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Tomasellos Kooperationsmodell (eBook)

Michael Tomasellos Forschung im Kontext kommunikationstheoretischer Fragestellungen
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
260 Seiten
Herbert von Halem Verlag
978-3-7445-1026-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tomasellos Kooperationsmodell -  Rafael Mollenhauer
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Die Frage nach den Ursprüngen von Sprache und humanspezifischer Kognition beschäftigt die Wissenschaft seit geraumer Zeit. In den vergangenen zwei Jahrzehnten waren es vor allem die Thesen zur Genese spezifisch menschlicher Kommunikation des amerikanischen Entwicklungspsychologen Michael Tomasello, die verstärkt in sozial- und handlungstheoretischen Diskursen rezipiert wurden. Die Studie von Rafael Mollenhauer demonstriert jedoch, dass Tomasellos Ansatz im Kontext sozial- und kommunikationstheoretischer Fragestellungen zentrale Schwächen aufweist. Getragen von den Arbeiten Karl Bühlers und der Prämisse eines ganzheitlichen Interaktionsgeschehens entlarvt der Autor den rein mentalistischen Kern des Forschungsprogramms und den daraus resultierenden zirkulären Charakter eines teils unausgereiften Erklärungsmodells. Zudem arbeitet Mollenhauer die inspirierenden Überlegungen Tomasellos heraus, welche Anknüpfungspunkte für eine weiterführende kommunikationswissenschaftliche Forschung liefern. Mit dieser Arbeit ist Rafael Mollenhauer die erste fundierte und umfassende AuseinanderSetzung mit dem Werk Tomasellos gelungen. Er liefert damit einen wichtigen Beitrag zur derzeitigen Diskussion innerhalb der kommunikationswissenschaftlichen Theoriebildung.

Dr. Rafael Mollenhauer ist Kommunikationswissenschaftler und promovierte mit dieser Arbeit an der Universität Duisburg-Essen, wo er als Alumnireferent der Fakultät für Geisteswissenschaften und Lehrbeauftragter des Instituts für Kommunikationswissenschaft beschäftigt ist.

Dr. Rafael Mollenhauer ist Kommunikationswissenschaftler und promovierte mit dieser Arbeit an der Universität Duisburg-Essen, wo er als Alumnireferent der Fakultät für Geisteswissenschaften und Lehrbeauftragter des Instituts für Kommunikationswissenschaft beschäftigt ist.

2 Tomasellos Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens


Das im Jahr 2001 mit dem William James Book Award der American Psychological Association ausgezeichnete und in zahlreiche Sprachen übersetzte The Cultural Origins of Human Cognition (1999)4 darf zweifellos zu Tomasellos bis heute bedeutendsten Werken gerechnet werden. Gemeinsam mit Tomasellos Wechsel an das Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig (1998) markiert es auch den Beginn eines Forschungsprogramms, das die zuvor bearbeiteten Forschungsfelder zum Zwecke der Beantwortung phylogenetischer Fragestellungen hinsichtlich der Wurzeln humanspezifischer Kognition und (in diesem Kontext) spezifisch menschlicher Formen der Kommunikation endgültig zusammenführt.5 Es ist eben dieses Programm, dem in der Tomasello-Rezeption ein besonderes Interesse entgegengebracht wird – und so mag es kaum verwundern, dass The Cultural Origins of Human Cognition, auch angesichts unzähliger Zitierungen durch andere Autoren, mittlerweile die Rolle eines Klassikers zugestanden wird (vgl. Pléh 2014: 979).

2.1 Kerngedanken

Ihren Ausgang nehmen Tomasellos Überlegungen bei der evolutionär gesehen sehr kurzen Zeitspanne, die den Menschen vom Menschenaffen unterscheidet. Während die Entwicklungslinien des heutigen Menschen und der heutigen Menschenaffen sich vor circa sechs Millionen Jahren trennten und die Gattung Homo, die sich durch eine größere Statur, größere Gehirne und die Herstellung von einfachen Steinwerkzeugen auszeichnet, vor etwa zwei Millionen Jahren entstand, hat die Erfolgsgeschichte des Homo sapiens erst vor ungefähr 200 000 Jahren ihren Anfang genommen. In Bezug auf den modernen Menschen hebt Tomasello neben neuen Körpereigenschaften (noch einmal etwas größere Gehirne) vor allem neue kognitive Fertigkeiten und die Herstellung verbesserter Werkzeuge hervor. Er nennt insbesondere: (a) die Herstellung zahlreicher Steinwerkzeuge für unterschiedlichste Zwecke, die populationsspezifisch (bis hin zu computergesteuerten Produktionsprozessen) weiterentwickelt wurden; (b) die Verwendung von Symbolen zur Kommunikation und zur Strukturierung des Soziallebens (Schrift, Geld, Mathematik, Kunst); und (c) neue Arten gesellschaftlicher Praktiken und Organisationen (bis zu formalisierten Institutionen der Religion, der Regierung, der Erziehung und des Handels). Mit Blick auf diese Besonderheiten des modernen Menschen einerseits und seine kurze evolutionäre Entwicklungslinie andererseits gelangt Tomasello schnell zu nachstehendem Schluss:

