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Plötzlich Pakistan (eBook)

Mein Leben im gefährlichsten Land der Welt - Ein SPIEGEL-Buch
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
288 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-30513-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Plötzlich Pakistan -  Hasnain Kazim
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»Ein spannender Blick auf ein verzweifeltes Land im Wandel« Die Tagespost
Als Korrespondent für den SPIEGEL zieht Hasnain Kazim nach Islamabad und erlebt ein mehr als widersprüchliches Land. Wie tickt diese Atommacht, in der es so viele religiöse Extremisten gibt? Was hält ein Land zusammen, in dem eine Hochglanzsociety für viele Tausend Dollar Feste feiert, während Arbeiterfamilien unter sklavenähnlichen Bedingungen leben? Kazim trifft Geistliche, Politiker, Waffenhändler, Prostituierte und den Henker von Pakistan. Die Probleme sind gewaltig, immer mehr Menschen hungern. Zwei Drittel der über zwei Millionen Einwohner sind jünger als dreißig und haben keine Perspektive. »Die Begegnung mit Militärs [...], der Umgang mit Frauen, mit Alkohol, mit Prostitution, nichts wird ausgeklammert. Trotzdem ist das Buch eine faszinierende, fast liebevolle Ode an ein facettenreiches Land.« Heilbronner Stimme

Hasnain Kazim ist gebürtiger Oldenburger und Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer. Er wuchs im Alten Land, vor den Toren Hamburgs, und in Karatschi in Pakistan auf, studierte Politikwissenschaften und schlug eine Laufbahn als Marineoffizier ein. Er schrieb unter anderem für das dpa-Südasienbüro in Delhi und von 2004 bis 2019 für den SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE, die meiste Zeit davon als Auslandskorrespondent in Islamabad, Istanbul und Wien. Für seine Arbeit wurde er bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter der »CNN Journalist Award«. Er lebt als freier Autor nach wie vor in der österreichischen Hauptstadt und hat mehrere Bücher veröffentlicht, unter anderem »Grünkohl und Curry«, »Plötzlich Pakistan« und »Krisenstaat Türkei«. Das Taschenbuch »Post von Karlheinz« (2018), das seine Dialoge mit wütenden Leserinnen und Lesern versammelt, stand viele Wochen auf der Bestsellerliste. »Auf sie mit Gebrüll!« (2020), eine Anleitung zum richtigen Streiten, wurde ebenfalls direkt nach Erscheinen ein Bestseller. Zuletzt erschienen »Mein Kalifat. Ein geheimes Tagebuch, wie ich das Abendland islamisierte und die Deutschen zu besseren Menschen machte« und das dazugehörige »Kalifatskochbuch. Weisheiten und Rezepte«.

IN DER FESTUNG


Warum sah man nur Männer am Benazir Bhutto International Airport? Eine Masse von Gestalten in braunen, grauen, weißen Gewändern. Hunderte drängten sich vor dem Ausgang und warteten auf die Ankunft ihrer Familienangehörigen, ihrer Freunde, ihrer Dorfältesten. Bei manchen hatte ich das Gefühl, sie waren einfach nur so da, zum Zeitvertreib. Männer mit langen Bärten und wollenen Paschtunenmützen, obwohl es über dreißig Grad heiß war. Manche kauten Paan, die Mundwinkel rot von Speichel. Sie guckten neugierig, ich hatte den Eindruck, sie starrten vor allem uns an, den braunen Mann und die weiße Frau.

Ein unmögliches Paar.

Auf uns wartete an diesem schwülen Morgen Sajid. Wir hatten kaum noch sein Gesicht vor Augen, den Taxifahrer hatten wir ein Jahr zuvor bei einem Besuch in Islamabad kennengelernt, kurz nach der Ermordung von Benazir Bhutto in der Nachbarstadt Rawalpindi. Sajid, Anfang dreißig, kam aus einem Dorf außerhalb von Islamabad, hatte Pakistan noch nie verlassen und sich, während er uns zu den wenigen Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt fuhr, neugierig nach Deutschland erkundigt. Er hatte viele Fragen, erzählte aber auch von sich, vom schwierigen Leben in Pakistan, von der Schönheit seines Landes und von den Nöten und Zwängen seiner Gesellschaft. Wir mochten uns auf Anhieb.

Jetzt, da wir nach Islamabad zogen, hatte ich mich an ihn erinnert, seine Nummer aus einem meiner Notizbücher rausgesucht, und ihn von Deutschland aus angerufen und gebeten, uns vom Flughafen abzuholen.

Er erinnerte sich noch an uns. »Ja, ja, ja, der Pakistaner mit der deutschen Frau! Natürlich!« Man hörte sein Erstaunen am Telefon, dass wir, die reichen Leute aus dem Westen, ihn, den armen Taxifahrer aus der pakistanischen Provinz Punjab, nach einem Jahr anriefen. Aus Deutschland! Wo es doch unzählige Taxis gab am Flughafen. Er freute sich und versprach, da zu sein.

