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Der neue Kalte Krieg (eBook)

Atomwaffen, Cyberattacken, hybride Gefahren. Wie der Westen der neuen Bedrohung begegnen muss
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
318 Seiten
Quadriga (Verlag)
978-3-7517-4846-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der neue Kalte Krieg -  Julia Berghofer
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Der Krieg in der Ukraine hat tiefgreifende Folgen für unsere Sicherheit. Von der nuklearen Eskalation und der Zerstörung wichtiger Infrastruktur bis zu Desinformationskampagnen: Wir stecken mitten in einem neuen Kalten Krieg. Obwohl sich Deutschland und die EU dieser Gefahr bewusst sind, fehlt es an geeigneten Verteidigungsstrategien. Wie groß ist die nukleare Bedrohung? Steht uns ein neues Zeitalter der Aufrüstung bevor? Und wie sollte sich Europa künftig gegen globale Aggressoren rüsten? Sicherheitsexpertin Julia Berghofer beschreibt, wie die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen in Zukunft aussehen wird. Und sie fordert dringend eine neue Sicherheitspolitik.



Julia Berghofer ist Expertin für die Bereiche Sicherheitspolitik, euroatlantische Sicherheit und nukleare Rüstungskontrolle. Sie arbeitet als Senior Policy Fellow beim EUROPEAN LEADERSHIP NETWORK (ELN) und ist aktiv im FORUM NEUE SICHERHEIT der HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG und im RÉSEAU NUCLÉAIRE ET STRATÉGIE. Dabei publiziert sie regelmäßig in verschiedenen Medien, moderiert Diskussionsveranstaltungen und ist gefragte Interviewpartnerin wichtiger Leitmedien.

Julia Berghofer ist Expertin für die Bereiche Sicherheitspolitik, euroatlantische Sicherheit und nukleare Rüstungskontrolle. Sie arbeitet als Senior Policy Fellow beim EUROPEAN LEADERSHIP NETWORK (ELN) und ist aktiv im FORUM NEUE SICHERHEIT der HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG und im RÉSEAU NUCLÉAIRE ET STRATÉGIE. Dabei publiziert sie regelmäßig in verschiedenen Medien, moderiert Diskussionsveranstaltungen und ist gefragte Interviewpartnerin wichtiger Leitmedien.

Kapitel 1 | House on Fire:
Ein Kalter Krieg 2.0?


Ein neuer Kalter Krieg?


Steuern wir, steuert die euro-atlantische Gemeinschaft auf einen neuen Kalten Krieg zu? Und was bedeutet das? Inwiefern wird sich der neue Kalte Krieg, wenn es ihn gibt, vom »ersten« Kalten Krieg unterscheiden? Und was können die europäischen Staaten gemeinsam tun, um sich auf die neue Situation einzustellen und die europäische Verteidigung zu stärken? Vor welchen Aufgaben stehen die NATO und die EU? Und wie kann sich Deutschland – genauer gesagt: die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik – besser aufstellen?

Mit diesen Fragen ringen die westlichen Staaten, und es kann keine einfachen Antworten geben. Sie ringen insbesondere deswegen, weil sich ein Großteil der westlichen Staatengemeinschaft lange Zeit damit schwergetan hat, Russland als echtes Sicherheitsproblem für die gesamte euro-atlantische Region wahrzunehmen. Deutschland war bei den Zögerern ganz vorne dabei. Dadurch sind die europäischen Staaten und ihr wichtigstes Verteidigungsbündnis, die NATO, in eine Situation geraten, in der sie seit Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine geradezu von den Geschehnissen getrieben werden, auch wenn Russland zum jetzigen Zeitpunkt (Stand April 2023) auf dem Schlachtfeld konventionell nicht überlegen ist. Die Lücken in der westlichen Verteidigungsfähigkeit sind offensichtlich geworden, insbesondere der Mangel an Ausrüstung, strategischem Denken und einem grundlegenden Verständnis der russischen Ziele in Europa.

Gleichzeitig hat Russlands Angriffskrieg die europäischen Staaten vehement aus einem sicherheits- und verteidigungspolitischen Dornröschenschlaf gerissen und für einen ungeahnten Zusammenhalt in der NATO gesorgt, von dem Moskau sicherlich überrascht wurde: Statt die Allianz zu spalten, hat der Kreml sie näher zusammenrücken lassen. Wie lange dieser Trend anhält, hängt von den Mitgliedstaaten selbst ab und von deren Bereitschaft, Russland und seine militärischen und nichtmilitärischen Aggressionen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie in anderen europäischen Ländern langfristig ganz hoch auf ihre Agenda zu setzen.

