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Row Zero: Gewalt und Machtmissbrauch in der Musikindustrie (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
271 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7517-5955-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Row Zero: Gewalt und Machtmissbrauch in der Musikindustrie -  Lena Kampf,  Daniel Drepper
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Ein Buch über systematischen Machtmissbrauch

U?ber Jahrzehnte sind junge Frauen in der Musikindustrie benutzt und diskriminiert worden: Egal ob Fans, Groupies, Journalistinnen, Mitarbeiterinnen oder Sa?ngerinnen selbst - der Mythos von Sex, Drugs und Rock 'n' Roll, das viele Geld und das extreme Machtgefa?lle haben sexualisierter Gewalt u?ber alle Genres hinweg den Boden bereitet. Die Diskussion um die Vorwu?rfe gegen Rammstein-Sa?nger Till Lindemann zeigt: Diese Zusta?nde brechen jetzt auf. Frauen wehren sich. Und sie finden endlich Geho?r. Lena Kampf und Daniel Drepper haben u?ber viele Monate hinweg recherchiert und mit mehr als zweihundert Menschen aus der Musikindustrie gesprochen. Packend geschrieben und einfu?hlsam erza?hlen die Autoren vom Machtmissbrauch in der Musikindustrie. Sie beschreiben die Strukturen, die einen solchen Missbrauch ermo?glichen. Und sie zeigen, warum dieses System jetzt - dank mutiger Frauen, dank unterstu?tzender Aktivistinnen - allma?hlich ins Wanken gera?t.

»Zeit, über das zu sprechen, über das nicht gesprochen werden soll.« JAN BÖHMERMANN

»Dieses Buch ist ein Backstage-Pass - ins Innere der Musikindustrie. Beste journalistische Aufklärung.« JULIA FRIEDRICHS, SACHBUCHAUTORIN



<strong>Lena Kampf</strong>ist stellvertretende Ressortleiterin im Ressort Investigative Recherche der<i><b>SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG</b></i>. Zuvor war sie Investigativreporterin beim WDR in Berlin und Brüssel und Teil der Recherchekooperation aus NDR, WDR und SZ. Sie hat 2019 mit einer Reportage über die #Metoo-Bewegung im Europaparlament den<b>DEUTSCH-FRANZÖSISCHEN JOURNALISTENPREIS</b>gewonnen. Im Sommer 2016 verbrachte sie zwei Monate als Arthur F. Burns Fellow bei der Zeitung Miami Herald in Florida.

Lena Kampf ist stellvertretende Ressortleiterin im Ressort Investigative Recherche der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Zuvor war sie Investigativreporterin beim WDR in Berlin und Brüssel und Teil der Recherchekooperation aus NDR, WDR und SZ. Sie hat 2019 mit einer Reportage über die #Metoo-Bewegung im Europaparlament den deutsch-französischen Journalistenpreis gewonnen. Im Sommer 2016 verbrachte sie zwei Monate als Arthur F. Burns Fellow bei der Zeitung Miami Herald in Florida. Daniel Drepper leitet die Recherchekooperation von NDR, WDR und SÜDDEUTSCHER ZEITUNG. Zuvor hat er das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv mitgegründet und war Chefredakteur von BuzzFeed News Deutschland, wo sein Team unter anderem den MeToo-Skandal um Julian Reichelt aufgedeckt hat. Er ist Vorsitzender des Netzwerk Recherche, dem Verein investigativer Journalist*innen in Deutschland und studierte investigative Recherche an der Columbia University in New York. Seine Recherchen haben zahlreiche Preise gewonnen. Drepper wurde Chefredakteur des Jahres und als Journalist des Jahres ausgezeichnet.

PART 0
Row Zero


Wir alle sind Fans. Fansein verbindet. Welche Kraft darin steckt, nicht nur für uns selbst, haben die Anhänger*innen von Britney Spears gezeigt. Sie haben ihr Idol befreit.

Fast vierzehn Jahre stand Spears unter der Vormundschaft ihres Vaters. Eine gerichtliche Entmündigung, die für Personen vorgesehen ist, die selbst keine Entscheidungen mehr treffen können. Nach ihrem psychischen Zusammenbruch 2007 kontrollierte Jamie Spears seine erwachsene Tochter, ihr millionenschweres Imperium und ihren Körper. Jahrelang kämpfte Britney Spears darum, von der Vormundschaft befreit zu werden. Und wurde dabei von ihren Fans unterstützt. Sie starteten die Kampagne #freebritney, demonstrierten vor Gerichtsgebäuden und ermutigten damit Spears, weiterzumachen – bis ihr 2021 ein Gericht in Los Angeles schließlich ihre Freiheit zurückgab.

Auch Michael Jackson wird nach wie vor von vielen Fans geliebt, ja, manche haben ihn gar zu einem Heiligen erklärt. Einige dieser Jünger stehen – wie die Fans von Britney Spears – unerschütterlich an seiner Seite. In diesem Fall, um ihn vehement gegen Vorwürfe von Kindesmissbrauch zu verteidigen. Auch jetzt noch, Jahre nach seinem Tod, attackieren und bedrohen sie mutmaßlich Betroffene und alle, die deren Anschuldigungen Glauben schenken.

