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Joan Didion und wie sie die Welt sah (eBook)

Über Leben und Werk von Joan Didion | Stilikone und bedeutendste Essayistin der USA | Bekannt durch den SPIEGEL-Bestseller »Das Jahr des magischen Denkens«
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
288 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-0719-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Joan Didion und wie sie die Welt sah -  Evelyn McDonnell
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»Didion dafür zu kritisieren, dass sie über Kleidung schreibt, ist, als würde man sich beschweren, dass Hemingway über das Angeln schreibt.«

Evelyn McDonnell über Joan Didion - Essayistin, Stilikone und wichtigste Chronistin ihrer Zeit

Stell dir vor, du betrittst die Welt von Joan Didion und plötzlich wird alles ein bisschen cooler, witziger und nachdenklicher. Genau das passiert, wenn wir das Buch von Evelyn McDonnell aufschlagen. Die amerikanische Journalistin hat sich an die Fersen ihres Vorbilds geheftet: Joan Didion, Meisterin der scharfen Beobachtungen, Essayistin, Stilikone und wichtigste Chronistin ihrer Zeit.

So wie Didion 1975 Absolventen einer kalifornischen Hochschule riet: »Stürzt euch hinein in den Aufruhr der Welt«, stürzt McDonnell sich in Didions Welt und nimmt uns mit auf einen faszinieren Roadtrip, der in Didions Heimat Sacramento beginnt und uns über Los Angeles, Malibu, Manhattan, Miami und Hawaii zu ihren literarischen Topoi, stilistischen Sternstunden und persönlichen Schlüsselmomenten führt.

Schreiben war für Joan Didion mehr als nur eine Berufswahl, es war eine Mission - wer sie war, warum sie war, wie sie war. »Joan Didion und wie sie die Welt sah« ist eine Einladung, von ihr nicht nur Schreiben, sondern fürs Leben zu lernen: Skepsis, Scharfsinn, Selbstachtung, Stil.

»Erinnere dich, wie es war, du zu sein: Nur darum geht es immer.«

- Joan Didion, »Gedanken über das Notizbuch« (1966)

Dieses Buch ist mehr als eine Biografie, denn Evelyn McDonnell gelingt das Unmögliche: Uns daran zu erinnern, was es für Joan Didion bedeutete, Joan Didion zu sein. Und wie gerne wir wären wie sie.



<p>EVELYN McDONNELL ist eine US-amerikanische Journalistin, Essayistin, Kritikerin, Feministin und Hochschullehrerin, die regelmäßig Joan Didions Werke unterrichtet. Sie hat bisher acht Bücher veröffentlicht, darunter »Women Who Rock. Bessie to Beyoncé, Girl Groups to Riot Grrrl« und »Queens of Noise. The Real Story of the Runaways«. Sie arbeitete als Popkulturjournalistin für den <i>Miami Herald</i> und war leitende Redakteurin der <i>Village Voice</i>. McDonnell lehrt Journalismus an der Loyola Marymount University und lebt in San Pedro, einem Stadtteil von Los Angeles.</p>

1
GOLD

Die meisten von uns erinnern sich gut an ihren ersten Didion-Moment: ein Artikel, ein Buch, ein Foto oder ein Zitat, das uns dazu brachte, mehr über diese orakelhaft wirkende Schriftstellerin wissen zu wollen. Vielleicht war es eines dieser Bilder von Julian Wasser: eine ernst dreinblickende Frau in einem langärmeligen Kleid, die an ihrer Corvette Stingray lehnt und in ihrer rechten Hand mit gespreizten Fingern eine Zigarette hält. Und du hast dich gefragt: »Ist das eine Autorin? Dann will ich auch eine sein.« Oder du warst 1979 als sinnsuchender Jugendlicher auf den Spuren der Beatniks unterwegs nach San Francisco, als deine Mutter dir die Essaysammlung Slouching Towards Bethlehem (1968; dt.: Stunde der Bestie) zuschickte mit der Empfehlung, sich den titelgebenden Artikel durchzulesen, in dem Didion mit der Hippie-Manie von Haight-Ashbury aufräumt. 1 Vielleicht hast du auch einfach nur die berühmte erste Zeile aus ihrem Buch The White Album (1979; dt.: Das weiße Album) gelesen – »Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben« 2  –, zustimmend genickt und den Bleistift gespitzt.

Dieses Zitat zählt zu den bekanntesten von Didions zahlreichen literarischen Juwelen und wohl auch zu den vieldeutigsten. Einerseits ist es eine Einladung: Durch den Gebrauch der ersten Person Plural – »wir« – wird das Publikum einbezogen und ermächtigt. Wir alle sind Geschichtenerzählerinnen und -erzähler, so die Botschaft, und wir alle verfügen über das existenzielle Menschenrecht – so grundlegend wie Nahrung, Wasser und Zuflucht –, unsere Geschichten zu erzählen. Didions Einbeziehung ihrer Leserschaft, verbunden mit ihrer Offenheit über sich selbst, ist ein Akt radikaler Großzügigkeit. Indem sie ihre eigene Geschichte erzählt, ermutigt sie uns zum Erzählen der unseren.

