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Warum wir Kriege führen (eBook)

Und wie wir sie beenden können
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
544 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3233-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Warum wir Kriege führen - Christopher Blattman
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Warum führen Menschen Krieg gegeneinander? Was lässt sich dafür tun, dass sie ihre Rivalitäten friedlich austragen? Und wenn es doch zu einem gewaltsamen Konflikt gekommen ist - welche Auswege gibt es? Mit diesen Fragen setzt sich Christopher Blattman auseinander. Er hat Kriege und Bürgerkriege untersucht, sich mit Drogenkartellen, Straßengangs, Fußballhooligans, Mafiaorganisationen und Fanatikern beschäftigt. 
Sein Buch ist die Summe jahrzehntelanger Forschungen sowie praktischer Erfahrungen in Krisengebieten. Er zeigt, dass Menschengruppen ihre Konflikte in aller Regel friedlich lösen - und Gesellschaften dies fördern können. Zu Kriegen kommt es aus fünf Gründen, und auch dann gibt es konkrete Schritte, um die Kontrahenten zu einem Kompromiss zu bewegen. Ein ebenso optimistisches wie realistisches Buch.

»Blattman bietet eine enorm wichtige neue Perspektive auf Konflikte.«

Roger Myerson, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften



Christopher Blattman ist Wirtschafts- und Politikwissenschaftler und beschäftigt sich mit Gewalt, Verbrechen und Armut. Er ist Ramalee E. Pearson Professor of Global Conflict Studies am Pearson Institute und der Harris School of Public Policy der Universität Chicago. Über ihn und seine Forschungen haben u.a. die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit, The New York Times, The Washington Post, The Wall Street Journal und Financial Times berichtet.

Einleitung


Napoleon läutete ein drittes Mal an der Tür. »Ich weiß, dass wir hier richtig sind«, sagte er und drehte sich zu uns um. Ich stand auf dem Bürgersteig neben Charles, seinem Partner, und meiner Kollegin Megan. Megan und ich begleiteten das Duo an diesem Tag. Uns war anzusehen, dass wir nicht hierhergehörten.

Im Gegensatz zu uns waren Nap und Charles in der West Side von Chicago aufgewachsen. Beide waren in ihrer Jugend Anführer berüchtigter Gangs gewesen. Inzwischen kannten die meisten Leute in North Lawndale das grauhaarige Gespann jedoch wegen seiner unermüdlichen Streifzüge durch das Viertel, die es von einer dunklen Ecke zur nächsten und von der einen Veranda zu anderen führten. Man wusste, sie bemühten sich darum, junge Typen von der schiefen Bahn, von Drogenhandel und Gewalt, abzubringen, auf die sie selbst damals geraten waren. Typen wie Johnny, der offensichtlich nicht aufmachen wollte.

Johnny war der Boss der hiesigen Bande. Bande, Mafia, Clique – alte Hasen wie Nap schienen über ein ganzes Arsenal an Begriffen zu verfügen, mit denen sie die jungen Männer belegten, die in den Straßen von Lawndale mit Drogen und Munition handelten. Das einzige Wort, das Nap nie verwendete, war »Gang«. »Das sind keine Gangs«, sagte er kopfschüttelnd. »Wir waren organisiert, wir hatten Disziplin, wir hatten Regeln. Aber diese Kids ... keine Spur davon.« Die heutigen Banden waren kleiner, zerstrittener als die großen, geschlossenen kriminellen Strukturen, die einst schwarze Viertel wie Lawndale beherrschten. Klar, auf gewisse Weise machte Nap als alt gewordener Ex-Bandenführer hier nichts anderes, als über »die Jugend von heute« zu jammern, aber in seiner Tirade steckte auch ein Stück Wahrheit.

