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Terrorismus -  Siegfried Frech

Terrorismus (eBook)

Im Fadenkreuz politischer Gewalt
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
157 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-040074-0 (ISBN)
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Terrorismus als Form politisch motivierter Gewalt ist eine Herausforderung, die in einer globalisierten Welt gegenwärtiger denn je ist. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat sich das Erscheinungsbild des Terrorismus gewandelt. Eine islamistische Terrorgruppe schickte sich an, einen eigenen Staat zu bilden, den sogenannten 'Islamischen Staat'. In Europa hat die Zahl opferreicher Terroranschläge merklich zugenommen. Erkennbar sind grenzüberschreitende Anschlagsformen, neue Tätertypen und eine verstörende Mediennutzung (Livestream-Attentate). Siegfried Frech nimmt die Besonderheiten verschiedener terroristischer Stoßrichtungen (Rechtsterrorismus, Linksterrorismus und islamistischer Terrorismus), unterschiedliche Strategien und Motive sowie Ziele und Instrumente der Terrorismusbekämpfung in den Blick.

Prof. Siegfried Frech ist Honorarprofessor (Didaktik der politischen Bildung) an der Universität Tübingen. Zwischen 1991 und 2021 war er Publikationsreferent bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.

Prof. Siegfried Frech ist Honorarprofessor (Didaktik der politischen Bildung) an der Universität Tübingen. Zwischen 1991 und 2021 war er Publikationsreferent bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.

3       Terrorismus: Merkmale, Varianten und Hintergründe


Was ist Terrorismus?


Eine schwierige Begriffsbestimmung


Vor 9/11 befasste sich nur eine überschaubare Handvoll Experten mit dem Thema Terrorismus. Eine eher kleine Anzahl von Politik- und Geschichtswissenschaftlern, Psychologen und Mitarbeitern von Regierungs- und Sicherheitsbehörden beschäftigte sich mit diesem »Nischenthema« (Louise Richardson). Inzwischen ist ein immenser Anstieg an Veröffentlichungen, die sich mit den Ursachen, Hintergründen und Folgen terroristischer Gewalt beschäftigen, zu verzeichnen. Eine Zählung aus dem Jahr 2008 ergab, dass seit dem 11. September 2001 allein in englischer Sprache alle sechs Stunden ein neues Buch zum Thema erschien (vgl. Hegemann 2017, S. 230). Terrorismus ist in Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und bei Sicherheitsbehörden zu einem Dauerthema geworden. Die Debatten konzentrieren sich auch auf die Frage wirkungsvoller und angemessener Bekämpfungsmöglichkeiten von Terrorismus ( Kap. 6).

Mehr als zwanzig Jahre nach 9/11 stehen Terrorismus und Terrorismusbekämpfung auf der politischen Agenda weit oben, vom Konflikt mit dem Islamischen Staat (IS) über die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) bis zu den islamistisch motivierten Anschlägen in Paris (Januar und Dezember 2015), Brüssel (März 2016) und auf dem Berliner Weihnachtsmarkt (Dezember 2016). Nach den Morden des NSU nahm der rechte Terror nicht ab: 2019 tötete ein Rechtsextremist den Kassler CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Im Oktober 2019 versuchte ein rechtsextremer Terrorist in Halle, bewaffnet in die Synagoge einzudringen. Als er an der verschlossenen Tür scheiterte, erschoss er zwei Passanten. Im Februar 2020 ermordete ein Rechtsextremer in Hanau neun junge Menschen mit Migrationshintergrund.

Obwohl Terrorismus ein allgegenwärtiges Phänomen ist, gibt es keine verbindliche Terrorismusdefinition. Der Begriff ist wissenschaftlich umstritten. Dies hat auch damit zu tun, dass Terrorismus ein äußerst komplexes Phänomen ist, das historisch lange zurückreicht, sich nicht auf eine geografische Zone beschränken lässt, unterschiedliche Formen annimmt und sich über die Zeit hinweg verändert (vgl. Imbusch 2018, S. 195). Der Terrorismusexperte Walter Laqueur merkte hierzu an, dass der Terrorismus viele Gesichter hat, dass es nie nur einen Terrorismus gegeben hat, sondern viele Varianten (vgl. Laqueur 2001, S. 10).1

Merkmale von Terrorismus


Eine erste Annäherung an den Terrorismusbegriff erlaubt die Auflistung stets wiederkehrender Charakteristika, die regelmäßig als Bestandteile terroristischer Gewalt beschrieben werden. Diese Eigenschaften lassen einen »Wesenskern« des Terrorismus erkennen. Eine oft zitierte Studie von Alex P. Schmid und Albert J. Jongmann arbeitete bereits im Jahr 1988 aus über 100 Terrorismusdefinitionen 22 Merkmale heraus, die besonders häufig genannt werden und den begrifflichen Wesenskern des Terrorismus ausmachen (vgl. Schmid/Jongmann 1988, S. 5 f.).

Tab. 1:    Merkmale von Terrorismus in wissenschaftlichen Definitionen

Quelle: Nach Health-Kelly 2022, S. 31.

Bündelt man die genannten Einzelelemente lassen sich grundlegende Merkmale2 bzw. Charakteristika von terroristischen Gewaltakten benennen, welche die »Anatomie des Terrors« (Hacker 1975, S. 167) ausmachen:

 Terroristische Gewaltakte sind exakt kalkulierte, mit Sorgfalt geplante schockierende Anschläge, die für potenzielle Opfer nicht abzuschätzen und damit unkalkulierbar sind (vgl. Waldmann 1998, S. 10). Die Opfer haben keine Möglichkeit der Gegenwehr. Das Maß an Destruktivität steigt mit der Anzahl der Opfer, die je nach den eingesetzten Waffen variiert. Die Gewaltakte richten sich häufig gegen Ziele, die einen hohen Symbolwert haben und in der Regel vollkommen Unbeteiligte treffen.

