Be a Rebel (eBook)
240 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44795-6 (ISBN)
Victoria Müller, 1988 in Ostdeutschland geboren, studierte Germanistik, Anglistik und Geschichte. Sie arbeitet als Moderatorin, freie Autorin und haltungsstarke Content-Creatorin. In ihrer Kolumne 'Retrospektiv' im VETO Magazin behandelt sie soziale Bewegungen. Zusätzlich engagiert sie sich aktiv im Tierschutz und hat mit anderen den Verein ddao Tierschutz e. V. gegründet, der vor allem in der Ukraine und anderen Krisen- und Kriegsgebieten tätig ist. Für ihre Tierschutzarbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Sie erklärt in ihrem Instagram-Format 'Das kritische Wörterbuch' komplexe politische Begriffe verständlich, um mehr Menschen in gesellschaftliche Diskussionen einzubeziehen. Victoria lebt in Berlin und arbeitet an ihrem Traumprojekt, dem Aufbau eines Lebenshofs in Brandenburg.
Victoria Müller, 1988 in Ostdeutschland geboren, studierte Germanistik, Anglistik und Geschichte. Sie arbeitet als Moderatorin, freie Autorin und haltungsstarke Content-Creatorin. In ihrer Kolumne "Retrospektiv" im VETO Magazin behandelt sie soziale Bewegungen. Zusätzlich engagiert sie sich aktiv im Tierschutz und hat mit anderen den Verein ddao Tierschutz e. V. gegründet, der vor allem in der Ukraine und anderen Krisen- und Kriegsgebieten tätig ist. Für ihre Tierschutzarbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Sie erklärt in ihrem Instagram-Format "Das kritische Wörterbuch" komplexe politische Begriffe verständlich, um mehr Menschen in gesellschaftliche Diskussionen einzubeziehen. Victoria lebt in Berlin und arbeitet an ihrem Traumprojekt, dem Aufbau eines Lebenshofs in Brandenburg.
Einleitung
Ich bin wütend
Ich wollte dieses Buch eigentlich mit den theatralischen Worten »Mein Name ist Victoria, und ich bin wütend« beginnen. Dieses Buch beginnt jetzt aber mit den Worten »Mein Name ist Victoria, und ich bin auf der A4 in Polen«. Es ist ein extrem heißer Sommertag im Juni. Der längste Tag des Jahres. Um neun Uhr morgens verzeichnete das Thermometer im Auto bereits drückende 30 Grad. Joris und ich haben die Nacht hinter Katowice in einem Autobahnhotel verbracht, das den gleichen Namen wie die daran vorbeiführende Autobahn trägt: A4. Um 3:54 Uhr waren wir eingecheckt, 250 Zloty kostete die Nacht, die Orlen-Tankstelle direkt vor der Tür. Nach viereinhalb Stunden klingelte bei uns synchron der Wecker.
»Ich habe den gleichen nervigen Klingelton«, murmelte ich schlaftrunken ins andere Bett rüber.
Wir nehmen immer ein Doppelzimmer mit getrennten Betten. Das Zimmer war erstaunlich groß, roch nach modrigem altem Teppich und Reinigungsmitteln. Und nach diesem künstlichen Bananenaroma. Irgendwie gibt es in Osteuropa immer so abgedrehte Seifengerüche. Kaugummi, Banane, Melone – immer alles etwas zu doll. Dieses Odeur hatte sich wie ein Schleier über das Zimmer gelegt. Ehrlicherweise war mir das bei der Ankunft und beim Aufwachen egal. Ich stand etwas neben mir. Die Nächte vor der Abfahrt waren kurz gewesen, die Tage lang. Viele Telefonate, WhatsApp- und Telegram-Nachrichten, E-Mails, unzählige Gespräche mit anderen Volunteers und ewiges Kopfzerbrechen.
Zum Frühstück gab es erst mal eine vegane Ketwurst, an polnischen Tankstellen kein Problem. Meine Verdauung war nicht in der besten Verfassung, die Ketwurst fiel wie ein schwerer, aber wohlschmeckender Stein in meine leere Magengrube. Die 30 Grad machten uns fertig, man konnte kaum atmen. Trotzdem wollte ich noch die Platten in meine Weste machen, bevor wir an der Grenze ankommen.
»Das hab ich dir selbst überlassen, die gehen so schlecht rein. Man muss super dolle drücken«, sagte Joris etwas schadenfroh.
Neben schusssicheren Westen war unser Auto voller Hundefutter, das einen einzigartigen Geruch im gesamten Innenraum des Caddy verbreitete.
Um 9:54 Uhr sind wir wieder auf der A4, mit 130 Sachen und der Klimaanlage auf Anschlag. Wir brauchen noch zweieinhalb Stunden bis zur Grenze.
