Freunde lieben. Die Revolte in unseren engsten Beziehungen (eBook)
256 Seiten
HarperCollins eBook (Verlag)
978-3-7499-0697-0 (ISBN)
Eine radikale Neuverortung der Freundschaft
Freundschaft und Sex passen nicht zusammen. So behaupten es zahllose Beziehungsratgeber, romantische Filme und oft auch das eigene Umfeld. Dennoch suchen immer mehr Menschen nachfriends with benefits. Traditionelle Familienbilder und das Ideal der einen großen Liebe scheinen mit Erwartungen und Ansprüchen völlig überfrachtet. Ist die Freundschaft plus also nur ein Fluchtversuch aus zwanghafter Romantik? Oder dient sie nicht vielmehr als Vorbild für neue Wege intimer Beziehungen?
In seinem Buch blickt Ole Liebl auf die Entwicklung und Praxis dieser ungewöhnlichen Beziehungsform. Dabei geht er auf ihre emotionalen und ethischen Konflikte ebenso ein wie auf ihre utopischen Potenziale: Gibt es wirklich kein Entkommen vor der romantischen Norm und ihren Besitzansprüchen? Unterliegen unsere Intimbeziehungen bloßen Marktmechanismen? Welche sexistischen Narrative prägen unsere Vorstellungen von Freundschaft und woher kommen sie? Gibt es eine freundschaftliche Erotik? Und auf welche Weisen erlauben wir, unsere Freund*innen zu lieben?
Radikal, kritisch und visionär formuliert Ole Liebl eine Utopie der Freundschaft und liefert uns eine überfällige Perspektive, wie wir Freundschaft anders denken und zu einem gerechteren Miteinander finden können: selbstermächtigend, tabubefreit und zutiefst vertraut.
OLE LIEBL, geboren 1992 in einem Dorf in Rheinland-Pfalz, studierte Philosophie und Informatik an der TU und FU Berlin. Auf seinen Kanälen auf TikTok und Instagram klärt er aus wissenschaftlicher Perspektive über verschiedene Themen rund um toxische Männlichkeiten, Sexualität, Geschlecht und Beziehungen auf. Ole Liebl lebt und liebt in Berlin. Instagram und TikTok: @oleliebl
2.
DIE SACHE MIT DEN GEFÜHLEN
»[W]omit kann man spielen und wie ein Spiel erfinden?« 1
Michel Foucault
Bei fast allen Menschen, mit denen ich über sexuelle Freundschaften rede oder denen ich als Podcaster:innen zuhöre, kommt ein zentrales Problem zur Sprache: das Problem der Liebe. Es wird die Meinung vertreten, dass man sich in einer F+ eher verliebe als in einer nicht sexuellen Freundschaft. Das muss natürlich kein Problem sein, immerhin ist die Fähigkeit, sich zu verlieben, eines der schönsten Dinge, derer Menschen überhaupt fähig sind. Meine eigene Partnerschaft hat sich aus einer F+ entwickelt – es war eine langsame und vertraute Bewegung aufeinander zu, in der freundschaftliche Liebe schließlich zu einer romantischen strebte. Gleichzeitig gibt es genug Freundschaften, die als Freundschaften erhalten bleiben sollen, um eben nicht in einer Partnerschaft zu kippen. Die F+ erscheint dann als gefährliches Spiel mit dem Feuer der Leidenschaft. In Freundschaften, in denen die Freund:innen nicht miteinander schlafen, scheint das »Risiko« der Liebe kein so präsentes Thema zu sein. Wenn der einzige Unterschied zwischen einer sexuellen und einer nicht sexuellen Freundschaft in gemeinsam erlebter Lust besteht, muss die Liebe folglich durch den Sex leichter hervorgerufen werden. Und in der Tat: Bei vielen Menschen löst Sex starke Emotionen aus. 2 Körperliche Intimitäten wecken – wenn es gut läuft – Gefühle der Zuneigung und Bindung, des Geborgenseins und Gehaltenwerdens. Die Lust reicht tief und geht uns etwas an. In der Erregung sind wir durchlässig für körperliche Affekte und Emotionen. Unter welchen Umständen verstärkt Sex eine romantische bzw. freundschaftliche Liebe oder ruft sie sogar hervor? Was unterscheidet freundschaftliche und partnerschaftliche Zuneigung, wenn das sexuelle Begehren überall wachsen und sich entfalten darf?
