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Carl Friedrich von Siemens 1872–1941 (eBook)

Unternehmer in Zeiten des Umbruchs

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
448 Seiten
Siedler Verlag
978-3-641-31063-9 (ISBN)

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Carl Friedrich von Siemens 1872–1941 - Johannes Bähr
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Ein politischer Unternehmer in Zeiten des Umbruchs
Carl Friedrich von Siemens gehört zu den bedeutenden Unternehmern einer Zeit voller Krisen und Umbrüche. Er wurde nach dem Ersten Weltkrieg 'Chef des Hauses Siemens', leitete den Konzern während der großen Inflation und der Weltwirtschaftskrise, aber auch im 'Dritten Reich' bis in die ersten Kriegsjahre hinein. Erstmals zeichnet die Biografie ein umfassendes Bild von der Persönlichkeit und dem vielseitigen Wirken dieses Mannes, der die Siemens-Unternehmen neu ordnete, auch zehn Jahre lang an der Spitze der Reichsbahn stand und sich als Abgeordneter einer demokratischen Partei politisch betätigte. Die Studie zeigt, wie er sich zunehmend von den Parteien abwandte und sich seine Haltung im 'Dritten Reich' erneut wandelte, von einer Anpassung an das Regime zu einer wachsenden persönlichen Distanz.

Johannes Bähr, geb. 1956, studierte Geschichte und Politikwissenschaft in Freiburg i. Br. und München. Er wurde 1986 zum Dr. phil. promoviert und habilitierte 1998 an der Freien Universität Berlin. Heute lehrt er als apl. Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Einleitung


Unter den bedeutenden Unternehmern, die die Familie von Siemens in einer seltenen Häufung hervorgebracht hat, nimmt Carl Friedrich von Siemens einen besonderen Rang ein. Seine Biografie ist schon deshalb aufschlussreich, weil er den Siemens-Konzern so lange geleitet hat wie kein anderer im 20. Jahrhundert, von 1919 bis 1941. Noch viel mehr gilt dies, wenn man bedenkt, um welche Zeit es sich handelte: die höchste Inflation der deutschen Geschichte, die schwerste Weltwirtschaftskrise, die Entstehung der ersten deutschen Demokratie und deren Zerstörung, die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und der Angriffskrieg Hitlers. In der Unternehmergeschichte stehen im Allgemeinen Pioniere und Gründerfiguren im Vordergrund. Doch ist das Handeln von Erben in Zeiten solcher Herausforderungen und Umbrüche in vieler Hinsicht aussagekräftiger.

Als jüngster Sohn des Unternehmensgründers Werner von Siemens wurde Carl Friedrich nach dem Ersten Weltkrieg „Chef des Hauses Siemens“ – eine Bezeichnung, die er einführte. Die Siemens-Firmen hatten damals den ersten schweren Rückschlag ihrer Geschichte erlitten. Die hohen Kriegsfolgeschäden, die Mangelwirtschaft der Nachkriegszeit und die stetige Geldentwertung zwangen zu neuen Strategien. Carl Friedrich fand sich zugleich in einer neuen familiären Konstellation wieder. Nach dem Tod seiner sehr viel älteren Halbbrüder Arnold und Wilhelm in den Jahren 1918/19 lastete die Verantwortung für die Unternehmen und das Wohl der Familie erstmals auf den Schultern eines einzigen Mannes. Es lag nun ganz an ihm, den Einfluss der Familie mit dem stark wachsenden Kapitalbedarf ihrer Stammgesellschaft Siemens & Halske zu vereinbaren. Zugleich war Carl Friedrich fest entschlossen, sich für eine liberale Sammlungsbewegung einzusetzen, um dem Bürgertum zu politischem Gewicht in der neuen Demokratie von Weimar zu verhelfen.

Damit sind die drei Themenfelder skizziert, die Schwerpunkte dieser Biografie bilden: das unternehmerische Handeln, die Wahrung des Familienunternehmens und das politische Engagement.