Doch der Essay ist, wie so viele ihrer Schriften, auch eine Anklage gegen das Potenzial der Erzählung, die Realität zu begrenzen und zu verzerren – eine Anklage, von der sich Joan selbst nicht ausnimmt. Sie ermächtigt und ermahnt uns: Geschichten können lügen. »Wir leben voll und ganz, besonders wenn wir Schriftsteller sind, indem wir nicht zu vereinbarende Bilder nach einer bestimmten Erzählweise einrichten und nach den ›Vorstellungen‹, mit denen wir die wechselnde Phantasmagorie unserer tatsächlichen Erfahrung einzufrieren gelernt haben« 3 , schreibt sie in Das weiße Album. Das Erzählen war zugleich ihre Kunst und ihr Feind.

Wir leben in einer Zeit der Abwägungen darüber, wer wie und warum Geschichten erzählen darf. Didion sah sich diesem Abgrund als junge Frau am Beginn ihrer Karriere und in der Zeit ihrer Familiengründung gegenüber, und die Ehrlichkeit, mit der sie ihre Auflösung beschrieb, war ihre wie auch unsere Rettung. »Ich musste mein Leben lang gegen meine eigenen Sorgen ankämpfen, gegen meine eigenen falschen Vorstellungen, meine eigenen verzerrten Wahrnehmungen«, erklärte sie 1975 in einer Rede vor Absolventen der University of California Riverside. »Ich musste sehr hart arbeiten, mich unglücklich machen, mich von bequemen Vorstellungen verabschieden, um gesellschaftliche Realitäten zu verstehen. Mir ist, als hätte ich mein gesamtes Erwachsenenleben in einem tiefen kulturellen Schockzustand verbracht. Ich wünschte, damit wäre ich allein, aber das bin ich nicht.«

Viele ihrer Grundideen formulierte Didion zunächst in derlei Reden vor jüngerem Publikum, meist an Universitäten. Dies ist einer der Gründe, warum ihr Vermächtnis für ganze Generationen so transformativ war. Sie hat uns, im wahrsten Sinne, direkt angesprochen, ihre eigenen Erfahrungen an uns weitergegeben. »In dieser Welt zu leben, erfordert einen Willensakt, und darüber möchte ich heute reden«, erklärte sie in Riverside. »In der Welt zu leben, damit meine ich, sie wirklich zu erkennen versuchen, sie sich anzusehen, Verbindungen herzustellen. Und das ist nicht einfach, es gehört Arbeit dazu. Man muss sich selbst immer wieder bloßlegen, alles Gesehene genau erforschen, sich befreien von dem, was uns verblendet.«

Ihr Rat lautete: »Stürzt euch hinein in den Aufruhr der Welt.«

Mit ihrer journalistischen Arbeit und ihrem ersten Roman Run River (1963; dt.: Menschen am Fluss) begann Joan Didion in den 1960er-Jahren, die amerikanische Literaturlandschaft neu zu gestalten, indem sie die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser weg vom Osten und hin zur untergehenden Sonne über dem Pazifik lenkte. Natürlich gab es noch andere große kalifornische Schriftstellerinnen und Schriftsteller vor, mit und nach ihr, doch die Art, wie diese Frau das echte Leben im Westen dokumentierte, hatte etwas Neues, Fesselndes, Umwälzendes. Sie schrieb über die Welt, die sie kannte – die Flüsse, Freeways, Berge, Filmstars, das Meer, Orchideen –, und zwar mit einem solchen Blick fürs Detail und musikalischen Gehör, einer derartigen Mischung aus Verständnis und Skepsis, dass wir uns an ihre Schauplätze versetzt sahen. Im Laufe ihrer siebenundachtzig Lebensjahre schrieb Joan Didion fünf Romane, Hunderte Aufsätze, von denen viele gesammelt in Buchform vorliegen, zahlreiche Drehbücher und ein Bühnenstück. Sie war eine vielfotografierte literarische Berühmtheit und Modeikone. Ihr Tod am 23. Dezember 2021 löste eine Welle an Würdigungen nicht nur von anderen Autorinnen und Autoren, sondern auch von Schauspielern, Musikerinnen, Filmemachern, Künstlerinnen, Persönlichkeiten aus der Politik sowie seitens ihrer Fangemeinde aus. Selbst diejenigen, die ihr kritisch gegenüberstehen, achten ihr Können und ihr Vermächtnis.