»Wo seid ihr?«, schreibt mein Freund. »Kommt ihr gut durch, seid ihr schon drüben?«
Drüben – das ist nicht die nostalgische Umschreibung eines Teils von Deutschland, den es nicht mehr gibt, sondern meint jenes Land, das am 24. Februar 2022 von Russland angegriffen wurde und auf dessen gesamtem Staatsgebiet seither Krieg herrscht. Wir fahren in die Ukraine, und das sehr regelmäßig. Wir evakuieren Tiere aus den Kriegsgebieten, bringen Futter in entlegene Bereiche oder besuchen ein Tierheim in Butscha, das wir seit einiger Zeit finanziell unterstützen und ausbauen.
Diese Fahrten ins Kriegsgebiet lösen in mir ein Potpourri an Emotionen aus. Es verdichten sich noch einmal dieselben Emotionen, die überhaupt dazu geführt haben, dass ich in den grauen VW Caddy unseres Vereins steige und in ein Land fahre, in dem Raketen fliegen. Da ist die überbordende Wut über diesen unfairen Krieg, über den Umstand, dass ein Land die souveränen Grenzen eines anderen verletzt und unschuldige Menschen und auch Tiere einfach so angegriffen werden. Zu dieser Wut gesellt sich die Hoffnung, ein bisschen was tun zu können, auch wenn die Situation nur wenig hoffnungsvoll ist. Auf diesen endlosen Touren werden mir diese Emotionen bewusst, und ich spüre, wie sie mit den vielen Gesichtern des Aktivismus interagieren. Natürlich wusste ich das, rein theoretisch, auch schon davor. Aber auf diesen Autofahrten wird die Theorie zu meiner eigenen Realität. Und ich erinnere mich daran, dass nicht jede Form des Aktivismus immer auf Akzeptanz stößt. Vielleicht eint das die diversen Arten des Betätigungsdrangs: Unverständnis ist ein stetiger Begleiter, und viele Menschen bringen das auch ganz unverblümt zum Ausdruck.
»Darf ich dich mal fragen, wieso du das machst? Also dein Leben in Gefahr bringen für Tiere? Ich bin ja selbst vegan, und das soll nicht blöd klingen«, fragte mich neulich beim gemeinsamen Hafermilch-Latte ein geschätzter Kollege. Eine Frage, auf die wohl jede aktivistische Person schon mindestens einmal antworten musste. Ich reagierte kurz angebunden, denn wie sollte ich es erklären? Leben retten klingt zu heroisch, etwas verändern zu hochtrabend und realitätsfremd. Was ist also mein Antreiber, mein Katalysator? Wieso mache ich das?
Diese kleine, scheinbar harmlose Frage hat mich zum Nachdenken gebracht. Denn eine rationale Antwort habe ich darauf nicht. Zumindest keine, die meinem sonst eher analytischen und sachlichen Weltbild entsprechen würde. Hand aufs Herz: Den Lauf der Geschichte werde ich nicht verändern. Ich werde nicht das Tierleid auf der Erde, nicht einmal in Deutschland oder in meinem Bundesland stoppen. Auch kann ich nicht verhindern, dass weiterhin Tiere für Tierversuche missbraucht oder Frauen auf der Straße sexuell belästigt werden. Ich werde die Politik nicht davon abhalten, Menschen an den EU-Außengrenzen einfach sterben zu lassen, oder Großkonzerne davon, Menschen auszubeuten oder zu viele Emissionen in den Orbit zu jagen. Ich, Victoria Müller, werde dies nicht ändern können. Wieso also so viel Energie, Zeit, Schweiß und Tränen in Dinge investieren, die ich sowieso nicht ändern kann?
Und dennoch hat diese Frage, die Frage nach dem »Warum«, bei mir nur kurz für Verwirrung gesorgt. Schnell saß ich argumentativ wieder im Sattel, und das Gefühl, dieses eine Gefühl, der Antreiber war wieder da und hat jeglichen Zweifel wieder dahin verwiesen, wo er hingehört: ganz weit weg!
Dieses spezielle Gefühl und die Frage nach dem Sinn aktivistischen Handelns sollen in diesem Buch weiter ergründet werden. Was treibt uns an, Kämpfe zu kämpfen, die scheinbar aussichtslos sind? Wie und wieso stellen wir uns konstanter Kritik, Hass und riskieren sogar unsere körperliche Unversehrtheit?
