Der Weg in die Marktwirtschaft (eBook)
320 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3195-6 (ISBN)
Die Privatisierung in Tschechien
Der Privatisierungsprozess, den die Tschechische Republik in den 1990er-Jahren durchlief, ist auch als »tschechischer Weg« bekannt. Eva Schäffler schildert diesen Weg jedoch jenseits bestehender Sonderwegs- und (Miss-)Erfolgsnarrative. Bereits vor der Samtenen Revolution gab es staatliche Wirtschaftsreformen sowie Reformszenarien. Die Autorin widmet sich zudem ungeplanten Entwicklungen und Konflikten, die sich bei der Restitution, der Privatisierung kleiner und der Privatisierung großer Betriebe ergaben. Mit den deutsch-tschechischen Joint Ventures Volkswagen und ?koda sowie Continental und Barum wird die internationale Dimension der tschechischen Privatisierung beleuchtet.
Eva Schäffler, Jahrgang 1985, studierte Europastudien, Bohemistik und Geschichte in Eichstätt, Salzburg, Madrid und Olomouc. Ihre Promotion zum Thema 'Paarbeziehungen in Ostdeutschland. Auf dem Weg vom Real- zum Postsozialismus' ist 2017 erschienen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Geschlechter-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der DDR/Ostdeutschlands und der Tschechoslowakei/Tschechischen Republik mit zeitlichem Fokus auf der Phase des Spät- und des Postsozialismus. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin war sie an der Universität Salzburg und am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin beschäftigt. Weitere berufliche Erfahrungen hat sie als Projektmanagerin für eine deutsch-tschechische Euroregion sowie als Leiterin eines MdB-Wahlkreisbüros.
I. Politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen der Privatisierung im Überblick
Basierend auf dem angeführten Forschungsstand, der multiperspektivischen Fragestellung sowie den im vorherigen Kapitel eingeführten Quellen werden die drei inhaltlichen Hauptkapitel (II, III, IV) verschiedene Aspekte der Privatisierung in Tschechien ausführlich untersuchen. Vorab fasst das nun folgende Überblickskapitel einige Informationen zu den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Privatisierung zusammen.
1. Politische Rahmenbedingungen
Die Auflösung der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik
Die Tschechoslowakei war nach dem Ende des Staatssozialismus erst eine Föderative Republik (Česká a Slovenská Federativní Republika/ČSFR), aus der dann 1993 die Tschechische Republik und die Slowakei hervorgingen. Die Auflösung der Föderation zum Ende des Jahres 1992 wurde auf oberster politischer Ebene ausgehandelt und ohne die direkte Beteiligung der Bevölkerung durch ein Referendum oder Ähnliches beschlossen. Da dieser Schritt ohne größere Konflikte oder problematische Nachwirkungen vollzogen wurde, wurde und wird die Teilung auch häufig als »Samtene Scheidung« bezeichnet. Angespielt wird damit auf die Bezeichnung »Samtene Revolution«, die häufig für den politischen Umbruch verwendet wird, der sich in der Tschechoslowakei im November und Dezember 1989 weitgehend friedlich vollzog. Wie bereits erwähnt, werden sich die Ausführungen in dieser Studie in erster Linie auf den tschechischen Teil der ČSFR und später auf die Tschechische Republik beziehen.1
Um das komplexe Zusammenspiel der politischen Akteure vor 1993 besser einordnen zu können, ist zu berücksichtigen, dass Tschechien und die Slowakei im Rahmen der Föderation über eigene Regierungen, eigene Parlamente sowie eigene ministeriale und behördliche Strukturen verfügten. Beispielsweise gab es sowohl ein tschechisches als auch ein slowakisches Privatisierungsministerium. Zwischen der föderalen und der nationalen Ebene2 sowie zwischen den beiden Republiken ergaben sich immer wieder Konflikte. Neben neu entstehenden Auseinandersetzungen gelangte eine Reihe von Konflikten an die Oberfläche, die schon seit der Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik bzw. seit der Zeit des Staatssozialismus existiert hatten, aber nur zum Teil und auch nicht in letzter Konsequenz offen ausgetragen worden waren.3