Aber nun war er nirgendwo zu sehen, dieser Mann, von dem ich noch erinnerte, dass er hager und einen halben Kopf größer war als ich und einen Schnauzbart trug. Ich rief ihn an und erfuhr, dass er schon seit einer Stunde auf uns wartete, aber die Sicherheitsleute ließen die gelben und schwarzen Suzuki-Taxis nicht vorfahren, nur die weißen Funktaxis, deshalb parkte er draußen, vor dem Flughafen. »Mit einem weißen Toyota Corolla steht einem die Welt offen. Mit einem gelben Suzuki Mehran ist sie verschlossen«, sagte er. »Kommen Sie zum Ausgang des Flughafengeländes, da bin ich!«

Ein Mann in blauer Uniform drückte mir ein Flugblatt in die Hand. »Warnung vor Entführungen und Überfällen« stand oben auf Englisch, unten auf Urdu. In kurzen Sätzen wurde darauf hingewiesen, dass in letzter Zeit falsche Taxifahrer ahnungslose Ankömmlinge in ihr Auto lockten, entführten und sie erst wieder freiließen, nachdem sie ihre Taschen, Koffer und Geldbörsen geplündert hatten. Außerdem sei es auf dem Weg vom Flughafen in die Innenstadt vermehrt zu Überfällen gekommen, meist an den Straßenkreuzungen, weshalb man die Autotüren verschließen solle.

Das fängt ja gut an, dachte ich. Ich ließ den Zettel unauffällig liegen, damit meine Frau nichts davon mitbekam.

»Taxi, Sir?«

»Sir, Taxi?«

»Taxi?«

Viele Male »Nein, danke«, dann einfach nur noch ignorieren.

»Very good taxi, very comfortable, Sir!«

»Very good price for you, Sir.«

»No expensive.«

Wir schoben unseren Gepäckwagen mit den zwei großen Koffern an den fragenden Männern vorbei, stürzten uns ins Gewühl, über holpriges Pflaster, manövrierten an Schlaglöchern vorbei, Richtung Ausfahrt. Es dauerte, weil mal der Gepäckwagen in einem Schlagloch stecken blieb, mal sich ein verkrüppelter Bettler davorwarf und wir ihm mühsam ausweichen mussten. Ein Polizist schlug mit seinem Stock auf den armen Mann ein und befahl ihm, er solle gefälligst vom Flughafengelände verschwinden. Der Bettler kroch auf allen Vieren hinter uns her, Richtung Ausgang, an den Füßen und an den Händen brüchige Badelatschen.

Dort stand Sajid, er erkannte uns und winkte: »Welcome to Pakistan!« Vor Janna deutete er eine Verbeugung an. Mich umarmte er und reichte mir anschließend die Hand, so, wie Männer in Pakistan sich begrüßen.

Er hievte die schweren Koffer auf den Gepäckträger auf dem Dach seines Wägelchens, alle zwei. Aus dem Kofferraum, den ein Gastank ausfüllte, kramte er ein dünnes, faseriges Seil hervor, mit dem er das Gepäck festband. Ich dachte: Das geht nicht gut. Unser Container steckte schon in Indien fest, im Hafen von Bombay. Die indischen Zollbeamten weigerten sich, ihn freizugeben. Nun würden wir womöglich auch noch das Wenige, das uns geblieben war, verlieren. Wir hatten uns schon seit einigen Wochen eingeredet, dass es ja nur Materielles sei, und deshalb sei es nicht so schlimm. Aber immerhin war es fast alles, was wir besaßen.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, grinste Sajid und sagte: »Keine Sorge, Sir, ich weiß, was ich tue. Keiner der Koffer wird runterfallen, Inschallah.«

Islamabad ist eine künstliche Stadt. Sie ist noch sehr jung, in den Sechzigerjahren im Bauhausstil als neue Hauptstadt von Pakistan erbaut. General Muhammed Ayub Khan, der sich 1958, elf Jahre nach Staatsgründung, an die Macht geputscht hatte und damit sozusagen die militärdiktatorische Tradition Pakistans begann, hatte aus Sorge vor einem indischen Angriff den Regierungssitz 1961 von Karatschi nach Rawalpindi verlegt. Außerdem wollte er den wirtschaftlich schwachen Norden fördern und gab deshalb den Bau einer neuen Hauptstadt in Auftrag, direkt an Rawalpindi angrenzend: Islamabad, eine Stadt, an der der Islam einen Ort findet. 1967 wurde Islamabad neue Hauptstadt.

