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?Schwierige? Schüler. Wer sie versteht, kann ihnen helfen. Reclam Bildung und Unterricht (eBook)

Felten, Michael - Praxisbeispiele; Ansätze - 14361 - Originalausgabe
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
120 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-962148-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

?Schwierige? Schüler. Wer sie versteht, kann ihnen helfen. Reclam Bildung und Unterricht -  Michael Felten
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?Schwierige? Schüler führen Lehrkräfte schnell an ihre Grenzen, können den gesamten Unterricht blockieren. Das muss aber nicht so bleiben. Herausforderndes Verhalten kann sich überraschend beruhigen - wenn man seinen Kern richtig entschlüsselt und angemessen reagiert. An zahlreichen realen ?Fällen? aus allen Altersstufen und Schulformen zeigt Michael Felten auf, wie psychologischer Einblick und pädagogisches Handeln ?entstören? und befreien kann - und worin die elementaren Aspekte personaler Störungskompetenz bestehen. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Michael Felten, geb. 1951, verfügt über langjährige Erfahrung und theoretische Expertise im Umgang mit ?schwierigen? Schülern - als Lehrer, als Lehrbeauftragter an Pädagogischen Hochschulen sowie als Referent in der Lehrerweiterbildung.

Michael Felten, geb. 1951, verfügt über langjährige Erfahrung und theoretische Expertise im Umgang mit ›schwierigen‹ Schülern – als Lehrer, als Lehrbeauftragter an Pädagogischen Hochschulen sowie als Referent in der Lehrerweiterbildung.

Vorbemerkung

1 Sieben Lehren
Ein destruktiver Typ?
Doch nicht geistig behindert?
Falsche Tröstungen
Erlebte Härte wirkt lange nach
Ein kleiner wilder Mann
Der Musterknabe
Ein Schulschwänzer

2 Zwischenbilanz – die individualpsychologische Perspektive

3 Sieben Klippen
Er stört nicht, sondern ist unglücklich
Der Prinz
Der Unruheherd
Wenn Mathe wütend macht
Er schlägt sofort zu
Warum ist er nur so getrieben?
Auf die Pauke hauen

4 Störungskompetenz – über tiefenpädagogische Expertise
Ein individualpsychologisches Manual
Individualpsychologische
Schulpädagogik
Psychoanalytische Impulse

5 Sieben Miniaturen
Der Grobian
Der Schweiger
Lustlosigkeit
Reinrufen
Die Gekränkte
Der Nullbocktyp
Der Verweigerer

6 Die Klasse als Entwicklungshelfer
Klassengemeinschaft als heilsamer Ort
Beispiel Klassenrat
Kindergesprächskreise
AG Gegenseitige Hilfe

7 Eltern als Mitspieler

Ausblick
Literatur und Links zum Vertiefen
Verzeichnis ›Symptome‹
Übersicht ›Auswege‹
Zum Autor

[13]1 Sieben Lehren


Die Vergangenheit birgt oftmals Schätze, die nach Wiederbelichtung rufen. Ausgehend von der reformpädagogisch inspirierten Schulreform im »Roten Wien« zwischen den Weltkriegen gab es in den 1950er Jahren insbesondere in Süddeutschland eine Vielzahl von Lehrern und Schulpsychologen, die es gewohnt waren, ›Störungen‹ nicht plump zu bekämpfen, sondern hinter die Fassade zu schauen. Dabei gelang es ihnen häufig, auch extrem lernbehinderten oder verhaltensauffälligen Schülern (so die damalige Diktion) zu einer positiven Entwicklung zu verhelfen. Eine Reihe von Fällen ist sorgfältig dokumentiert, einige seien im Folgenden komprimiert vorgestellt. Sie machen auch deutliche, dass viele heutige Probleme im Kern gar nicht neu sind, sich lediglich äußerlich unterscheiden.

Ein destruktiver Typ?