Der russische Überfall auf ein souveränes Nachbarland stellt in jedem Fall eine Zäsur in den euro-atlantischen Beziehungen dar. Er geht einher mit einem Abgesang auf jegliche Form von Kooperation, Stabilität in Europa und Respekt gegenüber der territorialen Integrität derjenigen Staaten, die Russland als Bestandteil seiner Einflusssphäre betrachtet. Der Westen kann sich daher einer langfristigen Konfrontation mit Moskau nicht entziehen: Der Krieg in der Ukraine geht uns alle an – und das nicht erst durch die westlichen Waffenlieferungen, sondern weil Russland die europäische Sicherheit an sich zur Disposition gestellt hat. Die Führung im Kreml hat sich damit endgültig in die Position eines Außenseiters katapultiert, und es ist zum aktuellen Zeitpunkt nicht absehbar, wie sich das Verhältnis zwischen den europäischen Staaten und Russland mittel- und langfristig gestalten wird.

Der Krieg in der Ukraine: Ungewisser Ausgang


Vieles hängt vom Ausgang des Krieges in der Ukraine ab: Dass der Kreml eine Niederlage einräumt und seine Truppen zurückzieht, seine genozidalen Verbrechen eingesteht und in Verhandlungen mit Kiew neuen Sicherheitsgarantien für die Ukraine zustimmt, wäre ein begrüßenswertes Szenario, ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Ein begrenzter Atomwaffeneinsatz vonseiten Moskaus würde die Bereitschaft der Ukraine, sich zu verteidigen, nicht schwächen, und auf dem Schlachtfeld lassen sich aufgrund der Streuung der ukrainischen Truppen keine signifikanten Ergebnisse erzielen. Zudem muss Moskau immer mit einer massiven Antwort seitens der NATO rechnen – und die Befürchtungen davor sind in Moskau groß. Nicht umsonst hat der Kreml nach dem Niedergang einer ukrainischen Rakete jenseits der polnischen Grenze sofort klargestellt, dass es sich nicht um einen russischen Angriff auf NATO-Territorium gehandelt habe.

Das wahrscheinlichste kurz- und mittelfristige Szenario ist vermutlich ein zäher Abnutzungskrieg. Der Kreml spielt auf Zeit und hofft auf die schwindende Bereitschaft der westlichen Staaten, Kiew weiterhin mit Waffen- und Munitionslieferungen zu unterstützen. Leider war und ist es ebenjenes Zögern, das einen Sieg der ukrainischen Truppen bisher verhindert hat. Mit dem Argument, dass man Moskau nicht provozieren wolle, wurden schwere Waffen zu spät geliefert und gab es immer wieder allzu langwierige Debatten unter anderem in der deutschen Politik, welche Kiew kostbare Zeit gekostet haben. Diskussionen wie jene, die prominent um mögliche Panzerlieferungen an die Ukraine in 2022 geführt wurden, wiederholen sich 2023 mit Blick auf Kampfjets. Man kann die Ukraine nur bewundern für den Humor, den sich das Verteidigungsministerium erhalten hat (und der natürlich auch eine taktische PR-Maßnahme ist). Mit einem satirischen Video auf seinem Twitter-Kanal »bewirbt« das Ministerium den »modernen« F-16-Kampfjet »made in the 80s«, passend unterlegt mit der 80er-Jahre-Hymne »Take My Breath Away« der US-amerikanischen Band »Berlin«.1 Denn die Lieferung von modernen Kampfjets wird als weitere rote Linie in der Waffenlieferungsdiskussion dargestellt, die Staaten wie die USA und Deutschland bisher nicht überschreiten wollen.

Gelegentlich wird in der öffentlichen Debatte das Argument angeführt, ein Mehr an westlichen Waffenlieferungen würde nur zu mehr Blutvergießen führen, und Waffen könnten keine Kriege beenden oder gar verhindern. Dies ist eine ebenso scheinheilige wie ignorante Behauptung: Leider gibt es in der Geschichte nur allzu viele Beispiele, in denen es Waffengewalt brauchte, um Aggressoren zu stoppen. Das prominenteste hiervon ist Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Natürlich ist dies keine simple Logik, die auf jeden Krieg oder Konflikt zutrifft, und eine Pauschalisierung verbietet sich. Doch in einem Konflikt, in dem so offenkundig ist, dass eine Partei sich eines illegalen Angriffskrieges und Kriegsverbrechen schuldig gemacht hat, sollte die Unterstützung des angegriffenen Staates mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln außer Frage stehen. Und nicht zuletzt ist ungewiss, wann das Blutvergießen russischer Truppen auf ukrainischem Boden tatsächlich enden würde: Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall eines Stopps westlicher Waffenlieferungen und einer ukrainischen Kapitulation wäre das Risiko sehr hoch, dass russische Truppen weiter mordend und marodierend durch das Land zögen.