Die intimen Verbindungen von Liebe, Lust und Partner- bzw. Freundschaft sind weder in Stein gemeißelt noch in jeder Beziehung notwendig. Natürlich können wir mit Leuten schlafen, ohne sie in einem romantischen oder freundschaftlichen Sinne zu lieben – aber wir können Menschen auch leidenschaftlich lieben, ohne mit ihnen zu schlafen. Unsere körperlichen Begehren und emotionalen Bedürfnisse müssen nicht übereinstimmen. 3 Die Psychologin Lisa Diamond geht einen Schritt weiter und vertritt die Ansicht, dass sowohl romantische Liebe als auch anfängliche Verknalltheit völlig ohne sexuelles Begehren auskommen können. Nur weil ich einen Crush auf jemanden habe, bedeutet es nicht notwendig, dass ich mit diesem Menschen auch sexuell intim sein möchte, wovon asexuelle Menschen ein Lied singen können. (Solche platonischen, aber doch romantischen Freundschaften 4 sind historisch ausführlich beschrieben, insbesondere zwischen Frauen – Männer hingegen mussten sich seit jeher stärker von der Leidenschaftlichkeit in Männerfreundschaften abgrenzen, um dem Verdacht der Homosexualität zu entgehen. 5 ) Lust ohne Liebe ist also ebenso möglich wie Liebe ohne Lust.
Gleichzeitig lässt sich nicht abstreiten, dass beide aufeinander einwirken. Dass aus sexueller Lust emotionale Liebe entstehen kann, untermauert die Psychologin Gurin Birnbaum mit evolutionsbiologischen Argumenten: Für Menschen sei es sinnvoll, sich romantisch an ihre Sexualpartner:innen zu binden, um im Falle einer Schwangerschaft die gemeinsame Sorge des Nachwuchses sicherzustellen. Die sexuelle Attraktivität könne also auch als Anzeichen »romantischer Kompatibilität« verstanden werden. 6 Wie so oft in der Evolutionsbiologie liegt hier ein starker Fokus auf Fortpflanzung und damit auf heterosexuellen Beziehungen. Birnbaum konnte allerdings für hetero Frauen und Männer empirisch zeigen, dass mit sexueller Attraktivität auch das romantische Interesse an einer Person steigt und das romantische Interesse des Gegenübers höher eingeschätzt wird. 7
Und es geht auch andersherum: Aus liebevoller Zuneigung kann sexuelles Begehren erwachsen. 8 . Lisa Diamond diskutiert diese Fähigkeit unter dem Begriff der »sexuellen Plastizität« 9 , die besonders gut für Frauen belegt ist, was wahrscheinlich an der stereotyp weiblichen Geschlechtsprägung liegt, die das emotionale Ideal »Kein Sex ohne Liebe« hochhält. Neuerdings wird ein solches Verhalten geschlechtsneutraler unter dem Stichwort der »Demisexualität« verhandelt, was aussagt, dass der Wunsch nach körperlicher Nähe nur auf Grundlage einer zugewandten, emotionalen Bindung entsteht. Lust und Liebe verhalten sich demnach auf alle möglichen Weisen zueinander: Sie können getrennt oder gemeinsam erscheinen, Liebe kann aus Lust entstehen und andersherum – und das gilt für Partnerschaften ebenso wie für Freundschaften.
Hinzu kommt, dass sowohl romantische als auch freundschaftliche Beziehungen auf vergleichbare Weise beginnen können, weshalb man heutzutage ja nicht nur von einem crush, sondern auch von einem friends crush redet. Man ist in neue Freund:innen wortwörtlich verknallt. In einer Studie an jungen Erwachsenen wurde die Verschiedenheit von falling in love und falling in friendship anhand bestimmter Faktoren erfragt, die sich an den entscheidenden Punkten aber nur graduell unterschieden. Beiden Beziehungen waren Qualitäten der gegenseitigen Wertschätzung, der charakterlichen Ähnlichkeit oder des Wunsches nach Nähe gemein. 10
Ist die Liebe zwischen Freund:innen und Partner:innen also wirklich so ähnlich? Das Verknalltsein findet ja vor allem zu Beginn einer Beziehung statt. Im späteren Verlauf kann sich vieles ändern. Um die Arten der Liebe in diesem Kontext etwas präziser zu definieren, hilft die Dreieckstheorie der Liebe des Psychologen Robert Sternberg. 11 Er unterteilt Liebe in drei Aspekte: Intimität, Leidenschaft und Commitment. Intimität weist auf die Nähe oder Verbundenheit der anderen Person hin, sie spannt eine emotionale Dimension auf. Die Leidenschaft wiederum steht für physische Anziehung, sexuelles Begehren und heftige romantische Gefühle. Sie kann den motivationalen Anteilen der Liebe zugewiesen werden. Beim Commitment handelt es sich eher um eine kognitive Komponente der Liebe, die betont, wie entschlossen man sich dazu entscheidet, sich an eine geliebte Person zu binden. Je nachdem, wie stark die Elemente des Dreiecks ausgeprägt sind, stellt Sternberg verschiedene Arten der Liebe auf. Die Freundschaft definiert er dabei als hoch intime Beziehung, die ohne Leidenschaft und Commitment auskommt. 12 Da es in diesem Buch um sexuelle Beziehungen geht, betrachte ich ansonsten nur die Formen der Liebe, in denen der Faktor Leidenschaft eine Rolle spielt. Das Einzige, was schwankt, sind also Intimität und Commitment.
