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Die Zeit für Mut ist jetzt! (eBook)

Wie uns ziviler Widerstand aus Krisen führt | Von der Mitgründerin der Letzten Generation

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
224 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491866-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Zeit für Mut ist jetzt! -  Lea Bonasera
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»Wir sind stärker, als wir denken!«, sagt Lea Bonasera, Mitgünderin der »Letzten Generation«. Mit ihren Mitstreiter:innen denkt sie sich neue Formen des Widerstands aus, um auf die Umweltkrise aufmerksam zu machen. Mit Schlagzeilen wie »Kann Kartoffelbrei das Klima retten?« und Bezeichnungen wie »Öko-Terroristen« oder »Klima-Kleber« wird allerdings versucht, die Aktionen der Klimaproteste zu diskreditieren und zu kriminalisieren. Dabei kann der zivile Widerstand ein Weg aus der Ohnmacht sein - zumal in einer Zeit, in der eine Vielzahl von Krisen uns zu überrollen drohen: Davon ist die 25-jährige Lea Bonasera zutiefst überzeugt. Sie war nicht nur selbst an vielen Protesten beteiligt, sondern hat sich an der Universität Oxford intensiv mit der Geschichte und den Zielen des zivilen Widerstandes beschäftigt. Wissenschaftlich fundiert und doch leicht verständlich, schlägt Bonasera eine Brücke zwischen Theorie und Praxis. Anhand ihres persönlichen Werdegangs und ihrer eigenen Erfahrungen zeigt sie, was ziviler Widerstand wirklich bedeutet. Und dass er durchaus ein effektives Mittel ist, um die Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft dazu zu bringen, sich von der Verteidigung des Immer-Weiter-So zu lösen und ins Handeln zu kommen.

Lea Bonasera (*1997) hat Internationale Beziehungen in Oxford studiert, schreibt ihre Doktorarbeit zum Thema ziviler Widerstand in Demokratien, hat selbst Dutzende Male auf der Straße, vor Ministerien oder im Hungerstreik Widerstand geleistet und die »Letzte Generation« mitgegründet.

Lea Bonasera (*1997) hat Internationale Beziehungen in Oxford studiert, schreibt ihre Doktorarbeit zum Thema ziviler Widerstand in Demokratien, hat selbst Dutzende Male auf der Straße, vor Ministerien oder im Hungerstreik Widerstand geleistet und die »Letzte Generation« mitgegründet.

Ein Plädoyer fürs Durchhalten, das auch hilft, sich über die eigene Haltung klar zu werden.

Lea Bonasera hat den Ernst der Lage erkannt.

Lea Bonasera kommt spätestens mit ihrem Buch als Vordenkerin zum Vorschein. In der radikalen Klimabewegung dürfte es niemanden geben, der ihre Natur und Notwendigkeit so gut begründen kann.

Einfach wegsperren? Oder: Warum es dieses Buch gibt


Civil resistance is a powerful way for people to fight for their rights, freedom, and justice—without the use of violence.

 

Der zivile Widerstand ist ein wirksames Mittel, mit dem Menschen für ihre Rechte, ihre Freiheit und ihre Gerechtigkeit kämpfen können – ohne Gewalt anzuwenden.

International Center on Nonviolent Conflict

Ich sitze auf dem kalten, nassen Asphalt der Auffahrt einer Berliner Autobahn, vor mir wölbt sich der silberne Kühler eines SUVs. Es ist Januar, fast Punkt acht Uhr morgens, der Himmel ist weiß-grau, ich bin seit drei Stunden auf den Beinen. Es riecht nach Abgasen und dem Sekundenkleber, mit dem ich meine Hand an die Straße geklebt habe. Das langanhaltende Hupen der sich stauenden Autoschlange ist ohrenbetäubend, und ich werde von einem älteren Mann wütend angeschrien, was der ganze Blödsinn hier soll.

 

Ich atme tief durch. Und schaue auf die Banner, die wir in der Hand halten. Darauf steht: »Essen retten, Leben retten« und »Aufstand der Letzten Generation«.

Etwas mehr als eine Stunde lang blockieren wir die Straße. Es ist eine besondere Blockade, da ich weiß, dass dies der Auftakt für eine monatelange Reihe von Protesten ist. Als die Polizei den Verkehr regelt und alle Autos abfahren, entspanne ich mich etwas und drehe mich kurz um. Beim Anblick der leeren Autobahn atme ich auf. Ich erstarre jedoch sofort wieder, als die Beamt*innen mich mit einem Skalpell von der Straße trennen wollen, das macht mir Angst. Ich fühle mich hilflos und rede auf sie ein. Zum Glück lassen sie sich überzeugen und lösen meine Hand stattdessen mit Öl und einem harten Borstenpinsel vom Asphalt ab. Nachdem ich mich weigere aufzustehen und von den Polizist*innen an den Seitenstreifen getragen werde, schaue ich mich eine Weile um und warte ab, was passiert. Stets bewacht von ein paar vollausgestatteten Beamt*innen. Ich bin unsicher, was ich sagen soll, und ich glaube, sie sind es auch. Kurze Zeit später werde ich aufs Polizeirevier gefahren. Aus der Zelle im hinteren Teil des Gefangenentransporters beobachte ich das erwachende Berlin.