Didions Werke waren oft zutiefst persönlich; sie bekannte darin ihren Wahnsinn, ihre Trauer, ihre Schuld, ihre Liebe, ihr Versagen. Und dennoch hatte sie etwas Enigmatisches. Sie war sehr zurückhaltend und behielt ihr Privatleben für sich. In ihren Werken öffnete sie Fenster in ihre Welt, doch die Türen hielt sie stets verschlossen. Die Schlüssel, so scheint es, nahm sie mit sich, als sie starb. Nach Joan Didions Tod stürzte ich mich in den Aufruhr ihrer Welt. Es war ein Ort, den ich zu kennen meinte, doch ich hatte noch so viel zu lernen.

Meine eigene Didion-Geschichte ist eine der gewöhnlicheren: Auf dem College las ich »Some Dreamers of the Golden Dream« (dt.: »Sie träumen vom Goldenen Traum«), Joan Didions 1966 erschienenen Artikel über einen Mordfall in San Bernardino. Ich hatte damals eines der an meiner Schule angebotenen Journalismus-Seminare belegt, und als Grundlage diente uns die Anthologie The New Journalism, herausgegeben von Tom Wolfe. Normalerweise hatte ich nicht viel übrig für Krimis, aber »Sie träumen vom Goldenen Traum« war keine gewöhnliche Detektivgeschichte. Didions Thema war nicht etwa der Mord an sich, sondern das Inland Empire (ein ziemlich pompöser Name für einen östlichen Außenbezirk von Los Angeles). Das Rätsel, das Didion zu lösen versuchte, war nicht, ob Lucille Miller ihren Ehemann umgebracht hatte, indem sie ihren VW Käfer mitsamt Gordon »Cork« Miller im Inneren in Brand setzte (das stand, wie wir in der Erzählung erfahren, außer Frage). Was die Schriftstellerin eigentlich beschäftigte, ging weit über das Thema einer misslungenen Ehe hinaus.

An welcher Stelle hatte der Traum versagt?

Der goldene Traum. Der kalifornische Traum. Der amerikanische Traum. Der Traum und dessen Scheitern bestimmt einen Gutteil von Didions Werk. Sie mochte das Golden Girl aus dem Golden State sein, das den literarischen goldenen Traum lebte, doch sie erkannte auch die Dunkelheit und Gefahr der Minen. »Dies ist eine Geschichte über Liebe und Tod im Goldenen Land, und sie beginnt mit dem Land selbst« 4 , lautet der erste Satz von »Sie träumen vom Goldenen Traum«. Kein klassischer Aufmacher, aber einer der bekannteren Anfangssätze in amerikanischen Briefen, der auch der erste Satz in diesem Buch sein könnte.

Didions Traum war von Schrecken gezeichnet, umrissen von schwarzen Schatten – eine Chiaroscuro-Studie. »Die Mitte hielt nicht mehr« 5 , warnte die Queen des California Noir vor dem Wandel der Zeiten in ihrem 1967 erschienenen Artikel über Haight-Ashbury, »Stunde der Bestie«. Eine Anlehnung an die Worte des irischen Dichters William Butler Yeats über den Ersten Weltkrieg; an Didions eigenem Horizont drohte der Vietnam-Konflikt. Im dritten Akt ihres Lebens gab ihre Mitte tatsächlich nach – ihr Mann, der Schriftsteller John Gregory Dunne, mit dem sie vierzig Jahre lang verheiratet gewesen war, und ihre neununddreißigjährige Tochter Quintana Roo Dunne starben innerhalb von zwanzig qualvollen Monaten und ließen Joan mit siebzig Jahren als Alleinstehende in New York City zurück. Nicht länger die Träumerin im goldenen Land, sondern eine Fremde in einem fremden Land.

»Die Idee vom Golden Dream zieht sich durch ihr gesamtes Werk«, meint Steffie Nelson, die nach ihrem Umzug von New York in den amerikanischen Westen von Didions Einfluss auf die dortige Literaturszene so beeindruckt war, dass sie eine Anthologie zu diesem Thema herausgab, Slouching Towards Los Angeles: Living and Writing by Joan Didion’s Light. »Sie erkennt dieses Potenzial – oder wie sie es nennt, den Schimmer –, aber bei dem Golden Dream geht es um Kalifornien. Die Vorstellung von einem Kalifornien der Möglichkeiten...

Erscheint lt. Verlag 23.4.2024
Übersetzer Andrea Schmittmann
Sprache deutsch
Original-Titel The World According to Joan Didion
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Essays / Feuilleton
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 70er Jahre • Biografie • Céline • Das Jahr des magischen Denkens • Dokumentation • Emanzipation • Erinnerungen • Essays • Feminismus • Frauen • Geschenk • Geschenkbuch • Gonzo • Intellektuelle • Journalismus • Kalifornien • Klassiker • Literatur • Netflix • New Journalism • New York • Philosophie • Schriftstellerin • Trauer • USA • Verlust • Verlust Bericht • Witwe
ISBN-10 3-7499-0719-6 / 3749907196
ISBN-13 978-3-7499-0719-9 / 9783749907199
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