Sprachförderung im Unterricht der Sekundarstufe 1 (eBook)
170 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61807-1 (ISBN)
Prof. Dr. Markus Spreer ist Sprachheilpädagoge und lehrt und forscht am Institut für Förderpädagogik an der Universität Leipzig. PD Dr. Anja Theisel ist Sprachheilpädagogin und leitet das Seminar für Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte - Abteilung Sonderpädagogik in Heidelberg.
Prof. Dr. Markus Spreer ist Sprachheilpädagoge und lehrt und forscht am Institut für Förderpädagogik an der Universität Leipzig. PD Dr. Anja Theisel ist Sprachheilpädagogin und leitet das Seminar für Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte - Abteilung Sonderpädagogik in Heidelberg.
2Lernausgangslage ermitteln
Eine zielgerichtete Unterstützung der Lernprozesse von SuS ist dann effektiv möglich, wenn die individuellen Lernvoraussetzungen und mögliche (Sprach-)Barrieren bekannt sind und bei der Gestaltung der Lehr-Lern-Prozesse berücksichtigt werden (Kap. 3 bis 5). Bereits in Kapitel 1.3 wurde deutlich, dass die Bedarfe der SuS ganz unterschiedliche Auswirkungen auf das schulische Lernen haben können und somit in individueller Weise berücksichtigt werden müssen (vornehmlich im Kontext der Unterrichtsplanung hinsichtlich der ausgewählten Ziele und Inhalte sowie der eingesetzten Methoden und Medien und deren konkreter Umsetzung).
Die Ermittlung der Lernausgangslage ist somit eine zentrale Zielstellung diagnostischen Vorgehens, mit der mögliche sprachliche Unterstützungsbedarfe, die gegebenenfalls eine zusätzliche und spezifische Förderung notwendig machen (jenseits sprachlicher Bildung), eruiert werden. Dies bedeutet einerseits Prävention im Sinne der Bewusstmachung sprachlicher Barrieren im unterrichtlichen Angebot. Andererseits kommt Diagnostik als Verlaufskontrolle und Evaluation einer möglichen Förderung zum Einsatz, um zu überprüfen, ob ausgewählte Förder-/Therapieziele erreicht wurden und die dabei verwendeten Inhalte und Methoden passgenau waren.
Dabei ist sonderpädagogische Diagnostik mehr als Lernstandserfassung! Die Erfassung des Lernstands, für die es inzwischen auch viele digitale Angebote gibt, nimmt die Zielfertigkeiten der Jugendlichen in den Blick und versucht in regelmäßigen Abständen deren Weiterentwicklung und damit den Kompetenzzugewinn in einem bestimmten Fach zu überprüfen, wie dies auch durch Tests oder Klausuren erfolgt. Die Erfassung der Lernausgangslage bedeutet vor allem, die Lernvoraussetzungen und damit die Zugangsfertigkeiten in den Blick zu nehmen, die diese Lernstände oder deren Voranschreiten bzw. Stagnieren mit verursachen. Es müssen folglich immer sowohl Ziel- als auch Zugangsfertigkeiten Berücksichtigung finden, auch bezogen auf die eingesetzten Überprüfungsverfahren (Renner/Scholz 2022). Dies ist mit Blick auf die Testfairness zentral, die sowohl bei standardisierten Testverfahren, als auch bei informellen Lernstandserhebungen sowie bei Klausuren oder Tests großen Einfluss auf die Ergebnisse nehmen kann. Bei SuS mit sprachlichem Förderbedarf bedeutet dies, besonderes Augenmerk auf die Testanweisungen bzw. Aufgabenformulierungen zu legen.
