Sind die Prinzipien solide, die wir unserem Entschluss zugrunde legen? Und: Wie gut können wir die Folgen verantworten, die unsere Entscheidung aller Voraussicht nach haben wird?

Im Fall der Energiewende, um die es in diesem Buch geht, werden beide Fragen im öffentlichen Diskurs zu selten gestellt. Und noch seltener gut beantwortet. Stattdessen verstricken sich die Kombattanten immer wieder in einen aussichtslosen Streit der beiden Positionen. Die einen positionieren sich als Vertreterinnen und Vertreter einer »reinen Lehre« und tun schlicht so, als gäbe es die vielen »magischen Vielecke« des Lebens gar nicht. Um den Klimawandel zu stoppen, stellen sie Maximalforderungen, die überwiegend ökologische Aspekte in den Blick nehmen. Wirtschaftliche und soziale Gesichtspunkte hingegen spielen für sie eine eher untergeordnete Rolle. Die anderen wiederum nehmen genau das zum Vorwand, um den Klimaschutz auf die möglichst lange Bank zu schieben und am Status quo vorerst nicht rütteln zu müssen.

Dabei ist auch und gerade rund um die Energiewende klar: Eine einfache oder perfekte Lösung wird es nicht geben. Wohl aber könnten wir zu »ziemlich guten« Kompromissen kommen. Erinnern wir uns: Auch in Sachen Energie haben wir es mit einem magischen Dreieck zu tun – genauso wie die Reifenhersteller, Volkswirte und alle anderen, die sich mit bedeutsamen Fragen beschäftigen. Dem Trilemma aus Klimaschutz, Sicherheit und Bezahlbarkeit.

Und nichts daran ist neu. In den vergangenen 50 Jahren gab es immer wieder Umwälzungen in der Energiepolitik. Auch viel Hin und Her, viel Vor und Zurück. Mal stand die Versorgungssicherheit im Mittelpunkt, mal der Verbraucherschutz, also die Bezahlbarkeit. Und in den letzten zwei Dekaden...

Erscheint lt. Verlag 27.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 1,5-Grad-Ziel • 2024 • Atomausstieg • Atomenergie • Balkonkraftwerke • Biogas • eBooks • Elektromobilität • Emissionshandel • E-Mobilität • Energiepolitik • Energiewende • Energiewirtschaft • Erneuerbare Energien • Fossile Brennstoffe • Fracking • Gaskraftwerke • Greenwashing • grüne Energie • Kernkraft • Klimaneutralität • Klimapolitik • Klimaschutz • Klimawandel • Klimaziele • Kohleausstieg • Nachhaltigkeit • Neuerscheinung • Offshore-Windkraft • Pariser Klimaabkommen • Speichertechnologien • Umweltschutz • Wärmepumpen • Windenergie • Windkraft • Windparks
ISBN-10 3-641-31945-5 / 3641319455
ISBN-13 978-3-641-31945-8 / 9783641319458
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