Die Slowakei war wirtschaftlich schon immer der schwächere Teil der Föderation gewesen. Zusätzlich war sie von den ökonomischen Problemen, die sich unmittelbar nach dem Ende des Staatssozialismus ergaben, stärker betroffen als die Tschechische Republik. Dies lag vor allem daran, dass die slowakische Industrie – dominant waren hier unter anderem die Rüstungsproduktion und die Petrochemie – stärker ostorientiert und weniger diversifiziert war als die tschechische. Der Zusammenbruch der Zusammenarbeit im Rahmen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und der Absatzmärkte im Osten führte dazu, dass sich die wirtschaftlichen Disparitäten zwischen den beiden Republiken noch weiter verschärften.4
Als »Juniorpartner« nahm sich die Slowakei aber nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in gesellschaftlicher Hinsicht wahr.5 Umso wichtiger war es aus ihrer Sicht, nach dem Ende des Staatssozialismus und dem Untergang der ČSSR (Československá socialistická republika) einen passenden neuen Namen für den gemeinsamen Staat zu finden.6 Staatspräsident Václav Havel hatte die Bezeichnung Tschecho-Slowakische Republik (Česko-slovenská republika7) vorgeschlagen, die auf slowakischer Seite größtenteils befürwortet wurde, auf tschechischer Seite aber aufgrund des »Gedankenstrichs« auf Widerstand stieß.8 Letztendlich wurde der Vorschlag von der Föderalversammlung, dem föderalen Parlament der Tschechoslowakei, verworfen. Im April 1990 einigte man sich auf den Namen Tschechische und Slowakische Föderative Republik (Česká a Slovenská Federativní Republika), der jedoch häufig als unbefriedigende Kompromisslösung wahrgenommen wurde.9
Großes Konfliktpotenzial hatte in den frühen 1990er-Jahren auch die Frage, welche Kompetenzen die Föderation einerseits und die beiden Republiken andererseits haben sollten. Während die slowakische Seite möglichst wenige Politikbereiche auf der föderalen Ebene regeln lassen wollte, war die tschechische Seite der Auffassung, dass man auf diese Weise immer mehr auf eine Konföderation zusteuere, was als nicht wünschenswerte Tendenz empfunden wurde. Das bereits seit 1969 bestehende sogenannte Kompetenzgesetz (Zákon č. 2/1969 Sb.: Zákon České národní rady o zřízení ministerstev a jiných ústředních orgánů státní správy České socialistické republiky) wurde letztlich so abgeändert, dass die beiden Republiken mehr und die Föderalregierung weniger Zuständigkeiten als vorher hatten. Diese Aufteilung funktionierte aber häufig nicht gut und es kam zu Konflikten zwischen den beiden Ebenen.10
Konflikte ergaben sich auch im Hinblick auf die Umsetzung der von der Föderalregierung erlassenen Gesetze. So lag beispielsweise die Kompetenz, die für die ökonomischen Reformen notwendigen Gesetze zu erlassen, auf der föderalen Ebene, für die Umsetzung dieser Gesetze waren aber die Republiken zuständig. Ausgehend von diesen Zuständigkeitskonflikten taten sich die beiden Republiken schwer, sich auf eine gemeinsame Verfassung zu einigen. Nachdem eigentlich schon ein für beide Seiten akzeptabler Text gefunden worden war, wurde dieser noch vor den Wahlen im Juni 1992 vom slowakischen Parlament abgelehnt. Daraufhin weigerte sich die tschechische Seite, weitere Verhandlungen über die Verfassung zu führen.11
