Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Theorien des digitalen Kapitalismus (eBook)

Arbeit und Ökonomie, Politik und Subjekt
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
533 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77706-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Theorien des digitalen Kapitalismus -
Systemvoraussetzungen
27,99 inkl. MwSt
(CHF 27,35)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Verändert sich der Kapitalismus grundlegend angesichts der gegenwärtigen Digitalisierungsschübe? Konjunktur haben jedenfalls theoretische Analysen und Zeitdiagnosen, die sich der Charakterisierung eines digitalen Kapitalismus widmen. Der vorliegende Band bietet erstmals einen Überblick über diese unterschiedlichen Theorien und Debatten und lotet entlang der Felder Arbeit und Ökonomie, Politik und Subjekt die Formen und Auswirkungen des Kapitalismus im Zeitalter der Digitalisierung aus. Mit Beiträgen u. a. von Emma Dowling, Helen Hester, Ursula Huws, Kylie Jarrett, Oliver Nachtwey, Nick Srnicek, Philipp Staab und Jamie Woodcock.



Tanja Carstensen ist Privatdozentin am Institut f&uuml;r Soziologie der LMU M&uuml;nchen und Koordinatorin des Forschungsverbunds <em>Sorgetransformationen </em>an der Universit&auml;t Hamburg. Simon Schaupp, geboren 1988, ist Oberassistent am Lehrstuhl f&uuml;r Sozialstrukturanalyse der Universit&auml;t Basel. Seine 2021 erschienene Dissertation <em>Technopolitik von unten</em> wurde mehrfach ausgezeichnet. Im Suhrkamp Verlag gab er zuletzt zusammen mit Tanja Carstensen und Sebastian Sevignani den Band <em>Theorien des digitalen Kapitalismus</em> heraus (stw 2415).

9Sebastian Sevignani, Simon Schaupp und Tanja Carstensen

Einleitung: Basiskategorien und
zukünftige Herausforderungen für eine Theorie
des digitalen Kapitalismus


Die Debatte um den digitalen Kapitalismus nimmt weiter Fahrt auf. Der Begriff soll Konturen gegenwärtigen Wandels kapitalistischer Gesellschaften bezeichnen, der sich ausgehend vom technologischen Wandel, konkret der Digitalisierung, bestimmen lässt. Wie so oft setzt sich das Gesamtbild aus der Zusammenschau einzelner Aspekte und Veränderungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zusammen. Dieses Buch bietet erstmals eine solche Zusammenschau. Dabei bringt es auch die bislang im deutschsprachigen Diskurs weitgehend sprachlos nebeneinanderstehenden Ansätze der kritischen Politischen Ökonomie und der Science and Technology Studies (STS) in Dialog miteinander. Im Überblick zeigt sich dabei dreierlei: Erstens haben wir es mit zumeist partiellen Zeitdiagnosen für einzelne gesellschaftliche Teilbereiche zu tun, deren Zusammenführung gesellschaftstheoretischer Anstrengungen bedarf. Hierfür möchten wir einen Ordnungsvorschlag anbieten, der sich an kapitalismustheoretischen Basiskategorien orientiert, die sich der Marx’schen Theorie und ihren Weiterentwicklungen entnehmen lassen. Zweitens möchten wir skizzieren, wie sich vor dem Hintergrund unseres Ordnungsvorschlages die Entwicklung verschiedener wichtiger Bereiche des digitalen Kapitalismus darstellt, namentlich Produktivkräfte, Arbeitsorganisation, Wertschöpfung, politische und kulturelle Regulation sowie seine Subjekte und Subjektivierungsweisen. Schließlich wollen wir drittens, nach Sichtung und Diskussion der versammelten Beiträge, aus unserer Sicht zentrale konzeptionelle und analytische Herausforderungen für die Theoriebildung zum digitalen Kapitalismus markieren.

Beginnen wir aber zunächst mit einer Klärung der Begriffe Informatisierung und Digitalisierung. Informatisierung als der der Digitalisierung zugrundeliegende Prozess meint zunächst, dass geistige, regulierend-orientierende Tätigkeiten von ihren Urheber:10innen geschieden werden müssen, um sie anderen zugänglich zu machen und um zu kommunizieren und zu kooperieren. Bei jeder Vergegenständlichung – egal ob in Zeichen oder Information – erlangt allerdings nur ein Teil des Wissens, der Erfahrungen und Fähigkeiten der Menschen eine eigenständige Gestalt. Andere Kommunikationspartner:innen müssen die vergegenständlichten Informationen wieder in ihr Wissen und ihre Erfahrungen einbetten. Diese kooperative »Arbeit an den Zeichen«[1]  bedient sich auch unterschiedlicher Informationstechniken. Informatisierung meint in einem zweiten Sinn die »Materialisierung des Informationsgebrauchs«[2]  in Informationssystemen. Es geht hier um den organisierten und vergegenständlichten Umgang mit Informationen.

