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Was Populisten wollen (eBook)

Wie sie die Gesellschaft herausfordern - und wie man ihnen begegnen sollte | Das Buch für das Superwahljahr 2024
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
336 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31283-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was Populisten wollen -  Marcel Lewandowsky
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Marcel Lewandowsky beschreibt die Methoden der Populisten, analysiert ihre Strategie - und zeigt erfolgreiche Gegenstrategien.  Giorgia Meloni in Italien, Donald Trump in den USA, die FPÖ in Österreich und nun auch die AfD in Deutschland: Der Aufstieg des Populismus scheint unaufhaltsam - und die bisherigen Gegenstrategien gescheitert. Was also tun? Seit vielen Jahren nimmt die Zahl der Menschen zu, die populistisch wählen, doch bislang reagieren Politik und Zivilgesellschaft hilflos. Der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky erklärt das damit, dass ein wesentlicher Aspekt bislang kaum beachtet wird: Viele Wähler sind nicht deshalb so schwer zu gewinnen, weil sie die Demokratie ablehnen, sondern weil sie sich selbst für die wahren Demokraten halten - alle anderen jedoch für Feinde der Demokratie. Der Autor erklärt diesen Konflikt mit der Ideologie und den Methoden des Rechtspopulismus. Populisten erheben ihre Anhänger zur »schweigenden Mehrheit«, geißeln die Eliten und zeichnen das Bild einer Demokratie in der permanenten Krise. Sie versprechen ihren Wählern »echte« Demokratie: Wo sie regieren, soll das Volk ungehindert herrschen.  Ausgehend von dieser Analyse skizziert das Buch Gegenstrategien, die auf mehreren Ebenen funktionieren. Klar, anschaulich und mit vielen Beispielen aus dem In- und Ausland, zeigt »Was Populisten wollen«, wie man der großen populistischen Welle begegnen kann. »Lewandowsky lesen, Populismus verstehen.«  Jan Skudlarek

Marcel Lewandowsky, geboren 1982, ist promovierter und habilitierter Politikwissenschaftler und Autor und forscht seit über 15 Jahren zu den Themen Populismus, Demokratie und Parteien. Er arbeitete u.a. an der Bundeswehr-Universität Hamburg, der Universität Greifswald und der University of Florida und lebt in seiner Heimatstadt Köln.

Marcel Lewandowsky, geboren 1982, ist promovierter und habilitierter Politikwissenschaftler und Autor und forscht seit über 15 Jahren zu den Themen Populismus, Demokratie und Parteien. Er arbeitete u.a. an der Bundeswehr-Universität Hamburg, der Universität Greifswald und der University of Florida und lebt in seiner Heimatstadt Köln.

Vorwort: Einer von denen


»Sie können den Populismus verabscheuen, aber ich sage Ihnen etwas Komisches: Er wird gerade sehr populär.«

(Nigel Farage, ehemaliger Vorsitzender der Brexit-Party, 2020)

Spätsommer 2019. Donald Trump ist Präsident der Vereinigten Staaten. Ich habe im August meine Stelle im Norden Floridas angetreten, als Gastdozent an der University of Florida in Gainesville. Weil es zu heiß ist, um länger als einige Minuten zu Fuß zu gehen, rufe ich ein Uber. Es ist das erste von sehr vielen Malen – und sehr vielen Gesprächen.

Der Fahrer ist ein älterer Herr. Er erkennt an meinem Akzent sofort, dass ich Deutscher bin. Er spricht einige Worte auf Deutsch und erzählt, er sei bei der Armee gewesen, in der Bundesrepublik stationiert. Er sagt, was alles großartig an Deutschland sei. Sauber, pünktlich, die übliche Reihung gut gemeinter Klischees. Er fragt, wie lange ich bereits in Amerika sei und wie es mir gefalle. »Pretty hot«, sage ich und er lacht. Ja, Florida, daran müsse man sich gewöhnen. Der Mann fragt nach meinem Beruf. »Political Scientist«, antworte ich.

Ich glaube zu wissen, dass man in den USA keinen Small Talk über Politik betreibt. Politik ist ein privates Thema, ebenso wie Religion. Ich erwarte also, dass meine Aussage, ich sei Politikwissenschaftler, mit einer höflichen Floskel bedacht werden würde.

»Political Science!«, ruft der Mann stattdessen. »Oh boy.«

Wir fahren an Tankstellen vorbei, an riesigen Werbeschildern, an einem Diner. Gefühlt ist jeder dritte Wagen ein Pick-up-Truck. Was ich draußen sehe, gleiche ich mit dem popkulturellen Abziehbild von Amerika ab, mit dem ich groß geworden bin. Dass ich seit Jahren zu Populismus, zu Trump, zur Krise von Demokratien forsche, auch der amerikanischen, das bringe ich mit dieser Szenerie nicht in Verbindung. Fast so, als gäbe es ein Daten-Amerika, also ein Amerika, das in Fachjournalen und Büchern beschrieben wird, und ein Amerika dort draußen.