 Mit der Ermordung und Verletzung von Menschen, der Beschädigung oder Zerstörung von Sachen ist es nicht getan. Die Tat geht weit über das Ausmaß der physischen und materiellen Schäden hinaus. Die Anschläge sorgen für ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und »garantieren«, dass der Anschlag von einer breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen wird. Terroristische Gewaltakte zielen auf psychische Effekte ab, wollen Angst und Schrecken verbreiten, bei einem breiteren »Zielpublikum« Furcht erregen und dieses einschüchtern (vgl. Hoffman 2001, S. 56). Die Gefahren des Terrors »sollen allgegenwärtig erscheinen und es soll der Eindruck erweckt werden, dass der Terror unterschiedslos jeden treffen kann« (Imbusch 2018, S. 196).

 Terroristische Anschläge transportieren immer auch Botschaften und Drohungen. Terrorismus ist eine Kommunikationsstrategie. Die Zerstörungseffekte sind nur eine Art Signal, um einer Vielzahl von Menschen etwas mitzuteilen (vgl. Waldmann 1998, S. 12 f.).

 Terrorismus ist eine Gewaltstrategie relativ schwacher, nichtstaatlicher Gruppen bzw. Akteure.3 Sie können keinen nennenswerten politischen Einfluss geltend machen, um auf legalem Wege gehört und mit ihren Forderungen anerkannt zu werden. Terroristische Gruppen agieren anonym aus dem Untergrund heraus und versuchen durch Androhung oder Anwendung von Gewalt ihre politischen Ziele zu kommunizieren. Strategische Planungen, gepaart mit dem Überraschungsmoment, stellen für terroristische Attentäter entscheidende Vorteile dar, »um der Übermacht des Staates überhaupt Paroli bieten zu können« (Imbusch 2018, S.197).

 Terroristische Gewalttaten zielen auf die Provokation der Mächtigen ab. Der Einsatz brutaler Gewalt soll die Gegenseite bloßstellen und provozieren. Die vermeintlich »besseren« Gerechtigkeitsvorstellungen der Terroristen stellen das politische System, gegen das die Terroristen opponieren, als eigentlichen Urheber der Gewalt dar. Durch gewalttätige Aktionen soll der Staat aus der Reserve gelockt und zu überzogenen Reaktion gezwungen werden, die die Gewalt der Staatsmacht entlarven oder in Misskredit bringen. Terroristen geht es vor allem darum, die Strukturen und Aufteilung der Macht innerhalb eines politischen Systems bzw. einer Gesellschaft zu beeinflussen und zu ihren Gunsten zu verschieben (vgl. Imbusch 2006, S. 489).

Eine Typologie: Was Terroristen wollen


Terroristische Gruppen nehmen vielgestaltige Formen an, verfolgen unterschiedliche (politische) Motive und wenden verschiedene Strategien an zur Erreichung ihrer Ziele. Die Terrorismusforschung hat eine Reihe von Typologien entwickelt, um diese Vielfalt zu sortieren.4 Diese Ordnungsversuche vereinfachen die Komplexität terroristischer Gruppen, deren Motive bzw. Ziele, Aktions- und Handlungsformen. Die Typologien sind dennoch von Nutzen: Sie beschreiben grundlegende Charakteristika und bieten Orientierung auf einem auf den ersten Blick unübersichtlichen Feld. Insgesamt sechs Typen von Terrorismus lassen sich unterscheiden.5

Sozialrevolutionär motivierter Terrorismus


Sozialrevolutionärer Terrorismus strebt eine radikale Veränderung des politischen und ökonomischen Systems einer Gesellschaft an, indem die Machtverhältnisse in Staat und Gesellschaft grundlegend verändert werden. Sozialrevolutionärer, in aller Regel linksradikal motivierter Terrorismus unterscheidet sich in seinen politischen Zielsetzungen und Aktionsformen. Eine entscheidende Gemeinsamkeit ist das »Streben nach einer revolutionären Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Strukturen im Sinne der Ideen von Marx« (Waldmann 1998, S. 76). Historische Vorläufer finden sich bei anarchistischen Gruppen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts bzw. zu Beginn des 20. Jahrhunderts Attentate auf europäische Herrscher verübten (vgl. Laqueur 2011, S. 23 ff.).

Die russischen Anarchisten des späten 19. Jahrhunderts werden zu den Vorläufern des heutigen Terrorismus gezählt. Am bekanntesten wurde die Gruppe Narodnaja Wolja (»Volkswille«). Die sogenannten Narodniki waren von 1878 bis 1881 in Russland aktiv. Ihre politische Philosophie war eine Art idealistischer Anarchismus, der die Zerstörung der existierenden Ordnung als Voraussetzung für eine neuere und bessere Gesellschaft erforderte. Narodnaja Wolja ließ jedoch ziemlich im Unklaren, wie diese »bessere« Welt im Detail aussehen sollte. Wie Michail A. Bakunin6 vertraute die Gruppe auf spontanes Handeln und argumentierte, ein einziger Zerstörungsakt könnte mehr erreichen als alle Debatten und Veröffentlichungen. Ihre Aktionen konzentrierten sich darauf, Schlüsselfiguren des Regimes zu töten, vor allem natürlich den Zaren. Und in der Tat gelang es ihren Anhängern, im Jahr 1881...

Erscheint lt. Verlag 9.8.2023
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Helmar Schöne, Philipp Salamon-Menger, Siegfried Frech
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Gewalt • Islamismus • Rechtsradikalität
ISBN-10 3-17-040074-6 / 3170400746
ISBN-13 978-3-17-040074-0 / 9783170400740
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