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg: Der junge Pädagoge findet in der neu übernommenen sechsten Klasse den Schüler Max vor. Was der frühere Lehrer berichtet hatte, trifft ein: Der Junge stiftet überall Unruhe und Streit, bekommt Wutanfälle, zerstört Materialien seiner Mitschüler. Weder mit Nachsicht noch mit Mahnungen oder Drohungen ist ihm beizukommen, und nach einer brutalen Attacke auf eine Dreijährige sieht der Novize sein Konzept der Güte gescheitert. Aber auch der Griff zum Rohrstock hinterlässt nicht mehr als mörderisches Geschrei.

Der hinzugerufene Schulberater empfiehlt herauszufinden, warum dieses Kind derart große Nachteile für sich [14]selbst in Kauf nimmt, ja geradezu herausfordert. Der Lehrer findet durch sorgfältige Recherche heraus, dass Max in jungen Jahren schwächlich und kränklich war. Er ist das jüngere von zwei unehelichen Kindern (damals eine Schande), seine Mutter musste die beiden Jungen kurz nach der Geburt weggeben, die Pflegemutter zog den Älteren massiv vor. Der Lehrer versucht sich vorzustellen, wie Max diese Mischung aus Verunsicherung, Entbehrung und Benachteiligung erlebt haben muss; er kann jedenfalls in seinen ersten Lebensjahren kein freundliches Bild von der Welt erworben haben. Als er sechs ist, heiratet die Mutter zwar, er kann zurück nach Hause. Die Ehe verläuft aber unglücklich, die Mutter verbündet sich mit ihm gegen den Vater – und bestärkt ihn in dem Gefühl, dass man niemandem trauen könne, dass man anderen Menschen nur mit größtem Misstrauen begegnen dürfe. In einem solchen Zustand kann man natürlich nicht unbeschwert lernen, es kommt zu Misserfolgen, Bloßstellungen, Demütigungen, Strafen – Max’ Selbstgefühl leidet weiter. Aber niemand erträgt auf Dauer das Gefühl, immer und überall der Dumme, der Unfähige, der Unbrauchbare zu sein. So verlegt Max sich statt aufs Mittun auf Gegnerschaft, er plagt Schwächere und kämpft mit Stärkeren, auch mit dem Lehrer. Und alle Strafen haben nur einen Effekt: Sie bestätigen Max in seinem Erleben.

Der Lehrer richtet nun zunächst eine Schonzeit für den Jungen ein – er stellt also kaum kognitive Anforderungen an ihn, will vorerst nicht weiter an seinem Minderwertigkeitsgefühl kratzen. Sodann findet er eine (damals höchst ehrenvolle) Aufgabe für Max: Er bietet ihm an, täglich das Rad des Lehrers in den Keller zu bringen und wieder herauszuholen. Schließlich beginnt er, behutsam Max’ Stofflücken zu fül[15]len – in einigen Pausen oder nach dem Unterricht. Und als Max einmal länger ins Krankenhaus muss, gelingt es ihm, die Klasse – dem Plagegeist Max gegenüber eigentlich skeptisch eingestellt – als Überbrückungshelfer zu gewinnen: Abwechselnd besuchen die Mitschüler Max zu zweit und berichten ihm vom Unterricht, sprechen mit ihm Aufgaben durch, bringen bisweilen gar Geschenke mit, über Monate. Das beeindruckt sogar die Mutter, die dem keimenden Zutrauen ihres Sohnes zur Schule zunächst argwöhnisch, ja ablehnend gegenübergestanden hatte. Nach etwa einem Jahr hat sich Max so weit beruhigt und gefestigt, dass er probeweise in die nächste Klasse aufrücken kann. Im folgenden Schuljahr wird er als »nett, fleißig und anständig« beschrieben. Und auch der nachfolgende Lehrer, ein eher straffer und unpersönlicher Typ, findet keinen Grund zur Klage.

