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Ende der China-Illusion (eBook)

Spiegel-Bestseller
Wie wir mit Pekings Machtanspruch umgehen müssen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
304 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60459-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ende der China-Illusion -  Janka Oertel
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Dies ist ein Buch für alle, die verstehen wollen, vor welche Herausforderungen China uns in Deutschland und Europa stellt - und bereit sind, alte Gewissheiten über den Haufen zu werfen: Wer braucht eigentlich wen - China Europa oder Europa China? Ist eine Entkopplung möglich oder Irrsinn? Kann Peking beim Klimaschutz Partner sein? Was bedeutet die enge Zusammenarbeit zwischen China und Russland für die Neuordnung der Welt? Janka Oertel plädiert für nicht mehr und nicht weniger als eine pragmatische Revolution unserer China-Politik - mit weitreichenden Folgen für Deutschlands Rolle in der Welt.

Janka Oertel ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Sinologin, war viele Jahren bei verschiedenen Forschungs- und Beratungsinstituten tätig und leitet derzeit das Asienprogramm des European Council on Foreign Relations (ECFR). Dort forscht sie zur europäischen und transatlantischen China-Politik, zu chinesischer Wirtschafts-, Technologie- und Klimapolitik und Fragen der globalen Ordnung.

Janka Oertel ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Sinologin, war viele Jahren bei verschiedenen Forschungs- und Beratungsinstituten tätig und leitet derzeit das Asienprogramm des European Council on Foreign Relations (ECFR).

Vorwort


In der deutschen außenpolitischen Forschung war es lange gute Sitte, eine gewisse Distanz zur Politik zu wahren, eigentlich zum Tagesgeschehen im Allgemeinen. Sogar im Bereich der politiknahen Forschung in den Berliner Denkfabriken war es mit wenigen Ausnahmen üblich, auf Haltungsnoten für Entscheidungsträger:innen zu verzichten und sich wahlweise auf die großen Linien oder die kleinsten Details zu konzentrieren. Außenpolitische Arbeitsteilung hieß: Journalist:innen sollten die bohrenden Fragen stellen, Menschenrechtler:innen, Klimaschützer:innen und andere Aktivist:innen dem Bohren den nötigen gesellschaftlichen Nachdruck verleihen. Die Wissenschaft allerdings, die sollte eine gewisse Neutralität und Besonnenheit ausstrahlen. Denn Besonnenheit ist ein Attribut, auf das man in Deutschland stolz ist – und das nicht erst, seit Bundeskanzler Scholz es zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Auf dem hohen Ross oder geschützt im Elfenbeinturm ist die Aussicht zudem besser, und so war es dort jahrelang recht kommod. Aber was macht die Wissenschaft, wenn sie sieht, dass die Politik im eigenen Forschungsfeld mit hoher Geschwindigkeit gegen eine Wand zu fahren droht?

Dann können Forscher:innen tun, was man eben so tut: Von der Seitenlinie kommentieren, dass Gefahr droht, dass man zum Umsteuern raten würde, dass es schon sinnvoll wäre, zu schauen, ob da nicht irgendwo eine Bremse oder gar ein Rückwärtsgang vorhanden sei, vielleicht können Forscher:innen sogar klug kartografieren, wo genau Abzweigungen wären, die man wählen könnte, um einen besonders harten Aufprall zu verhindern. Zusätzlich könnte man sich in der Wissenschaft schon einmal daranmachen, zu beschreiben, wie viele Knochen wahrscheinlich gebrochen werden, zu berechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass es zum tödlichen Ende kommt, und sich über Aufräumszenarien nach dem Aufprall Gedanken machen. Es ist dann immer einen Versuch wert, all dies sanft an diejenigen, die am Steuer sitzen, zu kommunizieren, ihnen die Misslichkeit der Lage und die Dringlichkeit einer Kurskorrektur darzulegen, mit einem Höchstmaß an Besonnenheit. Aber wenn all das nicht hilft, wenn auch mit Nachdruck vorgetragene Einwände lange ohne Resonanz verhallen? Dann ist ein wenig Aktivismus wahrscheinlich das Mindeste, was man von der Forschungslandschaft erwarten kann.

Das Bild vom drohenden Crash in der China-Politik soll nicht überstrapaziert werden, aber die geopolitische Lage, vor der sich die Bundesrepublik wiederfindet, ist ernst – und die Wissenschaft ist ganz schön aktiv geworden. Das gefällt zwar nicht jedem, aber es ist gut so. Denn was es jetzt braucht, ist Debatte, Streit und viele kluge Köpfe. Denn eine Kurskorrektur im Umgang mit China und den Folgen der Rolle Chinas in der Welt ist möglich.

 

Seit mehr als fünfzehn Jahren widme ich mich China in unterschiedlicher Art und Weise. Landläufig wird mein Beruf als »China-Expertin« bezeichnet, aber kann man überhaupt Expertin für etwas so Komplexes wie »China« sein? Und selbst wenn, kann man es auch dann noch bleiben, wenn man jahrelang nicht in die Volksrepublik einreisen konnte? Diese Fragen stellen sich derzeit viele Kolleg:innen in unserem Forschungsfeld.

Ich bevorzuge deshalb den Begriff der »China-Beobachterin«, denn er beschreibt am besten, was derzeit zu leisten ist. Die chinesische Führung macht zwar nicht einmal das Beobachten leicht, aber das hindert uns nicht daran, zu hinterfragen, zu besprechen, zu diskutieren und zu durchdenken, was wir lesen, sehen und hören können. Nach drei Jahren durch die Pandemie erzwungenermaßen nur mittelmäßigen Dialogs am Bildschirm ist es zudem endlich wieder möglich, mit chinesischen Forscherkolleg:innen, Regierungsvertreter:innen oder Militärs in direkten Kontakt zu treten. Es bleibt eine Annäherung, ein Prozess, bei dem ständig Neues und Unerwartetes passiert und der deshalb wahnsinnig spannend ist.