„Es stand einfach nicht genügend Zeit für normale biologische Evolutionsprozesse […] zur Verfügung, um Schritt für Schritt jede der kognitiven Fertigkeiten zu erzeugen, die es modernen Menschen ermöglichen, komplexe Werkzeuggebräuche und Technologien, komplexe Formen der Kommunikation und Repräsentation durch Symbole und komplexe Formen gesellschaftlicher Organisationen und Institutionen zu erfinden und aufrechtzuerhalten.“ (Tomasello 2002: 13)

Die Lösung dieses zeitlichen Problems vermutet Tomasello in kultureller Weitergabe, die im Vergleich mit evolutionären Anpassungen auf einer deutlich schnelleren Zeitskala operiere und beim Menschen in einzigartiger Weise gegeben sei. Die so genannte kumulative kulturelle Evolution geht mit der Annahme einher, dass die komplexesten sozialen Praktiken und Artefakte des Menschen zunächst in primitiver Form erfunden und dann von späteren Benutzern verbessert worden seien. Neben Erfindungsgabe, die Tomasello auch nichtmenschlichen Primaten zugesteht, erfordere dieser auch Wagenhebereffekt (ratchet effect) genannte Prozess eine zuverlässige soziale Weitergabe, die nach Tomasello im einzigartig menschlichen kulturellen Lernen besteht (vgl. auch Tomasello/Kruger/Ratner 1993). Imitationslernen, Lernen durch Unterricht und Lernen durch Zusammenarbeit als Grundformen kulturellen Lernens führt Tomasello schließlich auf eine biologische Anpassung kognitiver Art zurück:

„Diese drei Typen kulturellen Lernens werden durch eine einzige besondere Form sozialer Kognition ermöglicht, nämlich durch die Fähigkeit einzelner Organismen, ihre Artgenossen als IHNEN ÄHNLICHE Wesen zu verstehen, die ein intentionales und geistiges Leben haben wie sie selbst. Dieses Verständnis ermöglicht es ihnen, sich in die geistige Welt einer anderen Person hineinzuversetzen, so dass sie nicht nur VOM anderen, sondern auch DURCH den anderen lernen können. Diese Auffassung anderer als intentionale Wesen, die einem selbst ähnlich sind, ist entscheidend für das kulturelle Lernen des Menschen[.]“ (Tomasello 2002: 15) (Hervorh. im Original)

Die Bedeutung des Verstehens anderer als intentionale Akteure für das kulturelle Lernen des Menschen begründet Tomasello ihrerseits damit, dass kulturelle Artefakte und soziale Praktiken (Werkzeuggebrauch, sprachliche Symbole) stets über sich hinaus auf andere Entitäten verwiesen. Ein Kind, das den konventionellen Gebrauch eines Werkzeuges oder Symbols erlernen möchte, müsse demnach zunächst verstehen, zu welchem Zweck der andere das Werkzeug bzw. Symbol verwendet, welches Problem er also mit einem Werkzeug lösen oder welche kommunikative Situation er mit Hilfe eines Symbols bewältigen möchte. Tomasello spricht hier vom Verstehen der intentionalen Bedeutung des Werkzeuggebrauchs und der symbolischen Praxis.

