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Die Wertschätzungskette (eBook)

Spiegel-Bestseller
Warum wir uns Chefs ohne Empathie nicht leisten können | Vertrauen, Verantwortung, Integrität, Respekt, Mut, Nachhaltigkeit und Unternehmenskultur sind mehr wert
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
288 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3158-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Wertschätzungskette -  Sven H. Korndörffer
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Wer führen will, muss fühlen können Alle Welt redet von der Wertschöpfungskette und vergisst dabei die Wertschätzungskette. Dabei sind Mitarbeitende, die sich gesehen und wohlfühlen, nachweisbar leistungsfähiger, gesünder, loyaler und motivierter. In der Leitungsebene braucht es deshalb Menschen, die sich für ihre Mitarbeitenden und das, was ihnen wichtig ist, interessieren. Führungskräfte sollten Verbindlichkeit, Glaubwürdigkeit und Fühlbarkeit mitbringen - denn diese zwischenmenschlichen Kompetenzen zahlen auf die Wertschätzungskette ein. Sven Korndörffer, seit 2005 Vorsitzender der Wertekommission - Initiative Werte Bewusste Führung in Deutschland, zeigt an vielen Beispielen, welche teuren Folgen eine schlechte Unternehmenskultur haben kann und wie Wertschätzung auf der Führungsebene sich bei den Mitarbeitenden spiegelt. Seine Radikale Forderung lautet: Führungskräfte müssen in erster Linie Mensch und erst in zweiter Linie Manager sein.

Sven H. Korndörffer blickt auf fast drei Jahrzehnte in der Bankenbranche zurück. Zuletzt war er Bereichsvorstand für die Konzernkommunikation bei der Commerzbank. In seinen vorherigen beruflichen Stationen verantwortete er die Kommunikation der Aareal Bank Gruppe und war Leiter des Vorstandsstabs der Norddeutschen Landesbank. Außerdem ist Korndörffer seit 2005 Vorsitzender des Vorstands der Wertekommission - Initiative Werte Bewusste Führung in Deutschland.

Sven H. Korndörffer ist Bereichsvorstand für die Konzernkommunikation der Commerzbank und verantwortet damit die Bereiche Corporate Communications, Public Affairs, Brand Management und Communication Products and Services.. Zuvor leitete er als Bankdirektor den Vorstandsstab der NORD/LB. Außerdem ist er seit 2005 Vorsitzender der Wertekommission – Initiative Werte Bewusste Führung in Deutschland.

Kapitel 2
Wer einmal lügt
GLAUBWÜRDIGKEIT


Die Menschen sind heutzutage nicht schlechter,
als sie früher waren. Nur die Berichterstattung
über ihre Taten ist gründlicher geworden.William Faulkner

Ohne Rücksicht auf Verluste


Erfolg hat immer einen Preis. Jeder, der sich einmal ernsthaft daran versucht hat, weiß das. Das Paradoxe ist, dass es Menschen gibt, die gerade dann jeden Preis zu zahlen bereit sind, wenn sie längst erfolgreich sind. Ab einem bestimmten Niveau, sollte man meinen, müsste der Erfolg es uns doch erleichtern, auch gegen Widerstände zu den eigenen Werten zu stehen? Immerhin fliegt es sich wesentlich schwieriger raus, wenn man eine gewisse Position erreicht und einen gewissen Einfluss erlangt hat. Wie gesagt: eigentlich.

Leider sind es ausgerechnet die Gegenbeispiele, über die besonders intensiv berichtet wird – die Fälle, in denen der Erfolg dem wertekonsistenten Verhalten scheinbar abträglich war. Vom multiplen Diesel-Skandal über die schmutzigen »Gelben Engel« bis hin zu Wirecard, einem der größten Betrugsfälle in der Geschichte der Weltwirtschaft: Die Manager, um die es in diesen Berichten geht, drücken am Ende den höchsten Preis von allen für ihr Verhalten ab. Sie bezahlen mit ihrer Glaubwürdigkeit.

Woran wir nicht denken, wenn wir die Horrorschlagzeilen über Tricksereien, Unterschlagungen und Kungeleien im Topmanagement lesen, ist der Teil des Dramas, der sich hinter dem Vorhang der Medienbühne abgespielt hat. Öffentlich findet meist nur der letzte Akt statt. Intern hatten die Führenden, die nun im Blitzlichtgewitter schwitzen, ihre Glaubwürdigkeit oft schon lange zuvor verloren. Was die Menschen unter ihrer Führung jahrelang erdulden mussten, bleibt oft sogar dann noch verborgen, wenn sie aufgeflogen sind. Die Erfolgsegomanen hinterlassen zerrüttete Systeme, die so auf Vertuschung und Vermeidung eingespielt sind, dass sie anders gar nicht mehr funktionieren.