2.1Diagnostische Erfassung sprachlicher Kompetenzen
Für eine professionelle Unterstützung/Förderung von SuS ist es notwendig, den aktuellen sprachlichen Entwicklungsstand und die jeweiligen spezifischen Bedingungen hinsichtlich des Erwerbs sprachlicher Strukturen und Funktionen zu kennen (Wissen zur Lernausgangslage). Dieser Zielstellung folgend liefert die Diagnostik entsprechende Ansatzpunkte, um förderortunabhängiges, gegebenenfalls auch zieldifferentes Lernen optimiert zu gestalten (Reber 2012).
kommunikative Kompetenz
Im Mittelpunkt der Diagnostik stehen die sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten eines Kindes, wobei hier auf die Sprach- und Kommunikationsfähigkeit als umfassendere Kompetenz abgehoben wird. Efing (2014) macht in einem Modell die Komplexität kommunikativer Kompetenz deutlich (Abb. 3).
Ein singuläres Betrachten der Fähigkeiten der SuS auf einzelnen Sprachebenen würde deren Entwicklung im Kontext der vielfältigen Facetten kommunikativer Kompetenz nicht berücksichtigen.
Multiperformanzprinzip
Für ein umfassendes Bild der Fähigkeiten des Kindes ist dabei immer auf das Multiperformanzprinzip zu achten (Berg 2007), das verschiedene Modi in den Blick nimmt:
■Rezeption (Dekodieren),
■Reproduktion,
■Produktion (Kodieren und Rekonstruieren sprachlicher Strukturen) und
■Reflexion.
Abb. 3: Kommunikative Kompetenz (modifiziert nach Efing 2014, 101)
Diese Modi erfordern ein unterschiedliches Maß an Eigenaktivität von den SuS und haben damit unterschiedliche Anforderungen an die sprachliche Kompetenz (Abb. 4).
Abb. 4: Sprachliche Modi (modifiziert nach Berg 2007)
ICF/ICF-CY
Wichtig dabei ist, dass die sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten nicht losgelöst von der Gesamtentwicklung zu betrachten sind, sondern in Interdependenz zu den anderen Entwicklungsbereichen Motorik, Sensorik, Kognition und sozial-emotionale Entwicklung stehen. Diese Entwicklungsprozesse sind jeweils wiederum eingebettet in den Kontext der Bildungs- und Erziehungsprozesse, der Kompetenzentwicklung, der Sozialisation und Individuation – in dem jeweiligen familiären, institutionellen (Schule) und gesellschaftlichen Kontext (Berg 2007). Die Berücksichtigung der verschiedenen Kontexte wird (im Sinne der ICF) ebenfalls als Inhalt in die diagnostische Arbeit einbezogen, beispielsweise wenn es zu ermitteln gilt, wie mehrsprachig aufwachsende SuS mit welchen Kommunikationspartnern und -partnerinnen in der Familie in welchen Sprachen kommunizieren und wie sich der Kontakt zur Zweitsprache Deutsch im Alltag gestaltet. Grundlage hierfür kann die ICF-CY (International Classification of Functioning and Health, World Health Organization – WHO 2005) sein, die Gesundheit als ein Zusammenspiel von Körperfunktionen und -strukturen, von Aktivitäten und Partizipation betrachtet. Als Körperfunktionen werden hierbei die physiologischen Funktionen von Körpersystemen (einschließlich psychologischer Funktionen) betrachtet, während die Körperstrukturen anatomische Teile des Körpers wie Organe, Gliedmaßen und ihre Bestandteile sind. Eine Aktivität bezeichnet die Durchführung einer Aufgabe oder Handlung (Aktion) durch einen Menschen, Teilhabe (Partizipation) das Einbezogensein in eine Lebenssituation. Alle drei Bereiche werden beeinflusst durch personenbezogene und Umweltfaktoren. Letztere liegen außerhalb des Individuums, können aber seine Leistung als Mitglied der Gesellschaft, seine Durchführung von Aufgaben bzw. Handlungen oder seine Körperfunktionen und -strukturen positiv oder negativ beeinflussen. Personenbezogene Faktoren können Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Alter, Gesundheitsprobleme, Fitness, Lebensstil, Gewohnheiten, Bildung, Erfahrungen (vergangene oder gegenwärtige Ereignisse), Charakter, individuelles psychisches Leistungsvermögen und andere Merkmale umfassen, die in ihrer Gesamtheit oder einzeln bei Behinderung auf jeder Ebene eine Rolle spielen können. Mit Blick auf die sprachlich-kommunikative Entwicklung müssen deshalb im diagnostischen Prozess und in der darauf aufbauenden Förderung bzw. Planung von Bildungsangeboten die in Abbildung 5 zusammengefassten Aspekte Berücksichtigung finden.