In der Phase der Verknalltheit erscheint alles als frisch, neu und aufregend – zwischen den beiden Beteiligten kann noch keine große Intimität entstanden sein, da sie einfach Zeit braucht, um sich zu entwickeln. Durch die Ungewissheit der Situation bleibt auch das Commitment auf einem niedrigen Level. Bei der romantischen Liebe, die für Sternberg ein fortgeschrittenes Stadium darstellt, wurde die Leidenschaft durch Intimität ergänzt, es besteht also eine emotionale Verbundenheit. Sternberg sieht die törichte Liebe 13 in der stereotypen Hollywood-Romanze verwirklicht: Ein Paar trifft sich an Tag X, zwei Wochen später folgt die Verlobung, im Monat darauf die Heirat. Natürlich geht es heiß her, inmitten der Verknalltheit setzt man auf volles Commitment, aber es folgt aus der Leidenschaftlichkeit der Situation und nicht aus einer längerfristig erworbenen Intimität. Vielleicht kennt ihr auch ein paar Paare, die frisch verknallt sofort zusammenziehen wollen – das wäre mit Sternberg auch eine törichte Liebe. Deshalb sei sie zum Scheitern verurteilt. Ganz anders steht es mit der vollendeten Liebe, die als ein Bindungsgefühl angesehen werden kann, das aus einer langfristigen, romantischen Liebe entsteht. Das Paar hat Situationen erlebt, die Nähe und Zusammenhalt stiften, in denen sich beide unterstützt, verstanden und wertgeschätzt fühlen, die also kurzum von tiefer Intimität zeugen.
Im Schema von Sternberg nimmt die sexuelle Freundschaft einen eigentümlichen Platz ein. Da Sternberg Freundschaft ausschließlich durch Intimität definiert, würde sie sich sofort in eine romantische Liebe verwandeln, wenn sie durch Leidenschaft ergänzt wird. Je stärker eine sexuelle Freundschaft auf die eigenen Lebensentscheidungen einwirkt, je verbindlicher die Beziehung also ist, desto mehr entspricht die F+ in allen drei Kriterien der vollendeten Liebe. Es gibt keinen Unterschied zwischen ihr und einer Partnerschaft.
Wenn ich also meine Freund:innen ebenso lieben kann wie meine Partner:innen, ja mich sogar in sie verknallen kann, und wenn diese Liebe in den Wunsch nach körperlicher Nähe umschlagen kann, dann ist das sexuelle Begehren in Freundschaften nicht mehr unbedingt vom Geschlecht der Freund:innen abhängig. Plötzlich ver-queeren sich die Verhältnisse. Funktioniert eine F+ auch ohne »passende« sexuelle Orientierung der Freund:innen? Was wäre, wenn man die F+ als Beziehung entwerfen könnte, die eine Sexualität abseits der Matrix sexueller...
Erscheint lt. Verlag | 16.2.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Partnerschaft / Sexualität | |
Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Sexualität / Partnerschaft | |
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Schlagworte | Begehren • Beziehung • Beziehungen • Beziehungsratgeber • casual sex • Debatte • Diskriminierung • Emanzipation • Empowerment • Freundschaft • Freundschaft + • Freundschaft führen • Freundschaft plus • Friends with benefits • Gender • Geschlechterforschung • Geschlechterrollen • Geschlechterverhältnisse • Gesellschaftskritik • Liebe • Liebe und Sex • Machtverhältnisse • Monogamie • Normierung Freundschaft • Patriarchat • Philosophie • Polyamorie • Polygamie buch • queere Liebe • Sexismus • Sexualität • Sexualwissenschaft • sexuelle Freiheit • Sex unter Freunden • Sie hat Bock • Wie wir lieben |
ISBN-10 | 3-7499-0697-1 / 3749906971 |
ISBN-13 | 978-3-7499-0697-0 / 9783749906970 |
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