Ein anschauliches Beispiel dafür liefert ein Dokument aus dem Volkswagen-Konzern, das im Zuge des Diesel-Skandals an die Öffentlichkeit gelangte. In dem »Glossar« berichtete ein Ingenieur von verabredeten Sprachregelungen, mit denen die Mitarbeitenden die Konzernlenker Piёch und Winterkorn zu besänftigen suchten, wenn ihnen bei Testfahrten etwas am Fahrzeug nicht passte.13 »Dem gehen wir gezielt nach« etwa bedeutete, dass man noch nicht einmal ansatzweise einen Lösungsvorschlag hatte.

Der codierte Sprech zeigt, wie weit die Vertuschung sich schon ins System gefressen hatte: Die Mitarbeitenden kämpften damit augenscheinlich ums berufliche Überleben. Ein größeres Armutszeugnis können Menschen ihrer Führung gar nicht ausstellen.14

Jahrzehntelang konnte diese »Kultur« von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt gären. Nach außen hin pflegte Volkswagen derweil sein Image als deutsches Vorbildunternehmen. Erst als die Diskrepanz zwischen den propagierten Werten und der gelebten Führungspraxis durch manipulierte Abgaswerte aufflog, kamen auch diese Interna ans Licht. Eine Kettenreaktion wurde in Gang gesetzt, die unaufhaltsam ihren Lauf nahm und das Unternehmen in einen Strudel von Negativschlagzeilen zog. Letztlich war die Fälschung der Abgaswerte nichts anderes als eine logische Fortsetzung dessen, was die Mitarbeitenden offenbar auch bei den Ergebnissen der Testfahrten praktizierten: Werteverfall und Lügen als Selbstschutz.

Auf gruselige Weise faszinierend sind am Fall Volkswagen – und nicht minder bei den anderen betroffenen Autobauern – die Raffinesse und Robustheit der Strukturen, an denen sich der Führungsmissbrauch manifestierte. Es ist erstaunlich, wie das erprobte und über Jahre hinweg eingeschliffene System selbst dann noch nachklang, als die Katze längst aus dem Sack war und die Führung ihre Posten geräumt hatte. Der von der US-Justiz eingesetzte Kontrolleur sah sich genötigt, die an der Aufklärung beteiligten Mitarbeitenden immer wieder darauf hinzuweisen, dass es an diesem Punkt nicht mehr nur um Autos ging, sondern um Werte jenseits der Wertschöpfungskette: Integrität, Ehrlichkeit, Offenheit.15

Die Vorbildrolle der Führenden greift leider auch dann, wenn man sich das Gegenteil wünschen würde. Mitarbeitende, die jahrelang eine Schweigespirale vorgelebt bekommen haben, tragen nicht über Nacht ihr Herz auf der Zunge. Druck, Angst und Kontrolle sind tief sitzende Emotionen; sie klingen nach. Lange. Einem Führenden – je nach charakterlichen Voraussetzungen – diese schlechten Angewohnheiten abzugewöhnen ist schwierig genug. Sie einem ganzen Unternehmen auszutreiben ist eine Herkules-Aufgabe. Die Lösung ist eine offene, umfassende, schonungslose Diskussion – funktionierende Kommunikation eben.

Das Problem ist, dass eine raffiniert konstruierte Informationsasymmetrie dieses Ausmaßes sehr lange funktionieren kann. Zu viele Einzelinteressen sind bei ihrem Einsturz gefährdet. Das Konstrukt bleibt stabil, solange die Diskrepanz zwischen Außendarstellung und Innenleben der Öffentlichkeit verborgen bleibt. Doch sobald der erste Dominostein gefallen ist, weil irgendjemand den Blick in den Spiegel nicht mehr erträgt, nimmt die Kettenreaktion erbarmungslos ihren Lauf. Es kann Jahre, ja Jahrzehnte dauern, doch irgendwann fliegt jede Werte-Perversion auf. Immer.