Was ist da geschehen? Max ist weder mit Reflexionsbögen überfordert noch mit Smileys bestochen worden – und es wurde auch keine zeitfressende, womöglich frontenverhärtende Disziplinarkonferenz einberufen. Stattdessen hat sein Lehrer versucht, die Welt mit den Augen des Störenfrieds zu sehen, das provokante und aggressive Verhalten tiefenpsychologisch einzuschätzen – nämlich als nicht böse, sondern als Akt der Sicherung, eigentlich nachvollziehbar zielstrebig: An seiner Stelle hätte ich vielleicht ebenso gehandelt. Der Lehrer wagte es sodann, trotz Max’ starker Affekte an den richtigen Stellen fürsorglich zu reagieren – nur so vermochte der Junge von seinem bisherigen Muster abzulassen und sich sinnvoller als gewohnt zu verhalten. Über längere Zeit und mit steigender Anforderung konnte sich dann ein neues Bewältigungsmuster einschleifen – nicht per Belohnung oder Strafe, sondern durch psycholo[16]gische Deutung, pädagogische Führung und soziale Gewöhnung.2

Kompensation – (seelisches) Prinzip, eine Minuslage auszugleichen, sei es durch Wachstum und Steigerung, sei es durch Verlagerung und Selbsttäuschung.

Doch nicht geistig behindert?

Als der Lehrer seine neue 3. Klasse betritt, sitzt Fritzl völlig teilnahmslos alleine in der letzten Bank. Sein Vorgänger hatte dem Kollegen nur gesagt: »Ich habe ihn in drei Jahren nicht zum Sprechen und Mittun gebracht. Da er aber nur vor sich hindöst, stört er wenigstens nicht.« Bei ihm sei Schwachsinn diagnostiziert worden, er werde wohl seine gesamte Schulzeit einfach in der untersten Klasse absolvieren.

Der Lehrer weiß, dass solche Diagnosen bisweilen ihre Tücken haben, und will sich ein eigenes Bild machen. Er begrüßt alle Schüler einzeln mit Handschlag – und lädt Fritzl ein, sich weiter nach vorne zu setzen, »du gefällst mir«. Am nächsten Tag soll er etwas aus dem Lesebuch vorlesen, schnattert aber nur auswendig die erste Seite herunter. Die Kameraden beschweren sich, der Lehrer indes meint: »Du kannst die ganze Seite auswendig? Gut!« Später überlässt er Fritzl das begehrte Amt, die Klassenglocke zum Stundenende zu läuten – da er sich selbst Stellvertreter aus der Klasse aussuchen darf, wird er plötzlich von allen umwor[17]ben. Und als Fritzl eine Begebenheit vom Wochenende erzählen soll, schafft der Lehrer es, dass aus einem zunächst undurchschaubaren Gestammel eine witzige Geschichte wird, von der die Kunde durchs ganze Dorf geht.

Aber nach einem ersten Auftauen stagniert die Entwicklung. Deshalb beginnt der Lehrer, Fritzls Vorgeschichte zu erkunden. Der Junge ist ein Nachkömmling, mit 12 Jahren Abstand zum nächstälteren der 5 Geschwister, auf einem Einödbauernhof zur Welt gekommen, kein Wunschkind, anregungsarm aufgewachsen. Der Vater habe ihn im Suff gezeugt, berichtet die Mutter, er sei deshalb wohl »nicht ganz richtig im Kopf«. Und nach dem Tod des Vaters habe man überhaupt keine Zeit mehr für den Jungen gehabt.

Der Lehrer überlegt, ob Fritzl sich vielleicht vorgenommen hat, um keinen Preis aufzufallen – weil er dann am besten über die Runden käme. Er bittet die Mutter, sie und die älteren Söhne möchten sich doch mehr mit Fritzl unterhalten, vielleicht könne man gemeinsam etwas ändern. Er selbst beginnt, Fritzl nach dem Unterricht kleine pfiffige Nachhilfe›stunden‹ zu geben, mal 5 Minuten, mal eine Viertelstunde, immer lustig und mit viel Ermutigung im Detail gestaltet. Nach einiger Zeit darf der Junge seine Fertigkeiten auch vor der Klasse demonstrieren – und erhält für das überraschende Können riesigen Applaus.