Vorher gab es dort, an den Ausläufern des Himalaja, nur ein paar Dörfer. Eines hatte man versucht zu erhalten, noch heute kann man es im nördlichen Islamabad, direkt am Fuße der Berge, besichtigen: Saidpur Village. Gelungen ist das eher wenig. Saidpur Village ist heute ein Ort für reiche Besucher, mit teuren Restaurants, die, so mutmaßen viele, in Wahrheit Geldwaschanlagen für Politiker und Generäle seien. Hinter dieser Luxusfassade wohnen die armen Einheimischen, darunter viele Flüchtlinge aus Afghanistan. Rauschende Partys und verstörendes Elend liegen in Pakistan oft nur wenige Meter auseinander.

Der griechische Städteplaner Konstantinos Apostolos Doxiadis entwarf Islamabad am Reißbrett. Die rechtwinkligen Straßen haben keine Namen, sondern Nummern. Die Stadtviertel sind wie Quadrate auf einem Schachbrett angelegt, jedes etwa zwei mal zwei Kilometer groß. Auch sie haben keine Namen, sondern tragen eine Bezeichnung aus einem Buchstaben und einer Zahl, wie auf einem Schachbrett eben. Jedes Quadrat ist in vier Felder aufgeteilt, die zusammen einen Stadtteil ergeben. F-7 besteht zum Beispiel aus F-7/1, F-7/2, F-7/3 und F-7/4. Jeder Stadtteil hat einen kleinen Markt, also sein eigenes Zentrum, mit Geschäften, Banken, vielleicht ein paar Restaurants und Cafés.

Seltsamerweise fehlen die Buchstaben A bis D. Im Norden, am Fuße der etwa tausend Meter hohen Margalla-Hills, den ersten Erhebungen des Himalaja, liegt der besonders teure E-Sektor, südlich davon der F-Sektor und so weiter, bis zum Sektor I.

Einen Stadtkern hat Islamabad nicht. Das Regierungs- und Botschaftsviertel liegt am Ostrand der Stadt. Wer dorthin will, muss mehrere Kontrollposten passieren. Das Botschaftsviertel, die Diplomatic Enclave, ist noch einmal zusätzlich gesichert und von hohen Mauern umgeben. Jede Botschaft hat zudem eigene Schutzvorkehrungen, manche Schutzwälle aus Containern, andere Wände aus Sandsäcken. Es sind Festungen innerhalb einer Festung. Die meisten Länder haben ihre Vertretungen in der Enklave. Nur die Botschaften armer Staaten wie Libyen und Turkmenistan oder Länder, die es verschlafen haben, sich rechtzeitig ein Grundstück in der Enklave zu sichern, sind in anderen, weniger gesicherten und weniger prestigeträchtigen Stadtteilen verstreut. Seltsamerweise gibt es im Botschaftsviertel auch Wohnungen. Wer in diesen Stadtteil will, benötigt eine Einladung oder einen Ausweis, den man nur als Diplomat oder als Bewohner erhält. Einfach so kommt man nicht hinein.

Die Häuser in den als besonders sicher geltenden Stadtteilen F-6, F-7, F-8 und E-7, wo die meisten Ausländer leben – Diplomaten, Entwicklungshelfer, Journalisten, Geheimdienstmitarbeiter, Geschäftsleute, obskure Gestalten – sind weitläufig, oft strahlend weiß verputzt, meist mit Garten oder Dachterrasse und Blick auf die Berge.

Die Stadt ist grün, ordentlich und sauber, das Gegenteil von Pakistan. Motorrikschas, in anderen Städten üblich, sind hier verboten. Man sieht selten Eselskarren und so gut wie nie Kamele auf den Straßen, es wird kaum gehupt. Islamabad ist konstruierte Wirklichkeit. Staatsgäste, die zu Besuch in der Hauptstadt verweilen, bekommen von Pakistan nicht viel mit. Pakistan, lautet eine oft zitierte Redensart, sei eine halbe Stunde Autofahrt von Islamabad entfernt. Ein paar Kilometer weiter beginnt nämlich Rawalpindi, das brodelnde Chaos. Ich kenne Ausländer, die Islamabad trist finden, nicht orientalisch genug, zu künstlich, zu leblos. Aber dafür ist hier die Luft sauber, hier lässt es sich gut leben. Die neue Stadt hat alte Bäume geerbt, in deren Schatten wohl schon vor Hunderten Jahren Menschen gelegen haben. Überall verschönern Bougainvilleen in allen Farben die Mauern und Hauswände, von denen der Monsun die Farbe abblättern, den Putz abbröckeln lässt.

Ich hatte ein Zimmer in einem Gästehaus reserviert, in dem wir so lange bleiben wollten, bis wir eine permanente Bleibe gefunden hatten. Sajid fuhr uns dorthin, über den...

Erscheint lt. Verlag 11.5.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2023 • Auf sie mit Gebrüll • Couchsurfing im Iran • eBooks • Hinduismus • Islam • Islamabad • Krisenstaat Türkei • Mein Kalifat • Neuerscheinung • Pakistan • Post von Karlheinz • Reisereportage
ISBN-10 3-641-30513-6 / 3641305136
ISBN-13 978-3-641-30513-0 / 9783641305130
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