»America’s not good these days«, sagt der Uber-Fahrer. Ich horche auf. Ich habe nicht erwartet, dass es politisch werden würde. Ich frage, was er meint. Er sucht nach dem richtigen Wort. »Things are so polarized«, sagt er schließlich.

Ja, es fällt tatsächlich das Wort »polarized«. Dieser technische Begriff, der beschreibt, wie Gesellschaften auseinanderdriften: politisch, ökonomisch, gesellschaftlich. Das Pew Research Center hat herausgearbeitet, wie sich die ideologischen Fronten in den USA in den letzten Jahren weiter verhärtet haben.[1] Wähler von Demokraten und Republikanern vertreten nicht nur unterschiedliche politische Positionen. Sie denken auch immer negativer über die jeweils andere Seite.[2] Der politische Diskurs in den USA ist deutlich unversöhnlicher geworden.

Im Wagen ist es kalt. Die Klimaanlage ist bis zum Anschlag aufgedreht. Der Mann trägt ein kurzärmliges Hemd. Die Fahrbahnmarkierungen sind gelb. Obdachlose, die Haut ledrig von der Sonne, kauern auf den Verkehrsinseln. Was einem so auffällt, wenn man in einem fremden Land unterwegs ist.

Wir führen ein höfliches Gespräch. Ich höre zu und stelle Fragen. Der Mann sagt mir klar, was er denkt. Und doch glaubt er, dass das höchste Gut der amerikanischen Demokratie – die Meinungsfreiheit – empfindlich eingeschränkt sei. Er flüstert nicht, er raunt nicht, sondern spricht mit angenehmer, ruhiger Stimme. Was mir auffällt: Seinem Gefühl nach ist nicht nur die Gesellschaft bedroht, sondern auch er selbst. Das, was er als Krise wahrnimmt, bereitet ihm auch ganz persönlich Unbehagen. In mir, dem Ausländer, der hier nicht bleiben wird, findet er jemanden, dem er sich öffnen kann. Mir »darf« er diese Dinge sagen.

Ständig vergleicht er den Jetzt-Zustand mit einem Amerika, das mal war. Es war ein freundliches Amerika, in dem man einander schätzte, andere Meinungen tolerierte, pragmatisch zusammenarbeitete. Ein Wir-Amerika. Dass es dieses Land nicht mehr gibt – diesen Vorwurf scheint er vor allem den linken Studierenden zu machen. Den Begriff »Woke« benutzt er nicht, aber meint ihn. Über Donald Trump, der für sein polarisierendes Auftreten bekannt ist, verliert er kein Wort.

 

Einige Zeit später lerne ich Ricardo kennen, dessen echten Namen ich hier nicht nenne. Er ist aus Lateinamerika in die USA eingewandert und lebt in Florida. Wir treffen uns gelegentlich und verstehen uns gut. Erst nach einiger Zeit gibt er sich als Republikaner zu erkennen. Er stimmt nicht mit allem überein, was Trump entscheide, sagt er. Aber er sei besser als die Demokraten. »They will destroy America.«

Zu diesem Zeitpunkt finden in den USA Vorwahlen statt. Der spätere Kandidat Joe Biden ist für ihn Sozialist. Wann immer wir über Politik sprechen, macht er keinen Unterschied zwischen den linksradikalen Studenten, vor denen mich auch der Uber-Fahrer gewarnt hatte, und der Demokratischen Partei. Ich halte dagegen. Ich berufe mich auf das, was ich aus meinem Beruf weiß: Die Demokraten sind eine moderate Partei, die Republikaner zunehmend nach rechts gerückt, die amerikanische Demokratie stabil. Ricardo winkt ab. »That’s what you believe!«, sagt er immer. Er empfiehlt mir, das Programm des One America News Network (OAN) zu schauen. Fox News sei inzwischen zu liberal.

Die Präsidentschaftswahl 2020 kommt. Biden gewinnt. Ricardo sagt, er akzeptiere das Ergebnis. Zu den Vorwürfen der Republikaner, die Wahlergebnisse seien teilweise gefälscht, sagt er, man müsse das prüfen. Es habe an manchen Stellen Unregelmäßigkeiten gegeben. Trumps Team habe das Recht, juristisch gegen das Wahlergebnis vorzugehen. »That’s democracy«, sagt er. Den Demokraten traut er zu, die Wahl im großen Stil zu fälschen. Er sagt nicht, dass es so ist. Aber er kann es sich vorstellen.

Egal, ob es um Trump, die Demokraten, die Wahl 2020 oder die Coronapandemie geht: Ricardo und ich kommen auf keinen gemeinsamen Nenner. Der wesentliche Unterschied lässt sich so beschreiben: Er glaubt, dass die politische Linke angetreten ist, die demokratischen Institutionen auszuhöhlen. Ich sage dasselbe über Trump und seine Gefolgsleute. Wenigstens in einer Sache sind wir uns einig: Das Schicksal Amerikas steht auf dem Spiel.