Die Karrieren der meisten großen Pop- und Rockstars wären ohne die mitunter fast bedingungslose Unterstützung seitens ihrer Fans kaum denkbar. Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang schon seit einiger Zeit, zuletzt aber immer dringlicher stellt, lautet: Tragen wir Fans womöglich auch dazu bei, dass manche dieser Stars glauben, sie seien unantastbar?

Für mich, Lena, ist das auch eine persönliche Frage. Ich kenne den Impuls, mein Idol zu schützen, denn auch ich habe Michael Jackson lange verehrt. Mit elf Jahren gewann ich meine erste eigene CD bei einem Preisausschreiben. Das war 1995. Ich hatte im Einkaufszentrum einen Zettel für Weihnachtswünsche eingeworfen und erinnere mich, dass ich ganz aus dem Häuschen war, als ich von meinem Losglück erfuhr. Stolz holte ich gemeinsam mit meinem Vater das Geschenk ab: Michael Jacksons HIStory, ein Doppelalbum mit 50-seitigem Booklet und einer überlebensgroßen Statue des Musikers auf dem Cover. Überlebensgroß war Michael für mich zu dieser Zeit ohnehin. Ich liebte seine Musik seit der Grundschule. In meinem Kinderzimmer hingen Bravo-Starschnitte von ihm an der Dachschräge. Von HIStory liebte ich vor allem »Earth Song«, »You Are Not Alone« und natürlich »Scream« mit Janet Jackson. Nicht, dass ich damals schon Englisch verstanden hätte, aber ich mochte die Energie und die Wut, mit denen er die Zeile »Stop Pressuring Me« ausspuckte. Wenn ich es jetzt anhöre, kann ich den trotzigen Ton des Albums nicht ignorieren.

Heute frage ich mich: Darf ich das überhaupt noch – Michael Jackson hören? Oder anders: Kann ich das noch so unvoreingenommen tun wie damals als Elfjährige?

Die amerikanische Essayistin Claire Dederer schreibt in ihrem Buch Monsters davon, wie sich in ihren Genuss von Kunst das Bewusstsein über die Taten der Künstler mischt. Sie nennt es den »Fleck«, den Werke bekommen, wie ein weißes Hemd, auf dem Rotwein landet. Einmal da, lässt er sich kaum wieder entfernen. Laut Dederer können wir nichts dagegen machen, »unser Verständnis des Werks hat eine neue Färbung bekommen, ob wir es wollen oder nicht«.

Heute weiß ich, dass HIStory das erste Album war, das Michael Jackson nach dem Aufkommen der Vorwürfe von Kindesmissbrauch gegen ihn aufnahm. 1993 wird erstmals öffentlich bekannt, dass ihm ein Junge vorwirft, ihn sexuell belästigt zu haben. Die Details des Falls sind kompliziert, zivilrechtlich endet er 1994 mit einem Vergleich zwischen Jackson und den Eltern des Kindes. HIStory sollte das Comeback des King of Pop sein.

Auf die ersten Vorwürfe folgen bis zu Michael Jacksons Tod 2009 und noch lange danach immer neue Anschuldigungen. 2019, in dem Dokumentarfilm Leaving Neverland, kommen erstmals zwei mutmaßlich Betroffene ausführlich zu Wort. Beide erzählen eindringlich, wie Michael Jackson sie an sich band. Wie sehr sie ihn liebten. Und wie er ihnen ihre Kindheit nahm.

Bis dahin habe ich es wirklich versucht mit dem Wegwischen – wie offenbar viele seiner Anhänger. Vielleicht auch, weil es zu schmerzhaft gewesen wäre, die Zweifel zuzulassen. Ich hatte nur zu gerne glauben wollen, was Michaels Familie und Nachlassverwalter immer wieder entgegnet haben: Den Eltern der Kinder sei es bloß ums Geld gegangen, Kindern könnten Erinnerungen eingepflanzt werden, und es gehe darum, sein Vermächtnis zu zerstören. Michael Jackson sei außerdem trotz zahlreicher Ermittlungsverfahren nie von einem Gericht für schuldig befunden worden, und er habe Kinder geliebt, weil er selbst noch eines gewesen sei.

Das alles muss sich nicht ausschließen, so viel weiß ich heute. Mittlerweile recherchiere ich als Journalistin auch zu Kindesmissbrauch. Als Mutter kenne ich inzwischen außerdem die Urangst aller Eltern um das Wohlbefinden ihrer Kinder. Und dennoch fällt es mir schwer, mich Michael Jacksons Musik zu entziehen, wenn ich sie höre. Bis mir der Fleck wieder bewusst wird.

In den vergangenen Jahren haben viele Werke Flecken bekommen: So wie ich mich für Michael Jackson begeisterte, brannten andere für den R-’n’-B-Superstar R. Kelly, der über lange Zeit Minderjährige missbrauchte, für den französischen Rockexport Noir Désire, dessen Sänger Bertrand Cantat seine Freundin tötete, oder für den amerikanischen Künstler Ryan Adams, der jungen Musikerinnen eine Karriere in Aussicht stellte und sie dann sexuell belästigt haben soll.