Als Unternehmer hatte sich Carl Friedrich von Siemens auf immer neue Herausforderungen einzustellen. Das Auslandsgeschäft musste neu aufgebaut werden, in der Inflation bot es sich an, starke Partner zu suchen, und danach mussten neue Wege gegangen werden, um an das benötigte Kapital zu gelangen, die Weltwirtschaftskrise zwang dazu, mit festen Prinzipien zu brechen, durch die rasante Entwicklung der Nachrichtentechnik entstanden neue Wettbewerber auf dem Weltmarkt, und die Rüstungskonjunktur des „Dritten Reichs“ führte zu einer scheinbar unaufhaltsamen Verschiebung des Geschäfts von zivilen zu militärischen Aufträgen. Carl Friedrichs Zeit glich einer Art Labor für unternehmerisches Handeln, und dies blieb für ihn nicht auf den Siemens-Konzern beschränkt. Nachdem er 1924 das Amt des Präsidenten der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft übernommen hatte, leitete er zwei der fünf größten deutschen Unternehmen mit insgesamt rund 800.000 Beschäftigten.

Dabei war Carl Friedrich während des Kaiserreichs in einem anderen, weil transnational aufgestellten Firmengeflecht seiner Familie herangewachsen. Siemens war damals noch eine europäische Unternehmensgruppe, wie sie die drei Brüder der Gründergeneration errichtet hatten. Carl Friedrich hatte sich seine ersten Sporen sechs Jahre lang in der Leitung der britischen Siemens-Gesellschaften verdient – eine Welt, die durch den Ersten Weltkrieg verloren ging. Umso wichtiger war es, den verbliebenen Besitz in Deutschland und den Zusammenhalt innerhalb der Familie zu sichern. Dabei konnten die Stammgesellschaften Siemens & Halske und Siemens-Schuckertwerke nicht mehr in der früheren Weise von einem Mitglied der Familie geleitet werden. Die Unternehmen waren dafür zu groß und ihre Struktur zu komplex geworden. Wenn er als Oberhaupt der Familie weiterhin oberster Leiter der Geschäfte bleiben wollte, dann musste Carl Friedrich Verantwortung an die Vorstände delegieren, und diese mussten bereit sein, seinen Grundsätzen der Unternehmensführung zu folgen.

Carl Friedrichs ausgeprägte Neigung, auch politisch zu wirken, ist vor dem Hintergrund seiner Erwartungen in die Einführung der Demokratie in Deutschland zu sehen. Er organisierte Parteispenden und ließ sich 1920 für die linksliberale Deutsche Demokratische Partei in den Reichstag wählen. Drei Jahre später wurde er Präsident des – allerdings als „unpolitisch“ geltenden – Vorläufigen Reichswirtschaftsrats. Carl Friedrich wollte nie ganz in die Politik wechseln, aber er verstand sich in der Weimarer Republik als ein politisch agierender Vertreter der Wirtschaft. Der Wandel in seiner Wahrnehmung des Politikbetriebs und die damit einhergehende wachsende Distanz sind ein Lehrstück für die Gefährdung einer Demokratie.

Für eine Biografie über Carl Friedrich von Siemens ergibt sich aus den Brüchen in seiner Zeit das Problem, dass die Darstellung immer wieder neu ansetzen muss. Wechselnde Rahmenbedingungen, Problemlagen und Protagonisten lassen keinen kontinuierlichen Fluss zu. Verstärkt wird dies noch dadurch, dass auch Carl Friedrichs Privatleben nicht stetig verlief. Zweimal wurde er geschieden, und enge Freunde hatte er nicht, nur einen alten Studienfreund, mit dem er sporadisch korrespondierte.

Carl Friedrichs geschäftliche Tätigkeit ist dagegen umfassend dokumentiert. Die Biografie kann sich hierzu auf die Bestände des exzellent geführten Siemens-Archivs im Siemens Historical Institute stützen, das zu den ältesten und größten deutschen Wirtschaftsarchiven zählt. Seit wenigen Jahren ist das Archiv wieder an seinem ursprünglichen Standort in Berlin-Siemensstadt untergebracht. Neben dem umfangreichen Nachlass von Carl Friedrich von Siemens konnten dort auch einschlägige Akten aus Nachlässen mehrerer Vorstandsmitglieder – genannt seien hier nur Carl Köttgen und Max Haller – sowie aus der Überlieferung des Aufsichtsrats ausgewertet werden. Für die frühe Zeit Carl Friedrichs ist das archivierte Tagebuch seines Bruders und Vorgängers Wilhelm von Siemens eine außerordentlich ergiebige Quelle.