Auf dem Revier muss ich meinen dicken roten Pulli, meine zwei darunterliegenden Oberteile, meine Hose und Strumpfhose und alles, was ich sonst noch anhabe, ausziehen und werde durchsucht. Ich bin froh, als es vorbei ist. Danach werde ich mit einem Pappbecher stillem Wasser in eine kalte Einzelzelle gesteckt, die Fenster hoch oben an der Decke, die Tür nur mit einem kleinen Visier, durch das alle halbe Stunde ein meistens grimmiges Gesicht schaut. Ich kann riechen, dass jemand vor mir in der Zelle geraucht hat, und schaue auf die vielen Schriftzüge, die überall in die Zellenwände eingeritzt sind.

Bevor ich mich auf der harten Holzbank zusammenrolle, laufe ich die etwa fünf Meter immer wieder auf und ab und singe Sending You Light von Melanie DeMore, ein Lied, das ich mir noch ein paar Tage zuvor beigebracht habe. Ich versuche mich zu beruhigen und auf die Situation einzulassen, obwohl mich die Wände einengen. Ich finde Trost in den Zeilen des Liedes:

I am sending you light, to heal you, to hold you

I am sending you light, to hold you in love

Ich sende dir Licht, um dich zu heilen, um dich zu halten

Ich sende dir Licht, um dich in Liebe zu halten

Mein Name ist Lea Bonasera, ich bin 26 Jahre alt, vor drei Jahren habe ich meinen Uni-Abschluss gemacht. Es fällt mir schwer, mich selbst zu beschreiben, da sich die unterschiedlichsten Eigenschaften in mir vereinen. Auf der einen Seite das Löwenherz getreu meinem Sternzeichen, das sich in meinem Ehrgeiz, meiner Entschlossenheit und meinem Gerechtigkeitssinn widerspiegelt. Auf der anderen Seite halten mich viele für eher ruhig und leise – vielleicht weil ich gerne eine beobachtende und zuhörende Rolle einnehme. Auffällig an mir sind meine schwarzen Locken, die immer machen, was sie wollen, meine Körpergröße – jedes Mal wenn mich Menschen »in echt« sehen, sind sie überrascht, dass ich doch 178 cm groß bin – und natürlich mein Nachname, auf den ich immer wieder angesprochen werde, weil er so schön spanisch klingt (dabei ist er eigentlich italienisch).

Ich bin bei meinen Eltern in einer kleinen Stadt aufgewachsen, aß am liebsten Pfannkuchen mit Zimt und Zucker und puzzelte für mein Leben gern. Ich wollte gute Noten bekommen, um danach studieren zu können, vielleicht sogar im Ausland. Als ich zum ersten Mal wählen durfte, habe ich mein Kreuzchen bei der CDU gemacht, weil ich dachte, dass das eine sichere und gute Wahl ist. Zuhause wurde darauf geachtet, das Licht auszumachen, gesund zu essen, Tupperware zu benutzen und den Müll zu trennen. Die Zelle eines Polizeireviers sah ich, bis ich 23 Jahre alt war, nur ein einziges Mal von innen – bei einem Kindergartenausflug.

Lange habe ich davon geträumt, später ein Haus zu haben, einen guten Beruf und eine große Familie. Doch meine Vorstellungen von meinem Leben haben sich verändert. Seit Monaten sitze ich immer wieder auf dem Asphalt und blockiere Straßen, weil ich erreichen möchte, dass die Bundesregierung endlich alles in ihrer Macht Stehende tut, um die Klimakrise, die so viel Leid und Ungerechtigkeiten mit sich bringt, zu bekämpfen und damit mich, meine Mitmenschen und alle Lebewesen zu schützen.