Die Digitalisierung zunächst analoger Informationssysteme, die dann mit Hilfe von Computern gespeichert, verteilt und bearbeitet werden können, weist einige spezifische Merkmale auf. Dazu zählen eine starke Formalisierung und Reduktion von Information (bis hin zu zwei diskreten Signalzuständen), die Möglichkeit, unter Absehung »realer« Bedingungen Veränderungen und Eingriffe auf der Ebene informationeller Modelle vorzunehmen, wobei Fakten und Kontexte von Anfang an als modulierbare Datenabbilder verstanden werden und auf dieser Ebene bearbeitet werden, bevor es zu ausführenden Tätigkeiten, etwa der Re-Organisation von Arbeitsabläufen oder der Herstellung von Technik, kommt, sowie die Integration vormals getrennter Informationsbestände und deren Standardisierung. Parallel entwickeln sich auch die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Erfahrungswelten der Menschen weiter, und es entstehen neue (Lern-)Anforderungen für den Umgang mit der Informations- und Kommunikationstechnik.[3] 

Damit berührt das Digitale so gut wie alle Dimensionen der Gesellschaft und wird zu einer Herausforderung für alle Formen der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung, egal welche Ebene des Sozialen diese adressieren. Eine integrative Theorie des digitalen Kapitalismus, die alle Dimensionen zugleich erfasst, scheint daher 11unmöglich. Gleichwohl ist es das Ziel dieses Bandes, Verbindungen der disparaten Ansätze auszuleuchten. Deshalb schlagen wir die Strukturierung des Feldes anhand der kapitalismustheoretischen Basiskategorien Produktivkraftentwicklung, Arbeit, Wertschöpfung, politische Regulation sowie Kultur und Subjekte vor, die den Gegenstandsbereich der in der Gliederung des Buchs bestimmten Themenbereiche Arbeit, Ökonomie, Politik und Öffentlichkeit sowie Kultur und Subjekte abstecken. Diese sich teilweise überlappenden Kategorien und Themenbereiche erlauben es, die für einen Sammelband notwendige multiparadigmatische Herangehensweise mit einer Strukturierung des Feldes zu verbinden, die Synthesepotenziale andeutet.

Produktivkraftentwicklung und Arbeit


Nachdem die digitalen Technologien der weitgehend abgeschirmten Sphäre des Militärischen entwachsen waren, breiteten sie sich zunächst in der Arbeitswelt aus. Als Startschuss kann dabei die globale Ölkrise von 1973/74 gelten, auf die ein massiver technischer Rationalisierungsschub folgte, der sich vor allem in neuen Automatisierungstechnologien und frühen Formen der digitalen Produktionssteuerung wie der Computer Numerical Control (CNC) manifestierte. So wurden Automatisierung und Informatisierung miteinander verbunden, und der Computer wurde zu einer Organisationstechnologie im Produktionsprozess.[4]  Neben der Reduzierung von Maschinenstillständen oder -fehlern ging es vor allem darum, die menschliche Arbeit als Störfaktor auszuschalten. Vor allem in der westeuropäischen Automobilindustrie konnte die Nachfrage aufgrund von streikbedingten Produktionsausfällen regelmäßig nicht befriedigt werden.[5]  Folglich wurden diejenigen Beschäftigten, die nicht ersetzt werden konnten, einem engmaschigen Regime digitaler Kontrolle unterworfen. In diesem Sinne wurden die Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation bereits in dieser Frühphase 12der Digitalisierung als »computergestützter Neo-Taylorismus« beschrieben.[6]  Diese Diagnose wurde später angesichts immer ubiquitärer werdender digitaler Überwachungsmöglichkeiten erneut gestellt.[7] 

Insgesamt gelang es den technischen Rationalisierungen nicht, die Gewinne wieder auf das Niveau vor der Ölkrise anzuheben. Kapital wurde zunehmend von der Produktionssphäre auf die Finanzmärkte verschoben, sodass die Finanzwirtschaft in den 1990er Jahren auf nie dagewesene Dimensionen anwuchs. Das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Finanztransaktionen erforderte eine globale digitale Infrastruktur, was wiederum eine der wichtigsten Ausgangsquellen für die massenhafte Nachfrage nach digitalen Technologien schuf und den Aufstieg des Internets einläutete.[8]  Der zentrale »Transmissionsriemen«, der die Finanzialisierung in die Betriebe übertrug, war die sogenannte Lean Production. Im Kern ging es dabei um die Eliminierung von »Verschwendung« sowohl in Bezug auf Material als auch in Bezug auf Arbeitszeit. Für diese Optimierung sollten die Beschäftigten selbst verantwortlich gemacht werden. Im Rahmen der Umstellung auf »schlanke« Methoden führten die meisten großen Unternehmen neue digitale Technologien ein, um den Arbeitsprozess mit Hilfe von Key Performance Indicators (KPIs) zu messen. Dies bedeutete eine Intensivierung der Arbeit sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht, da die Arbeit nicht nur beschleunigt, sondern auch zunehmend Erfahrungswissen verlangt wurde.[9] 

Zunehmend diffundierte das »Lean«-Paradigma auch in die Büroarbeit, wo es sich mit dem um Flexibilisierung bemühten Ansatz der »agilen« Arbeit verband.[10]  Die Verbreitung mobiler und 13smarter Geräte beförderte orts- und zeitflexibles Arbeiten, (Büro-)Arbeit wurde, soweit erlaubt, ins Homeoffice und ins Café verlagert, verbunden mit mehrdimensionalen Entgrenzungen von Arbeit. Formuliert...

Erscheint lt. Verlag 19.11.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Wirtschaft
Schlagworte aktuelles Buch • Arbeit • Bücher Neuererscheinung • bücher neuerscheinungen • Digitalisierung • Kapitalismus • Neuererscheinung • Neuerscheinungen • neues Buch • Ökonomie • STW 2415 • STW2415 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2415
ISBN-10 3-518-77706-8 / 3518777068
ISBN-13 978-3-518-77706-0 / 9783518777060
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,0 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Die EU auf dem Weg zu einer neuen Identität

von Heinz Handler

eBook Download (2024)
Springer Fachmedien Wiesbaden (Verlag)
CHF 29,30