Schon zuvor hatte der Lehrer die Klasse eingeladen, ihm bei Fritzls Ermunterung behilflich zu sein, sie hätten da nämlich einiges in der Hand – und umgekehrt brauche er ja auch Zeit für sie. So bekommt Fritzl irgendwann einen Mitschüler als Leselehrer zugeteilt, darf sich bald auch andere Kameraden dafür aussuchen – worum diese sich mittels Süßigkeiten etc. lebhaft zu bewerben beginnen; er wächst [18]allmählich in die Schar seiner Mitschüler hinein. Nach 7 Monaten ist er tatsächlich so weit, in die nächste Klassenstufe versetzt zu werden. Der Amtsarzt, zur Begutachtung angefragt, meint nach gründlicher Untersuchung verwundert, hier handele es sich wohl um einen der seltenen Fälle von »Pseudo-Schwachsinn«.

Ein Wunder? Nun, die ursprüngliche Vernachlässigung Fritzls hat ihn sicher nicht allzu lernfreudig in die Schule eintreten lassen. Aber durch die naiven Begabungstheorien zunächst der Mutter und dann des Schularztes und ersten Lehrers entstanden zumindest weitere Denk- und Leistungsblockaden. Die Schule hat also zunächst nicht alles darangesetzt, ein mutloses Kind mutiger zu machen – erst ein geduldiger, einfühlsamer und einfallsreicher Lehrer konnte den Stillstand der Entwicklung aufweichen.3

Ermutigung – grundsätzliche erzieherische Haltung, die darauf abzielt, das Vertrauen des Kindes in die eigene Kraft zu stärken und seine Furcht vor Misserfolgen zu schwächen.

Falsche Tröstungen

Der dreizehnjährige Leopold ist in der Schule eigentlich ein braver, etwas verträumter Junge. Er fällt nur dadurch auf, dass er mal diesem...

Erscheint lt. Verlag 19.5.2023
Reihe/Serie Reclam Bildung und Unterricht
Reclam Bildung und Unterricht
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Schulpädagogik / Grundschule
Schlagworte AG Gegenseitige Hilfe • Ansätze • Aspekte • Beziehung Lehrer Schüler • Didaktik • Disziplin • Eltern als Mitspieler Schule • gelb • gelbe bücher • Grundlagen • Handlungsmöglichkeiten bei Verhaltensauffälligkeiten • Hilfe für Lehrer • Individualpsychologie • Kindergesprächskreise • Klasse als Entwicklungshelfer • Klassengemeinschaft • Klassenklima • Klassenrat • Lehramt Studium • Lehrergesundheit • Lehrer-Schüler-Beziehung • Lektüre • Lernklima • Literatur • Methoden • mit Schwierigen Schülern Umgehen • Pädagogik • Pädagogisches Handeln • Praxisbeispiele • Problemkind • Problemschüler • Psychoanalytische Impulse • Ratgeber • Ratgeber Lehrer • Reclam Hefte • Reclams Universal Bibliothek • Referendariat • Sachbuch • Schule • Schule Musterschüler • Schüler Motivation • Schullektüre • Schulpädagogik • Schulpsychologie • Schwierige Elterngespräche Grundschule • Schwierige Klassen unterrichten • Schwierigen Schülern Souverän Begegnen • Schwieriger Schüler • schwierige Schüler • Schwierige Schüler Handlungsmöglichkeiten • Schwierige Schüler Handlungsmöglichkeiten bei Verhaltensauffälligkeiten • Schwierige Schüler Im Unterricht • Schwierige Schüler Sekundarstufe Handlungsmöglichkeiten Bei Verhaltensauffälligkeiten • stören unterricht • Störungskompetenz • störung unterricht • Studenten • Studentinnen • Studierende • Tiefenpädagogik • Umgang mit Schülern In Schwierigen Situationen • Umgang mit Schwierigen Klassen • Umgang mit Schwierigen Lehrern • Umgang mit schwierigen Schülern • Umgang mit Schwierigen Schülern Grundschule • Umgang mit Schwierigen Schülern Im Unterricht • Umgang mit Störenden Schülern • Umgang Ruhestörung • Umgang Schulschwänzer • Umgang Schwierige Schüler • Unterricht • Unterricht führen • Unterrichtsproblem • Unterrichtsstörungen • Unterricht Unruheherd • Unterstützung Lehrer • verhaltensauffällig
ISBN-10 3-15-962148-0 / 3159621480
ISBN-13 978-3-15-962148-7 / 9783159621487
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