Abb. 5: Zielebenen sprachheilpädagogischer Förderung im ICF-Modell (in Anlehnung an Glück/Berg 2008, 5)
sprachtragende Funktionen
Im Kontext der Einschätzung sprachlicher Fähigkeiten sind deshalb auch sogenannte sprachtragende Funktionen (vgl. Körperfunktionen und -strukturen) zu fokussieren, die den Erwerb von Laut- und Schriftsprache z. T. grundlegend beeinflussen. Hierzu zählen:
■auditive Verarbeitung und Wahrnehmung,
■auditive Merkfähigkeit/Speicherung,
■auditive Aufmerksamkeit und
■Mundmotorik (orofaziale Funktionen).
Relevanz und Einfluss dieser Faktoren sind in den Teilkapiteln der Kapitel 3 und 4 dargestellt.
2.2Methoden der Erfassung sprachlicher Kompetenzen
Im Rahmen der diagnostischen Erfassung kommen unterschiedliche Methoden zum Einsatz.
Beobachtung/Testverfahren
Werden die konkreten sprachlichen Fähigkeiten der SuS in den Blick genommen, so stehen einerseits die direkte Beobachtung (vor allem spontansprachlicher Äußerungen bzw. sprachlicher Interaktionen) und andererseits Elizitationsmethoden, die den SuS bestimmte sprachliche Konstruktionen „entlocken“ (typischerweise durch den Einsatz von Testverfahren) zur Verfügung.
Befragung
Die Methode der Befragung kommt eher dann zum Einsatz, wenn es um die Gewinnung von Informationen unterschiedlicher Bezugspersonen eines Kindes oder eines/einer Jugendlichen (vor allem Eltern, Lehrkräfte, Therapeuten und Therapeutinnen) bzw. des/der betreffenden Kindes/Jugendlichen selbst geht. Dies bezieht sich nicht nur auf die Anamnese (auch als Basis für die Planung des weiteren diagnostischen Vorgehens), sondern dieses methodische Vorgehen wird auch dann eingesetzt, wenn Bezugspersonen oder Therapeutinnen und Therapeuten z. B. hinsichtlich der Rahmenbedingungen befragt werden. Unter anderem liegen hierfür Anamnesebögen und...
Erscheint lt. Verlag | 23.10.2023 |
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Co-Autor | Katharina Weiland |
Illustrationen | Christine Pitzer |
Zusatzinfo | 30 Abb. 16 Tab. |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sonder-, Heil- und Förderpädagogik |
Schlagworte | Aussprache • Buch • Förderschule • Grammatik • Lernbarrieren • Lesen • Pragmatik-Kommunikation • Redefluss • Schreiben • Sonderpädagogik • Sprachbarrieren • Sprachförderung im Fachunterricht • Sprachförderung in der Gesamtschule • Sprachförderung in der Hauptschule • Sprachförderung in der Mittelstufe • Sprachförderung in der Realschule • Sprachförderung in der Schule • Sprachförderung in der Sonderschule • Sprachliche Heterogenität • Sprachverstehen • Unterstützte Kommunikation • Wortschatz • Zweitsprache Deutsch (DaZ) |
ISBN-10 | 3-497-61807-1 / 3497618071 |
ISBN-13 | 978-3-497-61807-1 / 9783497618071 |
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