Tatsache ist, dass für viele Fans die Faszination und Begeisterung für ihre Idole davon sehr oft unberührt bleibt. Für andere hingegen lassen sich die Dinge heute nicht mehr so einfach trennen. Und mitunter sind es inzwischen auch die Liedtexte, die wir mit anderen Augen als früher betrachten.

Ich, Daniel, erinnere mich noch sehr gut an die vielen Abende im Keller meines besten Freundes – zwei alte Sofas, zwei Sessel, ein flacher Couchtisch in der Mitte, darauf ein paar Flaschen Beck’s-Bier und eine Shisha. Wir sind gerade noch Teenager, es sind die frühen 2000er Jahre. Und aus den Boxen kommt der damals krasseste Hip-Hop Deutschlands, vom Label Aggro Berlin. Vor allem das Album Ansage Nr. 3, mit Sidos »Mein Block«, mit Bushido und Fler.

Mit der Lebenswelt, die Sido, Bushido oder Fler in ihren Songs beschreiben, habe ich eigentlich nichts gemein. Ich komme aus einem kleinen Dorf in Westdeutschland, hatte eine sehr geordnete Jugend, bin in einem Einfamilienhaus aufgewachsen, in den Sportverein und auf ein katholisches Gymnasium gegangen. Die Texte von Aggro Berlin, aber auch von Kool Savas und anderen Deutschrappern bedeuten für mich damals vor allem Provokation gegenüber dieser meiner Welt. Eine Provokation, über die ich mir lange wenig Gedanken mache. Vielleicht auch deshalb, weil ich mag, was harter Rap mit mir macht, wie er mich antreibt und mir ein gutes Gefühl gibt. Die Außenseiterperspektive des Rap, das aggressive Auftreten gegen »die da oben«, das hat mir oft geholfen als Arbeiterkind, das sich im Studium und im Job immer wieder fremd und überfordert gefühlt hat. Die Provokation des Deutschrap hat wie eine Art trotziger Schutzschild gewirkt, hinter den ich mich zurückziehen konnte. Sie war eine Möglichkeit aufzubegehren, ohne wirklich selbst in Konflikte gehen zu müssen.

Damals, vor knapp zwanzig Jahren, war mir bereits klar, dass manche dieser Texte frauenverachtend sind und Grenzen überschreiten. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, als junger Erwachsener kritische Diskussionen dazu wahrgenommen zu haben. Bewegungen wie #Aufschrei oder #MeToo waren noch Jahre entfernt, Social Media ebenso. Heute mache ich mir – so wie übrigens auch einige Rapper selbst – weitaus mehr Gedanken über das, was diese Texte aussagen, was dahintersteht, was sie auslösen. Das heißt nicht, dass ich Deutschrap nicht immer noch genießen kann.

Flecken überall


Während der Monate, die wir für dieses Buch recherchieren, werden immer wieder Vorwürfe gegen Künstler*innen öffentlich. Gegen Lizzo zum Beispiel, ein weltweites Vorbild für body positivity, eine Künstlerin, die radikale Selbstliebe propagiert. Anfang August 2023 beschuldigen sie drei ihrer ehemaligen Tänzerinnen in einer Zivilklage, Lizzo habe sie zu unerwünschten sexuellen Handlungen gedrängt – unter anderem zum Besuch eines Amsterdamer Stripclubs – und zu zermürbenden Proben gezwungen.

Oder gegen Sean Combs, auch bekannt als P. Diddy oder Puff Daddy. Er sang 1997 eine Hymne auf den kurz zuvor erschossenen Rapper The Notorious B.I.G. »I’ll be missing you« hat wahrscheinlich Millionen Trauernden weltweit Trost geschenkt. Anfang November 2023 macht die R-’n’-B-Sängerin Cassie öffentlich, dass Combs ihr gegenüber jahrelang gewalttätig gewesen sei und sie auch vergewaltigt habe. Combs und Cassie einigen sich noch im November 2023 auf eine Geldzahlung in unbekannter Höhe. Sowohl Lizzo als auch Combs dementieren die Vorwürfe.

Anfang Dezember 2023 meldet sich dann der Berliner Rapper Kool Savas, alias Savaş Yurderi, in einem bemerkenswerten Spiegel-Interview zu Wort. Der mittlerweile achtundvierzigjährige Yurderi ist einer derjenigen, die Gangster-Rap in Deutschland groß gemacht haben, mit Titeln wie »Lutsch mein Schwanz«,...

Erscheint lt. Verlag 28.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bedrohung • Gesellschaft • Machtmissbrauch • Major Labels • meetoo • Miriam Davoudvandi • Musikhochschulen • Musikindustrie • Musiklabels • Nika Irani • Rammstein • Sexismus • Shelby Linn
ISBN-10 3-7517-5955-7 / 3751759557
ISBN-13 978-3-7517-5955-7 / 9783751759557
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