 

Besonders der Anblick von leidenden Tieren ging mir schon als Kind (und geht mir bis heute) wie ein Stich ins Herz. In meiner Heimatstadt befindet sich ein riesiges Schlachtunternehmen, von wo aus einem morgens, wenn man aus der Haustür geht, manchmal der Fleischgeruch in die Nase weht. Jeden Tag werden dort Tausende Tiere geschlachtet. Immer wenn ich die voll beladenen Schweinetransporter, die von der Autobahn in Richtung Schlachterei fuhren, sah, versuchte ich schnell wegzuschauen. Einmal hielt ein Tiertransporter jedoch neben mir an. Durch die Gitterstäbe blickte ich einem Schwein direkt in seine kleinen, runden Augen und sah in ihnen all das Leid, das den Tieren widerfuhr. In diesem Moment wollte ich das Schwein einfach nur aus dem Transporter befreien und ihm ein schönes Leben in Sicherheit mit vielen Streicheleinheiten schenken. Das Verrückte daran: Am nächsten Tag aß ich beim Grillen im Garten gutgelaunt die Bratwurst von genau diesem Schlachtunternehmen, so als hätte ich das Schwein nie gesehen.

Ich habe lange gelebt, wie viele Menschen in meinem Umfeld in Deutschland leben: Mein innerer Kompass war da und hat mir unmissverständlich eine Richtung gewiesen, aber ich bin ihm nicht konsequent gefolgt. Bequemlichkeit, Ohnmacht, Unwissenheit, das Bedürfnis nach Sicherheit, Angst, der Wunsch nach Zugehörigkeit, der Verlust von Privilegien – vieles hielt mich davon ab, meinen Überzeugungen zu folgen. Ich habe das offensichtliche Unrecht gesehen, daraus aber für mein Handeln keine Konsequenzen gezogen. Und selbst wenn ich etwas hätte anders machen wollen, ich wusste einfach nicht wie.

Doch diese entscheidende Sache hat sich seit meinen Schultagen geändert. Ich weiß inzwischen, was ich tun kann, um etwas zu verändern und mich nicht mehr ohnmächtig zu fühlen.

Dieses Buch handelt von meiner großen Leidenschaft für den zivilen Widerstand, der für mich ein demokratischer Weg aus der Ohnmacht angesichts einer Vielzahl von Ungerechtigkeiten und Krisen ist. Es sind Krisen, die keinen Aufschub mehr dulden und unter denen schon lange Menschen leiden. Aber ganz besonders ist es die Klimakrise – die größte Herausforderung für unsere Gesellschaft, die schon jetzt immer öfter Menschen mit extremen Wetterereignissen und Naturkatastrophen heimsucht.

 

Wir sind die letzte Generation vor den Kipppunkten, und wenn es eins in dieser Welt braucht, dann ist es eine rigorose Kehrtwende. Laut einem Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) lag die globale Durchschnittstemperatur schon 2020 bei 1,2 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Dabei reden alle immer von 1,5 Grad, als ob das die magische Zahl wäre, bei der alles noch gut ist.[1]

Aber schon jetzt, bei 1,2 Grad Erhitzung, sterben Menschen an den Folgen. Und bei einer weiteren Erhöhung auf 1,5 Grad wird es noch mehr Dürren, Überflutungen und Hungersnöte geben. Das ließ viele Menschen im Globalen Norden lange erstaunlich kalt, obwohl sie doch maßgeblich für die Klimakrise verantwortlich sind, und Menschen im Globalen Süden schon jetzt starken Folgen der Klimakrise ausgesetzt sind.

Aber all das schien bislang weit weg. Doch nun rückt die Katastrophe Sommer für Sommer näher, und auch in Europa spüren wir die Folgen der Klimakrise. In Deutschland erlebten wir von 2016 bis 2022 die acht wärmsten Jahre seit Beobachtungsbeginn 1880 direkt hintereinander, wie das Umweltbundesamt aufführt.[2] Und der Sommer 2023 macht Anstalten, diesen Trend fortzusetzen.

Wer die Berichte des Weltklimarates (IPCC) genau liest, weiß, dass wir die 1,5 Grad-Grenze angesichts des aktuellen Versagens der Politik um das Jahr 2030 überschreiten werden und schon um das Jahr 2050 – da feiere ich meinen 53. Geburtstag und bin so alt wie meine Eltern heute – liegen wir wahrscheinlich bei zwei Grad Erwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Zwei Grad!

Das Schlimmste daran ist, dass wir bereits ab 1,5 und...

Erscheint lt. Verlag 27.9.2023
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Carola Rackete • Ende Gelände • Extinction Rebellion • Fridays For Future • friedlicher Protest • Greta Thunberg • Hannover • Hungerstreik • Kartoffelbrei • Klima • Klima-Aktivistin • klimabewegung • Klima-Kleber • Klimastreik • Klima-Terroristen • Krisenbewältigung • letzte Generation • Mahadma Gandhi • Mahatma Gandhi • Öko-Terroristen • Politik und Gesellschaft • Proteste • Protestformen • Umweltbewegung • Widerstandskämpferinnen • Ziviler Ungehorsam • Ziviler Widerstand
ISBN-10 3-10-491866-X / 310491866X
ISBN-13 978-3-10-491866-2 / 9783104918662
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