China-Forschung war einmal ein Orchideenfach. So nannte man an der Universität diese seltenen und seltsamen Pflänzchen, die sich dem Reich der Mitte, seiner Sprache und Kultur widmeten. Hübsch anzuschauen, aber auch irgendwie ein bisschen nutzlos. Wir saßen im Institut für Orientalistik neben den Islamwissenschaftler:innen und fristeten ein recht unspektakuläres Nischendasein. Inzwischen ist China überall und China-Forschung wichtiger denn je. Genauso wichtig ist es, China nicht mehr als regionalwissenschaftliches Phänomen zu betrachten, sondern als globale Frage und gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Ohne Panikmache, aber mit Mut und Sinn für Details und immer in enger Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen.

Als China-Beobachter:innen können wir nicht beschreiben, welche Herausforderung ein chinesischer Telekommunikationskonzern für die Netzwerksicherheit darstellt, ohne die technologische Dimension des Ganzen zu verstehen; wir können die Folgen der Coronapandemie für China nicht bewerten, ohne die Einschätzungen von Gesundheitsexpert:innen zu konsultieren; wir können die Fortschritte Chinas bei der Energiewende nicht einordnen, ohne in engem Austausch mit Klimaexpert:innen zu sein. Die Entwicklungen sind rasant und manchmal überwältigend: Halbleiter, digitale Währung, Seltene Erden, ein Taiwan-Invasionsszenario oder die Kreditvergabe chinesischer Banken an Entwicklungsländer – das, was zu wissen notwendig ist, ist immer umfangreicher und vielfältiger geworden.

Die Stärkung der China-Expertise, wie es die Bundesregierung im Koalitionsvertrag[2] vorsieht, ist wichtig. Zu glauben, dass allein Sprachkenntnis und Landeskunde einem ermöglichen, ein so facettenreiches Phänomen zu erklären, wäre allerdings unfassbar vermessen. Vielmehr gilt es momentan, zu fragen, sich zu wundern, zu verknüpfen, nachzuhaken, zuzuhören und gemeinsam einen neuen Zugang zu finden – mit Wirtschaftsvertreter:innen, Politiker:innen, Wissenschaftler:innen, Lehrer:innen, Kulturschaffenden und Ingenieur:innen. Keine der großen Fragen, vor denen wir in Deutschland stehen, wird künftig beantwortet werden können, ohne sich viel intensiver und breiter mit Chinas Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auseinanderzusetzen.

Es geht um eine neue China-Politik und eine neue »Weil China so ist, wie es derzeit ist«-Politik. Zwischen panikgetriebenen Schreckensszenarien und gleichgültigem »Weiter wie bisher« liegt dabei viel Spielraum. Diesen gilt es aktiv auszuloten. Leider haben wir es uns insbesondere in Deutschland ein wenig zu gemütlich eingerichtet in dem Glauben, wir könnten doch so vieles ohnehin nicht beeinflussen, und der gleichzeitigen Überzeugung, es würde trotzdem schon alles irgendwie gut gehen. Zumindest für uns. Doch Russlands Invasion in die Ukraine hat ganz Europa schmerzhaft vor Augen geführt, dass Interdependenz schnell auch einseitige Abhängigkeit bedeuten kann, wenn die Ziele der Kooperationspartner nicht mit den eigenen übereinstimmen. Der Angriffskrieg hat uns gezeigt, wie wenig man sich auf Absprachen mit autoritären Staaten und totalitären Herrschern verlassen kann. Zu glauben, dies wäre mit Blick auf China wesentlich anders, ist bestenfalls leichtsinnig und empirisch betrachtet schon jetzt Unsinn.

Sich von dieser komfortablen Realität zu verabschieden, fällt schwer. Um sich wohler zu fühlen, wird gerade in Politik und Wirtschaft deshalb gern auf allgemeine Weisheiten zurückgegriffen, die trotz all der Veränderungen, die zu beobachten sind, vermeintlich unumstößliche Realitäten beschreiben: »China ist anders als Russland«[3] oder »China ist viel abhängiger von Europa als umgekehrt«,[4] und damit ein Verharren in einem unbefriedigenden intellektuellen Vakuum zementieren. Es gibt einen Diskurs in Elitenzirkeln, und es gibt die eine oder andere aufgeregt hitzige öffentliche Diskussion, die dann auch mal die Boulevardzeitungen erreicht, wenn es um die Beteiligung chinesischer Konzerne an Hafenterminals oder Mobilfunknetzwerken geht. Aber das Interesse verfliegt schnell. Wen interessiert es schon, wenn zunächst eben doch mehr als die Hälfte des neuen 5G-Zugangsnetzes mit chinesischer Technologie ausgebaut wird oder ob Anteile an einem Hafenterminal am Ende dann wirklich an ein chinesisches Staatsunternehmen verkauft werden oder nicht?

Die Auseinandersetzung mit den unmittelbaren Herausforderungen für die europäische Sicherheitsordnung aufgrund des russischen Überfalls auf die Ukraine stehen derzeit im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit. Aber es...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2023
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte China • China Geschichte • China Politik • China Weltmacht • China Wirtschaft • Deutsche Außenpolitik • Diktatur • Großmacht • Hongkong • Kommunismus • Mao Zedong • Proteste • Taiwan • Tienanmen • Überwachung • Überwachungsstaat • Uighuren • Uiguren • Weltmacht China • Wirtschaftsmacht • Xi Jinping
ISBN-10 3-492-60459-5 / 3492604595
ISBN-13 978-3-492-60459-8 / 9783492604598
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