Nach den Wahlen im Juni 1992 spitzte sich der tschechisch-slowakische Konflikt auch im Hinblick auf die Wirtschaftsreformen immer weiter zu. Ein Grund, warum die Slowakei den von tschechischer Seite vorgeschlagenen, zumindest seiner Konzeption nach marktliberalen Reformkurs ablehnte, waren die bereits erwähnten größeren wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen der Landesteil seit dem Ende des Staatssozialismus zu kämpfen hatte.12 Der föderale Finanzminister Václav Klaus und seine Mitstreiter hatten anfangs fest vorgehabt, ihr Reformkonzept im gesamten Land durch- und umzusetzen. Nach den Wahlen im Juni 1992 übte Klaus, mittlerweile tschechischer Ministerpräsident, immer stärkeren Druck auf Bratislava aus. Wenn die Slowakei keinen gemeinsamen Staat mit einer starken Zentralregierung und keine radikalen Wirtschaftsreformen akzeptiere, würde die Tschechische Republik keinen gemeinsamen Staat mehr wollen. Der slowakische Ministerpräsident Vladimír Mečiar (HZDS), der eine nationalistische und radikalen Wirtschaftsreformen eher ablehnend gegenüberstehende Politik verfolgte, war jedoch nicht bereit, sich diesem Druck zu beugen.13 Dementsprechend war für beide Politiker die Auflösung der Föderation die sinnvollste Option.14
Wie bereits erwähnt, fiel der Beschluss, in Zukunft getrennte Wege zu gehen, ohne die Bevölkerung direkt einzubeziehen. Laut Meinungsumfragen wollte die Mehrheit der Bevölkerung in beiden Landesteilen keine Auflösung der Föderation. Dementsprechend hatte es auch Rufe nach einem Referendum gegeben, doch hatte am Ende keines stattgefunden – wahrscheinlich auch, weil die politische Führung auf beiden Seiten befürchtete, eine solche Abstimmung könnte womöglich nicht in ihrem Sinne ausgehen. Auch der tschechoslowakische Staatspräsident Václav Havel hatte sich für das Fortbestehen der Föderation eingesetzt, sich aber nicht gegen die Ministerpräsidenten Klaus und Mečiar durchsetzen können. Als das slowakische Parlament im Juli 1992 die Souveränität der Slowakei erklärte15 – die Auflösug der Föderation war damit de facto besiegelt –, trat Havel zurück.16
Am 25. November 1992 verabschiedete die Föderalversammlung dann das Gesetz über die Auflösung der Föderation (Ústavní zákon č. 542/1992 Sb.: Ústavní zákon o zániku České a Slovenské Federativní Republiky), das am 31. Dezember 1992 in Kraft trat. Nach der Auflösung der ČSFR konnte Klaus seinen wirtschaftlichen Reformkurs fortführen, ohne dabei auf Widerstände auf der föderalen Ebene bzw. vonseiten der Slowakei zu stoßen. Während die im Herbst 1992 angelaufene erste Welle der Kuponprivatisierung in Tschechien zu einem Ende gebracht wurde, wurde sie in der Slowakei abgebrochen.
Wahlen und Parteienlandschaft
Auch wenn die Föderation erst mit Jahresbeginn 1993 aufgelöst wurde, hatte sich eine komplette Spaltung des Parteiensystems in ein tschechisches und ein slowakisches bereits in den Jahren zuvor vollzogen.17 Nach der Samtenen...
Erscheint lt. Verlag | 18.4.2023 |
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Reihe/Serie | Studien zur Geschichte der Treuhandanstalt | Studien zur Geschichte der Treuhandanstalt |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft ► Wirtschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Wirtschaft ► Volkswirtschaftslehre | |
Schlagworte | Continental • Joint Venture • Privatisierung • Reform • Restitution • Skoda • Spätsozialismus • Treuhand • Tschechien • Tschechische Republik • Tschechischer Weg • Volkswagen • VW |
ISBN-10 | 3-8412-3195-0 / 3841231950 |
ISBN-13 | 978-3-8412-3195-6 / 9783841231956 |
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Größe: 1,4 MB
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