Es war ein warmer Herbsttag. Die ruhige Straße war von Bäumen gesäumt, deren Laub sich verfärbte, aber noch nicht begonnen hatte zu fallen, und so lag Schatten auf den Vortreppen der dreistöckigen Wohnhäuser. Ein paar junge Männer saßen draußen, unterhielten sich mit ihren Kollegen und behielten den Block im Auge. Ich war damals noch neu in Chicago, und der friedliche, grüne Häuserblock entsprach so gar nicht dem Bild eines kriminellen Viertels, das ich aus dem Fernsehen kannte. Aber das hier, so erzählte uns Nap, war das Heilige Land. Diese paar Blocks waren die Geburtsstätte einer der größten und einflussreichsten Straßenbanden in der amerikanischen Geschichte, den Vice Lords.

Etwas weiter die Straße herunter musterten einige junge Männer von ihren Veranden aus den Anblick, der sich ihnen bot: eine kleine Truppe mit Warnwesten über der Alltagskleidung. Fremde waren ungewöhnlich im Heiligen Land. Und dann klopften wir auch noch an die Tür des Anführers.

Die meisten Leute hätten Johnny wohl inzwischen abgeschrieben, aber es hat seine Gründe, wenn ich Nap und Charles als unermüdlich bezeichne. »Hey! Weiß einer von euch, wo Johnny ist?«, raunzte Charles und ging geradewegs auf die nächste Rotte junger Männer zu.

Überall in der Stadt jagten Sozialarbeiter wie Nap und Charles vielen Johnnys hinterher – es waren jene eintausend Männer, bei denen wir es für am wahrscheinlichsten hielten, dass sie irgendwann in den kommenden Monaten den Abzug drücken würden. Im Jahr zuvor, 2016, war die Zahl der Morde in Chicago um erstaunliche 58 Prozent angestiegen. Nap und Charles standen für einen neuen Ansatz, um diese Zahlen zu senken.

Es hatte sich herumgesprochen, womit Nap und Charles dealten. »Seid ihr von diesem Programm?«, fragte einer der jungen Männer. Er entspannte sich augenblicklich, ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Das Programm versprach eine Brücke in ein neues Leben: achtzehn Monate lang einen richtigen Job mit Gehaltsscheck, plus etwa zehn Stunden Verhaltenstherapie pro Woche. Der Job war das, was ihn am meisten interessierte. »Was muss ich tun, um reinzukommen?«, fragte ein anderer.

Gerade als Nap seinen üblichen Sermon vom Stapel lassen wollte, schwang Johnnys Tür auf. Ein kleiner, selbstbewusster Typ mit strahlenden Augen kam heraus. Er trug ein Super-Man-T-Shirt und eine eng anliegende schwarze Jogginghose. Schlank und gut gebaut, wie er war, sah man ihm an, dass er einmal Leichtathlet gewesen war. Ein kleines Mädchen, etwa zwei Jahre alt, folgte ihm nach draußen. »Entschuldigung«, sagte er, »wir haben geschlafen.«

Früher hatte Johnnys Bruder die Gang im Viertel angeführt, aber einen Monat zuvor war er von einer rivalisierenden Bande getötet worden. Jetzt war Johnny »Lil’ Chief«. Er musterte uns von oben bis unten: »Was gibt es denn?« Während seine Tochter mit ihrem Dreirad auf dem Bürgersteig auf und ab fuhr, skizzierten ihm Nap und Charles, wie ein neues Leben für ihn aussehen könnte. Wenn es ihnen gelänge, Johnny mit seiner Glaubwürdigkeit und seinem Charisma zu gewinnen, würden andere Männer folgen. Und sie hofften, das Programm würde das Risiko verringern, dass Johnnys Bande sich an den Rivalen rächte. Später sollte Nap sagen: »Habt ihr gesehen, wie sich die Jungs um ihn geschart haben?« Megan und ich nickten. »So sieht ein Chief aus.«

Als Lil’ Chief drei Wochen später nach einem Arbeitstag im neuen Job nach Hause ging, hielt ein Auto neben ihm. Sechzehn Kugeln trafen ihn in den rechten Arm, die Brust und die Beine. Zu seinem Glück zahlte sich jetzt das Leichtathletiktraining aus: Johnny schaffte es, zu einem Laden an der Straßenecke zu sprinten und sich in Sicherheit zu bringen. Dort blutete er den ganzen Fliesenboden voll, kam aber erstaunlicherweise mit dem Leben davon. Seinem ganz persönlichen Krieg entkam er nicht.