Ansichten wie die von Ricardo oder des Uber-Fahrers sind nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt. Es spielt keine Rolle, ob die oft als »Kulturkampf« bezeichnete Auseinandersetzung von dort nach Europa herübergeschwappt ist oder ob Europa eine ganz eigene Entwicklung durchlaufen hat. Die Debatten, die Feindbilder, der Stil ähneln sich stark. Die Auswirkungen sind vergleichbar. Die Angst vor den »Linken«, vor den »Woken«, vor dem Niedergang macht Parteien groß, die sich den Widerstand gegen die Eliten und die Beschwörung des »wahren Volkes« auf die Fahnen geschrieben haben: die Rechtspopulisten.

Populisten gibt es zwar nicht nur auf der rechten Seite des politischen Spektrums. Aber die Blütezeit linkspopulistischer Parteien ist zumindest in Europa für den Moment vorbei.

 

Im Frühjahr 2023 halte ich in einer Stadt im Rheinland einen öffentlichen Vortrag zum Thema Rechtspopulismus. Organisiert hat ihn eine politische Partei. Obwohl es sich um einen eher kleinen Kreisverband handelt, ist der Saal gut besetzt. Die meisten Anwesenden sind Mitglieder und Sympathisanten. Auch einige Bürger ohne Parteibuch sind gekommen. Im Anschluss an den Vortrag wird die Diskussion für das Publikum geöffnet. Drei Personen geben sich dabei als Wähler der Alternative für Deutschland zu erkennen. Ein Ehepaar erklärt, es sei inzwischen wieder von der Partei abgerückt: »Zu radikal.« Aber trotzdem halten sie viele Themen der AfD für wichtig. Besonders geht es ihnen um die »Frühsexualisierung«. Sie haben Angst davor, dass Drag Queens an Schulen eingeladen werden und Kinder über sexuelle Identitäten »indoktrinieren«, wie sie sich ausdrücken. Ein anwesender Lehrer beschwichtigt: Dergleichen stehe nicht im Lehrplan. Das Ehepaar wirkt erleichtert. Für solche Informationen seien sie der Einladung zu dieser Veranstaltung gefolgt.

Ein anderer Herr beschreibt sich als überzeugter AfD-Wähler. Er arbeitet freiberuflich in der Werbebranche. Fragen hat er keine. Ihm geht es darum, seine Meinung zu äußern. Eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung wie diese ist der ideale Ort dafür. Den Politikern, sagt er, könne man nicht mehr trauen. Den anwesenden Basismitgliedern wirft er vor, »gesteuert« zu sein von der »Elite« ihrer Partei. Und deshalb bliebe auch die Wahrheit unter dem Tisch. Er zählt eine Reihe von Beispielen auf. Mit immer neuen Themen – Corona, Klima – redet er sich in Rage. »Die lügen alle!«, ruft er. Andere im Raum widersprechen. Manche werden emotional. Dass sie fremdbestimmt seien, wollen sie nicht auf sich sitzen lassen. Als die Beschuldigten lauter werden, sieht er sich darin bestätigt, nicht frei sprechen zu dürfen, und bringt immer neue Anschuldigungen vor. Irgendwann bittet ihn der Moderator zu gehen. Der Mann springt auf und dreht sich zur Tür. Er hatte ohnehin erwartet, dass seine Meinung auf der Veranstaltung zensiert werde – darin fühlt er sich nun bestätigt. »Wie bei den Sozialisten in China!«

Obwohl den meisten Menschen solche Ansichten merkwürdig erscheinen, ist der Mann damit nicht allein. Dass man nichts mehr sagen dürfe, dass »die da oben« allen, die die »Wahrheit« sagen, den Mund verbieten – den Eindruck haben tatsächlich viele. Es ist ein...

Erscheint lt. Verlag 8.5.2024
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • Aiwanger • Aktivismus • Alternative für Deutschland • Asyl • auseinandersetzen • Auslandspolitik • Berlusconi • Demokratie • Donald Trump • Eliten • Europawahl • Europawahl 2024 • FPÖ • Freie Wähler • Fünf Sterne • Giorgia Meloni • Herbert Kickl • Krise • Landtagswahl • Marine Le Pen • Maximilian Krah • Mehrheit • Minderheiten • Nationalratswahl • Ostdeutschland • ÖVP • Politikwissenschaftler • Populismus • Präsidentschaftswahl • rechts • Rechtsextremismus • Republikaner • Sachsen • Staatspolitik • Thüringen • US-Wahlen • Völkerrecht • Volksverhetzung • Zivilgesellschaft
ISBN-10 3-462-31283-9 / 3462312839
ISBN-13 978-3-462-31283-6 / 9783462312836
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