Seine zeitliche Ausgangsproblematik löst Tomasello demnach auf der Grundlage eines Szenarios, in dem Menschen zunächst eine einzigartige Form sozialer Kognition entwickelten (phylogenetischer Aspekt), die ihrerseits kulturelles Lernen und somit neue Prozesse der Soziogenese sowie eine kumulative kulturelle Evolution in Gang setzten (historischer Aspekt). Die vom neuartigen Verstehen anderer als intentionale Akteure ausgelösten kulturellen Lernprozesse bauten dabei auf bereits bei nichtmenschlichen Primaten bestehenden kognitiven Fertigkeiten auf „[…] und transformierten sie in neue, kulturell basierte Fertigkeiten mit einer sozial-kollektiven Dimension.“ (Tomasello 2002: 17)

Für ein volles Verständnis der Entstehung menschlichen Denkens hält Tomasello die zusätzliche Berücksichtigung ontogenetischer Prozesse für notwendig. Ab einem Alter von etwa 9 Monaten könnten Kinder am kognitiven Kollektiv partizipieren, indem sie ihre Aufmerksamkeit gemeinsam mit anderen Individuen auf etwas lenken (Joint Attention) und von ihnen durch Imitation lernen. Dies sei „[…] die ontogenetische Manifestation der einzigartigen sozio-kognitiven Anpassung des Menschen für die Identifikation mit anderen, wodurch diese als intentionale Wesen wie das eigene Selbst verstanden werden.“ (Tomasello 2002: 17f.) Erst wenn ein Kind in der Lage sei, andere als intentionale und geistbegabte Wesen aufzufassen, verfüge es über den sozio-kognitiven Schlüssel, um in die Welt der Kultur einzudringen und einzigartige Formen kognitiver Repräsentationen zu erschließen.6 Auf der Grundlage kulturellen Lernens erwürben Kinder dann auch sprachliche Symbole, die die verschiedenen Weisen der Kategorisierung und Auffassung der Welt zum Zwecke zwischenmenschlicher Kommunikation geradezu verkörperten und deren Erwerb die Einnahme vielfältiger Perspektiven auf ein und dieselbe Wahrnehmungssituation ermögliche. Dem im Umgang mit Sprache erfahreneren Kinde offenbarten sich sodann weitere Möglichkeiten der unterschiedlichen Auffassung von Dingen. Dann nämlich könnten die in natürlichen Sprachen enthaltenen kognitiven Ressourcen zur Einteilung der Welt in Ereignisse und Dinge sowie zur Bildung abstrakter Kategorien von Ereignis- und Dingtypen genutzt werden; außerdem werde die Auffassung von Ereignissen und Situationen in Begriffen anderer Ereignisse und Situationen (Analogien und Metaphern) ebenso ermöglicht wie die Teilnahme an komplexen Diskursinteraktionen, in denen die symbolisierten Perspektiven der Teilnehmer aufeinander treffen und ausgehandelt werden müssen. Hierdurch werde das Kind wiederum befähigt, mit der Konstruktion einer Theorie des Geistes – verbunden mit einem Verstehen anderer als mentale Akteure – zu beginnen und Anweisungen Erwachsener derart zu verinnerlichen, dass eine Reflexion des eigenen Denkens und eine Steuerung des Selbst stattfinden kann, was schließlich zu bestimmten Arten der Metakognition und repräsentationaler Neubeschreibung führen könne.

Tomasellos Hypothese zufolge weist das menschliche Denken seine spezifischen Eigenschaften also aufgrund ineinander verzahnter phylogenetischer, historischer und ontogenetischer Faktoren auf. Aufbauend auf nur einer evolutionären Anpassung seien es allerdings die ontogenetischen und die historischen Entwicklungsprozesse, welche die Hauptlast „[…] bei der Hervorbringung vieler, wenn nicht gar aller charakteristischen und wichtigsten kognitiven Leistungen und Prozesse der Spezies Homo sapiens tragen.“ (Tomasello 2002: 22) Aufbauend auf den Ergebnissen einer umfassenden empirischen Forschung ist es das Anliegen Tomasellos’ weiterer Ausführungen, die angenommene Entwicklung im Detail zu schildern.

2.2 Mensch und Menschenaffe – kognitive Unterschiede und ihre Folgen

Tomasello räumt...

Erscheint lt. Verlag 7.10.2015
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Kommunikation / Medien Kommunikationswissenschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Handlungskoordination • Intentionalität • Joint-Attention-Forschung • Kognitionstheorie • Kognitive Linguistik • Kognitive Verhaltensforschung • Kommunikationstheorie • Kulturtheorie • Michael • Primatenforschung • Sozialpsychologie • Sprachkonstruktion • Sprachliche Kommunikation • Tomasello
ISBN-10 3-7445-1026-3 / 3744510263
ISBN-13 978-3-7445-1026-4 / 9783744510264
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