Ich möchte auf den nächsten Seiten dafür werben, diesem Gefühl nachzugehen, das man in der Magengegend hat, wenn man über Missstände in der Zeitung liest, wenn man ein enthüllendes Video aus einer Mastanlage sieht oder im Umfeld mitbekommt, dass jemand aufgrund von Herkunft, Religion oder Hautfarbe mal wieder richtig scheiße behandelt wurde. Dem Gefühl, das sich einstellt, wenn ein Naziaufmarsch in der eigenen Stadt angekündigt wird, Forschende in einer Talkshow über die unmittelbaren Auswirkungen des Klimawandels berichten oder die Tagesthemen die alljährliche Femizid-Statistik präsentieren, also die Zahl, wie viele Frauen binnen eines Jahres von Männern ermordet wurden. Könnt ihr das Gefühl abrufen? Haltet mal kurz inne und versucht, dem Gefühl einen Namen zu geben, spürt mal richtig rein. Was ist da? Und wo? Ein Stechen aus Angst im Kopf, ein wütender Druck auf der Brust, ein schweres Gefühl im Magen, Herzrasen aus Euphorie oder Anspannung?
Vermutlich gebt ihr dem Gefühl einen eigenen Namen. Bei mir heißt dieses Gefühl, das den Motor anspringen lässt und ziemlich lange am Laufen hält, ganz banal Wut. Um es etwas zu entschärfen und dem Ganzen die für mich typische analytische Komponente zu verleihen, nenne ich es genauer: konstruktive Wut.
Denn ja, mein Name ist Victoria, und ich bin wütend.
Aktivistisches Handeln, Veränderungen vorantreiben, das muss nicht immer total rational sein, und das Ganze darf neben der sachlichen auch eine emotionale Ebene haben. Gefühle sind es nämlich, die das Feuer brennen lassen. Deshalb möchte ich mit euch gemeinsam entweder das Feuer entflammen oder es verstärken, indem ich noch ein bisschen Öl reinkippe.
Aber nicht nur unser (potenzieller) eigener Antrieb soll in diesem Buch Thema sein, auch die Notwendigkeit für mehr Akzeptanz in Sachen Aktivismus. Zu laut, zu radikal, nicht anschlussfähig, holt nicht das Gros der Gesellschaft ab – diese Kritik ist im Rahmen von emanzipatorischen Bewegungen so sicher wie das Amen in der Kirche. Aktuell sieht sich die Klimabewegung diesen Bewertungen ausgesetzt, vor allem Gruppen wie die Letzte Generation. Aber ich kenne diese Debatten auch gegen uns in der Tierrechtsbewegung. Das Wie wird bei lauten Protestbewegungen sehr häufig thematisiert, und die vermeintliche mangelnde Anschlussfähigkeit ist für viele auch der Grund, diese Gruppen und ihre Forderungen nicht zu unterstützen.
Doch wie wirksam sind radikaler Protest und laute, unbequeme Protestformen? Dazu gibt es Forschung, die ich genauer beleuchten möchte. Wenn wir einen Blick in die Geschichte werfen, erkennen wir schnell, dass unsere heutigen Freiheiten oft das Ergebnis mutiger Protestbewegungen sind. Ob Frauenwahlrecht oder die 40-Stunden-Woche – die Pionierleistungen von damals haben den Weg für unsere heutigen Errungenschaften geebnet.
Spannender- und vielleicht auch überraschenderweise gibt es viele Überschneidungen in der Art der Protestaktionen, und auch die Akzeptanz beziehungsweise die Kritik ähnelt sich sehr stark.
Neben der Gefühlsebene und der wissenschaftlichen und historischen Einordnung möchte ich auch von meinen eigenen Erfahrungen erzählen. Seit meiner Kindheit bin ich politisch aktiv. In der siebten Klasse habe ich gezielt Menschen aus der Kommunalpolitik für die Neonazis in unserem Dorf sensibilisieren wollen und habe dazu Vorträge an unserer...
Erscheint lt. Verlag | 3.6.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Ableismus • Aktivismus Buch • Anspruch:Missstände ansprechen • bücher politik aktuell • Debattenbuch • demonstrieren • Diskriminierung • Ehrenamt Buch • eigene meinung äußern • eigene Meinung vertreten • Empört euch • Feminismus • Für ein besseres Miteinander kämpfen • Gerechte Gesellschaft • gerechtes Handeln • Gerechtigkeit für Tiere • Gesellschaft verändern • gesellschaft verbessern • Gleichberechtigung • Klima-Extremisten • Meinung sagen • mentale Gesundheit • politik bücher • Politik für dummies • Politik verstehen und handeln • politisch aktiv werden • politische bücher neuerscheinungen 2024 • Politisch engagieren • Politisches Engagement • Protestaktionen • Protestieren • Rassismus • rebel girls • Reclaim the Street • Sachbuch Gesellschaft • Soziale Gerechtigkeit • Tierrechte • Umweltaktivismus • Widerstandsbewegungen • wie kann ich politisch aktiv werden |
ISBN-10 | 3-426-44795-9 / 3426447959 |
ISBN-13 | 978-3-426-44795-6 / 9783426447956 |
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