Aus Gründen, die sich nicht erschließen lassen, bricht die archivische Überlieferung der Korrespondenz innerhalb der Familie Siemens nach Wilhelms Tod im Oktober 1919 ab. Die Korrespondenzen zwischen Carl Friedrich und seinen Kindern gelten als verschollen und werden vermutlich nicht mehr erhalten sein. Gleiches gilt für die Korrespondenz mit seinen Schwestern. Auf Reisen wird er auch mit seiner zweiten und seiner dritten Ehefrau, Augusta („Tutty“) und Margarete, korrespondiert haben, doch offensichtlich ist auch keiner dieser Briefe erhalten geblieben. Die vorliegende Biografie kann deshalb notgedrungen nur kursorisch auf das Privatleben Carl Friedrichs in seiner Zeit als Konzernchef eingehen.

Neben den Beständen des Siemens-Archivs konnten im Bundesarchiv Berlin zahlreiche Akten eingesehen werden, die eine komplementäre Überlieferung zu der des Unternehmens bilden. Aus diesen Quellen erschließen sich Carl Friedrichs Tätigkeit als Präsident der Reichsbahn und seine Aktivitäten als Repräsentant der deutschen Industrie. Darüber hinaus wurden für die Biografie auch einschlägige Akten aus den Nachlässen der Industriellen Hugo Stinnes und Paul Reusch ausgewertet.

Bei der Bedeutung Carl Friedrichs und der Qualität seines großen Nachlasses im Siemens-Archiv erscheint es ganz unverständlich, dass die historische Forschung mit ihm stiefmütterlich umgegangen ist. Seit seinem Tod ist nur die 1960 vom Zeitzeugen Georg Siemens veröffentlichte, hagiografisch ausgerichtete Biografie über ihn erschienen, die sich auf Vorarbeiten des Siemens-Archivars Friedrich Heintzenberg stützen konnte.1 Seitdem ist der Kenntnisstand lediglich um zwei Beiträge von Siemens-Archivaren und die von der Carl Friedrich von Siemens Stiftung veröffentlichte Festrede von Günter Schmölders zum 100. Geburtstag ihres Namensgebers bereichert worden.2 Die Literatur zur Geschichte der Siemens-Unternehmen in der Zeit Carl Friedrichs bietet erhellende Ausführungen zu seinem Wirken.3 Gemeinsam haben alle genannten Veröffentlichungen, dass sie von Siemensianern und dem Unternehmen oder einer Stiftung der Familie von Siemens verbundenen Autoren verfasst wurden.4 Möglicherweise gab es bei Siemens Bedenken, die Biografie Carl Friedrichs von unabhängigen Historikerinnen und Historikern untersuchen zu lassen, weil er auch in der NS-Zeit gelebt hatte.

Dabei haben in der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte Biografien von Industriellen aus der Zeit Carl Friedrich von Siemens’ seit geraumer Zeit Konjunktur. War die 1998 erschienene gewichtige Stinnes-Biografie von Gerald D. Feldman noch ein Solitär, so folgten in den letzten Jahrzehnten Biografien über Paul Silverberg, Paul Reusch und Carl Duisberg.5 Auch in der Siemens-Historiografie wurde in den letzten zehn Jahren durch mehrere von Wissenschaftlern verfasste Biografien ein neues Kapitel aufgeschlagen. Diese Reihe war aber ganz der ersten Generation der Siemens-Unternehmer, den Brüdern Carl, Werner und William, gewidmet.6

Wie alle archivgestützten Projekte der letzten Jahre hat auch die Arbeit an dieser Biografie unter pandemiebedingten Einschränkungen gelitten. Anders als ursprünglich geplant, konnte das Buch nicht zum 150. Geburtstag von Carl Friedrich von Siemens erscheinen. Dass an dem Projekt dennoch festgehalten wurde, ist den verständnisvollen Auftraggebern zu verdanken. Ganz besonderer Dank gilt der Werner Siemens-Stiftung für die Förderung dieser Biografie. Die...

Erscheint lt. Verlag 4.10.2023
Zusatzinfo mit zahlreichen Abbildungen s/w und in Farbe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2023 • AEG • Aufarbeitung des Nationalsozialismus • Biografie • Biographien • carl friedrich von siemens • DAF • deutsche Unternehmerfamilie • eBooks • Elektroindustrie • Familienunternehmen • Inflation • Neuerscheinung • NS-Kriegswirtschaft • Reichsbahn • Rüstungsindustrie • Siemens • Unternehmensgeschichte • Unternehmer • Weltwirtschaftskrise • Werner von Siemens • Wirtschaft • Wirtschaftsgeschichte
ISBN-10 3-641-31063-6 / 3641310636
ISBN-13 978-3-641-31063-9 / 9783641310639
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