Besonders bedauerlich ist an diesem Beispiel für mich, dass Volkswagen nicht nur für sich, Wolfsburg oder die deutsche Automobilbranche steht, sondern für das noch viel bedeutsamere Markenzeichen »Made in Germany«. In diesem Sinne war das Unternehmen, waren alle in diesem Zusammenhang kritisierten Marken auch Synonyme für werteorientiertes Unternehmertum. Ihre Bedeutung war viel größer als ihre Wirtschaftsleistung, ihre Wirkung auf die Gesellschaft viel breiter als die Zahl ihrer Arbeitsplätze und ihr Steueraufkommen. Die Industrie repräsentiert den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die großen Traditionsunternehmen stehen – national wie international – für eine ganze Kultur. Sie sind – oder waren – der Stolz eines ganzen Landes. Bei aller wirtschaftlichen Stabilität, bei aller immer noch bemerkenswerten unternehmerischen Stärke auch ihrer Führung – die Enthüllung legte nahe, dass sie dieser Verantwortung offenbar bereits seit Längerem nicht mehr gerecht geworden waren.

Und selbst damit ist noch nicht das ganz Ausmaß des Schadens umrissen. Viel schlimmer noch als der Skandal an sich und der wirtschaftliche Schaden für eines der größten deutschen Unternehmen ist neben der kulturellen Innen- und Außenwirkung auch der allgemeine Verlust von Glauben in das deutsche Topmanagement im Großen und Ganzen. Nicht nur mit den ehemaligen Spitzenmännern aus der Automobilbranche geht die öffentliche Meinung nun hart ins Gericht. Die Zweifel an der Fähigkeit des Managements insgesamt in unserer Gesellschaft haben sich etabliert.

Nie hatten Spitzenführende einen solchen Imageverlust zu erdulden wie heute, selbst nicht nach Günter Oggers Bestseller Nieten in Nadelstreifen aus dem Jahr 1992. Bei einer vom Marktforschungsinstitut Forsa durchgeführten Befragung über das Vertrauen in gesellschaftliche Akteure landeten Manager auf einem der hinteren Plätze: Nur neun Prozent der Deutschen haben noch Vertrauen in sie.16

Das alles geschieht in einer Zeit, in der wir die Wirtschaft und das Land zusammenhalten müssen. Ausgerechnet die Macher hinter der deutschen Wirtschaftskraft, die den zukunftsverunsicherten Staats- und Unternehmensbürgerinnen und -bürgern Orientierung geben könnten, entpuppen sich »gefühlt« auf breiter Front als unglaubwürdig.

Alfred Herrhausen, der legendäre Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, hat schon vor Jahrzehnten klare Worte dafür gefunden, welches Risiko werteignorante Führung für die Gesellschaft im Ganzen birgt: »An dem Tag, an dem die Manager vergessen, dass eine Unternehmung nicht weiterbestehen kann, wenn die Gesellschaft ihre Nützlichkeit nicht mehr empfindet oder ihr Gebaren als unmoralisch betrachtet, wird die Unternehmung zu sterben beginnen.«17

Die Folgeschäden eines umfassenden Glaubwürdigkeitsverlusts von Führung lassen sich nicht einmal ansatzweise in Zahlen fassen. Die Skandalmanager haben ohne Rücksicht auf Verluste gehandelt. Das Glaubwürdigkeitsproblem, das sie Führenden überall im Land hinterlassen, ist ein tonnenschwerer Klotz am Bein jedes Führenden – als wäre Führung noch nicht anspruchsvoll genug. Welchem Mitarbeitenden, welchem Kunden, welchem Bürger kann man heute noch verübeln, dass er seiner Führung mit Zweifeln begegnet statt mit einem Vertrauensvorschuss? Selbst als branchenfremde Führungskraft kann ich mich des Fremdschämens nicht erwehren. Aus der Zeit der Finanzkrise weiß ich nur allzu gut, wie es sich anfühlt, wenn man täglich mit Zweifeln konfrontiert wird, an denen man buchstäblich keine Aktien hat. Es ist ein Albtraum.

Doch Jammern nützt nichts. Als Führende müssen wir den fremdverschuldeten Vertrauensverlust ausgleichen. Ob das fair ist oder nicht, steht auf einem anderen Blatt. Glaubwürdigkeit...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Ehrenkodex • Freiwillige Selbstverpflichtung • Führung • Leitbilder • Management • Mission Statement • Unternehmenskultur • Unternehmensphilosophie • Werte • Wertschätzung
ISBN-10 3-8437-3158-6 / 3843731586
ISBN-13 978-3-8437-3158-4 / 9783843731584
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