Der neue Kalte Krieg hat keine Blaupause


Wir können uns der Logik des neuen Kalten Krieges als euro-atlantische Gemeinschaft nicht entziehen, selbst wenn wir die Ukraine langfristig ihrem eigenen Schicksal überlassen würden. Russland und die europäischen Staaten teilen einen Kontinent, und ihr Schicksal war selbst zu Zeiten des Eisernen Vorhangs eng verbunden. Moskau mag heute ökonomisch schwach und zumindest in einigen Bereichen durch westliche Sanktionen geschwächt sein. Nach dem Ende der Sowjetunion hat Moskau drei Staaten in seiner selbst definierten Einflusssphäre an die NATO »verloren«, und die restlichen postsowjetischen Staaten im europäischen Raum haben, mit prominenter Ausnahme von Belarus, mehrheitlich engere oder sogar enge Beziehungen mit Westeuropa angestrebt. Doch Russland bleibt trotz – oder vielmehr: gerade aufgrund – seiner ökonomischen und politischen Schwächung eine Gefahr. Die konventionell-militärische Abnutzung in der Ukraine katapultiert nukleare Abschreckung und aggressive nukleare Rhetorik ganz nach oben auf die Agenda des Kremls. Auch wenn ein Atomwaffeneinsatz vonseiten Moskaus dennoch unwahrscheinlich ist, gelingt es Russland durch seine mal subtilen, mal sehr offenherzigen Drohungen aus einem breit gefächerten nuklearen Spektrum, die NATO-Staaten zu verunsichern.

Ungünstigerweise lenkt das nukleare Schreckgespenst zu sehr von den viel handhabbareren Instrumenten ab, die Russland zur Verfügung stehen. Moskau versteht sich meisterhaft auf alle Aspekte hybrider Kriegsführung, von Cyberangriffen über Informationskrieg und das Einsetzen von Recht als Druckmittel (»Lawfare«) bis hin zur Instrumentalisierung von russischen Landsleuten im Ausland, um dort prorussische Narrative zu verbreiten (Näheres zu diesen Themen in Kapitel 4). So kleinteilig und vergleichsweise harmlos es erscheinen mag, wenn Moskau »Kulturzentren« in den europäischen Hauptstädten betreibt oder hier und da einmal die Webseite einer Fluglinie hackt – all diese Aktivitäten sind nur der Anfang dessen, worauf wir uns in einer langwierigen Konfrontation mit einem in die Enge gedrängten Staat, der dennoch über einen gut bestückten Instrumentenkasten an malignen Mitteln verfügt, einstellen müssen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass der autoritäre Staat, der sich immer mehr zu einem totalitären Regime entwickelt,2 von einem mächtigen Partner unterstützt wird: China. Mithilfe dieses Bündnisses kann das Putin-Regime einige seiner Schwächen ausgleichen. Insbesondere auf internationaler Ebene ist es schwierig, Russland zu einem echten Paria zu machen. Die Koalition derjenigen, die Russlands Verhalten verurteilen, umfasst circa 61 Prozent der Weltwirtschaft, aber nur 16 Prozent der globalen Population, wobei China und Indien einen Großteil der verbleibenden 84 Prozent ausmachen. Das Verhältnis der westlichen Staaten zum Globalen Süden wird daher eine herausragende Rolle im neuen...

Erscheint lt. Verlag 27.10.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte atomabkommen • Atomare Bedrohung • Bedrohung krititischer Infrastruktur • compatriots • deepfake • Desinformationskampagnen • Dritter Weltkrieg • Fake News • hybride kriegsführung • Nato-Osterweiterung • Nordstream Sprengung • Politik • Russischer Angriffskrieg auf die Ukraine • Rüstungskontrolle • Wiederaufrüstung der Bundeswehr • Wladimir Putin
ISBN-10 3-7517-4846-6 / 3751748466
ISBN-13 978-3-7517-4846-9 / 9783751748469
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