Warum? Warum liefern sich Gruppen junger Männer bewaffnete Fehden und bringen einander immer und immer wieder um? Was konnten ein paar alte Männer wie Nap und Charles, geschweige denn ein Außenseiter wie ich, dagegen ausrichten?

Ich hatte nicht damit gerechnet, mir solche Fragen jemals stellen geschweige denn sie beantworten zu müssen. Aber wenn man Gewalt in ihrer grausamen Enthemmtheit einmal hautnah miterlebt hat, lässt einen das Thema nicht mehr los. Selbst wenn man aus sicherer Position und mit dem Privileg der Distanz darauf schaut, verblasst alles andere in seiner Bedeutung. Genau das ist mir vor fast zwei Jahrzehnten zugestoßen.

Warum wir über Gewalt sprechen müssen


In der Zeit vor dem Krieg fuhr man in Norduganda über staubige Schotterpisten kilometerweit durch Gras, das höher war als man selbst. Wenn es regnete, waren die Halme grün, wenn nicht, dann braun. Endlos wogten sie über flache, ausgedörrte Ebenen, die nur von gelegentlichen Handelsposten oder Weiden unterbrochen wurden.

Die meisten Acholifamilien, von Beruf Bauern und Hirten, lebten inmitten ihrer Mais- und Viehfelder in Siedlungen aus Rundhütten mit glatten Lehmwänden und spitz zulaufenden Strohdächern. In diesem Teil des Landes, Acholiland, hatte es einst mehr Rinder als Menschen gegeben. Es muss wunderschön gewesen sein.

Als ich im Norden landete, war das Gras noch da, aber die Rinder, das Getreide und die malerischen Hütten waren längst verschwunden. Bald zwei Jahrzehnte lang hatte ein Bürgerkrieg gewütet. Die Angst vor Rebellen und die ugandische Armee hatten die Familien, fast zwei Millionen Menschen, in dicht bevölkerte Lager getrieben, die nur wenige Kilometer von ihrem leer gefegten und überwucherten Land entfernt lagen.

In den Lagern standen dieselben runden braunen Hütten mit denselben Strohdächern. Doch es war kein idyllischer Anblick mehr, bei dem sich Gehöfte inmitten von Grün und Vieh zu einem harmonischen Bild fügten, sondern Tausende und Abertausende von Hütten bedeckten die braune, kahle Erde und brieten in der Sonne vor sich hin. Sie waren so eng zusammengepfercht, dass man sich bücken musste, um zwischen den Dachvorsprüngen hindurchzukommen. Es waren Orte der Hoffnungslosigkeit.

Die Regierung hatte das Land geräumt und die Menschen in diese Elendssiedlungen gesteckt. Das erleichterte den Soldaten die Jagd auf Rebellen und erschwerte diesen den Diebstahl von Lebensmitteln und sonstigem Nachschub – eine klassische Strategie der Aufstandsbekämpfung. Gleichzeitig war es ein Kriegsverbrechen, da es Millionen von Menschen ihrer Lebensgrundlage ...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2023
Übersetzer Birthe Mühlhoff
Sprache deutsch
Original-Titel Why We Fight. The Roots of War and the Paths to Peace
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bandenkriege • Bürgerkriege • Chicago • Darfur • Erster Weltkrieg • Friedens- und Konfliktforschung • Gewalt • Indien • Irak • Kanada • Kolumbien • Kompromisse • Liberia • Medellín • Nordirland • Spieltheorie • Sudan • Syrien
ISBN-10 3-8412-3233-7 / 3841232337
ISBN-13 978-3-8412-3233-5 / 9783841232335
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